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Portugal am Rande Europas?
Portugal besaß Ende des 14. Jahrhunderts etwa eine Million
Einwohner. In Lissabon wohnten 40000 Menschen. Die Landbevölkerung
lebte vom Ackerbau, hatte jedoch keinen eigenen Grundbesitz, sondern
verdingte sich bei geistlichen und weltlichen Großgrundbesitzern. Das
meiste, was sie erwirtschafteten, lieferten sie ihrem Grundherrn ab.
Die Krone konnte sie jederzeit zu Militär- und Frondiensten
abberufen. Erst nach dem Friedenschluss mit Kastilien ernährte die
Landwirtschaft im Norden Portugals das Volk. Aus dem weniger
fruchtbaren Alentejo im Süden des Landes wanderten weiterhin Menschen
in die Hafenstädte ab. Das Leben eines Landarbeiters blieb wenig
erstrebenswert. Lieber verdingte man sich auf den immer weiter
hinausfahrenden Schiffen oder versuchte, im Hafen sein Auskommen zu
finden.
Vor allem Lissabon, Porto und Lagos, die drei großen Hafenstädte
des Landes, wurden zu Handelszentren, in denen Beziehungen zu anderen
Hafenstädten des Mittelmeerraums und anderer neuentdeckter Gebiete im
Westen geknüpft wurden. Dort trafen sich Kaufleute, Diplomaten,
Spezialisten in der Navigation, Kartographie und im Schiffsbau mit
Mitgliedern bürgerlicher Familien, die sich im profitablen
Überseehandel engagieren wollten, und Repräsentanten des
Königshauses, die die neuen Entwicklungen beobachteten.
Obwohl Portugal die Mauren bereits 1249 vertrieben hatte, lebten
noch Juden und Morisken, mit Christen vermischte Mauren, im Land, die
ihr Wissen weitergeben konnten. Bisweilen konnte man Schwarzafrikaner
sehen, die über maurische Handelswege hierher gelangt waren, schon
lange bevor die Portugiesen an die Entdeckung neuer Gebiete dachten.
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Wissen ist Macht
Heinrich, der Seefahrer, wird oft als d e r Koordinator des
portugiesischem Entdeckerdranges dargestellt. Ob er dies tatsächlich
war, lässt sich aus den Quellen der damaligen Zeit nicht mehr
eindeutig nachweisen. Er war sicherlich stark daran interessiert und
war zweifellos jemand, der die Möglichkeiten der Zeit erkannte und
umsetzen wollte.
Aber nicht nur er war mit den Änderungen, die in der Luft lagen,
konfrontiert. Man kann schwer sagen, was der Portugiese der Zeit
wußte und was nicht. Sicher war dies abhängig davon, welcher
Gesellschaftsschicht er angehörte, ob er im Hinterland oder an der
Küste wohnte und wie hoch sein Bildungsgrad war. Verbreitet war der
Bericht Marco Polos, der seine Erlebnisse im China Ende des 13.
Jahrhunderts beschrieb. John Mandevilles Schriften erzählten von den
Reichtümern des Groß-Khans und den Gewürzen Ostasiens. Gerüchte
und Nachrichten von Reisenden, die Portugiesen auf den
Karawanenstraßen in Ägypten und im Vorderen Orient trafen,
erweiterten das Wissen. Muslimische Geographen erkundeten abgelegene
Gebiete. Ibn Battuta durchreiste Mitte des 14. Jahrhunderts Afrika,
den Vorderen Orient und Indien, und seine Berichte von edlen
Seidenstoffen, Gold und Elfenbein gelangten auch nach Portugal.
Iberische Kartographen verarbeiteten diese Informationen und stellten
detailliertes Kartenmaterial her.
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Technischer Fortschritt
Die Entdeckungen der Zeit waren nicht nur geographischer Art. Ohne
technische Neuerungen und Entdeckungen wären diese gar nicht möglich
gewesen.
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Schiffsbau
Die Entwicklung der Karavellen ermöglichte es den Portugiesen,
die Grenzen der europäischen Schifffahrt zu sprengen. Im Gegensatz
zu den Galeeren, die im Mittelmeeraum bis ins 18. Jahrhundert
eingesetzt wurden, hatten sie Segel und waren damit beweglicher.
Ihre robuste Form konnte auch dem Seegang des Atlantik widerstehen.
Karavellen waren kein einheitlicher Schiffstyp, hatten aber
bestimmte Merkmale gemeinsam. Die Schiffe waren je nach Zweck und
Länge der Reise unterschiedlich groß. Meistens besaßen sie drei
bis vier Masten, von denen drei mit großen Viereckssegeln und einer
mit einem Lateinersegel in Dreiecksform versehen waren.
Woher die Lateinersegel stammen, kann man nicht mehr feststellen.
Beim Zusammenbruch des Römischen Reichs im 5. Jahrhundert n. Chr.
besaßen alle Schiffe Rahsegel. Danach gibt es keine Aufzeichnungen
über die Seefahrt im Mittelmeer bis zum Ende des 9. Jahrhunderts,
als Schiffe erwähnt werden, die unter einer schrägen Rah, einem
Viereckssegel, dreieckige Segel einsetzen. Warum diese
"Lateiner" genannt werden, ist nicht bekannt.
Wahrscheinlich waren es die Araber, die sie im Mittelmeerraum
einführten. Ob sie jedoch arabische oder phönizische Entdeckungen
sind, ist nicht klar. Im 13. Jahrhundert waren sie im ganzen
Mittelmeer bekannt, und ihre Verbreitung um die Küsten Europas
begann. Erste Schiffstypen, die Lateinersegel einsetzen, sind die
Holk der Hanse (um 1470), die spanische Karavelle (um 1490) und die
spanische Nao (um 1490). Lateinersegel erlaubten es, mit dem Wind zu
segeln. Die Schiffe mußten nicht mehr vor dem Wind kreuzen, um
voranzukommen.
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Schiffsformen
Im 15. Jahrhundert wurden die Seeschiffe immer größer.
Allmählich glichen sich die Schiffstypen Nord- und Südeuropas an.
Im Verlauf des 15. und 16. Jahrhunderts veränderte sich deren
Aussehen zunehmend. Die Kastelle blieben groß, verschmolzen aber
zunehmend mit den Linien des Rumpfes. Um 1550 erhielten die großen
Schiffe immer häufiger Spiegelhecks, die den Aufbauten besseren
Halt boten als die Rundhecks des Mittelalters.
Damit konnten sie den Stürmen des Atlantik besser trotzen, und
es konnten größere Mannschaften und Warenmengen auf diesen
Schiffen untergebracht werden. Die neuen Schiffstypen erfüllten so
hervorragend die Voraussetzungen für einen Einsatz im
Überseehandel.
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Bewaffnung
Anfänglich wurden Seekriege mit denselben Waffen wie Landkriege
geführt. Pfeile, Speere, Wurfspieße, Schwerter, Lanzen, Panzer und
Schilde hatten die Rivalen zur See jedoch auch, und so brachte erst
der Einsatz von Geschützen den neuen Seemächten die Überlegenheit
auf den Weltmeeren.
Anfang des 14. Jahrhunderts setzten möglicherweise die
Venezianer die ersten Kanonen gegen ihre Konkurrenz aus Genua ein.
Die ersten Afrikakaravellen der Portugiesen hatten schon kleine
gegossene Kanonen auf dem Vorder- und Achterkastell dabei. Im 15.
Jahrhundert ging man dazu über, die Kanonen an den Deckseiten
anzubringen, und im 16. Jahrhundert wurden im Schiffsrumpf spezielle
Geschützdecks und -pforten eingerichtet, mit denen wirsame
Breitseiten auf die Gegner abgefeuert werden konnten.
Südwesteuropäischen Schiffen vermittelte die überlegene
Bewaffnung die Selbstsicherheit, in unbekannte Gewässer eindringen,
ohne dass die Besatzungen befürchten mußten, von den dortigen
Einwohnern leicht überwältigt zu werden.
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Navigationshilfsmittel
Seit der Mensch sich auf das offene Meer hinauswagte, versuchte
er, seine Orientierungsmittel zu verbessern. Zur Zeit der großen
Entdeckungen war die Verbreitung und Erarbeitung neuer Seekarten
sehr wichtig. Die darauf enthaltenen Punkte anzusteuern, war aber
noch sehr schwierig. Dass 1569 Gerhard Mercator die Erde in ein
System von Längen- und Breitengraden einteilte, hieß noch lange
nicht, dass man sich in diesem Raster auch bereits in jeder Richtung
zurechtfinden konnte. Die Bestimmung der Längengrade bereitete bis
in die Neuzeit Probleme, bis man ein Zeitmeßgerät entwickelte, das
zuverlässig genug war und das man auf Schiffen sicher einsetzen
konnte.
Die Breitengrade konnte man damals mit primitiven Hilfsmitteln
bereits einigermaßen bestimmen. Mit dem Handlog maß man die
Schiffsgeschwindigkeit. Dabei warf man ein Stück Holz ins Wasser,
das dort schwamm, während das Schiff weiterfuhr. Durch Abrollen
einer in bestimmten Abschnitten markierten Leine stellte man die
Faden fest, d.h. die Geschwindigkeit, mit der sich das Schiff in
einer festgelegten Zeit fortbewegte. Die einzige Methode, mit der
man die Zeit einteilen konnte, war die Verwendung einer Sanduhr.
Das Phänomen der magnetischen Anziehungskraft, das sich der Kompaß
zunutze macht, war im 12. Jahrhundert von Arabern in China erlernt
und im 13. Jahrhundert in Europa bekannt gemacht worden. Damit
konnte der Nordpol anfixiert und die Himmelsrichtung bestimmt
werden, in die ein Schiff segelte.
Die astronomische Navigation ging auf die Araber zurück, die mit
Hilfe des Astrolabiums die Gebetsrichtung nach Mekka
bestimmten. An einem freihängenden Ring wurde ein Drehlineal
befestigt, das den Stand der Sonne und Sterne bestimmte. Auf der
Ringskala konnte dann die Höhe abgelesen werden. Portugiesen und
Spanier übernahmen dieses Hilfsmittel.
Die Messungen setzten die Kenntnis von berechneten Werten voraus.
Alle Schiffe, die für einen bestimmten Stern gleichzeitig dieselbe
Höhe berechnen, befinden sich auf derselben astronomischen
Standlinie. Dafür entwickelte man im Laufe der Zeit immer genauere
Hilfsmittel. Der Quadrant wurde wahrscheinlich schon um 150
v. Chr. in Griechenland erfunden.
Der Jude Levi Ben Gerson aus Katalonien baute 1342 den Gradstock
oder Jakobsstab. Dieser bestand aus einem Meßlineal und drei
unterschiedlich langen Schiebern. Das Lineal war mit Skalen
versehen, die zu jeweils einem Schieber gehörten. Die Höhe wurde
so gemessen, dass der Stab ans Auge gehalten wurde und einer der
Schieber bewegt wurde, bis sein unteres Ende mit dem Horizont und
sein oberes mit der Sonne übereinstimmte. Die Höhe konnte man dann
auf dem Lineal ablesen.
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Kartographie
Die üblichen Karten der Zeit vor dem 15. Jahrhundert vermischten
Legende mit Realität. Das Wissen über entfernte Regionen stammte oft
aus fantastischen Quellen. Auch versuchten die arabischen
Zwischenhändler im Gewürzhandel, ihr Wissen von den Handelswegen
geheim zu halten, um lästige Konkurrenz auszuschalten. So waren
Karten oft eine Darstellung der europäischen Sicht der Welt. Auf der
Psalterkarte aus dem 13. Jahrhundert ist Christus als Beherrscher der
Welt dargestellt, der Drachen unter seinen Füßen zertritt. Jerusalem
wird darin als Zentrum der Welt gezeigt. Das sollte sich erst ändern,
als die Vertreibung der Mauren die Bewohner des Mittelmeerraums in
immer engeren Kontakt mit dem Wissen arabischer und jüdischer
Wissenschaftler brachte.
Den portugiesischen Entdeckern stand Kartenmaterial der Araber zur
Verfügung. Sie selbst zeichneten bei ihren Entdeckungsfahrten eigene
Kartenwerke, die sich jedoch von heutigen Land- und Seekarten stark
unterschieden. Die Portolankarten, wie sie bereits Venezianer und
Genueser und die jüdischen Kartographen auf Mallorca fertigten, waren
mit Windstrichlinien überzogen, die es dem Kapitän leichter machen
sollten, den Weg in den nächsten Hafen zu finden. Auf diesen Karten
wurden Küstenlinien dargestellt, an denen günstige Anlegestellen
gekennzeichnet waren. In den Ländern selbst wurden oft die
seltsamsten Figuren, Monster und Unwesen abgebildet, die zeigen, wie
wenig man noch von diesen Gebieten wußte und wie sehr man von
abschreckenden Berichten der Araber beeinflußt wurde.
So ist es kein Wunder, dass Legenden von Meeresungeheuern, Monstern
und Sagengestalten wie dem Priesterkönig Johannes, der angeblich
jenseits des Sandmeers der Sahara nur darauf wartete, mit den
christlichen Eroberern aus dem Norden bei der Vertreibung der
arabischen Zwischenhändler zusammenzuarbeiten, sich über
Jahrhunderte hielten.
Trotz des zunehmenden Wissens gab es im damaligen Portugal nur
wenige Spezialisten, die sich mit den Seekarten der Zeit und der
Navigation auskannten. Daher heuerten sie oft auch arabische Lotsen
an, die ihre eigenen Seekarten mitzubringen hatten.
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Das Leben an Bord
Die Karavellen der frühen Entdecker brachen in Gebiete auf, die
für alle Mann an Bord meist absolutes Neuland waren. Manche
Mitglieder der Besatzung waren noch nie aufs offene Meer
hinausgefahren, hatten vielleicht gehört von seltsamen Menschen, die
in Regionen der Welt lebten, die zu erreichen sie Monate kosten
würde. Sie ließen die vertraute Umgebung zurück und mußten sich
auf monatelange karge Ernährung, feindselige Eingeborene und
stürmische Seefahrten durch unbekannte Gewässer einstellen. Was
waren das für Menschen, die diese Abenteuer in Angriff nahmen? Und
was stand ihnen bevor?
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Besatzungen
Trotz all der technischen Neuerungen bedurfte es einer starken
Motivation, um Menschen dazu zu bringen, sich auf das Wagnis
einzulassen, sich in unbekannte Gefilde auf dem weiten Meer
vorzutasten. Die Besatzungen der ersten Entdeckerschiffe bestanden
teilweise aus Sträflingen, denen man Straferlass versprochen
hatte, wenn sie dieses Abenteuer überleben sollten. Bartolomeo
Diaz mußte wegen einer drohenden Meuterei vor der Küste
Südafrikas umdrehen und nach Portugal zurück segeln und konnte
seinen eigentlichen Auftrag - nämlich den Seeweg nach Indien zu
finden - nicht erfüllen. Angst, Unkenntnis und Aberglaube der
Besatzung spielten dabei eine große Rolle.
In den Jahrhunderten vor den großen Entdeckungen waren die
Portugiesen mit der Vertreibung der Mauren von der iberischen
Halbinsel beschäftigt gewesen. Dies bot vielen kleinen Adligen
die Möglichkeit, sich während der Kriegszüge gegen die Mauren
verdient zu machen und ihren gesellschaftlichen Status zu
erhöhen, indem sie für ihre Kriegsdienste Ländereien und Titel
zugesprochen bekamen. Nachdem die Mauren 1492 von der iberischen
Halbinsel vertrieben worden waren, fiel diese Möglichkeit des
sozialen Aufstiegs weg. Gleichzeitig aber bot sich die
Gelegenheit, in den neuen Ländern in Südostasien und auf der
anderen Seite des Atlantik neues Land, Reichtümer und Ruhm zu
erlangen.
Andere Besatzungsmitglieder waren mehr an der Rettung der
Seelen nichtchristlicher Eingeborenenvölker interessiert.
Verschiedene Mönchsorden verlegten ihre Aktivitäten zunehmend
auf die Bekehrung neuentdeckter Völker.
Im Laufe der Zeit wuchs das Interesse an diesen Gebieten, von
denen man so gut wie nichts wußte, und es schifften sich immer
mehr Neugierige und Abenteurer ein, die es sich zur Aufgabe
machten, aus diesen exotischen Weltregionen nach Hause zu
berichten, sei es über die ungewöhnlichen Lebensgewohnheiten
dort, über die seltsame Tier- und Pflanzenwelt oder über die
Entdeckung anderer neuer Dinge, die man in der Heimat nicht
kannte.
Die bisher erwähnten Besatzungsmitglieder gehörten meist der
mittleren Gesellschaftsschicht an, deren Mitglieder sich aus den
niederen Rängen der Aristokratie und Mitgliedern wohlhabender
Bürgerfamilien zusammensetzten. Diese waren belesen, besaßen
Eigentum und waren bestrebt, in die höheren Ränge der
Aristokratie aufzusteigen. Daneben gab es jedoch auch den
einfachen Seemann, der die harten Arbeiten an Bord verrichtete.
Dieser stammte oft aus den ärmlichen Verhältnissen kleiner
Landarbeiter- und Bauernfamilien, die ihren Grundherren Pacht und
Abgaben schuldeten. Häufig waren es auch Kriminelle, die ihre
Strafe auf diese Weise schneller abbüßen konnten. Sie konnten
meist nicht lesen oder schreiben, und wußten schon gar nicht, in
welche Gebiete sie fuhren und mit welchen Gefahren sie
konfrontiert werden würden.
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Lebensbedingungen an Bord
Auch wenn die neuen Schiffstypen, die für die
Entdeckungsfahrten eingesetzt wurden, größer und wendiger waren
als alle Schiffe, die die Europäer bisher für die Seefahrt
eingesetzt hatten, so waren sie nicht für die Bequemlichkeit der
Besatzung eingerichtet, sondern sollten für die hohen
Investitionen soviel Profit liefern wie möglich. Das bedeutete,
dass die Seeleute auf engstem Raum oft monatelang
zusammengepfercht waren. In den Anfangsjahren der Entdeckungen gab
es keinerlei Mannschaftsunterkünfte. Jeder Seemann mußte sich
seinen Schlafplatz suchen, wo er ihn fand. Erst später übernahm
man an Bord die Hängematten, die man von den Indianerstämmen der
Karibik kennengelernt hatte. Oft waren die Besatzungen auf so
engem Raum untergebracht, dass man sich nicht einmal umdrehen
konnte, ohne in den Schlafraum des Nachbarn einzudringen. Auf den
Schiffen gab es den Befehl "Umgewendet!", bei dem sich
alle Schlafenden zu bestimmten Nachtstunden auf die andere Seite
drehen mußten.
Hygienische Verhältnisse an Bord waren katastrophal. Latrinen
gab es keine. Stattdessen benutzte man dafür aufgespannte Netze
am Bug. Tägliche Körperpflege kannte man auch an Land nicht. Oft
behielten die Seeleute ihre Kleidung während der gesamten Fahrt
an. Kleider zum Wechseln besaßen sie selten. Erst Mitte des 18.
Jahrhunderts schlug der englische Marinearzt Dr. James Lind der
britischen Admiralität die tägliche Reinigung und die Wäsche
der Kleidung als Mittel gegen die Ausbreitung von Krankheiten an
Bord vor.
Solche Zustände trugen zur raschen Verbreitung von
Infektionskrankheiten auf diesen Schiffen bei. Für die häufigen
Krankheiten an Bord entwickelte man die Miasmentheorie, die
besagte, dass sich der Mensch auf See einfach außerhalb seiner
gewohnten Umgebung befand. Man glaubte, dass er die Ausdünstungen
von Bäumen, Steinen und Erde zum Überleben brauchte, und dass er
auf See nie in seinem Element sein könnte. So sprach man von
"Mala Aria", der "schlechten Luft", die für
die Krankheiten verantwortlich sei. Aus diesem Begriff hat sich
der Name der Malaria entwickelt.
Neben Krankheitserregern, die man in diesen fremden Ländern an
Bord brachte, transportierte man die Keime vieler Krankheiten mit.
Die Nahrung auf diesen Schiffen spottet jeder Beschreibung.
Lebensmittelkonservierung kannte man kaum. Verschimmelte und
verfaulte Nahrung war an der Tagesordnung. Trinkwasser war ein
ebenso großes Problem. Bereits zwei Wochen nach der Abfahrt vom
Heimathafen bildeten sich Algen in den Wasserfässern. Die
tägliche Ration Grog sollte zumindest einen Schluck eines
erträglichen Getränks pro Tag bieten. Da die meisten Seefahrer
den Auftrag hatten, so schnell wie möglich ans Ziel zu gelangen
und die Waren nach Europa zurückzubringen, legte man unterwegs
nur dann an, wenn es nicht mehr zu umgehen war. Oft verhinderten
auch feindselig gesinnte Eingeborene die Aufnahme frischen Wassers
oder frischer Nahrungsmittel. Mangelerscheinungen waren die Folge.
Skorbut war auf den Schiffen ein ständiger Begleiter.
Diese Verhältnisse bedeuteten für jeden Seemann, der sich auf
eine solche Reise wagte, dass er davon nicht mehr lebend
zurückkehren konnte. Jeder war sich über die wahren und
eingebildeten Risiken einer solchen Reise im Klaren. Daher ist es
umso erstaunlicher, dass es immer mehr Seemänner, Kaufleute,
Missionare und Forscher gab, die sich in ein solches Wagnis
einließen.
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Portugal - der logische Kandidat für die ersten
Entdeckungsfahrten
Gerade die Lage Portugals am Rande Europas vermittelte ihm die
besten Voraussetzungen für den Aufbruch in neue Welten. Die
Vertreibung der Mauren hatte es mit neuen Gedanken- und Wissenswelten
in Kontakt gebracht. Die ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen
ließen eine Gesellschaft im Wandel entstehen, die nicht mehr auf die
erreichten Vorteile und Möglichkeiten eines sozialen Aufstiegs
verzichten wollte. Zunehmende technische und wissenschaftliche
Kenntnisse ermöglichten einen technischen Fortschritt, der große
Entdeckungsfahrten möglich machte. Und das Streben nach Reichtum, der
Wunsch nach der Verbreitung des Christentums und bald auch die
Möglichkeit, unerwünschte Elemente in weit entfernte Regionen der
Welt transportieren zu können, wo sie dem Mutterland trotz allem noch
gute Dienste leisten konnten, ließen schnell die Vorteile eines
solchen Engagements erkennen.
Der Fortschritt in der Seefahrt im Zeitalter der Entdeckungen war
ein logischer Teil der Entwicklung Portugals im ausgehenden 15.
Jahrhundert. Neue Ideen wurden aufgenommen, alte verworfen, und die
Umsetzung dieser mußte zwangsläufig dazu führen, dass dieses kleine
Land am Rande Europas zur ersten erfolgreichen Entdeckernation der
Alten Welt wurde.
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Weiterführende Links
Das
philosophische Weltbild
Marinemuseum Lissabon
Weiterführende Literatur:
Urs Bitterli, Alte Welt - neue Welt, Deutscher Taschenbuchverlag,
München, 1992
Daniel J. Boorstin, Entdeckungen, Das Abenteuer des Menschen, sich
und die Welt zu erkennen, Birkhäuser Verlag, Basel, 1985
Rainer Beck, Hrsg., 1492, Die Welt zur Zeit des Kolumbus, Ein
Lesebuch, C.H.Beck Verlag, München, 1992
PM Perspektive, Abenteuer Seefahrt, München, Januar 1996
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