Die Soziale Frage und die innere Entwicklung
Großbritanniens
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Die innere Entwicklung Großbritanniens ist im 19.
Jahrhundert durch politische und soziale Reformen bestimmt, die einerseits
dem Drängen der Arbeiterschaft nach sozialer Sicherung und politischer
Gleichberechtigung entgegenkommen, andererseits den liberalen Forderungen
der Unternehmerschaft Rechnung tragen. Damit werden revolutionäre Umstürze,
wie sie auf dem Kontinent auftreten, verhindert. |
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1815
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Einführung von Getreideschutzzöllen. Nach der
Kontinentalsperre (S.•) kommt es zum Sturz der Getreidepreise durch
Überangebot. Er wird durch die Corn Laws zugunsten der Grundbesitzer und
gegen die Interessen der Arbeiter nach billigem Brot aufgefangen. Dies löst |
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1819
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Unruhen der Arbeiterschaft in Manchester aus. Sie werden von
der Regierung mit Aufhebung der Presse- und Versammlungsfreiheit
beantwortet. |
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1824
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Die Regierung gesteht die Koalitionsfreiheit zu. Damit wird
die Bildung von Gewerkschaften (Trade Unions) legalisiert. |
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1829
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wird die Testakte (S.•) aufgehoben. Die Katholiken werden zu
staatlichen Ämtern zugelassen (Katholikenemanzipation). |
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1831 |
Im Fabrikgesetz wird die Arbeitszeit für Kinder auf täglich
8 Stunden festgesetzt. Es werden staatliche Fabrikinspektoren eingeführt. |
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1832
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1. Wahlrechtsreform. Die neuen Industriestädte erhalten das
Wahlrecht. Alle Hausbesitzer dürfen wählen. Dies bedeutet den Anstieg der
Wahlberechtigung von 5 auf 7 % der Bevölkerung. Die britischen
Honoratiorenparteien der Tories und Whigs (S.•) passen sich der sozialen
Entwicklung an und werden zu den modernen Massenparteien der Konservativen
und Liberalen. |
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1833
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Im britischen Machtbereich wird die Sklaverei aufgehoben. Es
werden Armengesetze erlassen, die eine Einweisung in Armenhäuser mit
Arbeitszwang vorsehen. |
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1837-1901
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Königin Viktoria als Repräsentantin der »Viktorianischen
Ära«, einer Epoche, in der die Konservativen unter Premierminister Benjamin
Disraeli (1804-81) und die Liberalen unter William Gladstone (1809-98)
wechselweise die Regierung führen und Englands Weltmachtstellung (British
Empire) aufbauen. |
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1838 Die Working Men's Association (1. politische
Arbeiterbewegung) fordert in der People's Charter soziale Reformen und
allgemeines Wahlrecht. Richard Cobden gründet die Anti-Corn-League, in der
sich die Interessen der lieberalen Fabrikanten (Manchesterleute) und
der Arbeiter nach Aufhebung der Kornzölle verbinden. Demonstrationen,
Streiks, lokale Aufstände. |
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1842
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Verbot der Untertagearbeit für Frauen. |
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1845-46 Eine Hungerkatastrophe in Irland fordert etwa 1 Mio
Menschen und führt zur Massenauswanderung nach Übersee. Verringerung der
irischen Bevölkerung von 8.3 auf 6.6 Mio. |
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1846 Die Aufhebung der Getreidezölle bringt die Hinwendung
zum Freihandel und führt zum Zusammenbruch der engli-
schen Landwirtschaft gegenüber der ausländischen Kon-
kurrenz. |
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1847
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Einführung des 10-Stundentags für Frauen und Jugendliche in
den Fabriken. 1850 für alle. |
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1867
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2. Wahlrechtsreform. Erweiterung des Wahlrechts auf
alle
Inhaber (nicht deren Angehörige) einer städtischen Wohnung, damit auch auf
Arbeiter. 16 % der Bevölkerung werden wahlberechtigt. |
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1874
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Die Regierung Disraeli beginnt die imperialistische Politik,
auch aus innenpolitischen Überlegungen, um sozialen Umstürzen entgegenzuwirken. |
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1884
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3. Wahlrechtsreform. Alle ländlichen
Wohnungsinhaber erhalten das Wahlrecht, d. h. 5 Mio (60 % der volljährigen
Männer, 28 % der Bevölkerung) sind wahlberechtigt. |
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1893
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Bildung der Labour-Party, die bis 1906 29
Abgeordnetensitze im Unterhaus erlangt. |
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1905-11
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Arbeiterversicherungsgesetze lösen das Armengesetz ab,
u. a. Unfall- (1906) und Altersversicherung (1908), Kranken- und Arbeitslosenversicherung (1911). |
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1911
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Das Oberhaus verliert in Finanzfragen sein Vetorecht.
Suffragetten unter Emmelin Pankhurst fordern Frauenemanzipation und -wahlrecht. |
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1918
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Allgemeines Wahlrecht für Männer und für Frauen über 30
Jahre. |
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1928
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Wahlrecht für alle Frauen.
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1864
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gründet Marx die 1.Internationale, eine Vereinigung der
Proletarier aller Länder gegen das Kapital. In Deutschland entstehen die
ersten sozialistischen Parteien: |
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1863
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Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins
durch Ferdinand Lassalle (1825-64). Er will auf dem Weg über das allgemeine
Wahlrecht eine Veränderung der Produktions- und Gesellschaftsverhältnisse durch Gründung
von Produktionsgenossenschaften der Arbeiter mit staatlicher Hilfe herbeiführen. |
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1869
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Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei durch
Wilhelm Liebknecht (1826-1900) und August Bebel (1840-1913) in Eisenach auf der Grundlage der marxistischen
Lehre und als Teil der Internationale. |
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1875
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Vereinigung beider Parteien zur
Sozialistischen Arbeiterpartei (Gothaer Programm). |
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1878
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Die Betätigung der Partei wird durch das Sozialistengesetz
verboten (S.•). |
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1890
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Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes erfolgt die
Neuorganisation der Freien Sozialistischen Gewerkschaften und der Partei als Sozialdemokratische Arbeiterpartei
Deutschlands (SPD, Erfurter Programm).
Auch die Regierungen der Industriestaaten sehen sich gezwungen, die soziale Frage mit staatlichen Mitteln zu lösen
(s. Deutschland S.•). Deswegen treten die Vorhersagen Karl Marx nicht in
vollem Umfang ein. Die Monopolbildung wird durch Gesetze erschwert. Die
Verelendung wird durch die Arbeiterparteien und die Demokratisierung der
Staaten aufgefangen. Die Entfremdung des Arbeiters von seinem Produkt wird
durch die verbesserte Ausbildung, die höheren Anforderungen und
Arbeitsschutzmaßnahmen abgebaut. |
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