Die Flottenpolitik Wilhelm II

 

Eine starke Flotte sah man im Deutschem Reich als Mittel um sich (Kaiser, Flottenverein, Kolonialverein, Schwerindustrie, deutschnationales Bürgertum) den Traum von der deutschen Weltmacht zu verwirklichen. Dabei begleitete jedoch die Deutschen die Gefahr in ernsten Konflikt mit Großbritannien zu geraten, die jede Rüstung zur misstrauisch sah, da dadurch die englisch Stellung gefährdet war.

Die Ansicht über eine starke deutsche Flotte vertrat insbesondere Kaiser Wilhelm II.: In einer Rede anlässlich des 25. Jahrestages der Reichsgründung kündigte Wilhelm II. am 18. Januar 1896 den Eintritt Deutschlands in die Weltpolitik und eine neue Flottenpolitik an. Mit dem zentralen Satz "Deutschlands Zukunft liegt auf dem Meer" bereitete der Kaiser den Boden für eine bisher ungekannte Aufrüstung im Bereich der Marine. Er sagte auch: "der Dreizack gehört in die deutsche Faust!".

Der Erwerb und die Sicherung von Kolonien galt im Zeitalter des Imperialismus als durchaus legitim und notwendig, wenn der eigene Staat im angenommenen Konkurrenzkampf mit den anderen Großmächten bestehen bleiben sollte (=Sozialdarwinismus). Zunächst galt die Vergrößerung der Marine als reines Prestigeprojekt, da die deutsche Flotte aufgrund ihrer jungen Geschichte einer traditionellen Seemacht wie Großbritannien hoffungslos unterlegen war und man nicht davon ausging, dass dieser Vorsprung je einzuholen sei. Immerhin bewilligte der Reichstag für den Ausbau der Flotte die unvorstellbare Summe von 400 Millionen Reichsmark und unterstrich damit den deutschen Anspruch, mit der eigenen „Weltpolitik“ ernst genommen zu werden. Wiewohl die Aufrüstung in erster Linie als Zeichen gegen Frankreich und Russland gerichtet war, so wenig verwunderte es, dass sich in erster Linie die Briten herausgefordert fühlten.

Wie ernst es der Kaiser mit seiner Ankündigung meinte wurde 1898 deutlich, als der Reichstag mit der Verabschiedung der "Ersten Flottenvorlage" von Admiral von Tirpitz den Startschuss zu einem beispiellosen Rüstungswettlauf gab. Reichskanzler Bülow und Admiral von Tirpitz eröffneten die neue Ära der deutschen „Weltpolitik“ und appellierten damit erfolgreich an den aufkommenden Nationalismus. 

Der Rüstungswettlauf verschärfte sich als im Juni 1900 der Reichstag das „Zweite Flottengesetz!“ verabschiedete: Der Ausbau der Flotte wurde weiter verstärkt. Initiatoren waren die Staatssekretäre im Auswärtigen Amt und im 1881 neu geschaffenen Reichsmarineamt, Bernhard von Bülow und Alfred von Tirpitz.

Begründet wurde die Flottenvorlage mit dem Argument der Abschreckung. Das Deutsche Reich müsse auch auf dem Meer so stark werden, dass ein Angriff auf das Reich für andere Mächte ein zu hohes Risiko bedeuten würde (=Risikoflotte).

Für genug Werbung und Interesse an der Flotte in der Öffentlichkeit sorgte der 1898 von Tirpitz und Wilhelm II. gegründete Deutsche Flottenverein, der mit einer Millionen Mitgliedern einer der stärksten Vereine im Reich war. Durch die kaiserliche Förderung war die Marine sehr angesehen und in der deutschen Öffentlichkeit sehr populär. Die Kinder wurden z.B. in Matrosenanzüge gekleidet, Kriegschiffe wurden begehrtes Spielzeug (vgl. Ludwig Thoma Lausbubengeschichten). Zur Marinebegeisterung der Jugend trugen auch kleine Nachbauten von Schiffen bei, die auf Kinderspielplätzen aufgestellt wurden. Selbst im Binnenland wurden aus Propagandazwecken Flottenvorführungen und Manöver mit Schiffsmodellen gezeigt.

Der deutsche Vorstoß auf See bedeutete eine empfindliche Störung des internationalen Gleichgewichts. Zwar herrschte seit dem ersten Flottengesetz von 1898 bereits allgemein ein Klima der Aufrüstung. Mit dem Ausbau der Flotte verstärkte Deutschland aber erneut den Gegensatz zu Großbritannien, dessen Hegemonie im Marinebereich als "Naturrecht" der Inselnation bislang allgemein akzeptiert worden war. Der deutsche Flottenbau hatte auch begründete Ursachen: das Träume vom Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, als die französische Flotte die deutschen Nordseehäfen blockieren konnte, und zum Schutze der groß anwachsenden deutschen Handelschifffahrt, bedingt durch die industrielle Entwicklung der Gründerjahre. Der Rüstungswettlauf im maritimen Bereich hatte somit definitiv begonnen. Der größte Streitpunkt in der Außenpolitik jener Jahre war definitiv die Flottenaufrüstung. Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Deutschland und Frankreich unternahmen erhebliche Anstrengungen, um auf den Weltmeeren die Nase vorn zu haben. Dabei zwang der Deutsche „Newcomer“ die traditionellen Seemächte zu ständig neuen Anstrengungen. Der Streit lastete vor allem auf dem deutsch-britischen Verhältnis, das im Unterschied zu den ohnehin gestörten deutsch-französischen Beziehungen nicht derart vorbelastet war. Bankier Sir Ernest Cassel, ein Vertrauter des britischen Königs Eduard VII., erklärte im August 1908 dem Hamburger Reeder Albert Ballin, Direktor der HAPAG und seinerseits Vertrauter Wilhelms II., dass eine Verbesserung des deutsch-britischen Verhältnisses allein durch eine Verlangsamung der deutschen Flottenaufrüstung zu erzielen sei. Fast schien es, dass eine Versachlichung der Beziehungen zum Greifen nahe gewesen wäre. Das durch den Flottenbau angeheizte Wettrüsten ging weiter. Die deutschen Flottenausgaben lagen deutlich vor denjenigen von Russland und Frankreich. Nur das Budget für die britische Flotte betrug fast das Doppelte, und auch die Vereinigten Staaten wendeten viel für ihre Flotte auf.

Im Februar 1906 lief in Großbritannien die Dreadnought vom Stapel. Sie war einen neue Klasse von Großkampfschiffen. Die bisherigen Kampfschiffe waren ihr in der Größe, Panzerung und Schussweite unterlegen. Mit dem Übergang zur Dreadnought-Klasse schmolz allerdings der englische Vorsprung zusammen, da der neue Typ der älteren Bauart weit unterlegen war. Tirpitz nahm diese Chance war; die „Dritte deutsche Flottenvorlage“ (1906) sah bereits den Bau von Schiffen des Dreadnought-Typs vor. Erstmals war die britische Vormachstellung zur See ernstlich bedroht. In der britischen Admiralität war es ein Alarmzeichen, das beweise, dass Deutschland danach strebe die britische Vorherrschaft auf See zu brechen. Der Slogan: für jedes neue deutsche Schiffe baue Großbritannien zwei (Two-power-standard), ließ sich allmählich nicht mehr umsetzten und man befürchtete einen deutschen Überraschungsangriff.  Englands Öffentlichkeit und Politik glaubte nicht der Aussage Wilhelms II: "Die deutsche Flotte ist gegen niemand gebaut und erst recht nicht gegen England!" Diese Aussage war durchaus zutreffend und die Flotte war für Wilhelm II. mehr ein Prestigespielzeug. Für Großbritannien stand fest, dass die Voraussetzung für eine Besserung des deutsch-britischen Verhältnisses allein eine Abbremsung der stark wachsenden deutschen Schlachtflotte sei.    

Geblendet von seiner großen Kriegsmarine und der eigenen Übereinschätzung wurde Deutschland 1914 mit guter Hoffnung in den ersten Weltkrieg gezogen. Es wurden zu Beginn nur ein Teil der Marine eingesetzt und es wurden vorerst mehr U-Boote eingesetzt. Der uneingeschränkte U-Boot-Krieg (Versenkung ohne Vorwarnung auch neutraler Schiffe im Kriegsgebiet +Versenkung des Passagierschiffs "Lusitania" führte zu Protesten und Drohungen der USA und zum Abbruch des U-Boot-Kriegs).1916  hoffte man  durch den verstärkten Einsatz von U-Booten und der Flotte den Krieg doch noch gewinnen zu können. Im Winter 1916/17 versicherte die Marineleitung, genug Schiffe zur Verfügung zu haben, um Großbritannien von seinen Zufuhren abzuschnüren zu können. Durch den uneingeschränkten U-Boot-Einsatz wurden die Vereinigten Staaten zu Eintritt bewegt. Die Flotte hat den Krieg damit ungewinnbar gemacht.

Als der Landkrieg 1918 im September verloren war und die Oberste Heeresleitung unter Hinderburg und Ludendorff die Regierung in Berlin beauftragte, Waffenstillstandsverhandlungen zu beginnen, lösten diese Streiks und Demonstrationen für einen Frieden aus. Die Ententemächte bestanden auf eine Übergabe der Flotte. Die Flottenführung (=Admiralität) beschloss in einem übersteigerten Ehrgefühl lieber alle Schiffe und Mannschaften in einer sinnlosen Schlacht zu opfern als die Schiffe auszuliefern. Dieser sinnlose Opfergang der Flotte führte zu Sabotage und einer Meuterei der Seesoldaten und der Matrosen. Diese Meuterei weitete sich schnell zu einer Revolution aus.