1948 in Berlin: Währungsdualismus
Gerhard Keiderling
»Herr Schimpf und Frau Schande ...«
1948 in Berlin: Währungsdualismus
Am Morgen des 24. Juni 1948 bildeten sich dichte Menschentrauben vor Banken
und Sparkassen im sowjetischen Sektor von Berlin. Die Morgenzeitungen meldeten
den Beginn der Währungsreform. Nach langem Warten traten die Ostberliner an die
Schalter, legten 70 Reichsmark hin und erhielten dafür 70 »Deutsche Mark« als
sogenannte Kopfquote. Der Umtausch der Konten erfolgte Tage später in
gestaffelter Form: Beträge bis 100 RM im Verhältnis 1 : 1, bis zu 1 000 RM 1 :
5 und darüber bis zu 5 000 RM 1 : 10. Höhere Beträge waren vorerst gesperrt,
um ihren rechtmäßigen Erwerb nachzuprüfen. Einkünfte von »Kriegsverbrechern
und Naziaktivisten« sowie von anderen »Kriegsgewinnlern« wurden
beschlagnahmt. Die neue Währung war praktisch die alte: Reichsmark-Banknoten
mit aufgeklebten, entsprechend ihren Nennwerten farblich verschiedenen Kupons,
die Briefmarken ähnelten. Sie hatte daher gleich ihren Namen weg: »Kupon-«
oder »Klebemark«. Die alten Münzen blieben vorerst gültig.
Am Morgen des 25. Juni 1948 wiederholte sich das
Bild im Westteil der Stadt. Nun standen die Westberliner vor den Bankinstituten,
um auch eine allerdings mit einem »B« abgestempelte »Deutsche Mark« in
Empfang zu nehmen. Ihre Kopfquote betrug 60 »Deutsche Mark«, die sie gegen
Abgabe von alter Reichsmark im Verhältnis 1 : 1 erhielten.
Das Umtauschverhältnis für alle anderen Beträge
und Konten lautete einheitlich 1 : 10, d.h. eine neue Mark für zehn alte.
Jede Whrung stand fr eine andere Deutschlandpolitik
Von nun an gab es also in Berlin zwei »Deutsche Mark«. Die eine gab die
»Deutsche Notenbank« der sowjetischen Besatzungszone heraus, die andere die
»Bank deutscher Länder« der drei Westzonen. Um sie leichter voneinander zu
unterscheiden, hieß die eine »DM (Ost)« oder einfach Ostmark, die andere »DM
(West)« oder Westmark bzw. »B«-Mark. Sie unterschieden sich auch in der Form.
Die Ostmark bestand zunächst – neugedruckte Geldscheine kamen erst ab Ende
Juli 1948 zur Ausgabe – aus den »beklebten« großen Scheinen der alten
Reichsmark. Die Westmark glich, weil in den USA gedruckt, einer Dollarnote.
Das Hauptunterscheidungsmerkmal war aber ein
politisches. Jede Währung stand für eine andere Deutschlandpolitik der
Siegermächte und für ein anderes gesellschaftliches System. Wie der
Klammerzusatz verdeutlichte, waren die beiden Währungen Ausdruck des offen
ausgebrochenen Ost-West-Gegensatzes. Wie war es dazu gekommen?
Die Verhandlungen der vier Mächte über eine gesamtdeutsche Währungsreform
versandeten in dem Maße, wie ihre Zielvorstellungen über Deutschland
auseinander gingen. Die drei Westmächte bereiteten zusammen mit den
Benelux-Staaten auf einer Geheimkonferenz in London seit Anfang 1948 die
Schaffung eines westdeutschen Staates vor, der in den Marshallplan und andere
westeuropäische Organisationen integriert werden sollte. Das Abschlußdokument
dieser Konferenz, die »Londoner Empfehlungen« vom 2. Juni 1948, sahen vor, die
Weststaatbildung mit einer Währungsreform zu beginnen. Diese wurde am 18. Juni
1948 für die drei Westzonen angekündigt und zwei Tage später durchgeführt.
Die Sowjetunion wurde am 18. Juni erst drei
Stunden vor der Verkündung im Rundfunk offiziell informiert. Sie wußte aber
über ihre Top-Agenten seit längerem Bescheid und hatte auch Vorbereitungen
für eine eigene Währungsreform getroffen.
Daß neue Banknoten für den »Tag X« in der
Ostzone nicht zur Verfügung standen, lag wohl an mangelnder Druckkapazität
bzw. fehlendem Spezialpapier. Die Sowjetische Militäradministration in
Deutschland (SMAD) ordnete noch in der Nacht zum 19. Juni die Einstellung des
gesamten Eisenbahn-, Auto-, Schiffs- und Personenverkehrs von und nach den
Westzonen an, um ein Einströmen der im Westen entwerteten Reichsmark in ihre
Zone zu verhindern.
Die Durchführung der Währungsreformen in West
und Ost wäre ohne Schwierigkeiten über die Bühne gegangen, hätte es nicht
die Viermächtestadt Berlin gegeben. Seit Jahresbeginn hatte die Sowjetunion
immer wieder zu erkennen gegeben, daß sie im Falle der Bildung des Weststaates
auf einem Abzug der Westmächte aus Berlin bestünde. Sie begründete ihre
Forderung damit, daß die Viermächteregelung 1944/45 nur erfolgte, weil die
Hauptstadt als Sitz alliierter Organe ihre gesamtdeutsche Rolle behalten sollte.
Die drei Militrgouverneure boten Verhandlungen an
Inzwischen hatten am 20. März 1948 der Alliierte Kontrollrat für
Deutschland und am 16. Juni 1948 die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin
ihre Arbeit eingestellt. Das sowjetische Hauptziel war klar: Es sollte keinen
westlichen Außenposten inmitten ihrer Zone geben, von dem Störungen bei der
weiteren Sowjetisierung der SBZ ausgehen könnten.
Auf seiten der drei Westalliierten meinten
einflußreiche Kreise, es sei vorteilhafter, Berlin zu verlassen, um
militärische Verwicklungen mit den Sowjets zu vermeiden. Doch in den drei
Hauptstädten
fielen klare Entscheidungen: Wir bleiben!
Um sich mit der SMAD in der Berliner
Währungsfrage zu arrangieren, boten die drei Militärgouverneure neue
Verhandlungen an. Sie begannen am 22. Juni 1948 um 14 Uhr im ehemaligen
Kontrollratsgebäude und dauerten mit Unterbrechungen bis gegen Mitternacht. Die
westliche Seite schlug zwei Varianten vor: entweder eine eigene Währung für
Berlin, eine sogenannte »Bärenmark«, oder die Eingliederung ganz Berlins in
eine ostzonale Währungsreform unter der Bedingung, daß die Westmächte über
eine zu schaffende Institution Ausgabe und Umlauf dieser Währung überwachen
und kontrollieren können. Das lehnte die östliche Seite schroff ab. Die
Westmächte hätten auf diese Weise einen Einfluß auf das gesamte Finanz- und
Wirtschaftsleben der Ostzone, was umgekehrt der Sowjetunion gegenüber den
Westzonen nicht zugestanden wurde. Nach stundenlanger ermüdender Diskussion
setzte der sowjetische Vertreter gegen 22.30 Uhr mit einem russischen Sprichwort
den Schlußpunkt: »Wenn du den Kopf abgetrennt hast, kannst du nicht um die
Haare trauern.« Nun nahmen die Dinge gemäß den auf beiden Seiten seit Wochen
vorbereiteten Szenarien ihren Lauf.
Am 23. Juni 1948, 0.45 Uhr, überreichte der
sowjetische Verbindungsoffizier dem ins Neue Stadthaus in der Parochialstraße
nahe dem Alexanderplatz einbestellten Bürger- meister Ferdinand Friedensburg
(CDU) den SMAD-Befehl Nr. 111 über die Einführung der Ostwährung in ganz
Berlin mit der Order, ihn um 6.00 Uhr bekanntzugeben. Friedensburg rief noch in
der Nacht die westlichen Kommandanten an. Von ihnen erhielt er die Order, den
SMAD-Befehl in den Westsektoren nicht zu verbreiten. In den Mittagstunden
kündigten die drei Kommandanten eigene Regelungen an.
Rufe vor dem Neuen Stadthaus: サEine
Stadt eine Whrungォ
Für 16 Uhr war eine außerordentliche Sitzung der
Stadtverordnetenversammlung angesetzt. Seit Stunden versammelten sich vor dem
Neuen Stadthaus sogenannte Betriebsdelegationen, die die SED und der von ihr
gelenkte FDGB in den Betrieben und Einrichtungen mobilisiert hatten. Viele
trugen Transparente mit Losungen wie »Eine Stadt – eine Währung«. Die
Menge, inzwischen auf einige tausend angeschwollen, verschaffte sich Einlaß ins
Stadthaus. Unbehelligt von den Polizisten des Ostsektors stürmten viele zum
Sitzungssaal, wo sie ihre Parolen riefen. Der Stadtverordnetenvorsteher Otto
Suhr (SPD) forderte sie vergebens auf, den Saal zu verlassen, und verschob die
Eröffnung der Sitzung. Erst als SED-Abgeordnete zu ihren Demonstranten
sprachen, zogen diese unter dem Gesang der »Internationale« ab.
Um 17.40 Uhr konnte die Sitzung beginnen. Die amtierende
Oberbürgermeisterin Louise Schroeder (SPD) trug eine am Mittag mehrheitlich
angenommene Magistratserklärung vor. Darin bedauerte der Magistrat, daß keine
Währungsregelung für ganz Berlin zustande gekommen war, und empfahl den
Bezirksbürgermeistern in den vier Sektoren, den Befehlen der jeweiligen
Kommandanten Folge zu leisten. Im Klartext hieß das: Ostmark im Ostsektor und
Westmark in den Westsektoren. Als die Stadtverordneten gegen 20 Uhr das Gebäude
verließen, wurden sie von erbosten Demonstrantengruppen empfangen. Es gab
Buhrufe und Pfiffe, Steinwürfe und sogar Tätlichkeiten gegenüber Abgeordneten
der nichtkommunistischen Parteien.
Die SED, hinter der die Sowjets standen, wollte
den Magistrat durch Demonstrationen und Tumulte zur Ablehnung der »B«-Mark
zwingen und die Westberliner von der Entgegennahme der »Spaltermark« abhalten.
Sie fand keine Gefolgschaft.
Die meisten Berliner versprachen sich von der »B«-Mark
den Anschluß an die Bizone, an den Marshallplan und an den in Westdeutschland
zu erwartenden wirtschaftlichen Aufschwung.
Viele waren mit persönlichen Problemen, mit der
Sorge um das tägliche Brot und um ein Dach über dem Kopf so beschäftigt, daß
sie sich um politische Dinge keine Gedanken machten. »Der Tagesspiegel« vom
24. Juni 1948 machte sich zum Sprecher solcher Sorglosigkeit: »Und was schadet
es schon, wenn es zwei Währungen nebeneinander gibt. Berlin ist nicht die erste
Stadt, in der dieses System angewandt wird. Das bißchen Umrechnen lernen wir
schnell.«
Das Umrechnen war nicht das Schlimmste, was auf die Berliner zukam. Der
Währungsdualismus untergrub das Finanzwesen, die Wirtschaft und die Verwaltung.
Am Jahresende war Berlin in eine West- und in eine Oststadt gespalten. Die
Sowjetunion machte aus den anfänglichen Verkehrssperren einen Dauerzustand: die
Blockade.
Bei Preisen ein Drittel West, zwei Drittel Ost
Die Währungsreform vom 24. Juni 1948 in den Westsektoren wies noch eine
Sonderheit auf: die »Doppelwährung«. Neben der »B«-Mark, die nur in
begrenztem Umfang zur Auszahlung kam und deshalb gleich gehortet wurde, war auch
die Ostmark als gesetzliches Zahlungsmittel zugelassen.
Mit ihr – geringschätzig »Tapetenmark«
genannt – konnte man Steuern und Mieten, Lebens- und Verkehrsmittel, Post-,
Strom-, Wasser- und Gasgebühren und sogar Medikamente bezahlen. Mit der
»guten« Westmark hingegen ließen sich lange entbehrte Köstlichkeiten
erwerben. Sie war daher auf dem Markt gefragt. Anfangs gab es sogar
Gemischtpreise: ein Drittel West und zwei Drittel Ost.
Die Doppelwährung versetzte Hunderttausende in
Nöte. Wer im Westen wohnte und im Osten arbeitete, kam nur mit Ostgeld nach
Hause. Denn die »B«-Mark war im Sowjetsektor verboten. Umgekehrt erhielten die
»Westgrenzgänger« nur einen kleinen Anteil ihrer Löhne und Gehälter in West
ausgezahlt. Durch die Einrichtung einer »Lohnausgleichskasse« in Westberlin
suchte man das Problem in den Griff zu bekommen.
Die Zulassung von privaten Wechselstuben in
Westberlin seit August 1948 machte den Umtausch für viele einfacher. Der
Tageskurs schwankte nach Angebot und Nachfrage zwischen 1 : 5 bis 1 : 7. Viele
Ostbewohner kamen dennoch in die Wechselstuben, weil sie Waren, die es bei ihnen
nicht gab, gern erstehen wollten.
Andererseits konnten Westberliner schon mit
wenigen umgetauschten Mark im Ostsektor in den »Freien Läden« der HO, die es
ab November 1948 gab, preiswert einkaufen oder Dienstleistungen bei Friseuren
usw. billig in Anspruch nehmen. Die benachteiligten Westberliner Handwerker und
Gewerbetreibenden protestierten vor dem Rathaus Schöneberg. Der RIAS und die
Westpresse zogen darum gegen »Herrn Schimpf und Frau Schande« zu Felde, die
das gute Westgeld in den kommunistischen Osten trugen.
Die »Doppelwährung« in Westberlin, von den
Westmächten als eine Interimsform gedacht, um den Währungskonflikt mit den
Sowjets nicht auf die Spitze zu treiben, wurde als ein großer Nachteil
empfunden. Am 20. März 1949 führten die Westmächte eine »Neuordnung des
Geldwesens« durch, indem sie die DM (West) als alleingültiges Zahlungsmittel
in Westberlin deklarierten. Der Währungsdualismus von Ost- und Westmark mit
Wechselstuben, Grenzgängerei usw. bestand fort. DM-Noten mit dem aufgedruckten
oder perforierten »B« für Berlin liefen noch lange in Westberlin um und
wurden erst Anfang der fünfziger Jahre aus dem Verkehr gezogen.
ゥ Edition
Luisenstadt, 1998
www.luise-berlin.de
bms@luise-berlin.de
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