Byrnes-Rede

 

"Ich bin nach Deutschland gekommen, um mich an Ort und Stelle über die mit dem Wiederaufbau Deutschlands verbundenen Probleme zu orientieren und die Ansichten der Regierung der Vereinigten Staaten über einige der vor uns liegenden Probleme mit unseren Vertretern in Deutschland zu besprechen. Wir Amerikaner haben diesen Problemen beträchtliche Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet, weil von ihrer erfolgreichen Lösung nicht nur das künftige Wohlergehen Deutschlands, sondern auch das Europas abhängt.

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Im Jahre 1917 wurden die Vereinigten Staaten zur Teilnahme am ersten Weltkrieg gezwungen. Nach diesem Krieg weigerten wir uns, dem Völkerbund beizutreten. Wir glaubten, uns den europäischen Kriegen fernhalten zu können, und verloren das Interesse an europäischen Angelegenheiten. Dies schützte uns aber nicht davor, zum Eintritt in den zweiten Weltkrieg gezwungen zu werden. Wir wollen jenen Fehler nicht wiederholen. Wir sind entschlossen, uns weiter für die Angelegenheiten Europas und der Welt zu interessieren. Wir haben zur Organisation der Vereinten Nationen beigetragen und glauben, dass dadurch Angreifernationen davon abgehalten werden, Kriege anzufangen. Weil wir das glauben, wollen wir die Vereinten Nationen mit unserer ganzen Macht und allen unseren Hilfsquellen unterstützen.

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Dem deutschen Volk wurde jedoch nicht die Möglichkeit genommen, sein Los im Lauf der Jahre durch harte Arbeit zu verbessern. Eine industrielle Entwicklung und industrieller Fortschritt wurden ihm nicht verweigert. Gleich den Völkern anderer verwüsteter Länder sollte das deutsche Volk den Wiederanfang mit einer Friedenswirtschaft machen, die nicht imstande ist, ihm mehr als den durchschnittlichen europäischen Lebensstandard zu gewähren. Dabei sollte ihm nicht das Recht verwehrt bleiben, mögliche, auf Grund harter Arbeit und einfacher Lebensweise erworbene Ersparnisse für den Aufbau einer Industrie zu verwenden, die friedlichen Zwecken dient.

Dieses war der Grundsatz der Reparationen, wie Präsident Truman ihm in Potsdam zugestimmt hat. Die Vereinigten Staaten werden nicht ihre Zustimmung geben, daß Deutschland größere Reparationen leisten muß, als in den Potsdamer Beschlüssen vorgesehen wurde.

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Die Vereinigten Staaten sind der festen Überzeugung, daß Deutschland als Wirtschaftseinheit verwaltet werden muß, und daß die Zonenschranken, soweit sie das Wirtschaftsleben und die wirtschaftliche Betätigung in Deutschland betreffen, vollständig fallen müssen.

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Bis jetzt hat sich nur die britische Regierung bereit erklärt, mit ihrer Zone daran teilzunehmen. Wir begrüßen diese Zusammenarbeit aufs wärmste. Selbstverständlich soll diese Vereinigungspolitik nicht jene Regierungen ausschließen, die heute noch nicht zum Beitritt bereit sind, die Vereinigung steht ihnen zu jeder Zeit frei.

Wir treten für die wirtschaftliche Vereinigung Deutschlands ein. Wenn eine völlige Vereinigung nicht erreicht werden kann, werden wir alles tun, was in unseren Kräften steht, um eine größtmögliche Vereinigung zu sichern.

 

Für einen erfolgreichen Wiederaufbau Deutschlands ist eine gemeinsame Finanzpolitik wesentlich. Eine unkontrollierbare Inflation, begleitet von einer wirtschaftlichen Lähmung, ist fast mit Sicherheit zu erwarten, wenn keine gemeinsame Finanzpolitik zur Steuerung der Inflation besteht. Ein Programm drastischer Haushaltsreformen ist dringend erforderlich, um den Währungsumlauf und die Geldforderungen zurückzuschrauben, die Schuldenlast zu revidieren und Deutschlands Finanzen auf eine gesunde Grundlage zu stellen.

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Ebenso ist die Schaffung einer zentralen deutschen Verwaltungsstelle für Industrie und Außenhandel dringend notwendig. Deutschland muß bereit sein, seine Kohle und seinen Stahl mit den befreiten Ländern Europas zu teilen, die von diesen Lieferungen abhängig sind.

Deutschland muß andererseits in die Lage versetzt werden, seine Fähigkeiten und Kräfte der Steigerung seiner industriellen Produktion dienstbar zu machen und für die zweckmäßigste Verwendung seiner Rohstoffe Sorge tragen zu können.

Deutschland muß die Möglichkeit haben, Waren auszuführen, um dadurch so viel einführen zu können, daß es sich wirtschaftlich selbst erhalten kann. Deutschland ist ein Teil Europas. Die Gesundung in Europa und besonders in den Nachbarstaaten Deutschlands wird nur langsam voranschreiten, wenn Deutschland mit seinen großen Bodenschätzen an Eisen und Kohle in ein Armenhaus verwandelt wird.

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Die amerikanische Regierung steht auf dem Standpunkt, daß die vorläufige Regierung nicht von anderen Regierungen ausgesucht werden soll, sondern daß sie aus einem deutschen Nationalrat bestehen soll, der sich aus den nach demokratischen Prinzipien verantwortlichen Ministerpräsidenten oder anderen leitenden Beamten der verschiedenen Länder zusammensetzt, die in jeder der vier Zonen gebildet worden sind. Unter Vorbehalt der Befugnisse des Alliierten Kontrollrats soll der deutsche Nationalrat für die sachgemäße Erfüllung der Aufgaben der zentralen Verwaltungsbehörden verantwortlich sein, die ihrerseits angemessene Machtbefugnisse besitzen sollen, um die Verwaltung Deutschlands als einer Einheit, wie sie in den Potsdamer Beschlüssen geplant war, zu sichern.

Der deutsche Nationalrat sollte auch mit der Vorbereitung des Entwurfes einer Bundesverfassung für Deutschland beauftragt werden, die unter anderem den demokratischen Charakter des neuen Deutschlands, die Menschenrechte, und die grundsätzlichen Freiheiten aller seiner Einwohner sichern soll. Nach grundsätzlicher Genehmigung durch den Alliierten Kontrollrat wäre die vorgeschlagene Verfassung einer gewählten Versammlung zur endgültigen Formulierung vorzulegen und sodann dem deutschen Volk zur Ratifizierung zu unterbreiten.

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Das amerikanische Volk wünscht, dem deutschen Volk die Regierung Deutschlands zurückzugeben. Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen, seinen Weg zurückzufinden zu einem ehrenvollen Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt."