Geschichte der antiken Phiölosophie aus Microsoft Encarta
 


 


1. Vorsokratiker
 

Die Denker vor der klassischen Periode der griechischen Philosophie, die mit Sokrates beginnt, werden heute unter den Begriff Vorsokratiker gefasst, obwohl sie sehr unterschiedliche Lehren entwickelten.


a. Ionische Philosophie
 

Thales aus der Stadt Milet, an der ionischen Küste Kleinasiens, der um 580 v. Chr.
Anzeige


 


BÜCHER SUCHEN: "Abendländische Philosophie"
Jetzt einkaufen!






wirkte, war der vermutlich erste griechische Philosoph – zumindest der erste, von dem heute noch etwas bekannt ist. Er begründete die Schule der ionischen Naturphilosophie, die vor allem in das Wesen der Natur, der Welt überhaupt, einzudringen versuchte. Thales, der von späteren Generationen als einer der Sieben Weisen Griechenlands verehrt wurde, war an astronomischen, physikalischen und meteorologischen Erscheinungen interessiert und nahm an, dass alle natürlichen Phänomene unterschiedliche Formen einer einzigen Grundsubstanz, wie er glaubte, des Wassers, seien, da er Verdampfung und Kondensation als universale Vorgänge ansah – eine frühe Form des Monismus.

Anaximander, sein Schüler, hingegen behauptete, der Ursprung allen Seins sei das Unbegrenzte, Unabgeschlossene (griechisch apeiron).

Schon in dieser frühen Epoche zeigte sich eine allgemeine Tendenz der abendländischen Philosophie: Auf der einen Seite bildete sie für beobachtbare (Natur-)Erscheinungen Erklärungsmuster, die sich im Verlauf der Jahrhunderte aus ihr abspalteten und zu eigenen Wissenschaften wurden (bei Thales die Physik, später alle Naturwissenschaften, Mathematik, Soziologie, Psychologie, Sprachwissenschaft usw.); auf der anderen Seite errichtete sie mit den Fragen u. a. nach dem Ursprung des Seins das Gebäude einer Metaphysik, die „über" der Physik steht.

Der dritte große ionische Philosoph, Anaximenes, kehrte zu Thales' Behauptung zurück, dass der Urstoff etwas Bekanntes und Materielles sein müsse – nach seiner Meinung die Luft. Er glaubte, dass sich die Veränderungen, denen die Dinge unterliegen, aufgrund von Verdünnung und Verdichtung der Luft erklären ließen.


b. PythagorasAbschnitt drucken
 

Um 530 v. Chr. gründete der Philosoph Pythagoras von Samos eine philosophische Schule in Kroton, einer griechischen Kolonie in Süditalien, die die antiken mythischen Anschauungen über die Welt mit dem sich entwickelnden Interesse für wissenschaftliche Erklärungen vereinte. Die Pythagoreer bildeten eine Art Geheimbund, lebten wie eine Sekte und praktizierten und lehrten eine Lebensweise, die sich auf den Glauben von der Gefangenheit der Seele im Körper stützte. Höchstes Lebensziel des Menschen sei die Reinigung seiner Seele, die erst durch den Tod befreit und in einer höheren oder niedrigeren Daseinsform, entsprechend dem Grad der erreichten Tugend, wiedergeboren werde; diese Läuterung der Seele erfolge durch die Pflege intellektueller Tugenden, durch die Enthaltung von Sinnesfreuden und die Ausübung verschiedener religiöser Riten. Die Pythagoreer lehrten, die Bewegung der Planeten erzeuge eine „Sphärenmusik" und entwickelten auch eine „Musiktherapie", um die Menschheit in die Sphärenharmonie des Himmels einzustimmen. Sie identifizierten die Wissenschaft mit der Mathematik: Die Zahlen seien nicht nur das Prinzip des Mathematischen, sondern des Seienden überhaupt.


c. HeraklitAbschnitt drucken
 

Heraklit von Ephesos setzte die Suche der Ionier nach dem Urstoff fort und fand diesen im Feuer verkörpert. Der Philosoph trug den Beinamen „der Dunkle", da die von ihm überlieferten etwa 120 Aphorismen oft schwer zu enträtseln sind. Er behauptete, dass sich alle Dinge fortwährend im Fluss befänden, dass Beständigkeit eine Täuschung sei und dass bloß die Veränderung und die Gesetze der Veränderung oder der logos (griechisch: Wesen, Sprache, Wissen, Lehre) wirklich seien. Berühmt – aber vermutlich nicht so von ihm selbst geäußert, sondern von Kratylos formuliert, ist sein gleichnishafter Lehrsatz „Alles fließt" oder in einer anderen Formulierung „Man kann nicht zweimal in denselben Fluss steigen": Zum einen ist der Fluss mittlerweile nicht mehr derselbe, denn man steigt nicht in dasselbe Wasser wie zuvor, das längst weitergeflossen ist; und zum anderen ist mittlerweile auch der Mensch ein anderer geworden. Heraklit dachte in Gegensätzen, wie z. B. sein Satz „Alles entsteht durch den (Wider-)Streit" belegt, und gilt daher als Ahnvater der dialektischen Philosophie. Aus seiner Lehre vom logos, welche die Gesetze der Natur mit einem göttlichen Geist gleichsetzte, entwickelte sich die pantheistische Theologie des Stoizismus; Heraklits Schüler Kratylos soll der Lehrer Platons gewesen sein.


d. EleatenAbschnitt drucken
 

Um die Wende zum 5. Jahrhundert v. Chr. gründete Parmenides in Elea, einer griechischen Kolonie auf der italienischen Halbinsel, eine philosophische Schule. Parmenides stand im Gegensatz zu Heraklit und sah das Universum als unteilbar und damit auch unveränderlich an und nicht als vergänglich oder fließend. Ihm zufolge kann nichts wirklich behauptet werden – außer, dass das „Seiende existiert". Er schuf einen weiteren Topos der abendländischen Philosophie, indem er die Philosophie scharf vom Alltagsdenken und -meinen absetzte: In seinem Lehrgedicht unterscheidet er zwischen der Scheinwahrheit, der irrigen Meinung der Menge (griechisch doxa, daher Dogma), und der echten Erkenntnis der Wahrheit durch den Philosophen. Parmenides hatte großen Einfluss auf Platon.

Zenon von Elea, ein Schüler von Parmenides, versuchte, die These von der Einheit des Seins zu stärken, und behauptete, dass der Glaube an eine Veränderung, Vielfalt und Bewegung der Wirklichkeit zu logischen Paradoxa führe. Zenons Paradoxa wurden zu berühmten intellektuellen Geduldsspielen, die Philosophen und Logiker aller nachfolgenden Zeiten zu lösen versuchten. Die Beschäftigung der Eleaten mit dem Problem der logischen Folgerichtigkeit bildete die Grundlage für die Entwicklung der wissenschaftlichen Logik.


e. PluralistenAbschnitt drucken
 

Im 5. Jahrhundert v. Chr. entwickelten Empedokles und Anaxagoras eine Philosophie, die der ionischen Annahme eines einzigen Urstoffes eine Vielfalt solcher Substanzen entgegensetzte. Empedokles vermutete, dass sich alle Dinge aus vier Grundelementen zusammensetzen, und zwar aus Luft, Wasser, Erde und Feuer, die sich aufgrund von zwei entgegengesetzten Kräften, Liebe und Hass – bzw. anziehende und abstoßende Kraft –, untereinander verbinden bzw. wieder trennen. Durch diesen Vorgang entwickelt sich nach ihm die Welt in einem ewigen Kreislauf aus dem Chaos zur Form und wieder zurück zum Chaos. Empedokles betrachtete diesen ewigen Kreislauf als wahren Gegenstand religiöser Verehrung und kritisierte den volkstümlichen Glauben an persönliche Gottheiten. Allerdings konnte er keine Erklärung finden, auf welche Weise sich die bekannten Dinge der Erfahrungswelt (sinnliche Wahrnehmung) aus den so grundverschiedenen Urelementen entwickeln konnten.

Daher schloss Anaxagoras, dass sich alle Dinge aus kleinsten Teilchen (Homöomerien) zusammensetzen, die es in unendlicher Vielfalt gibt. Zur Erklärung, auf welche Weise sich diese Teilchen mischen, um die einzelnen Naturdinge zu bilden, stellte er eine Theorie der kosmischen Entwicklung auf. Er behauptete, dass das aktive Prinzip dieses Entwicklungsprozesses ein Weltgeist (auch Weltseele, griechisch nous) sei, der die Mischung und Trennung der Teilchen verursache. Seine Auffassung von den Stoffteilchen führte zur Herausbildung einer atomistischen Theorie der Materie.


f. AtomistenAbschnitt drucken
 

Nach der Theorie der Atomisten setzt sich die Materie aus kleinsten, unteilbaren Partikeln zusammen, die sich lediglich durch einfache physikalische Eigenschaften, wie Größe, Form und Gewicht, voneinander unterscheiden und unteilbar (griechisch atomos) sind. Der Atomismus geht auf den Philosophen Leukipp aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. zurück und wurde von seinem berühmten Mitstreiter Demokrit weitergeführt, dem allgemein das Verdienst der ersten systematischen Formulierung einer materiellen Atomlehre zugesprochen wird. Er vertrat eine materialistische Auffassung der Natur und erklärte alle natürlichen Erscheinungen aufgrund von Anzahl, Form und Größe der Atome. Auf diese Weise führte er die durch die Sinne wahrgenommenen Eigenschaften der Dinge, wie Wärme, Kälte, Geschmack und Geruch, auf quantitative Unterschiede zwischen den Atomen zurück, deren Bewegung jedoch nie mit den menschlichen Sinnen beobachtet werden, sondern immer nur mit dem Geist erschlossen werden könnte.

Die höheren Daseinsformen, wie z. B. die Pflanzen- und Tierwelt, ja sogar das menschliche Denken, erklärte Demokrit rein physikalisch, sodass seine Lehre als das erste umfassende System eines deterministischen Materialismus gilt, da in ihm alle Aspekte des Daseins als strengen physikalischen Gesetzen unterworfen dargestellt werden. Er weitete seine Lehre auch auf die Psychologie, Physiologie, Erkenntnistheorie (Epistemologie), Ethik und Politische Philosophie aus und wurde so in manchen seiner Aussagen zum Vorläufer Epikurs: Denn wie für diesen, so besitzt die Seele auch für Demokrit stoffliche Substanz und zerfällt somit nach dem Tod in ihre Atome. Um ein Leben in Gelassenheit und Ausgewogenheit führen zu können, sei es wichtig, größere Bewegungen der Seelenatome zu vermeiden; nur dies garantiere das Glück als Höchstes Gut, denn es gelte, die Lust nur mit Beherrschung und Besonnenheit (griechisch sophrosyne) handzuhaben. Aufgrund seiner Heiterkeit wurde er auch der „lachende Philosoph" genannt.


g. SophistenAbschnitt drucken
 

Gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. wurde eine Gruppe umherziehender Lehrer, Sophisten genannt, in ganz Griechenland bekannt. Im Rahmen der sich in Griechenland vollziehenden Demokratisierung spielten die Sophisten als „Politikberater" und „Volkserzieher" eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der griechischen Stadtstaaten aus agrarischen Monarchien zu Handel treibenden Demokratien. Mit diesem Anwachsen von Handwerk und Handel in Griechenland fiel die politische Macht zunehmend in die Hände der Klasse der Neureichen, der wirtschaftlich mächtigen Kaufleute. Da ihnen die Bildung der Aristokraten fehlte, bezahlten sie die Sophisten für den Unterricht in Rhetorik, juristischer Beweisführung und Allgemeinbildung, um sich das für Politik und Handel benötigte Wissen anzueignen.

Zwar erbrachten die bedeutendsten Sophisten während dieser Phase der „griechischen Aufklärung" wertvolle Beiträge zum griechischen Gedankengut, den klassischen Philosophen jedoch galten sie – nicht ganz zu Recht – als betrügerisch, unehrlich und demagogisch. Sokrates führte von Platon nachgezeichnete Streitgespräche mit Gorgias und Protagoras, den führenden Persönlichkeiten unter den Sophisten; andere waren Prodikos, Antiphon und Hippias.

Die berühmte Maxime des Protagoras, dass der „(einzelne) Mensch das Maß aller Dinge" sei, ist kennzeichnend für die philosophische Haltung der sophistischen Schule, denn sie plädiert nicht, wie oft missverstanden wird, für eine verantwortliche Ethik, in der der Mensch im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen solle, sondern eher für das Gegenteil: Die Sophisten sprachen den Individuen das Recht zu, alle Angelegenheiten für sich selbst zu entscheiden, und bestritten zudem die Möglichkeit jeder objektiven Erkenntnis. Das führte sie zur ethischen Beliebigkeit: Moralische Regeln sollte man nach der von einigen ihrer Vertreter geäußerten Lehre nur dann befolgen, wenn dies zum persönlichen Vorteil geschähe, was bei Kallikles und Thrasymachos sogar zur Verteidigung des „Rechts des Stärkeren" geführt haben soll.


2. Klassische griechische PhilosophieAbschnitt drucken
 

Durch Sokrates' Kritik an den Sophisten und seine neue Art des Philosophierens wurde der Weg frei für die klassische Epoche der griechischen Philosophie, die besonders mit den Namen Platon und Aristoteles verbunden ist.


a. SokratesAbschnitt drucken
 

Sokrates war eine der Persönlichkeiten, die die griechische Philosophie entscheidend geprägt haben; mit ihm setzt die „klassische griechische Philosophie" ein. Er pflegte noch am Tag seiner Hinrichtung im Jahr 399 v. Chr. den philosophischen Dialog mit seinen Schülern. Im Unterschied zu den Sophisten weigerte sich Sokrates, für seinen Unterricht Geld anzunehmen, weil er außer der Einsicht in das eigene Nichtwissen kein wirkliches Wissen vermitteln könne: „Ich weiß, dass ich nichts weiß". Sokrates selbst hinterließ keine Schriften, seine Lehren wurden jedoch in den Dialogen seines berühmtesten Schülers Platon überliefert. Es ist jedoch nicht bekannt, inwieweit diese Sokrates' persönliche Gedanken darstellen und welchen Anteil daran Platons eigene Philosophie hat.

Anders als die Sophisten war Sokrates nicht an der Nützlichkeit des Denkens in der (politischen und ökonomischen) Praxis orientiert, sondern erkannte allein in der Wahrheit Ziel und Zweck der Philosophie: Er lehrte, dass in der Seele jedes Individuums die volle Erkenntnis der letzten Wahrheit verborgen sei und diese durch Reflexion auch bewusst gemacht werden könne, gleichgültig, ob ein Mensch belesen sei oder nicht. In Platons Dialog Menon entwickelt der ungebildete Sklave Menon unter Sokrates' Anleitung einen mathematischen Lehrsatz und „beweist" somit, dass eine derartige Erkenntnis der Seele bereits von Geburt an innewohnt und nicht aus der alltäglichen Erfahrung stammen kann.

Mit Absicht trug Sokrates die Philosophie aus den Schulen in die Öffentlichkeit und war daher zumeist auf dem Marktplatz (griechisch agora) zu finden, wo er seine Gesprächspartner in Diskussionen verwickelte, denn ihm zufolge ist es die wichtigste Aufgabe des Philosophen, die Menschen zu selbständigem Denken anzuregen. Nicht eine systematische Doktrin, eine feststehende Lehre oder ein Dogma sind sein Beitrag zur Geschichte der Philosophie, sondern eine Methode des Denkens – die so genannte Maieutik (griechisch: Hebammenkunst, Sokrates' Mutter war Hebamme), mit der er durch kunstfertige Fragen an seinen Gesprächspartner die Wahrheit „zur Welt brachte", und das Postulat einer im philosophischen Sinn moralisch einwandfreien geistigen Haltung und Lebensführung.


b. PlatonAbschnitt drucken
 

Wie Sokrates betrachtete auch Platon die Ethik als wichtigstes Gebiet der Philosophie. Tugend und Weisheit waren für ihn identisch – wahrhaft tugendhaft kann nur der Weise sein, der Weise nicht anders als tugendhaft handeln. Diese Ansicht führte zu dem so genannten Sokratischen Paradoxon, dass kein Mensch absichtlich Böses tue, ein Ausspruch, den Platon in seinem Werk Protagoras dem Sokrates in den Mund legte. Aristoteles wies später darauf hin, dass, wenn diese Aussage richtig wäre, der Mensch seiner moralischen Verantwortung enthoben sei. Platon beschäftigte sich weiterhin mit naturwissenschaftlichen Fragen, solchen der politischen Theorie, Metaphysik, Theologie und Epistemologie.

Die Grundlage der platonischen Philosophie ist ihre Ideen- oder Formenlehre. In der Ideenlehre, die vor allem im Staat (griechisch Politeia) und im Parmenides – Platons Dialoge sind zumeist nach dem jeweiligen Gesprächspartner von Sokrates benannt – dargelegt ist, teilt er das Sein in zwei Bereiche, einen „erkennbaren Bereich", der die vollkommenen ewigen und unsichtbaren Ideen oder Formen enthält, und einen „Sinnenbereich" der Dingwelt, die mit den Sinnen wahrnehmbar sind. Bäume, Steine, menschliche Körper und andere Objekte, die über die Sinne wahrgenommen werden können, sind für Platon unwirkliche, schattenhafte und unvollkommene Abbilder der Ideen (griechisch eidos: Gestalt, Wesen, Begriff bzw. idéa: Form). Philosophische Erkenntnis hat sich um die Überwindung dieser Scheinwahrnehmung und um das „Aufsteigen" zur „Schau", zur Wahrnehmung der Ideen zu bemühen.

Dies veranschaulicht das berühmte Höhlengleichnis in der Politeia: Platon beschreibt hier eine Höhle, in der Menschen gefangen und so gefesselt sind, dass sie allein die Schatten der Dinge an der Höhlenwand erkennen können und sie dementsprechend für die Wirklichkeit halten; werden sie aus der Höhle hinaus und hinauf ans Licht der Sonne geführt, sind sie zunächst geblendet und können nur langsam etwas wahrnehmen. Erst nach einiger Zeit werden ihnen die wahren Zusammenhänge bewusst; wenn sie jedoch in die Höhle zurückkehren und ihre Mitgefangenen über ihren Irrtum aufklären wollen, so glaubt man ihnen nicht, verleumdet sie und versucht gar, sie zu töten – so wie es Sokrates in Athen widerfuhr. Für Platon ist es – wie schon für Pythagoras und Parmenides – die Aufgabe der Philosophie, die Scheuklappen des Alltagslebens abzustreifen, in die Welt jenseits der Höhle der Unwissenheit vorzudringen und Einblick in die wahre Wirklichkeit, den Bereich der Ideen, zu erlangen.

Platons Auffassung von dem absolut Guten, der höchsten Idee, die alle anderen Ideen umfasst, war die Urfassung jeglichen Idealismus und wurde so zu einer der Hauptquellen pantheistischer und mystisch-religiöser Lehren der abendländischen Kultur; sie findet sich auch an zentraler Stelle in der christlichen Theologie, in der>Gott den Platz des absolut Guten und der höchsten Idee einnimmt. Platons Ideenlehre und seine rationalistische Erkenntnistheorie bildeten die Grundlage für seinen ethischen und sozialen Idealismus. Allein in der Sphäre der ewigen Ideen sind nach Platon die Richtlinien oder Ideale auffindbar, nach denen alle Dinge und Handlungen „im Diesseits" (im alltäglichen Leben) beurteilt werden sollten.

Der Philosoph, der sich von den vertrauten und eingewurzelten Konventionen der Gesellschaft ebenso wie von der Herrschaft der sinnlichen Genüsse über den Geist abkehrt und stattdessen nach Erkenntnis der ewigen Grundsätze und Ideen strebt, wird in diesen Idealen die Formen für sein persönliches Verhalten und für die gesellschaftlichen Institutionen finden. Hier liegen auch die philosophischen Wurzeln der christlichen Moraltheologie und Lebensführung. Nach Platon sind Wahrheit, Schönheit und Gerechtigkeit in der Gottesidee vereint, die sich längst von den Vorstellungen der griechischen Mythologie gelöst hatte. Die soziale Gerechtigkeit erfordere die Harmonie zwischen den Gesellschaftsklassen, die nur durch eine Aristokratie, eine Herrschaft der Besten, insbesondere der Philosophen (Philosophenkönige), gewährleistet werden könne. Platon versuchte daher auch auf die Politik griechischer Tyrannen einzuwirken, vor allem auf Dionysios II. von Syrakus, was aber misslang.


c. AristotelesAbschnitt drucken
 

Aristoteles kam im Alter von 17 Jahren aus seinem Geburtsort Stagira in Nordgriechenland an die athenische Akademie Platons und war dessen bedeutendster Schüler. Nach seinem langjährigen Studium an der Akademie wurde Aristoteles für einige Jahre Erzieher von Alexander dem Großen und kehrte anschließend nach Athen zurück, wo er, unterstützt von Alexander, die Peripatetische Schule begründete – benannt nach dem peripatos (Wandelgang), in dem er lehrte. Die Schule der Peripatetiker war wie Platons Akademie über Jahrhunderte hinweg eines der großen und bedeutenden Unterrichtszentren in Griechenland und dem gesamten Mittelmeerraum.

Aristoteles definierte die Grundbegriffe und Prinzipien vieler theoretischer Wissenschaftszweige, wie Logik, Biologie, Physik und Psychologie. Als Begründer der wissenschaftlichen Logik entwickelte er die Methode des deduktiven Schließens (Deduktion) durch Syllogismen. In seiner Metaphysik kritisierte Aristoteles Platons Trennung von Idee und Materie und behauptete, dass die Idee oder „das Wesentliche" in dem konkreten sichtbaren Objekt enthalten sei. Für Aristoteles war das Wirkliche eine Einheit von Möglichkeit (lateinisch potentia) und Aktualität (lateinisch actus): Jedes Ding sei eine Einheit aus dem, was es sein könnte, aber noch nicht ist, und dem, was es bereits ist, denn alle Dinge unterlägen dem Wandel und würden zu anderen Dingen, außer dem menschlichen und dem göttlichen aktiven Geist, die reine Idee seien.

Die Natur war für Aristoteles ein organisches System der Dinge mit all ihren Zielen und Zwecken. Die Himmelskörper, die von Gott auf – wie Aristoteles glaubte – vollkommenen Kreisbahnen in Ewigkeit bewegt würden, sind in der Rangordnung der Natur noch höher gestellt als die Seele des Menschen. Diese hierarchische Auffassung der Natur und allen Seins hatte großen Einfluss auf viele christliche Theologen des Mittelalters, in dem Aristoteles „wiederentdeckt" wurde.

Auch die politische Philosophie und Ethik des Aristoteles nahmen ihren Anfang in der kritischen Überprüfung der platonischen Lehren. Die persönlichen und gesellschaftlichen Verhaltensnormen müssen nach Aristoteles von dem ausgehen, was der Mensch ist, nicht von dem, was er sein könne, also Platons reinen Ideen. Somit bestand Aristoteles nicht wie Platon auf einer strengen Einhaltung absoluter Prinzipien, sondern betrachtete die ethischen Gesetze eher als praktische Richtlinien für ein glückliches und ausgeglichenes Leben. Diese Hervorhebung der Glückseligkeit (griechisch eudaimonia) als aktive Erfüllung der natürlichen Fähigkeiten, die einem Menschen gegeben sind, als Tüchtigkeit (griechisch arete), war Ausdruck der Lebenseinstellung der gebildeten Griechen seiner Zeit. In seiner politischen Theorie bezog Aristoteles eine realistischere Position als Platon: Zwar war er auch der Meinung, dass eine von einem weisen König regierte Monarchie das ideale politische Gefüge sei, erkannte jedoch, dass in der Praxis eine, allerdings gemäßigte, Demokratie bzw. Republik im Allgemeinen die beste Regierungsform ist.

Auf dem Gebiet der Erkenntnistheorie vertrat Aristoteles entgegen der platonischen Lehre die Auffassung, dass Erkenntnis nur durch eine Verallgemeinerung aus der Erfahrung gewonnen werden könne, nicht jedoch durch die Ideenschau. Kunst war für ihn ein Mittel zur Freude und geistigen Aufklärung und weniger ein Instrument moralischer Erziehung. Seine literarischen Analysen der griechischen Tragödien dienten der literarischen Kritik als Vorbild und waren stilbildend für die literarische Klassik der Goethezeit. Aristoteles starb 322 v. Chr. in Chalkis auf Euböa, wohin ihn die Athener nach dem Tod Alexanders des Großen verbannt hatten.

Für die ausgehende Antike und besonders für das christliche Mittelalter mit seiner Philosophie der Scholastik hatte Aristoteles die größte Bedeutung; die Scholastiker nannten ihn einfach nur „den Philosophen" und zeigten so, dass er für sie die Philosophie am reinsten verkörperte. Aristoteles wirkte insbesondere auch in die islamische Philosophie des Mittelalters hinein, der wir die Überlieferung der aristotelischen Texte verdanken, die im Abendland nach der Antike als verschollen galten. Auch in der Neuzeit war Aristoteles eine beständige Bezugsquelle der Philosophie – bis ins 20. Jahrhundert.


3. Hellenistische und römische PhilosophieAbschnitt drucken
 

Die Erweiterung der griechischen Welt durch die Feldzüge Alexanders des Großen führte zum Ende der klassischen Epoche Griechenlands und zu dem von vielen außergriechischen Einflüssen geprägten, kosmopolitisch orientierten Hellenismus, der etwa bis zur römischen Vorherrschaft über Griechenland und den Mittelmeerraum andauerte.

Beginnend mit dem 4. Jahrhundert v. Chr. und bis zur Entwicklung der christlichen Philosophien im 4. Jahrhundert n. Chr. bildeten in dieser Zeit der Epikureismus, der Stoizismus, der Skeptizismus und der Neuplatonismus die bestimmenden philosophischen Schulen des Abendlandes. Während dieser Zeit ging das Interesse an den Naturwissenschaften stetig zurück, und die philosophischen Schulen nahmen sich hauptsächlich ethischer und religiöser Probleme an.


a. EpikureismusAbschnitt drucken
 

Im Jahr 306 v. Chr. gründete Epikur eine philosophische Schule in Athen. Da sich seine Anhänger in seinem Garten versammelten und dort teilweise wie eine „Kommune" lebten, wurde er unter dem Beinamen „Gartenphilosoph" bekannt. Epikur knüpfte an die atomistische Physik Demokrits an, vermutete jedoch im Gegensatz zu dessen These von der zufälligen Bewegung der Atome in alle Richtungen eine einheitlich abwärts gerichtete Bewegung; zudem behauptete er, dass die Atome zuweilen in unvorhersehbarer Weise nach einem nicht näher zu bestimmenden Zufallsprinzip „ausbrächen". Epikur zufolge kam der Naturwissenschaft bloß dann eine Bedeutung zu, wenn sie zur Durchführung praktischer Entscheidungen oder zur Linderung der Furcht vor Gott oder dem Tod beitragen könne.

Er sah nicht, wie dem Hedonismus vor allem von stoischen Philosophen und christlichen Theologen unterstellt wurde, in einem möglichst lustvollen oder gar orgiastischen Treiben das Lebensziel des Menschen, sondern suchte als Lebenshaltung die von ihm so genannte Ataraxie zu erreichen: eine „Meeresstille des Gemüts", bei dem körperliche Lust (griechisch hedoné) und geistige Tätigkeit in Ausgleich sind. Wer zu dieser Einstellung fände, brauche auch keine Angst vor dem Tod mehr zu haben. Obwohl Epikur über 300 Werke geschrieben haben soll, sind seine Lehren hauptsächlich in dem philosophischen Lehrgedicht De Rerum Natura (Über das Wesen der Dinge) des römischen Dichters Lukrez erhalten geblieben, der auch zum Großteil für die Verbreitung des Epikureismus in Rom verantwortlich war.


b. StoizismusAbschnitt drucken
 

Die nach ihrem Versammlungsort, der stoa poikilé, der bunt bemalten Säulenhalle, in Athen benannte Schule der Stoa, wurde um 300 v. Chr. von Zenon von Kition auf Zypern gegründet. Sie hatte sich aus der früheren Bewegung der sich auf die Bedürfnislosigkeit des Sokrates berufenden Kyniker (z. B. Diogenes von Sinope) entwickelt und wurde zu der in ihrer Zeit einflussreichsten philosophischen Schule der griechisch-römischen Welt.

Der Stoizismus brachte einige herausragende Schriftsteller und Persönlichkeiten hervor: neben Zenon in der älteren Stoa vor allem Kleanthes und Chrysippos, der der Stoa ihre systematische Fassung gab. In der mittleren Stoa vollzog sich der Wechsel von Athen nach Rom, denn ihr „Begründer" Panaitios von Rhodos hielt sich längere Zeit dort auf, und sein Schüler Poseidonios von Apameia unterrichtete berühmte Römer wie Pompeius und Cicero, der selber ein führender Stoiker wurde. In der römischen Kaiserzeit ragten neben Epiktet, einem ehemaligen Sklaven, der mit seinem Handbüchlein der Moral einen ersten Ratgeber verfasste, Seneca, der Erzieher des jungen Nero und spätere Berater des Imperators, und der römische Kaiser Mark Aurel heraus, der für seine Weisheit und seinen edlen Charakter bekannt war.

Die Stoiker vertraten eine nahezu materialistische Auffassung der Natur und folgten Heraklits Lehre vom Feuer als Urstoff und der Verehrung des Logos, den sie mit der Energie, dem Gesetz, der Vernunft und der in der gesamten Natur vorhandenen göttlichen Vorsehung gleichsetzten. Die menschliche Vernunft betrachteten sie als Teil des göttlichen Logos und daher als unsterblich; das menschliche Wissen gründe zwar in der sinnlichen Wahrnehmung, müsse aber durch den Verstand geprüft werden, bevor es Geltung beanspruchen dürfe. Sie lehrten, dass man Freiheit und Ruhe nur erreichen könne, wenn man sich einem Leben der Vernunft und Tugend verschreibe: indem man über der materiellen Behaglichkeit und dem irdischen Wohlstand stehe, die man sich zwar nicht asketisch versagen, wohl aber in ihrem niederen Stellenwert erkennen müsse.

Triebe und Leidenschaften sollten so wenig wie möglich Angriffspunkte im Charakter eines Menschen finden. Insbesondere bei Seneca war die Idee der apathia (Unempfindlichkeit) stark entwickelt, die eine „Abtötung" jeglicher Leidenschaften, Triebe oder Begierden verlangte, weil sie die Souveränität des Menschen gegenüber seinem Schicksal und damit auch seine Moral gefährden könnten. Diese asketisch-rigide Haltung ließ Seneca besonders bei christlichen Autoren bis weit in die Neuzeit hinein als das Ideal eines Weisen erscheinen.>

Die pantheistisch-kosmopolitische Lehre der Stoiker, die besagte, dass der Mensch ein Teil Gottes, der „Allnatur", sei und dass alle Menschen einer großen Familie angehörten, ermöglichte es, nationale, völkische und soziale Schranken abzubauen – auch gegenüber den Sklaven (Seneca empfahl ausdrücklich, sie „wie Menschen" zu behandeln) – und den Weg für die Verbreitung einer universellen Religion zu ebnen, was sie zu einer „Religion für die Gebildeten" in der ausgehenden Antike werden ließ. Die stoische Doktrin vom Naturgesetz, aufgrund dessen das Wesen des Menschen zum Maßstab erklärt wird, an dem die Gesetze und gesellschaftlichen Institutionen gemessen werden, beeinflusste in bedeutendem Maß das>römische Recht.


c. SkeptizismusAbschnitt drucken
 

Die Schule der Skeptiker, die an die sophistische Kritik der objektiven Erkenntnis anschloss, war im 3. Jahrhundert v. Chr. an der platonischen Akademie vorherrschend. Wie Zenon von Elea entdeckten die Skeptiker in der Logik ein starkes Instrument der Kritik, was den Skeptizismus (griechisch skeptesthai: prüfen) zu einer philosophischen Reaktion auf den metaphysischen Dogmatismus werden ließ.

Im Wesentlichen behauptete er, dass der Mensch nicht zur Erkenntnis der letzten Wahrheiten gelangen könne und sich deshalb gegenüber allen nicht sinnlich erfahrbaren Tatsachen, also gegenüber allen Hypothesen und Theorien, Zurückhaltung auferlegen sollte. Bedeutende Skeptiker waren Pyrrhon, Arkesilaos und Karneades, und in der Neuzeit wurde der Skeptizismus als Methode des philosophischen Denkens von René Descartes wieder aufgenommen.


d. NeuplatonismusAbschnitt drucken
 

Der jüdisch-hellenistische Philosoph Philon von Alexandria vereinte im 1. Jahrhundert n. Chr. die griechische Philosophie, insbesondere platonische und pythagoreische Ideen, mit der judäischen Religion zu einem umfassenden System, das den Neuplatonismus sowie den jüdischen, christlichen und islamischen Mystizismus vorwegnahm. Philon vertrat die Idee vom transzendenten Wesen Gottes, welches das menschliche Verständnis übersteige und daher unbeschreibbar sei; für ihn stellte sich die natürliche Welt als eine Reihe absteigender Stadien oder Stufen von Gottes Vollkommenheit aus dar. Er war Befürworter eines religiösen Staates bzw. einer Theokratie und einer der Ersten, der eine Auslegung des Alten Testaments für die Nichtjuden vornahm.

Der eigentliche Neuplatonismus war eine der einflussreichsten philosophischen und religiösen Schulen seiner Zeit und entwickelte sich zum wichtigen Rivalen des Christentums. Im 3. Jahrhundert n. Chr. von Ammonios Sakkas und seinem noch berühmteren Schüler Plotin begründet, stützte er seine Ansichten auf die mystischen Dichtungen Platons, der Pythagoreer und Philons. Plotin sah die Hauptaufgabe der Philosophie in der Vorbereitung des Menschen auf die Erfahrung der Ekstase (griechisch ekstasis: Aus-sich-Heraustreten), in der er mit Gott vereint werde: Gott oder „das Eine" befände sich jenseits des rationalen Verständnisses und sei Ursprung der gesamten Wirklichkeit. Das Universum entstehe durch Emanation aus dem „Einen", einem „Herausfließen" oder „Überfließen" göttlicher Energie in aufeinanderfolgende absteigende Ebenen: Geist (nous), „Weltseele" und Materie.

Der Mensch habe diese Stufenfolge in umgekehrter Richtung nach oben hin zu beschreiten; das höchste Lebensziel sei die Befreiung des Selbst aus der Abhängigkeit von körperlichen Behaglichkeiten und der „Unreinheit" des Sinnlichen und Materiellen sowie die Vorbereitung auf die ekstatische Vereinigung mit dem „Einen" durch philosophische Meditation. Der Neuplatonismus hatte, obwohl Konkurrent des entstehenden Christentums, großen Einfluss auf dieses, wie z. B. die geistige Biographie des Kirchenvaters Augustinus zeigt.


e. BoethiusAbschnitt drucken
 

Als „letzter Römer" gilt der 524 auf Befehl Theoderich des Großen hingerichtete Boethius, dessen Schriften viel christliches Gedankengut enthielten, obwohl er selber kein Christ war. Für das Mittelalter wurde er außerdem bedeutsam durch seine Kommentare zu den Schriften des Aristoteles und die philosophischen Erörterungen von Glaubensfragen, die sich in der Scholastik zur führenden Thematik ausweiten sollten.