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Am 22. Juni 1919 erklärte der neue
Reichsministerpräsident Gustav Bauer (SPD) vor der Nationalversammlung
in Weimar:
Die Reichsregierung hat davon abgesehen, aus der
fast unabsehbaren Reihe mehr oder minder unerträglicher Bedingungen,
die eine oder die andere noch abzuhandeln. Dieser Vertrag verliert
seinen vernichtenden Charakter nicht durch Veränderung von
Einzelheiten. Die Äußerung der Parteien der Nationalversammlung,
welche über die Mehrheit der Stimmen verfügen, lassen kaum einen
Zweifel, dass diejenigen in der Minderheit sind, welche die Zukunft
unseres Volkes durch eine Annahme schwerer zu gefährden glauben als
durch eine Ablehnung. Dem muss eine Regierung Rechnung tragen, die das
Volk nicht nach 48 Stunden vor eine neue, vielleicht tödliche Krise
stellen will. Denn die Ablehnung wäre keine Abwendung des Vertrags. Ein
Nein wäre nur eine kurze Hinausschiebung des ja! Unsere
Widerstandskraft ist gebrochen; ein Mittel der Abwendung gibt es nicht.
Wohl aber bietet der Vertrag selbst eine Handhabe, die wir uns nicht
entreißen lassen können. ich denke hier an die feierliche Zusage der
Entente in ihrem Memorandum vom 16. Juni 1919, wonach eine Revision des
heute vorliegenden Vertrags von Zeit zu Zeit eintreten und diesen neuen
Ereignissen und neue eintretenden Verhältnissen angepasst werden kann.
Das ist eines der wenigen Worte in diesem Friedensvertrag, das wirklich
Friedensgeist atmet. [...] Die Regierung der deutschen Republik
verpflichtet sich, die Deutschland auferlegten Friedensbedingungen zu
erfüllen. Sie will sich jedoch in diesem feierlichen Augenblick mit
rücksichtsloser Klarheit äußern, um jeden Vorwurf einer
Unwahrhaftigkeit, der Deutschland jetzt oder später gemacht werden
könnte, von vornherein entgegenzutreten. Die auferlegten Bedingungen
übersteigen das Maß dessen, was Deutschland tatsächlich leisten kann.
Wir fühlen uns daher zu der Erklärung verpflichtet, dass wir alle
Vorbehalte machen und jede Verantwortung ablehnen gegenüber den Folgen,
die über Deutschland verhängt werden könnten, wenn die Undurchführbarkeit
der Bedingungen auch bei schärfster Anspannung des deutschen
Leistungsvermögens in Erscheinung treten muss. Wir legen weiterhin den
größten Nachdruck auf die Erklärung, dass wir den Artikel 231 des
Friedensvertrages, der von Deutschland fordert, sich als alleinigen
Urheber des Krieges zu bekennen, nicht annehmen können und durch die
Unterschrift nicht decken.
(aus: H. Michaelis/F. Schraepler, Ursachen und
Folgen. Bd. 3, Berlin 1958, S. 383f.)
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