Gesetz zur Durchführung der Entnazifizierung

 

Nationalsozialismus und Militarismus haben in Deutschland zwölf Jahre die Gewaltherrschaft ausgeübt, schwerste Verbrechen gegen das deutsche Volk und die Welt begangen, Deutschland in Not und Elend gestürzt und das Deutsche Reich zerstört. Die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus ist eine unerlässliche Vorbedingung für den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau.

 

Während der vergangenen Monate, die der Kapitulation folgten, hat die Amerikanische Militärregierung die Entfernung und den Ausschluss von Nationalsozialisten und Militaristen aus der Verwaltung und anderen Stellen durchgeführt.

 

Der Kontrollrat hat am 12. Januar 1946 für ganz Deutschland Richtlinien für diese Entfernung und den Ausschluss in der Anweisung Nr.24 aufgestellt, die für die deutschen Regierungen und für das deutsche Volk verbindlich sind.

 

Das Gesetz Nr.8 der Militärregierung einschließlich seiner ersten Ausführungsverordnung hat die Befreiung auf das Gebiet der gewerblichen Wirtschaft ausgedehnt und das Vorstellungsverfahren durch deutsche Prüfungsausschüsse eingeführt.

 

Die Amerikanische Militärregierung hat nunmehr entschieden, dass das deutsche Volk die Verantwortung für die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus auf allen Gebieten mit übernehmen kann. Der Erfüllung der damit dem deutschen Volk übertragenen Aufgabe dient dieses Gesetz, das sich im Rahmen der Anweisung Nr.24 des Kontrollrates hält.

 

Zur einheitlichen und gerechten Durchführung dieser Aufgabe wird gleichzeitig für Bayern, Großhessen und Württemberg-Baden das folgende Gesetz beschlossen und verkündet:

 

 

Abschnitt (Grundsätze)

 

ARTIKEL 1.

 

Zur Befreiung unseres Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus und zur Sicherheit dauernder Grundlagen eines deutschen demokratischen Staatslebens im Frieden mit der Welt werden alle, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft aktiv unterstützt oder sich durch Verstöße gegen die Grundsätze der Gerechtigkeit und Menschlichkeit oder durch eigensüchtige Ausnutzung der dadurch geschaffenen Zustände verantwortlich gemacht haben, von der Einflußnahme auf das öffentliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben ausgeschlossen und zur Wiedergutmachung verpflichtet.

Wer verantwortlich ist, wird zur Rechenschaft gezogen. Zugleich wird jedem Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben.

 

ARTIKEL 2.

 

Die Beurteilung des Einzelnen erfolgt in gerechter Abwägung der individuellen Verantwortlichkeit und der tatsächlichen Gesamthaltung; danach wird in wohlerwogener Abstufung das Maß der Sühneleistung und der Ausschaltung aus der Teilnahme am öffentlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben des Volkes bestimmt mit dem Ziel, den Einfluß nationalsozialistischer und militaristischer Haltung und Ideen auf die Dauer zu beseitigen.

Äußere Merkmale wie die Zugehörigkeit zur NSDAP, einer ihrer Gliederungen oder einer sonstigen Organisation sind nach diesem Gesetz für sich allein nicht entscheidend für den Grad der Verantwortlichkeit. Sie können zwar wichtige Beweise für die Gesamthaltung sein, können aber durch Gegenbeweise ganz oder teilweise entkräftet werden. Umgekehrt ist die Nichtzugehörigkeit für sich alleine nicht entscheidend für den Ausschluß der Verantwortlichkeit.

 

ARTIKEL 3. (Meldeverfahren)

 

Zur Aussonderung aller Verantwortlichkeiten und zur Durchführung des Gesetzes wird ein Meldeverfahren eingerichtet.

Jeder Deutsche über 18 Jahre hat einen Meldebogen auszufüllen und einzureichen.

Die näheren Bestimmungen trifft der Minister für politische Befreiung.

 

 

ARTIKEL 4. (Gruppe der Verantwortlichen)

 

Zur gerechten Beurteilung der Verantwortlichkeit und zur Heranziehung zu Sühnemaßnahmen werden folgende Gruppen gebildet:

 

1. HAUPTSCHULDIGE

2. BELASTETE (Aktivisten, Militaristen,  Nutznießer)

3. MINDERBELASTETE (Bewährungsgruppe)

4. MITLÄUFER

5. ENTLASTETE