Die Soziale Frage gespiegelt in Liedern der Zeit

Eine ausgezeichnete Sammlung von Liedtexten zu diesem und anderen sozialen Themen findet man unter: 

http://www.volksliederarchiv.de/alle/index.htm 

Beispiele:

 


Drei Winter, vier Sommer

Quelle: Deutsches Volksliedarchiv, Blatt. Nr. 5491, nach: Das kleine dicke Liederbuch, S. 531
Die Autoren schreiben: Während des 18. Jahrhunderts wurden in vielen deutschen Städten Arbeits - und Zuchthäuser eingerichtet. Darin sollten vagabundierende, verarmte Personen, landlos gewordene Bauern, Bettler und Waisenkinder zu einer "fleißigen und arbeitssamen Lebensweise" erzogen werden. Im Göttingen wurde um 1730 ein Arbeitshaus bei der damaligen St. Crucis-Kirche gegründet, wo junge Männer und Frauen Kammwolle für ein paar Unternehmer herstellen mußten.

Drei Winter, vier Sommer, drei Äpfel am Baum
Jetzt komm' ich zu mei'm Schatz aus dem Arbeitshaus heim
Vom Spinnrad, vom Spinnrad, vom Spinnrad, trira
vom Spinnrad, vom Spinnrad, vom Spinnrad, halt's an

Jetzt hat mich mein Vater ins Arbeitshaus gegeben
das wegen meinem lustigen und liederlichen Leben
Zum Spinnrad...

Drunten im Arbeitshaus im extra Zimmer
da tun die schönen Mädchen die Baumwolle spinnen

Die Göttinger Mädchen, die sind auch so rar
sie betteln das Brot und krausen das Haar

Ein Kreuzer, ein Kreuzer, ist um und um rund
Mein Schatz sitzt drunten, spinnt anderthalb Pfund

Spinnen brav Baumwoll und spinnen brav Seide
du kannst noch drei Jahre im Arbeitshaus bleiben

Drei Jahre im Arbeitshaus und achtzehn Jahre alt
jetzt bitt' ich Herr Verwalter, entlassen Sie mich bald !

 

 

Sie geben einem fast keinen Lohn....1867 Schweiz

Altes Weberlied aus dem Toggenburgischen, Kanton St.Gallen, Abgedruckt in Alpenrosen 1867, S.206 Nach Steinitz, I, S. 264

Die Fabrikante z'Dideldum
Die mänet beschädeli wol
Si beschaut's Stückli um und um
Und gend eim fast kei Lo

Der Weber hockt of em Ofebank
Und passet of de Lo
Er hebet bedi Händeli uf
Und springt gad met davo

Und wo-n-er-do vor's Hus hi chunt
Do zellt er no si Gelt
Do ist e nützigs Lüftli cho
Und streut's ihm in die Welt

 

 

Das Blutsgericht

In Peterswaldau verbreitet. In den Prozeßakten über den Weberaufstand 1844 in den Kreisen Reichenbach, Schweidnitz und Waldenburg heißt es:
"Am Abend des 3ten Juni zogen ungefähr 20 Personen bei den Gebäuden der Kaufleute Zwanziger vorbei und sangen ein Spottlied auf die genannten Kaufleute; es entstand hierdurch Lärm und der Gerichtsmann Wagner verhaftete einen Theilnehmer, den Webergesellen Wilhelm Maeder und brachte ihn in das Polizeigefängnis. Das abgesungene Gedicht wurde ebenfalls ergriffen." (Steinitz), noch um 1918 bekannt im Eulengebirge

Hier im Ort ist ein Gericht, viel schlimmer als die Vehme
wo man nicht erst ein Urtheil spricht, das Leben schenn zu nehmen
Hier wird der Mensch langsam gequält, hier ist die Folterkammer
hier werden Seufzer viel gezählt als Zeuge von dem Jammer

Hier Herren Zwanziger die Henker sind, die Diener ihre Schergen
davon ein jeder tapfer schindt, anstatt was zu verbergen
Ihr Schurken all, ihr Satansbrut, ihr höllischen Dämone
ihr freßt den Armen Hab und Gut, und Fluch wird Euch zum Lohne

Ihr seyd die Quelle aller Noth, die hier den Armen drücket
Ihr seyd´s, die ihm das trockene Brot noch vor dem Mund wegrücket
Kömmt nun ein armer Weber an, die Arbeit wird besehen
findt sich der kleinste Fehler dran, so ist`s um Euch geschehen

Erhält er dann den kargen Lohn wird ihm noch abgezogen
zeigt ihm die Thür, und Spott und Hohn kommt ihm noch nachgeflogen
Hier hilft kein Bitten und kein Flehn, umsonst ist alles Klagen
gefällt’s euch nicht, so könnt ihr geh’n, am Hungertuche nagen

Nun denke man sich diese Noth und Elend solcher Armen
zu Hause oft kein Bissen Brodt, ist das nicht zum Erbarmen ?
Erbarmen, ha! Ein schön Gefühl, euch Kannibalen fremde,
und jedes kennt schon Euer Ziel, der Armen Haut und Hemde

O, Euer Geld und Euer Gut, das wird dereinst vergehen
wie Butter an der Sonne Gluth ,wie wird`s dann um Euch stehen
Wenn ihr dereinst nach dieser Zeit, nach diesem Freudenleben
Dort, dort in jener Ewigkeit, sollt Rechenschaft abgeben

Doch ha, sie glauben keinen Gott noch weder Hölle, Himmel,
Religion ist nur ihr Spott, hält sich an´s Weltgetümmel.
Ihr fangt stets an zu jeder Zeit, den Lohn herabzubringen
und andere Schurken sind bereit, dem Beispiel nachzuringen

Der Reihe nach folgt Fellmann jetzt, ganz frech ohn alle Bande
bei ihm ist auch herabgesetzt, das Lohn zur wahren Schande
Die Gebrüder Hoferichter hier, was soll ich von ihn´n sagen
geschindet wird hier nach Willkühr, dem Reichtum nachzujagen

Und hat ja Einer noch den Muth, die Wahrheit Euch zu sagen
so kommt´s soweit, es kostet Blut, und den will man verklagen
Herr Kamlot, Langer genannt, der wird dabei nicht fehlen
Einem jeden ist es wohlbekannt, viel Lohn mag er nicht zählen

Von Euch wird für ein Lumpengeld die Ware hingeschmissen
was Euch dann zum Gewinne fehlt, wird Armen abgerissen
Sind ja noch welche, die der Schmerz der armen Leut beweget
in deren Busen noch ein Herz voll mitgefühle schläget

Die müssen von der Zeit gedrängt auch in das Gleis einlenken
und Eurer Beispiel eingedenk sich in den Lohn einschränken
Ich frage: Wem ist’s wohlbekannt, wer sah vor zwanzig Jahren
den übermüthgen Fabrikant in Staatskarossen fahren?

Sah man wohl dort zu jener Zeit Paläste hocherbauen
Mit Thüren, Fenstern prächtig weit, fast fürstlich anzuschauen.
Wer traf wohl da Hauslehrer an, bei einem Fabrikanten
Mit Livreen Kutscher angetan, Domestiken, Gouvernanten ?

 

  MARTHA 1927

Der Textilarbeiter, Nummer 13, 1.4.1927

Obgleich sie starke Wehen durchzuckten schon wie Flammen
hielt sie doch aufrecht, bleich und stumm am Webstuhl aus.
Und als die Arbeit schloß, lief eilig sie nach Haus
beim scharfen Nord und brach an ihrer Tür zusammen.

Sie stöhnt und wimmerte, und als der Morgen wieder
heraufdämmerte bleich, da kam das arme Weib
aufschreiend wie ein Tier, dem man zerriß den Leib
mit einem toten Kind in bitteren Qualen nieder

Daß ihre Augen nicht den Jammer mehr erschauen
nahm man stillschweigend ihr den kleinen Leichnam fort
Drei Tage lag sie dann noch auf dem Kissen dort;
das starre Angesicht schien wie aus Stein gehauen

allein am vierten Tag - des Nordwinds eis´ges Wehen
hat noch nicht aufgehört - da rafft sie sich empor,
und totenblaß, als ob sie alles Blut verlor...
... so sah man sie zerstört zurück zum Webstuhl gehen.

Unbekannter Autor