Im März kam der Putsch von rechts unter
Kapp und von Lüttwitz. Schon am Tage vorher war die Voßstraße
vor der Gesandtschaft gegen die Budapester Straße mit einem fünf
Meter tiefen Stacheldrahtverhau abgesperrt. Am 13. März früh um
7.30 Uhr wurde ich telefonisch aus Dresden vom Ministerpräsidenten
angerufen: ob sich bestätige, dass die Reichsregierung flüchtig
sei und die Deutschnationalen die Herrschaft an sich gerissen
haben?
Die in Automobilen flüchtende Regierung,
mit Ebert an der Spitze, hatte nämlich die Landesregierung
telegraphisch benachrichtigt. Ich konnte nur antworten, dass ich
eben aus dem Bett käme, die Straße mit ihrem Drahtverhau und den
Stahlhelmen dahinter unverändert ausschaue und ich mich sofort
informieren werde. Im Hausflur konnte ich bereits feststellen, dass
die Besatzung in der Nacht gewechselt hatte. Es waren Lüttwitzleute,
die jetzt in Flur und Hof lagen und den Kaffee genossen, mit dem
meine Frau jede Besatzung reichlich bedachte. Zur Tür hinaus
tretend stieß ich mit dem Badischen Gesandten Nießer und ein Stück
weiter mit dem Bayerischen Gesandten von Preger zusammen. Beiden
war genau dasselbe passiert wie mir; ihre Regierungen hatten sie
angerufen und völlig ahnungslos befunden. Im nächsten Moment
gesellte sich der Reichsjustizminister Schiffer (Jude, aber einer
der feinsten Köpfe im Kabinett) zu uns.
Das Kabinett war in der Tat früh um 4 Uhr
nach Dresden flüchtig geworden und hatte ihn als einzigen
Minister in der Hauptstadt zurückgelassen. Wir verabredeten mit
ihm eine Reichsratssitzung noch am Vormittag und setzten unseren
Weg in die Reichskanzlei fort. Hier war mächtiger Betrieb.
Offiziere mit Mappen sausten hin und her. Zu Kapp vorzudringen
erwies sich als unmöglich. Aber seinen Stellvertreter konnten wir
zwischen Tür und Angel stellen. Unsere erste Frage, ob ein
Reichs- und Preußisches Kabinett gebildet sei, verneinte er. Es
war noch gar nichts geschehen. Auch für die nötigen sonstigen
Umstellungen war nicht gesorgt.
Als wir wieder auf der Straße waren,
blieben wir stehen und sagten wie aus einem Mund: "Die Sache
ist nichts! Sie ist in unfähigen Händen! Da kann man nicht
mitgehen!” Gegen Mittag war eine Reichsratssitzung unter Vorsitz
des Reichsministers Schiffer im Reichstagsgebäude. Selbstverständlich
hätte sie Kapp sofort sprengen und alle Teilnehmer verhaften müssen.
Aber nichts dergleichen geschah. Wir beschlossen, bis auf Weiteres
zur Besprechung der Lage vor- und nachmittags in unserem
Sitzungssaale zusammenzukommen.
Die Reichsregierung rief mich
verschiedentlich von Dresden und dann von Stuttgart an, ebenso wie
der irgendwo in Berlin versteckte Staatssekretär des Reichspräsidenten,
Dr. Albert. Die Kappleute bekamen davon Wind und sperrten mir das
Telefon, vergaßen aber, dass ich in der zweiten Etage noch einen Anschluss
mit anderer Nummer hatte. Abends um 8 Uhr - ich saß mit meiner
Familie beim Abendbrot - kam Geheimrat Poetzsch herauf und
meldete, dass ein Oberleutnant mit acht Mann von der Lüttwitztruppe
mich zu sprechen und die Durchsuchung der Gesandtschaft verlange.
Er habe bereits vergeblich gegen die Verletzung der
Exterritorialität des Hauses protestiert.
Die Leute kamen herauf. Der Oberleutnant,
ein höflicher und sicher auftretender junger Mann, brachte im
Auftrage des Generals von Lüttwitz hervor: Es sei festgestellt
worden, dass der Reichsinnenminister Erich Koch aus der
Gesandtschaft mit der flüchtigen bisherigen Regierung telefonisch
gesprochen habe. Daraus gehe hervor, dass sich Koch im Hause
befinde. Er habe den Auftrag, alle Räume zu durchsuchen und Koch
zu verhaften.
Ich protestierte nochmals gegen die
Verletzung der Befriedung der Gesandtschaft; er erwiderte, er sei
ein Offizier, der den Befehl eines Vorgesetzten ausführe, und müsse
die Verantwortung seinem Chef überlassen. Dann ging er, während
ich von den Soldaten konfiniert wurde, mit meiner Frau als Führerin
durch das Haus; natürlich ohne Erfolg. Reichsminister Koch war ja
mit den anderen Herren des Kabinetts abgerückt, und ich war es,
der telefoniert hatte. Der Oberleutnant bat wegen des zu
erstattenden Rapports um meinen Namen. Ich sagte so schlicht als möglich:
"Ich bin der Gesandte Koch”. Er entschuldigte sich wegen
der Störung sehr artig und marschierte mit seinen Leuten ab.
Nachdem wir uns von unserer Heiterkeit
erholt hatten, ließ ich doch ein Köfferchen mit Bücher, Decken
und Wäsche packen, denn es war wahrscheinlich, dass die
Patrouille noch einmal kam, um mich abzuholen. Es geschah aber
nichts weiter, sei es, dass die Kombinationsgabe der mit der Sache
Befassten zu schwach war, sei es, dass sie, was ich eher glaube,
Bedenken trugen, sich an einem Ländervertreter zu vergreifen.
Ich wurde nach Stuttgart zur Reichsregierung
beordert, da aber wieder einmal aller Verkehr eingestellt war,
konnte ich dem Befehle nicht nachkommen. Die Stadt war nachts
infolge des proklamierten Generalstreiks ohne Licht; nur das
sogenannte Regierungsviertel zwischen Voßstraße, Wilhelmstraße,
Unter den Linden und Budapester Straße war, da es eigenen
Zentrale hatte, beleuchtet. Wir mussten aber die Fenster sorgfältig
abblenden und abdichten, da auf erleuchtete Fenster geschossen
wurde.
Überhaupt knallte es Tag und Nacht um unser
Haus, so dass wir die Möbel tunlichst aus der Schusslinie rückten.
Es kam öfter am Tage vor, dass vom Potsdamer Platz der Ruf
"Straße frei” ertönte. Es war amüsant, zu sehen, wie
dann die zahlreichen Passanten wie die Mäuse in die Hauseingänge
strömten. Die Kugeln der Maschinengewehre machten in der
Budapester Straße üble Querschläger. Wenn das Rattern der
Maschinengewehre verstummte, wagten sich die Leute allmählich
wieder aus den Häusern, und 10 Minuten später flutete der
Verkehr wiederum, als ob nichts vorgefallen wäre.
Die Herren der Gesandtschaft, die von
Lüttwitz besondere Pässe zum Passieren des Drahtverhaus erhalten
hatten, gingen, von Deckung zu Deckung an den Häusern hinlaufend,
unter Lebensgefahr auf das Amt. Ich selbst kam, als die
Baltikumtruppen aus der Stadt durch das Brandenburger Tor zogen,
in eine böse Schießerei, bei der ich die Gewehrkugeln um mich
herum pfeifen hörte.
Trotz alledem hielten wir unsere Sitzungen
zwei- bis dreimal am Tage im Reichstagsgebäude aufrecht. Die
Staatssekretäre der Preußischen Regierung berieten dort mit dem
Reichsrat. Die von Kapp ernannten Minister, z.B. von Jagow im
Innenministerium und von Wangenheim im Landwirtschaftsministerium,
fanden entweder leere Ministerien oder Beamte, die ihnen den
Gehorsam verweigerten. So endete der zwecklose, weil mit
unzureichenden Mitteln und ohne die nötige Umsicht unternommene
Putsch am 17. März mit dem Rücktritt Kapps und Lüttwitz'. Der
Reichskanzler Bauer kehrte am 20. März zurück.
Aufgabe:
Welche Position bezieht der Autor zum Putsch an sich? Warum lehnt
er ihn ab? Würden Sie diesen Staatsekretär weiter beschäftigen?
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