Kapp-Putsch 1920

  Wolfgang Kapp und der General von Lüttwitz putschten 1920 gegen die Reichsregierung. Nach der Besetzung Berlins durch die Freicorpsbrigade Ehrhardt   floh die Regierung nach Dresden und Stuttgart. Nach anfänglichen Erfolgen scheiterten die Kappisten dann sowohl am Generalstreik der Arbeiterschaft als auch an der ablehnenden Haltung des Generals von Seeckt. Dieser war zwar nicht bereit den Putschisten entgegenzutreten, aber er tat auch nichts für sie. Die Reichswehr blieb passiv "Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr". Die Reichsbank verweigerte den Putschisten den Zugriff auf Staatsgelder. Ohne Beamte, ohne Arbeiter und ohne Geld brach der Putsch in sich zusammen, ohne dass jemand etwas ernstlich gegen die Putschisten unternommen hätte.  Der Putsch, der auch auf andere Städte übergegriffen hatte, brach zusammen. Zusammenhang
Kapp und Lüttwitz flohen am 17. März; Kapp stellte sich 1922 und starb in Untersuchungshaft. Strafen wurde sehr milde ausgesprochen. Folgen des Kapp-Putsches waren u.a. Regierungsumbildungen im Reich und in Preußen sowie der Aufstand im Ruhrgebiet.

 

Erinnerungen von Walter Koch (* 1870)
aus Dresden, Gesandter von Sachsen in Berlin, (DHM-Bestand):
 

Im März kam der Putsch von rechts unter Kapp und von Lüttwitz. Schon am Tage vorher war die Voßstraße vor der Gesandtschaft gegen die Budapester Straße mit einem fünf Meter tiefen Stacheldrahtverhau abgesperrt. Am 13. März früh um 7.30 Uhr wurde ich telefonisch aus Dresden vom Ministerpräsidenten angerufen: ob sich bestätige, dass die Reichsregierung flüchtig sei und die Deutschnationalen die Herrschaft an sich gerissen haben?

Die in Automobilen flüchtende Regierung, mit Ebert an der Spitze, hatte nämlich die Landesregierung telegraphisch benachrichtigt. Ich konnte nur antworten, dass ich eben aus dem Bett käme, die Straße mit ihrem Drahtverhau und den Stahlhelmen dahinter unverändert ausschaue und ich mich sofort informieren werde. Im Hausflur konnte ich bereits feststellen, dass die Besatzung in der Nacht gewechselt hatte. Es waren Lüttwitzleute, die jetzt in Flur und Hof lagen und den Kaffee genossen, mit dem meine Frau jede Besatzung reichlich bedachte. Zur Tür hinaus tretend stieß ich mit dem Badischen Gesandten Nießer und ein Stück weiter mit dem Bayerischen Gesandten von Preger zusammen. Beiden war genau dasselbe passiert wie mir; ihre Regierungen hatten sie angerufen und völlig ahnungslos befunden. Im nächsten Moment gesellte sich der Reichsjustizminister Schiffer (Jude, aber einer der feinsten Köpfe im Kabinett) zu uns.

Das Kabinett war in der Tat früh um 4 Uhr nach Dresden flüchtig geworden und hatte ihn als einzigen Minister in der Hauptstadt zurückgelassen. Wir verabredeten mit ihm eine Reichsratssitzung noch am Vormittag und setzten unseren Weg in die Reichskanzlei fort. Hier war mächtiger Betrieb. Offiziere mit Mappen sausten hin und her. Zu Kapp vorzudringen erwies sich als unmöglich. Aber seinen Stellvertreter konnten wir zwischen Tür und Angel stellen. Unsere erste Frage, ob ein Reichs- und Preußisches Kabinett gebildet sei, verneinte er. Es war noch gar nichts geschehen. Auch für die nötigen sonstigen Umstellungen war nicht gesorgt.

Als wir wieder auf der Straße waren, blieben wir stehen und sagten wie aus einem Mund: "Die Sache ist nichts! Sie ist in unfähigen Händen! Da kann man nicht mitgehen!” Gegen Mittag war eine Reichsratssitzung unter Vorsitz des Reichsministers Schiffer im Reichstagsgebäude. Selbstverständlich hätte sie Kapp sofort sprengen und alle Teilnehmer verhaften müssen. Aber nichts dergleichen geschah. Wir beschlossen, bis auf Weiteres zur Besprechung der Lage vor- und nachmittags in unserem Sitzungssaale zusammenzukommen.

 Die Reichsregierung rief mich verschiedentlich von Dresden und dann von Stuttgart an, ebenso wie der irgendwo in Berlin versteckte Staatssekretär des Reichspräsidenten, Dr. Albert. Die Kappleute bekamen davon Wind und sperrten mir das Telefon, vergaßen aber, dass ich in der zweiten Etage noch einen Anschluss mit anderer Nummer hatte. Abends um 8 Uhr - ich saß mit meiner Familie beim Abendbrot - kam Geheimrat Poetzsch herauf und meldete, dass ein Oberleutnant mit acht Mann von der Lüttwitztruppe mich zu sprechen und die Durchsuchung der Gesandtschaft verlange. Er habe bereits vergeblich gegen die Verletzung der Exterritorialität des Hauses protestiert.

Die Leute kamen herauf. Der Oberleutnant, ein höflicher und sicher auftretender junger Mann, brachte im Auftrage des Generals von Lüttwitz hervor: Es sei festgestellt worden, dass der Reichsinnenminister Erich Koch aus der Gesandtschaft mit der flüchtigen bisherigen Regierung telefonisch gesprochen habe. Daraus gehe hervor, dass sich Koch im Hause befinde. Er habe den Auftrag, alle Räume zu durchsuchen und Koch zu verhaften.

Ich protestierte nochmals gegen die Verletzung der Befriedung der Gesandtschaft; er erwiderte, er sei ein Offizier, der den Befehl eines Vorgesetzten ausführe, und müsse die Verantwortung seinem Chef überlassen. Dann ging er, während ich von den Soldaten konfiniert wurde, mit meiner Frau als Führerin durch das Haus; natürlich ohne Erfolg. Reichsminister Koch war ja mit den anderen Herren des Kabinetts abgerückt, und ich war es, der telefoniert hatte. Der Oberleutnant bat wegen des zu erstattenden Rapports um meinen Namen. Ich sagte so schlicht als möglich: "Ich bin der Gesandte Koch”. Er entschuldigte sich wegen der Störung sehr artig und marschierte mit seinen Leuten ab.

 Nachdem wir uns von unserer Heiterkeit erholt hatten, ließ ich doch ein Köfferchen mit Bücher, Decken und Wäsche packen, denn es war wahrscheinlich, dass die Patrouille noch einmal kam, um mich abzuholen. Es geschah aber nichts weiter, sei es, dass die Kombinationsgabe der mit der Sache Befassten zu schwach war, sei es, dass sie, was ich eher glaube, Bedenken trugen, sich an einem Ländervertreter zu vergreifen.

Ich wurde nach Stuttgart zur Reichsregierung beordert, da aber wieder einmal aller Verkehr eingestellt war, konnte ich dem Befehle nicht nachkommen. Die Stadt war nachts infolge des proklamierten Generalstreiks ohne Licht; nur das sogenannte Regierungsviertel zwischen Voßstraße, Wilhelmstraße, Unter den Linden und Budapester Straße war, da es eigenen Zentrale hatte, beleuchtet. Wir mussten aber die Fenster sorgfältig abblenden und abdichten, da auf erleuchtete Fenster geschossen wurde.

Überhaupt knallte es Tag und Nacht um unser Haus, so dass wir die Möbel tunlichst aus der Schusslinie rückten. Es kam öfter am Tage vor, dass vom Potsdamer Platz der Ruf "Straße frei” ertönte. Es war amüsant, zu sehen, wie dann die zahlreichen Passanten wie die Mäuse in die Hauseingänge strömten. Die Kugeln der Maschinengewehre machten in der Budapester Straße üble Querschläger. Wenn das Rattern der Maschinengewehre verstummte, wagten sich die Leute allmählich wieder aus den Häusern, und 10 Minuten später flutete der Verkehr wiederum, als ob nichts vorgefallen wäre.

 Die Herren der Gesandtschaft, die von Lüttwitz besondere Pässe zum Passieren des Drahtverhaus erhalten hatten, gingen, von Deckung zu Deckung an den Häusern hinlaufend, unter Lebensgefahr auf das Amt. Ich selbst kam, als die Baltikumtruppen aus der Stadt durch das Brandenburger Tor zogen, in eine böse Schießerei, bei der ich die Gewehrkugeln um mich herum pfeifen hörte.

Trotz alledem hielten wir unsere Sitzungen zwei- bis dreimal am Tage im Reichstagsgebäude aufrecht. Die Staatssekretäre der Preußischen Regierung berieten dort mit dem Reichsrat. Die von Kapp ernannten Minister, z.B. von Jagow im Innenministerium und von Wangenheim im Landwirtschaftsministerium, fanden entweder leere Ministerien oder Beamte, die ihnen den Gehorsam verweigerten. So endete der zwecklose, weil mit unzureichenden Mitteln und ohne die nötige Umsicht unternommene Putsch am 17. März mit dem Rücktritt Kapps und Lüttwitz'. Der Reichskanzler Bauer kehrte am 20. März zurück.

Aufgabe: 
Welche Position bezieht der Autor zum Putsch an sich? Warum lehnt er ihn ab? Würden Sie diesen Staatsekretär weiter beschäftigen?