Eugen Richter

zur Kolonialpolitik Deutschlands 1898

zitiert nach: http://www.nineties.com/eugen-richter/index.html 

  Kolonialpolitik. Eine Kolonialpolitik Deutschlands datiert erst vom 24. April 1884, als Fürst Bismarck England gegenüber ein Hoheitsrecht des Deutschen Reiches über die Niederlassung eines Herrn Lüderitz in Angra=Pequena in Südwestafrika in Anspruch nahm. Vordem hat das deutsche Reich niemals Hoheitsrechte in überseeischen Gebietsteilen in Anspruch genommen. Seit Jahrhunderten aber haben deutsche Kolonien ohne Hoheitsrechte deutscher Staaten über dieselben in allen Teilen der Welt bestanden zum Zwecke des Ackerbaus, des  Gewerbebetriebs und des Betriebs von Handelsgeschäften. Nichts ist darum willkürlicher, als zu behaupten, daß vor der Einleitung der neuen Kolonialpolitik die Deutschen der Meinung gehuldigt hätten, wie man sich ausdrückt, daheim hinter dem Ofen zu hocken oder, wie es Fürst Bismarck bezeichnete, auf den Thüringer Bergen zusammensitzen und dem Meere den Rücken zuzukehren.

Jene freien Kolonien der Deutschen im Auslande haben der heimischen Industrie neue Absatzquellen zugeführt und dafür Deutschland die Erzeugnisse fremder Länder zugänglich gemacht. 3592 deutsche Seeschiffe vermitteln den Handel in allen Meeren der Welt und halten dort, wo Deutsche sich im Auslande befinden, auch direkte Verbindungen mit der Heimat aufrecht. Auch abgesehen von wirtschaftlichen Verhältnissen bewegt unser nationales Leben kein irgendwie bedeutsames Ereignis, an welchem nicht die Deutschen im Auslande den lebhaftesten Anteil nehmen.

Bei der neuen Kolonialpolitik handelt dagegen handelte es sich nicht um Kolonien dieser Art, sondern um die Erwerbung von Hoheitsrechten in überseeischen Gebietsteilen für das Deutsche Reich. Nachdem 1884 in Südwestafrika im Frühjahr, in Kamerun und im Togoland im Sommer die deutsche Flagge gehisst war, fanden zu Ende des Jahres 1884 die Flaggenhissungen in der Südsee, auf Neuguinea und in dem Neubritanniainsel=Archipel statt. Ebenfalls im Winter 1884/85 hißte eine Expedition im Hinterland der ostafrikanischen Küste, gegenüber der Insel Sansibar, die deutsche Flagge. Zuletzt wurden in der Südsee noch die Marschallinseln und die Salomonsinseln als deutsche Kolonialgebiete erworben.

Die 1884 eingeleitete Kolonialpolitik hat dem deutschen Volke bis jetzt ca. 100 Millionen M. Kosten verursacht, einer erheblichen Anzahl von deutschen Offizieren und Beamten das Leben gekostet, Streitigkeiten mit anderen Kolonialstaaten veranlaßt, das Ansehen Deutschlands durch das Verhalten deutscher Beamten in den Kolonien geschädigt, ohne daß der Zweck einer Kolonialpolitik, wirtschaftliche Vorteile aus dem Kolonialbesitz zu ziehen und Deutschen Gelegenheit zu geben, unter dem Schutze des Reiches sich in den Kolonien anzusiedeln, auch nur in irgend nennenswertem Maße erreicht worden wäre. Auch für eine irgendwie absehbare Zukunft ist dergleichen nicht zu erwarten. Was in überseeischen Gebieten sich irgendwie für den Kolonialbesitz eignete, ist längst vor 1884 durch andere Kolonialstaaten in Besitz genommen worden.

Nach der amtlichen Statistik umfassen die vorbezeichneten Schutzgebiete des deutschen Reiches einen Flächenraum von 2 641 000 Quadratkilometer. Das ist der fünffache Umfang des deutschen Reiches. -- Die Zahl der in diesen Schutzgebieten sich aufhaltenden Deutschen beträgt nur ca. 1800. Das ist also noch nicht ein Deutscher auf 1000 Quadratkilometer. Auch die Zahl der Europäer insgesamt einschl. der Deutschen ist nur auf 3700 anzunehmen. Unter den 1803 Deutschen entfallen mehr als die Hälfte, nämlich 937, auf die bei den dort unterhaltenen Schutztruppen befindlichen Deutschen. Dazu kommen die auf Reichskosten daselbst unterhaltenen zahlreichen Beamten. Unter den wenigen Hundert Deutschen von selbständigem Erwerb befinden sich auch alle diejenigen, welchen ihren Unterhalt von Dienstleistungen und Handelsgeschäften bei den Schutztruppen beziehen, außerdem die Missionare und eine geringe Anzahl von Deutschen in Faktoreien und auf Plantagen.

Der Wert der Einfuhr aus sämtlichen Schutzgebieten in den deutschen Zollverein betrug 1896  4 605 000 Mk., der Wert der Ausfuhr in die deutschen Schutzgebiete belief sich auf 6 743 000 Mk. Der gesamte Handelsverkehr Deutschlands mit den Schutzgebieten hatte also nur einen Wert von 11 348 000 Mk. und erreichte damit noch nicht denjenigen Betrag der Kosten, welche die Schutzgebiete der deutschen Reichskasse und den deutschen Steuerzahlern verursachen. Auch der Wert des gesamten Handelsverkehrs in die deutschen Schutzgebiete und aus denselben einschließlich des Handels der Schutzgebiete mit anderen Ländern belief sich 1895 nur auf 26 014 000 Mk.

Von der deutschen Ausfuhr nach den Schutzgebieten mit insgesamt 6 743 000 Mk. entfielen 1 232 000 Mk. auf geistige Getränke teils für die deutschen Schutztruppen und Beamten, teils in Westafrika (Branntwein) für die Eingeborenen. Auch sonst bestand ein Hauptteil der Ausfuhr in Artikeln, welche für die deutsche Verwaltung in den Schutzgebieten in Deutschland beschafft worden sind. Unter der Einfuhr nach Deutschland im Werte von 4 605 000 Mk. befinden sich für 3 666 000 Mk. Palmkerne, Kopra, Kautschuk, Guttapercha, sowie Kokusnußöl. Kolonialwaren wie Kaffee, Kakao und Tabak sind darunter nur im Werte von insgesamt 492 000 Mk. vertreten.

Die Aufwendungen des Reiches für die Schutzgebiete haben sich fortgesetzt gesteigert. Die Zuschüsse des Reiches beliefen sich nach dem Etat von 1897/89 für Kamerun auf 690 000 Mk. und Deutsch=Südwestafrika auf 3 015 000 Mk., für Deutsch=Ostafrika auf 4 339 000 Mk. Zu diesen Baarzuschüssen sind zuzurechnen die Zuschüsse für die Ostafrikanische Dampferlinie und für die Zweiglinie derselben Singapora=Neuguinea mit zusammen 1 160 975 M. Dazu kommen die Zuschüsse im Ressort des Reichspostamtes einschließlich der Mieten für die Kabel in Kamerun und Ostafrika nach den Istausgaben für 1895/96 mit 466 762 Mk., die Indiensthaltungskosten für mehrere Stationen der Marine an der Ost= und Westküste Afrikas und in der Südsee, nach den Ausgaben für 1895/96 mit 1 547 883 Mk. Nach den Istausgaben 1895/96 im Etat des Auswärtigen Amts sind an Gehältern und sonstigen Kosten für Beamten in den Schutzgebieten ausgeworfen 430 820 Mk. Die sonstigen Kosten des Reichsschatzamtes und des Rechnungshofes werden auf rund 39 000 Mark berechnet.

Hiernach  erreichen die Gesamtkosten des Reiches für die Schutzgebiete schon gegenwärtig 11 689 000 Mk. Jetzt will man auch noch dazu übergehen, mit Reichsgarantie oder auf Reichskosten Eisenbahnen in den Schutzgebieten zu bauen. Bereits ist im Sommer 1897 ohne Ermächtigung des Reichstages auf Reichsrechnung der Bau einer Eisenbahn in Südwestafrika in Angriff genommen worden.

Für die Ansiedlung von Deutschen insbesondere sind die Schutzgebiete ungeeignet, weil in allen in den Tropen gelegenen Kolonien Deutsche körperliche Arbeit nicht verrichten können. Nur Deutsch=Südwestafrika ist außerhalb der Tropen gelegen. Irgend eine erhebliche Kultivirung in Südwestafrika aber ist wegen Mangel an Wasser und Holz unmöglich, ganz abgesehen von der Gefährdung der Niederlassungen durch die räuberischen Hottentotten. Alle Versuche, Niederlassungen von Deutschen in Südwestafrika herbeizuführen, sind über einen bedeutungslosen Umfang nicht hinausgekommen.

Die Frage, wie weit Deutsche in den Tropengebieten durch Andere für sich den Boden in Plantagenwirtschaften bearbeiten lassen können, hat auch nirgend eine befriedigende Lösung gefunden. Denn die Eingeborenen eignen sich zu solchen Arbeiten fast nirgend. Selbst die einfachen Hilfsdienste auf den Handelsniederlassungen müssen vielfach durch Angeworbene aus anderen Territorien, z. B. in Kamerun durch Kruneger, in Neuguinea durch Malayen, verrichtet werden. Mit der Auswanderungsfrage hat daher die jetzige Kolonialpolitik nichts gemein. Im günstigsten Falle vermögen die gesamten Kolonien für absehbare Zeit nur einigen Hundert Kommis, Militärpersonen und Beamten Stellungen zu verschaffen. Solche Personen beziehen aber das höheree Gehalt nur unter einer schweren Gefährdung ihrer Gesundheit. Daß sämtliche Küstengegenden, auf welche der Handel naturgemäß zunächst angewiesen ist, Brutstätten des Fiebers, mit Ausnahme von Südwestafrika sind, wird nicht mehr bestritten und ist auch bereits durch schmerzliche Opfer dargethan. Die gesunderen Höhenlagen binnenwärts, auf welche hingewiesen wird, sind noch nicht aufgefunden. Ueber zwei oder drei Jahre hinaus vermag nach allgemeiner Annahme ohne längere Unterbrechung kein Deutscher in jenen Gegenden es auszuhalten. Für Kinder und weibliche Personen deutscher Abkunft ist das Klima dort gänzlich ungeeignet. Demnach stößt auch schon das bloße Handelsgeschäft in jenen Kolonien auf große Schwierigkeiten. Es ist deshalb der Ausspruch vollständig zutreffend, daß, wo es in den Schutzgebieten fruchtbar ist, wie in den Tropen, es nicht gesund ist, und dort, wo, wie in Südwestafrika, es gesund ist, die Fruchtbarkeit fehlt. In Südwestafrika fehlt auch für eine dort allein mögliche Viehzucht das entsprechende Absatzgebiet. Auch wird neuerlich die Viehzucht durch die Rinderpest geschädigt. In Westafrika leidet der Handel noch besonders darunter, daß die Hauptausfuhrartikel Palmkerne, Kopra, Kautschuk, Guttapercha, Palmöl und Kokosnüsse im Preise zurückgegangen sind. Der Hauptausfuhrartikel von Ostafrika, das Elfenbein, nimmt ab nicht bloß durch Preisrückgang, sondern auch durch Verminderung der Elefanten und der älteren Elfenbeinbestände im Innern von Afrika. Auch haben die Nachbarländer, der Kongostaat, Britisch=Centalafrika, Uganda und Britisch=Ostafrika, das Bestreben, das Elfenbein nach ihren Ausfuhrplätzen zu ziehen. Dem Plantagenbau in Ostafrika steht aber abgesehen von dem Mangel an geeigneten Arbeitskräften auch die ungenügende Bewässerung während der trockenen Jahreszeit entgegen. Im Jahre 1894 wurde dort die Ernte von ganzen Landstrichen durch die Heuschrecken vernichtet und machte die dadurch entstandene Hungersnot außerordentliche Unterstützung aus der Reichskasse erforderlich. Was an Kaffee, Tabak und Kakao aus den deutschen Schutzgebieten bisher nach Deutschland eingeführt worden ist, wurde zu sehr verschiedenen Preisen abgesetzt. Die Hauptfrage dabei, ob die erlangten Preise den Produktions= und Transportkosten entsprechen, ist dabei ungelöst geblieben.

Zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung auch nur in dem Bereich deutscher Ansiedlungen hat eine fortgesetzte Vermehrung der Schutztruppen stattfinden müssen, zuletzt in Südwestafrika. In Ostafrika sind fortwährend militärische Expeditionen bald gegen diesen, bald gegen jenen Stamm erforderlich, durch welchen der Karawanenhandel beeinträchtigt oder die deutschen Stationen gefährdet werden.

Allgemein wird geklagt, daß, wie es in dem Bericht der Hamburger Handelskammer für 1894 heißt, bei den Verwaltungen einerseits ein zu bureaukratischer, andererseits ein zu militärischer Geist vorherrscht, wodurch das Entstehen und die Entwickelung gesunder wirtschaftlicher Unternehmungen oft behindert wird. In den am Verkehr mit und in den Kolonien beteiligten Kreisen herrscht die Meinung, daß die Leistungen der Verwaltung zu den gemachten Aufwendungen nicht in dem richtigen Verhältnis stehen.

Fürst Bismarck betonte im Anfang seiner Kolonialpolitik am 28. Oktober 1885 im Reichstage: "Mein Ziel ist der regierende Kaufmann und nicht der regierene Bureaukrat in jenen Gebieten. Unsere geheimen Räte und versorgungsberechtigten Unteroffiziere sind ganz vortrefflich bei uns, aber dort in den kolonialen Gebieten erwarte ich von den Hanseaten, die draußen gewesen sind, mehr." Diese Form der Kolonialpolitik aber war schon bei dem Rücktritt des Fürsten Bismarck im März 1890 völlig gescheitert. Entweder lehnten die Kaufleute es ab, Gesellschaften zu bilden zur Uebernahme von Hoheitsrechten in den Schutzgebieten, oder die betreffenden Gesellschaften verzichteten alsbald auf die Ausübung solcher Hoheitsrechte. Nur die Neu=Guinea=Gesellschaft hat zuletzt noch Hoheitsrechte ausgeübt, welche indessen nunmehr auch auf Reichsbeamte übergehen sollen. Gerade die Kaufleute in den Hansestädten haben sich wenig oder gar nicht an Kolonialgesellschaften beteiligt.

Die Voraussagen des Abg. Bamberger bei der ersten Diskussion über Kolonialpolitik im Jahre 1884, daß, wenn eine solche Kolonialpolitik in einer gewissen Schützenfeststimmung gut geheißen werden sollte, dieselbe Deutschland zu schweren Verwicklungen führen, jedenfalls manchen empfindlichen Nasenstüber eintragen werde, haben sich nur zu sehr bewahrheitet.

In der Thronrede zur Eröffnung des Reichstages am 22. November 1888 wurde als Aufgabe des Reiches hingestellt, den afrikanischen Weltteil für die christliche Gesittung zu gewinnen. Wie weit entfernt die deutsche Verwaltung dieser Aufgabe ist, zeigt u. a. die Erfahrung mit deutschen Kolonialbeamten in den letzten Jahren. Es gehören dahin die Auspeitschungen von Frauen auf Anordnung des Kanzlers Leist, welche 1894 in Kamerun einen Aufstand der Dahomesoldaten zur Folge hatten, der unzüchtige Verkehr des Kanzlers Leist mit den seiner Aufsicht anvertrauten Pfandweibern. Im Jahre 1896 gelangten vor dem Disciplinargericht die Unthaten des Kanzlers Wehlan zur Feststellung, die Erpressung eines Geständnisses in der Untersuchung gegen Eingeborene durch Anwendung von Prügelstrafen, die Verhängung von Prügelstrafen gegen Eingeborene wegen Nichtbezahlung ihrer Privatschulden, sonstige Grausamkeiten gegen Gefangene bei militärischen Expeditionen. Nachdem kurz vorher der deutsche Kolonist Schröder vor einem Kolonialgericht in Deutschostafrika zuerst zu 15 Jahren Zuchthaus und dann in der Appellinstanz zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt worden war wegen seiner Frevelthaten gegen die Eingeborenen auf seiner Plantage, hat der Disciplinarhof für Kolonialbeamte am 15. November 1897 gegen den Reichskommissar Dr. Peters auf Dienstentlassung erkannt wegen Aufknüpfens seines Dieners, wobei ihm als Motiv geschlechtliche Beziehungen desselben zu seiner Konkubine nachgewiesen wurden, und wegen einer nachfolgenden Kette von Unmenschlichkeiten, welche zuletzt zur Hinrichtung seiner eigenen Konkubine führten.

Im Reichstage würden für die Kolonialpolitik Bewilligungen nicht in dem stattgehabten Umfange erfolgt sein, wenn nicht die Centrumspartei seit 1888 ihre Haltung zu Gunsten der Kolonialpolitik geändert hätte. Es war dies die Folge eines Aufrufs des Papstes zur Bekämpfung der Sklaverei in Afrika und der Agitation des Nordafrika domizilirten Kardinals Lavigerie. Sklaverei besteht aber in Deutschostafrika auch unter deutscher Flagge fort. Es hat die Vererbung, Vermietung, Verpfändung und Veräußerung von Sklaven keine Einschränkung erlitten. Die programmmäßige Bekämpfung der Sklaverei seitens der deutschen Kolonialpolitik beschränkt sich in der Hauptsache auf die Verhinderung der Ausfuhr von Sklaven über die Küste und auf die Befreiung von Sklaven, deren Transport im Innern gelegentlich den deutschen Expeditionen begegnet. Die Centrumspartei glaubt im Interesse der Missionsthätigkeit die für die Kolonialpolitik geforderten Millionen bewilligen zu müssen. Thatsächlich aber wird auch die Missionsthätigkeit vielfach gehemmt durch die Streitigkeiten und Kämpfe der deutschen Schutztruppen mit den Eingeborenen. Daß eine Behandlung der Eingeborenen seitens deutscher Beamten, wie sie sich aus den vorerwähnten Verhandlungen der Disciplinargerichte ergiebt, die Missionsthätigkeit nicht befördert, bedarf keiner weiteren Ausführung.

Deutschland hat sich seine Stellung in Europa durch Begrenzung seiner staatlichen Aufgaben und durch Vereinigung seiner Kräfte auf dieselben erworben. Die politischen Verhältnisse in Europa bergen schon genugsam Gefahren in ihrem Schoß. In seiner berühmten Rede vom 6. Februar 1888 zur Begründung der neuen Wehrvorlage sagte der Reichskanzler Fürst Bismarck: "Wir liegen mitten in Europa; wir haben mindestens drei Angriffsseiten, Frankreich hat nur die östliche, Rußland nur die westliche Grenze. Gott hat uns in eine Situation versetzt, in welcher wir durch unsere Nachbarn daran verhindert werden, irgendwie in Trägheit oder Versumpfung zu geraten. Die kriegerischste und unruhigste Nation, die Franzosen, sind uns an die Seite gesetzt. Gott hat in Rußland kriegerische Neigungen groß werden lassen. Von beiden Seiten lassen uns unsere Nachbarn die Sporen in unsern beiden Flanken fühlen. Zur Aufrechterhaltung seiner Stellung in Europa hat das deutsche Volk eine schwere Rüstung auf sich nehmen müssen!" -- Um so ungerechtfertigter ist es, Angesichts einer solchen politischen Lage eine überseeische Kolonialpolitik zu verfolgen, welche bisher nur ungünstige Ergebnisse erzielt hat und deren mögliche Vorteile in der Zukunft, selbst in denkbar günstigstem Falle in einem ganz ungeheuerlichen Mißverhältnis zu den Opfern und Gefahren stehen, welche diese Politik mit sich bringen muß. Jede Kräftezersplitterung des Reiches ist um so schädlicher, je größere und schwerere Aufgaben das deutsche Staatswesen auch noch im Innern Deutschlands zu erfüllen hat. Durch Erleichterung des Grunderwerbs für Arbeiter kann im Innern Deutschlands für die Volkswohlfahrt das Hundertfache von dem geleistet werden, was eine überseeische Politik bewirken kann, und zwar ohne irgend welche auswärtigen Gefahren und ohne erhebliche Opfer. Bevor man es sich zur Aufgabe stellt, die christliche Gesittung durch Reichsmittel in ferne Weltteile zu tragen, sollte man es sich angelegen sein lassen, christliche Moral und christliche Gesittung überall in den inneren Verhältnissen des Landes zur Geltung zu bringen, namentlich auch für solche Arbeiterverhältnisse, die noch wenig hiervon durchdrungen sind.