|
Kolonialpolitik. Eine
Kolonialpolitik Deutschlands datiert erst vom 24. April 1884, als
Fürst Bismarck England gegenüber ein Hoheitsrecht des Deutschen
Reiches über die Niederlassung eines Herrn Lüderitz in Angra=Pequena
in Südwestafrika in Anspruch nahm. Vordem hat das deutsche Reich
niemals Hoheitsrechte in überseeischen Gebietsteilen in Anspruch
genommen. Seit Jahrhunderten aber haben deutsche Kolonien ohne
Hoheitsrechte deutscher Staaten über dieselben in allen Teilen der
Welt bestanden zum Zwecke des Ackerbaus, des Gewerbebetriebs und
des Betriebs von Handelsgeschäften. Nichts ist darum willkürlicher,
als zu behaupten, daß vor der Einleitung der neuen Kolonialpolitik die
Deutschen der Meinung gehuldigt hätten, wie man sich ausdrückt, daheim
hinter dem Ofen zu hocken oder, wie es Fürst Bismarck bezeichnete, auf
den Thüringer Bergen zusammensitzen und dem Meere den Rücken
zuzukehren.
Jene freien Kolonien der Deutschen im Auslande
haben der heimischen Industrie neue Absatzquellen zugeführt und dafür
Deutschland die Erzeugnisse fremder Länder zugänglich gemacht. 3592
deutsche Seeschiffe vermitteln den Handel in allen Meeren der Welt und
halten dort, wo Deutsche sich im Auslande befinden, auch direkte
Verbindungen mit der Heimat aufrecht. Auch abgesehen von
wirtschaftlichen Verhältnissen bewegt unser nationales Leben kein
irgendwie bedeutsames Ereignis, an welchem nicht die Deutschen im
Auslande den lebhaftesten Anteil nehmen.
Bei der neuen Kolonialpolitik handelt dagegen
handelte es sich nicht um Kolonien dieser Art, sondern um die Erwerbung
von Hoheitsrechten in überseeischen Gebietsteilen für das Deutsche
Reich. Nachdem 1884 in Südwestafrika im Frühjahr, in Kamerun und im
Togoland im Sommer die deutsche Flagge gehisst war, fanden zu Ende des
Jahres 1884 die Flaggenhissungen in der Südsee, auf Neuguinea und in
dem Neubritanniainsel=Archipel statt. Ebenfalls im Winter 1884/85 hißte
eine Expedition im Hinterland der ostafrikanischen Küste, gegenüber
der Insel Sansibar, die deutsche Flagge. Zuletzt wurden in der Südsee
noch die Marschallinseln und die Salomonsinseln als deutsche
Kolonialgebiete erworben.
Die 1884 eingeleitete Kolonialpolitik hat dem
deutschen Volke bis jetzt ca. 100 Millionen M. Kosten
verursacht, einer erheblichen Anzahl von deutschen Offizieren und
Beamten das Leben gekostet, Streitigkeiten mit anderen Kolonialstaaten
veranlaßt, das Ansehen Deutschlands durch das Verhalten deutscher
Beamten in den Kolonien geschädigt, ohne daß der Zweck einer
Kolonialpolitik, wirtschaftliche Vorteile aus dem
Kolonialbesitz zu ziehen und Deutschen Gelegenheit zu geben, unter dem
Schutze des Reiches sich in den Kolonien anzusiedeln, auch nur in irgend
nennenswertem Maße erreicht worden wäre. Auch für eine irgendwie
absehbare Zukunft ist dergleichen nicht zu erwarten. Was in überseeischen
Gebieten sich irgendwie für den Kolonialbesitz eignete, ist längst vor
1884 durch andere Kolonialstaaten in Besitz genommen worden.
Nach der amtlichen Statistik umfassen die
vorbezeichneten Schutzgebiete des deutschen Reiches einen Flächenraum
von 2 641 000 Quadratkilometer. Das ist der fünffache Umfang des
deutschen Reiches. -- Die Zahl der in diesen Schutzgebieten sich
aufhaltenden Deutschen beträgt nur ca. 1800. Das ist also noch
nicht ein Deutscher auf 1000 Quadratkilometer. Auch die Zahl der
Europäer insgesamt einschl. der Deutschen ist nur auf 3700 anzunehmen.
Unter den 1803 Deutschen entfallen mehr als die Hälfte, nämlich
937, auf die bei den dort unterhaltenen Schutztruppen
befindlichen Deutschen. Dazu kommen die auf Reichskosten daselbst
unterhaltenen zahlreichen Beamten. Unter den wenigen Hundert Deutschen
von selbständigem Erwerb befinden sich auch alle diejenigen, welchen
ihren Unterhalt von Dienstleistungen und Handelsgeschäften bei den
Schutztruppen beziehen, außerdem die Missionare und eine geringe Anzahl
von Deutschen in Faktoreien und auf Plantagen.
Der Wert der Einfuhr aus sämtlichen
Schutzgebieten in den deutschen Zollverein betrug 1896 4
605 000 Mk., der Wert der Ausfuhr in die deutschen Schutzgebiete belief
sich auf 6 743 000 Mk. Der gesamte Handelsverkehr Deutschlands
mit den Schutzgebieten hatte also nur einen Wert von 11 348 000 Mk. und
erreichte damit noch nicht denjenigen Betrag der Kosten, welche
die Schutzgebiete der deutschen Reichskasse und den deutschen
Steuerzahlern verursachen. Auch der Wert des gesamten
Handelsverkehrs in die deutschen Schutzgebiete und aus denselben einschließlich
des Handels der Schutzgebiete mit anderen Ländern belief sich 1895
nur auf 26 014 000 Mk.
Von der deutschen Ausfuhr nach den Schutzgebieten
mit insgesamt 6 743 000 Mk. entfielen 1 232 000 Mk. auf geistige Getränke
teils für die deutschen Schutztruppen und Beamten, teils in Westafrika
(Branntwein) für die Eingeborenen. Auch sonst bestand ein Hauptteil der
Ausfuhr in Artikeln, welche für die deutsche Verwaltung in den
Schutzgebieten in Deutschland beschafft worden sind. Unter der Einfuhr nach
Deutschland im Werte von 4 605 000 Mk. befinden sich für 3 666 000
Mk. Palmkerne, Kopra, Kautschuk, Guttapercha, sowie Kokusnußöl.
Kolonialwaren wie Kaffee, Kakao und Tabak sind darunter nur im Werte von
insgesamt 492 000 Mk. vertreten.
Die Aufwendungen des Reiches für die
Schutzgebiete haben sich fortgesetzt gesteigert. Die Zuschüsse des
Reiches beliefen sich nach dem Etat von 1897/89 für Kamerun auf 690 000
Mk. und Deutsch=Südwestafrika auf 3 015 000 Mk., für Deutsch=Ostafrika
auf 4 339 000 Mk. Zu diesen Baarzuschüssen sind zuzurechnen die Zuschüsse
für die Ostafrikanische Dampferlinie und für die Zweiglinie derselben
Singapora=Neuguinea mit zusammen 1 160 975 M. Dazu kommen die Zuschüsse
im Ressort des Reichspostamtes einschließlich der Mieten für die Kabel
in Kamerun und Ostafrika nach den Istausgaben für 1895/96 mit 466 762
Mk., die Indiensthaltungskosten für mehrere Stationen der Marine an der
Ost= und Westküste Afrikas und in der Südsee, nach den Ausgaben für
1895/96 mit 1 547 883 Mk. Nach den Istausgaben 1895/96 im Etat des Auswärtigen
Amts sind an Gehältern und sonstigen Kosten für Beamten in den
Schutzgebieten ausgeworfen 430 820 Mk. Die sonstigen Kosten des
Reichsschatzamtes und des Rechnungshofes werden auf rund 39 000 Mark
berechnet.
Hiernach erreichen die Gesamtkosten des
Reiches für die Schutzgebiete schon gegenwärtig 11 689 000 Mk. Jetzt
will man auch noch dazu übergehen, mit Reichsgarantie oder auf
Reichskosten Eisenbahnen in den Schutzgebieten zu bauen. Bereits ist im
Sommer 1897 ohne Ermächtigung des Reichstages auf Reichsrechnung der
Bau einer Eisenbahn in Südwestafrika in Angriff genommen
worden.
Für die Ansiedlung von Deutschen
insbesondere sind die Schutzgebiete ungeeignet, weil in allen in den
Tropen gelegenen Kolonien Deutsche körperliche Arbeit nicht verrichten
können. Nur Deutsch=Südwestafrika ist außerhalb der Tropen gelegen.
Irgend eine erhebliche Kultivirung in Südwestafrika aber ist wegen
Mangel an Wasser und Holz unmöglich, ganz abgesehen von der Gefährdung
der Niederlassungen durch die räuberischen Hottentotten. Alle Versuche,
Niederlassungen von Deutschen in Südwestafrika herbeizuführen, sind über
einen bedeutungslosen Umfang nicht hinausgekommen.
Die Frage, wie weit Deutsche in den Tropengebieten
durch Andere für sich den Boden in Plantagenwirtschaften
bearbeiten lassen können, hat auch nirgend eine befriedigende Lösung
gefunden. Denn die Eingeborenen eignen sich zu solchen Arbeiten fast
nirgend. Selbst die einfachen Hilfsdienste auf den
Handelsniederlassungen müssen vielfach durch Angeworbene aus anderen
Territorien, z. B. in Kamerun durch Kruneger, in Neuguinea durch Malayen,
verrichtet werden. Mit der Auswanderungsfrage hat daher die jetzige
Kolonialpolitik nichts gemein. Im günstigsten Falle vermögen die
gesamten Kolonien für absehbare Zeit nur einigen Hundert Kommis, Militärpersonen
und Beamten Stellungen zu verschaffen. Solche Personen beziehen aber das
höheree Gehalt nur unter einer schweren Gefährdung ihrer Gesundheit.
Daß sämtliche Küstengegenden, auf welche der Handel naturgemäß zunächst
angewiesen ist, Brutstätten des Fiebers, mit Ausnahme von Südwestafrika
sind, wird nicht mehr bestritten und ist auch bereits durch schmerzliche
Opfer dargethan. Die gesunderen Höhenlagen binnenwärts, auf welche
hingewiesen wird, sind noch nicht aufgefunden. Ueber zwei oder drei
Jahre hinaus vermag nach allgemeiner Annahme ohne längere Unterbrechung
kein Deutscher in jenen Gegenden es auszuhalten. Für Kinder und
weibliche Personen deutscher Abkunft ist das Klima dort gänzlich
ungeeignet. Demnach stößt auch schon das bloße Handelsgeschäft in
jenen Kolonien auf große Schwierigkeiten. Es ist deshalb der Ausspruch
vollständig zutreffend, daß, wo es in den Schutzgebieten fruchtbar
ist, wie in den Tropen, es nicht gesund ist, und dort, wo, wie in Südwestafrika,
es gesund ist, die Fruchtbarkeit fehlt. In Südwestafrika fehlt
auch für eine dort allein mögliche Viehzucht das entsprechende
Absatzgebiet. Auch wird neuerlich die Viehzucht durch die Rinderpest
geschädigt. In Westafrika leidet der Handel noch besonders darunter, daß
die Hauptausfuhrartikel Palmkerne, Kopra, Kautschuk, Guttapercha, Palmöl
und Kokosnüsse im Preise zurückgegangen sind. Der Hauptausfuhrartikel
von Ostafrika, das Elfenbein, nimmt ab nicht bloß durch Preisrückgang,
sondern auch durch Verminderung der Elefanten und der älteren
Elfenbeinbestände im Innern von Afrika. Auch haben die Nachbarländer,
der Kongostaat, Britisch=Centalafrika, Uganda und Britisch=Ostafrika,
das Bestreben, das Elfenbein nach ihren Ausfuhrplätzen zu ziehen. Dem
Plantagenbau in Ostafrika steht aber abgesehen von dem Mangel an
geeigneten Arbeitskräften auch die ungenügende Bewässerung während
der trockenen Jahreszeit entgegen. Im Jahre 1894 wurde dort die Ernte
von ganzen Landstrichen durch die Heuschrecken vernichtet und machte die
dadurch entstandene Hungersnot außerordentliche Unterstützung aus der
Reichskasse erforderlich. Was an Kaffee, Tabak und Kakao aus den
deutschen Schutzgebieten bisher nach Deutschland eingeführt worden ist,
wurde zu sehr verschiedenen Preisen abgesetzt. Die Hauptfrage dabei, ob
die erlangten Preise den Produktions= und Transportkosten entsprechen,
ist dabei ungelöst geblieben.
Zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung auch
nur in dem Bereich deutscher Ansiedlungen hat eine fortgesetzte
Vermehrung der Schutztruppen stattfinden müssen, zuletzt in Südwestafrika.
In Ostafrika sind fortwährend militärische Expeditionen bald gegen
diesen, bald gegen jenen Stamm erforderlich, durch welchen der
Karawanenhandel beeinträchtigt oder die deutschen Stationen gefährdet
werden.
Allgemein wird geklagt, daß, wie es in dem
Bericht der Hamburger Handelskammer für 1894 heißt, bei den Verwaltungen
einerseits ein zu bureaukratischer, andererseits ein zu militärischer
Geist vorherrscht, wodurch das Entstehen und die Entwickelung gesunder
wirtschaftlicher Unternehmungen oft behindert wird. In den am Verkehr
mit und in den Kolonien beteiligten Kreisen herrscht die Meinung, daß
die Leistungen der Verwaltung zu den gemachten Aufwendungen nicht in dem
richtigen Verhältnis stehen.
Fürst Bismarck betonte im Anfang seiner
Kolonialpolitik am 28. Oktober 1885 im Reichstage: "Mein Ziel ist
der regierende Kaufmann und nicht der regierene Bureaukrat in jenen
Gebieten. Unsere geheimen Räte und versorgungsberechtigten
Unteroffiziere sind ganz vortrefflich bei uns, aber dort in den
kolonialen Gebieten erwarte ich von den Hanseaten, die draußen gewesen
sind, mehr." Diese Form der Kolonialpolitik aber war schon bei dem
Rücktritt des Fürsten Bismarck im März 1890 völlig gescheitert.
Entweder lehnten die Kaufleute es ab, Gesellschaften zu bilden zur
Uebernahme von Hoheitsrechten in den Schutzgebieten, oder die
betreffenden Gesellschaften verzichteten alsbald auf die Ausübung
solcher Hoheitsrechte. Nur die Neu=Guinea=Gesellschaft hat zuletzt noch
Hoheitsrechte ausgeübt, welche indessen nunmehr auch auf Reichsbeamte
übergehen sollen. Gerade die Kaufleute in den Hansestädten haben sich
wenig oder gar nicht an Kolonialgesellschaften beteiligt.
Die Voraussagen des Abg. Bamberger bei
der ersten Diskussion über Kolonialpolitik im Jahre 1884, daß, wenn
eine solche Kolonialpolitik in einer gewissen Schützenfeststimmung gut
geheißen werden sollte, dieselbe Deutschland zu schweren Verwicklungen
führen, jedenfalls manchen empfindlichen Nasenstüber
eintragen werde, haben sich nur zu sehr bewahrheitet.
In der Thronrede zur Eröffnung des Reichstages am
22. November 1888 wurde als Aufgabe des Reiches hingestellt, den
afrikanischen Weltteil für die christliche Gesittung zu gewinnen. Wie
weit entfernt die deutsche Verwaltung dieser Aufgabe ist, zeigt u. a.
die Erfahrung mit deutschen Kolonialbeamten in den letzten
Jahren. Es gehören dahin die Auspeitschungen von Frauen auf Anordnung
des Kanzlers Leist, welche 1894 in Kamerun einen Aufstand der
Dahomesoldaten zur Folge hatten, der unzüchtige Verkehr des Kanzlers
Leist mit den seiner Aufsicht anvertrauten Pfandweibern. Im Jahre 1896
gelangten vor dem Disciplinargericht die Unthaten des Kanzlers Wehlan
zur Feststellung, die Erpressung eines Geständnisses in der
Untersuchung gegen Eingeborene durch Anwendung von Prügelstrafen, die
Verhängung von Prügelstrafen gegen Eingeborene wegen Nichtbezahlung
ihrer Privatschulden, sonstige Grausamkeiten gegen Gefangene bei militärischen
Expeditionen. Nachdem kurz vorher der deutsche Kolonist Schröder
vor einem Kolonialgericht in Deutschostafrika zuerst zu 15 Jahren
Zuchthaus und dann in der Appellinstanz zu 5 Jahren Gefängnis
verurteilt worden war wegen seiner Frevelthaten gegen die Eingeborenen
auf seiner Plantage, hat der Disciplinarhof für Kolonialbeamte am 15.
November 1897 gegen den Reichskommissar Dr. Peters auf
Dienstentlassung erkannt wegen Aufknüpfens seines Dieners, wobei ihm
als Motiv geschlechtliche Beziehungen desselben zu seiner Konkubine
nachgewiesen wurden, und wegen einer nachfolgenden Kette von
Unmenschlichkeiten, welche zuletzt zur Hinrichtung seiner eigenen
Konkubine führten.
Im Reichstage würden für die Kolonialpolitik
Bewilligungen nicht in dem stattgehabten Umfange erfolgt sein, wenn
nicht die Centrumspartei seit 1888 ihre Haltung zu Gunsten der
Kolonialpolitik geändert hätte. Es war dies die Folge eines Aufrufs
des Papstes zur Bekämpfung der Sklaverei in Afrika und der Agitation
des Nordafrika domizilirten Kardinals Lavigerie. Sklaverei
besteht aber in Deutschostafrika auch unter deutscher Flagge fort. Es
hat die Vererbung, Vermietung, Verpfändung und Veräußerung von
Sklaven keine Einschränkung erlitten. Die programmmäßige Bekämpfung
der Sklaverei seitens der deutschen Kolonialpolitik beschränkt sich in
der Hauptsache auf die Verhinderung der Ausfuhr von Sklaven über die Küste
und auf die Befreiung von Sklaven, deren Transport im Innern
gelegentlich den deutschen Expeditionen begegnet. Die Centrumspartei
glaubt im Interesse der Missionsthätigkeit die für die
Kolonialpolitik geforderten Millionen bewilligen zu müssen. Thatsächlich
aber wird auch die Missionsthätigkeit vielfach gehemmt durch die
Streitigkeiten und Kämpfe der deutschen Schutztruppen mit den
Eingeborenen. Daß eine Behandlung der Eingeborenen seitens deutscher
Beamten, wie sie sich aus den vorerwähnten Verhandlungen der
Disciplinargerichte ergiebt, die Missionsthätigkeit nicht befördert,
bedarf keiner weiteren Ausführung.
Deutschland hat sich seine Stellung in Europa
durch Begrenzung seiner staatlichen Aufgaben und durch Vereinigung
seiner Kräfte auf dieselben erworben. Die politischen Verhältnisse in
Europa bergen schon genugsam Gefahren in ihrem Schoß. In seiner berühmten
Rede vom 6. Februar 1888 zur Begründung der neuen Wehrvorlage sagte der
Reichskanzler Fürst Bismarck: "Wir liegen mitten in
Europa; wir haben mindestens drei Angriffsseiten, Frankreich hat nur die
östliche, Rußland nur die westliche Grenze. Gott hat uns in eine
Situation versetzt, in welcher wir durch unsere Nachbarn daran
verhindert werden, irgendwie in Trägheit oder Versumpfung zu geraten.
Die kriegerischste und unruhigste Nation, die Franzosen, sind uns an die
Seite gesetzt. Gott hat in Rußland kriegerische Neigungen groß werden
lassen. Von beiden Seiten lassen uns unsere Nachbarn die Sporen in
unsern beiden Flanken fühlen. Zur Aufrechterhaltung seiner Stellung in
Europa hat das deutsche Volk eine schwere Rüstung auf sich nehmen müssen!"
-- Um so ungerechtfertigter ist es, Angesichts einer solchen politischen
Lage eine überseeische Kolonialpolitik zu verfolgen, welche bisher nur
ungünstige Ergebnisse erzielt hat und deren mögliche Vorteile in der
Zukunft, selbst in denkbar günstigstem Falle in einem ganz
ungeheuerlichen Mißverhältnis zu den Opfern und Gefahren stehen,
welche diese Politik mit sich bringen muß. Jede Kräftezersplitterung
des Reiches ist um so schädlicher, je größere und schwerere Aufgaben
das deutsche Staatswesen auch noch im Innern Deutschlands zu
erfüllen hat. Durch Erleichterung des Grunderwerbs für Arbeiter kann
im Innern Deutschlands für die Volkswohlfahrt das Hundertfache von dem
geleistet werden, was eine überseeische Politik bewirken kann, und zwar
ohne irgend welche auswärtigen Gefahren und ohne erhebliche Opfer.
Bevor man es sich zur Aufgabe stellt, die christliche Gesittung durch
Reichsmittel in ferne Weltteile zu tragen, sollte man es sich angelegen
sein lassen, christliche Moral und christliche Gesittung überall in den
inneren Verhältnissen des Landes zur Geltung zu bringen, namentlich
auch für solche Arbeiterverhältnisse, die noch wenig hiervon
durchdrungen sind.
|