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Der US-Staatssekretär des Auswärtigen, Lambert
Lansing, äußert sich am 8. Mai 1919 über diesen Vertrag:
"Gestern wurden die Friedensbedingungen den
deutschen Bevollmächtigten übergeben, und zum ersten Male in diesen Tagen
fieberhaft erregter Vorbereitung hat man Zeit, den Vertrag als ein vollständiges
Schriftstück in Augenschein zu nehmen.
Der Eindruck, den er macht, ist enttäuschend, erweckt
Bedauern und Niedergeschlagenheit. Die Friedensbedingungen erscheinen
unsagbar hart und demütigend, während viele von ihnen mir unerfüllbar
scheinen.
Der durch den Vertrag geschaffene Völkerbund soll –
darauf vertraut man – den künstlichen Aufbau am Leben erhalten, der auf
dem Wege des Kompromisses der widerstreitenden Interessen der Großmächte
errichtet wurde, und ein Keimen der Kriegssaat, die in so vielen Paragraphen
ausgesät ist und unter normalen Bedingungen bald Früchte tragen würde, zu
verhindern. Der Bund könnte ebenso gut das Wachstum der Pflanzenwelt in
einem tropischen Dschungel verhindern. Kriege werden früher oder später
entstehen.
Man muß von vornherein zugeben, daß der Bund ein
Werkzeug der Mächtigen ist, um das normale Wachstum nationaler Macht und
nationaler Bestrebungen bei jenen aufzuhalten, die durch die Niederlage
machtlos geworden sind. Prüft den Vertrag und ihr werdet finden, daß Völker
gegen ihren Willen in die Macht jener gegeben sind, die sie hassen, während
ihre wirtschaftlichen Quellen ihnen entrissen und anderen übergeben sind.
Haß und Erbitterung, wenn nicht Verzweiflung, müssen die Folgen derartiger
Bestimmungen sein. Es mag Jahre dauern, bis diese unterdrückten Völker
imstande sind, ihr Joch abzuschütteln, aber so gewiß wie die Nacht auf den
Tag folgt, wird die Zeit kommen, da sie den Versuch wagen.
Dieser Krieg wurde von den Vereinigten Staaten geführt,
um für immer Zustände zu vernichten, die ihn hervorbrachten. Diese Zustände
sind nicht zerstört worden. Andere Zustände, andere Bedingungen haben sie
verdrängt, die nicht minder als jene den Haß, die Eifersucht, den Argwohn
wecken. An Stelle des Dreibundes und der Entente hat sich der Fünfbund
erhoben, der die Welt beherrschen soll. Die Sieger in diesem Kriege gedenken
ihren vereinten Willen den Besiegten aufzuzwingen und alle Interessen ihren
eigenen unterzuordnen.
Es ist wahr, daß sie, um die wach gewordene öffentliche
Meinung der Menschheit zu befriedigen und dem Idealismus des Moralisten
etwas zu bieten, die neue Allianz mit einem Heiligenschein umgeben und
‘Bund der Völker’ genannt haben. Doch wie man ihn auch nennen oder sein
Wesen verkleiden mag, er bleibt eine Allianz der fünf großen Militärmächte.
Wozu die Augen vor der Tatsache verschließen, daß
die Macht, durch Anwendung vereinter Kraft der ‘Fünf’ Gehorsam zu
erzwingen, das Grundprinzip des Bundes ist. Gerechtigkeit kommt in zweiter
Linie, die Macht geht vor. Der Bund, wie er jetzt besteht, wird der Habgier
und Intrige anheimfallen; und die Bestimmung der Einstimmigkeit im Rate, der
eine Schranke hiergegen
bieten könnte, wird durchbrochen werden oder die
Organisation machtlos machen. Sie soll dem Unrecht den Stempel des Rechts
aufdrücken. Wir haben einen Friedensvertrag, aber er wird keinen dauernden
Frieden bringen, weil er auf dem Treibsand des Eigennutzes gegründet
ist." |