Pro und Contra Rätesystem

   

Aus den Debatten des Reichsrätekongresses am 19. 12. 1918

Rede des Vollzugsratsmitglieds Max Cohen-Reuß (MSPD)

Wie man auch über die Arbeiter- und Soldatenräte denken mag [...], in jedem Falle drücken die Arbeiter- und Soldatenräte nur einen Teilwillen, niemals aber den Willen des ganzen deutschen Volkes aus. Diesen festzustellen, darauf kommt es an. [...] Die Genossen sagen: wenn eine baldige Nationalversammlung zusammentritt, bekommen wir keine sozialistische Mehrheit, wir müssen deshalb die Sozialisierung vorher so schnell wie möglich beschließen. Parteigenossen, ich bin direkt der gegenteiligen Auffassung. Wenn wir eine sozialistische Mehrheit bekommen wollen, müssen wir die Nationalversammlung so schnell wie möglich einberufen.

[...] (Es) wird nicht mehr Sozialismus durchführbar sein, als die Mehrheit des Volkes will. [...]

Parteigenossen, schätzen Sie wirklich [...] den Widerstand der bürgerlichen Kreise und der Intelligenz so gering ein, daß wir, wenn wir sie politisch entrechten, gegen ihren Willen die Wirtschaft führen können? [...]

 

Rede des Vollzugsratsmitglieds Ernst Däumig (USPD)

[...] (Das) muß doch jedem Klardenkenden einleuchten, daß die jubelnde Zustimmung zur Nationalversammlung gleichbedeutend ist mit einem Todesurteil für das System, dem Sie jetzt angehören, für das Rätesystem. [...]

Im Wirtschaftsleben werden mit Hilfe der Nationalversammlung und des Bürgertums die Gewerkschaften alten Stils natürlich die Arbeiterräte aus den Betrieben ganz schnell herausgedrängt haben. [...] Man spricht in bezug auf das Rätesystem von der Diktatur [...]. Die Diktatur ist zweifellos mit dem Rätesystem verbunden. Aber was sich in Rußland durch die historischen Gesetze aufzwang, braucht noch lange nicht in Deutschland der Fall zu sein. Ich gehöre nicht zu denen, die mechanisch und sklavisch das russische Beispiel nachzuahmen versuchen. [...] Überall sind die Arbeiterräte impulsiv auf einmal aus der Erde geschossen ohne gegenseitige Verständigung, so daß manche Reibungen und Mißverständnisse und auch manche Mißgriffe haben vorkommen müssen. Aber das sind Kinderkrankheiten, die überwunden werden können und müssen. Das ist aber nur möglich, wenn wir dieses System anerkennen.

Gerhard A. Ritter/Susanne Miller (Hg.), Die deutsche Revolution 1918-1919. Dokumente. Frankfurt/M. 2. Aufl. 1983, S. 372 ff.