Soziale Marktwirtschaft

aus: Internetseiten des Goetheinstituts 
http://www.goethe.de/z/50/pub/markt/lexikon/lex21f.htm 

  Die Wurzeln der marktwirtschaftlichen Ordnung liegen fast 300 Jahre zurück. Man kann hier die Quellen für die vier Grundprinzipien finden, aus denen sich letztlich das System der Marktwirtschaft entwickelte:
  1. Das Prinzip des Individualismus und Skeptizismus, das auf J. Locke, D. Hume und I. Kant zurückgeht und die Autonomie des Menschen gegenüber Autoritäten und der Natur herausstellt. Es ist die gemeinsame Grundlage von Demokratie und liberaler Wirtschaftsordnung.
  2. Das Harmonieprinzip, die "harmonia praestabilata", von der G.W. Leibniz sagt, daß sie als natürliche, gottgewollte Ordnung im menschlichen Leben existiert. Es ist von A. Smith als Grundlage des Marktes übernommen worden.
  3. Das Prinzip des Utilitarismus eines J. Bentham, der in dem Streben des Einzelnen nach Erfolg und Glück (Leistungsprinzip) die Grundlage für den größten Erfolg einer Gemeinschaft sah.
  4. Das Selektionsprinzip, das in den biologischen Analysen eines C. Darwin zwar erst später publiziert wurde, jedoch als Auslese im Wettbewerb durchaus auch vorher bekannt war.

Aus diesen Quellen entwickelten die klassischen Nationalökonomen, mit Adam Smith (1723 - 1790) und seinem wichtigsten Werk "An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations" (1776) die Grundkonzeption der Marktwirtschaft. Als die beiden wichtigsten Merkmale dieser kapitalistischen Wirtschaftsordnung kann man das individuelle, private Eigentum (auch an Produktionsmitteln) und den Leistungswettbewerb ansehen. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, die Art und die Menge der produzierten Güter. Das setzt allerdings voraus, daß eine Vielzahl von Produzenten vorhanden ist, die sich im Konkurrenzkampf gegenüberstehen.

Mit der Sozialen Marktwirtschaft wird versucht, den negativen Begleiterscheinungen eines solchen Wirtschaftssystems entgegenzuwirken und Ungerechtigkeiten der Marktwirtschaft zu vermeiden. Die meisten Merkmale der freien Marktwirtschaft werden zwar übernommen; doch erfolgt eine - nicht allgemeingültig festgelegte - Veränderung, Ergänzung, Abwandlung mit drei Zielsetzungen:

  1. Wettbewerbspolitische Ziele: Da der Wettbewerb die Tendenz hat "sich selbst zu vernichten" (wenn ständig Wettbewerber im Leistungskampf ausscheiden und keine neuen nachkommen), muß der Staat für eine Aufrechterhaltung des Wettbewerbs und eine Sicherung der Stellung der - systembedingt schwächeren - Verbraucher sorgen.
  2. Stabilitätspolitische Ziele: Da das Wirtschaftssystem bei der marktwirtschaftlichen Selbststeuerung längere Phasen von höherer Arbeitslosigkeit mit sich bringen kann, muß der Staat vorsorgend eingreifen, um den Wirtschaftsablauf zu verstetigen.
  3. Sozialpolitische Ziele: Da das Wirtschaftssystem leistungsbetont ist und sein muß, wenn es funktionieren soll, kann es zu nicht hinnehmbaren Härten für Leistungsschwache kommen, die - bei Vorrang des Subsidiaritätsprinzips - durch den Staat korrigiert werden müssen. Dazu trägt insbesondere das System der progressiven Besteuerung bei, bei dem die besonders Leistungsfähigen die Hauptlast tragen, während die wenig oder nicht Leistungsfähigen nicht zu den staatlichen Leistungen beitragen müssen, sondern Transferzahlungen erhalten.

Der Begriff "Soziale Marktwirtschaft" wurde wohl erstmals 1946 gebraucht. Vertreten wurde er in einer zunächst kontroversen Diskussion von A. Müller-Armack, dem geistigen Führer der Erneuerung des Wirtschaftssystems in der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg. Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister und später auch Bundeskanzler, füllte diesen Begriff mit praktischen und politischen Inhalten. Dabei sollte man aber nicht vergessen, daß schon in der Zeit der hitlerschen Zentralverwaltungswirtschaft in Deutschland eine Gruppe von Wissenschaftlern der "Freiburger Schule", unter ihnen Franz Böhm und Walter Eucken, die Idee einer Wirtschaftsordnung entwarfen, die zwar freiheitlich angelegt, aber staatlich ausgestaltet und sozial verpflichtend sein sollte.
Die Initiatoren sahen in der Sozialen Marktwirtschaft einen dritten Weg zwischen unkontrolliertem Liberalismus und totalitärem Zentralismus.
Die Soziale Marktwitschaft kann als eine Ordnung definiert werden, deren Ziel es ist, auf der Basis der Wettbewerbswirtschaft die freie Initiative mit einem gerade durch die marktwirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt zu verbinden. Auf der Grundlage einer marktwirtschaftlichen Ordnung kann ein vielgestaltiges und vollständiges System sozialen Schutzes errichtet werden. (Müller-Armack)

Zu den wichtigen Wesensmerkmalen einer Sozialen Marktwirtschaft kann man rechnen:

Persönliche Freiheit
Die persönliche Freiheit der Menschen erstreckt sich auch auf die wirtschaftliche Freiheit, d.h. Produktionsfreiheit, Handelsfreiheit, Gewerbefreiheit, freie Berufswahl, freie Arbeitsplatzwahl, Konsumfreiheit u.a.m. Dabei ist zu beachten, daß die Freiheiten nicht zum Schaden anderen Menschen ausgenutzt werden dürfen.
Soziale Sicherheit
Die soziale Sicherheit der Menschen wird gewährleistet. Der Staat soll dort helfen, wo einzelne oder eine Gruppe nicht oder nur schwer überlebensfähig sind.
Wirtschaftliches Wachstum
Dieses drückt sich vor allem in einer Zunahme des Inlandsprodukts aus, das dazu beitragen muß, die Lebensqualität in der Gesellschaft zu verbessern.

Die Soziale Marktwirtschaft kann nur als Prozeß und nicht als abgeschlossenes Regelungssystem angesehen werden. Sie soll in der sich ständig wandelnden Gesellschaft immer wieder optimale Lösungen im Spannungsfeld von individueller Freiheit und sozialer Bindung finden, d.h. die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankerten sozioökonomischen Freiheitsrechte und die ebenfalls dort verankerte sozialstaatliche Verpflichtung gleichzeitig sichern.

Art. 2: Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt ...
Art. 12: Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.
Art. 14: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet.
Art. 20: Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
Da sich diese Aufgabe laufend neu stellt, wird die Konkretisierung von übergeordneten Zielen wie Freiheit, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit im Zeitablauf immer wieder anders aussehen. Die Schaffung einer Wirtschaftsordnung ist also eine permanente Gestaltungsaufgabe.

MARKT, Ausgabe 21