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Beschreibung des Untergangs
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DIE BRIEFE PLINIUS
DES JÜNGEREN ÜBER DEN VESUVAUSBRUCH IM JAHRE 79 n. Chr.
Gaius Plinius
Secundus (Plinius der Ältere) war Admiral der römischen Flotte in
Misenum. Sein siebzehnjähriger Neffe (Plinius der Jüngere) weilte mit
seiner Mutter bei ihm zu Besuch.
Es war am frühen Nachmittag, als die Frau des Admirals diesen auf eine
dicke Wolke aufmerksam machte, die über dem östlichen Ende der Bucht
hing. Jahre später berichtete Plinius der Jüngere in seinen berühmten
Briefen an den Geschichtsschreiber Tacitus über die darauf folgenden
Ereignisse.
EPISTULAE VI, 16
C. Plinius grüsst
seinen Tacitus
Du bittest mich, das Ende meines Onkels zu schildern, damit du es recht
wahrheitsgetreu für die Nachwelt darstellen kannst. Ich danke dir, denn
ich sehe, dass seinem Tode unvergänglicher Ruhm winkt, wenn er von dir
verherrlicht wird. Denn wenn er auch bei der Verwüstung der schönsten
Landschaften, wie die Bevölkerung und die Städte durch ein denkwürdiges
Naturereignis den Tod gefunden hat und schon deshalb sozusagen ewig
fortleben wird, wenn er auch selbst viele bleibende Werke geschaffen
hat, so wird doch die Unvergänglichkeit deiner Schriften sein Fortleben
wesentlich fördern. Ich halte jeden für glücklich, dem die Götter die
Fähigkeit verliehen haben, Darstellungswürdiges zu vollbringen oder
Lesenswertes darzustellen, für doppelt glücklich, wem beides gegeben
ist. Zu ihnen wird mein Onkel durch seine und deine Schriften gehören.
Um so lieber nehme ich auf mich, ja fordere geradezu, was du mir
auferlegst.
Er war in Misenum und
führte persönlich das Kommando über die Flotte. Am 24. August etwa um
die siebente Stunde ließ meine Mutter ihm sagen, am Himmel stehe eine
Wolke von ungewöhnlicher Gestalt und Größe. Er hatte sich gesonnt, dann
kalt gebadet, hatte liegend einen Imbiss genommen und studierte jetzt.
Er ließ sich seine Sandalen bringen und stieg auf eine Anhöhe, von der
aus man das Naturschauspiel besonders gut beobachten konnte. Es erhob
sich eine Wolke, für den Beobachter aus der Ferne unkenntlich, auf
welchem Berge (später erfuhr man, dass es der Vesuv war), deren Form am
ehesten einer Pinie ähnelte. Denn sie stieg wie ein Riesenstamm in die
Höhe und verzweigte sich dann in eine Reihe von Ästen, wohl weil
ein kräftiger Luftzug sie empor wirbelte und dann nachließ, so dass sie
den Auftrieb verlor oder auch vermöge ihres Eigengewichtes sich in die
Breite verflüchtigte, manchmal weiß, dann wieder schmutzig und fleckig,
je nachdem ob sie Erde oder Asche mit sich empor gerissen hatte.
Als einem Mann mit
wissenschaftlichen Interessen erschien ihm die Sache bedeutsam und wert,
aus größerer Nähe betrachtet zu werden. Er befahl, ein Boot
bereitzumachen, mir stellte er es frei, wenn ich wollte, mitzukommen.
Ich antwortete, ich wolle lieber bei meiner Arbeit bleiben, und zufällig
hatte er mir selbst das Thema gestellt.
Beim Verlassen des
Hauses erhielt er ein Briefchen von Rectina, der Frau des Cascus,
die sich wegen der drohenden Gefahr ängstigte (ihre Villa lag am
Fuss des Vesuv, und nur zu Schiffe konnte man fliehen); sie bat, sie
aus der bedenklichen Lage zu befreien. Daraufhin änderte er seinen
Entschluss und vollzog nun aus Pflichtbewusstsein, was er aus
Wissensdurst begonnen hatte. Er liess Vierdecker zu Wasser bringen,
ging selbst an Bord, um nicht nur Rectina, sondern auch vielen
anderen zu Hilfe zu kommen, denn die liebliche Küste war dicht
besiedelt. Er eilte dorthin, von wo andere flohen, und hielt
geradewegs auf die Gefahr zu, so gänzlich unbeschwert von Furcht,
dass er alle Phasen, alle Erscheinungsformen des Unheils, wie er sie
mit den Augen wahrnahm, seinem Sekretär diktierte.
Schon fiel Asche
auf die Schiffe, immer heisser und dichter, je näher sie herankamen,
bald auch Bimsstein und schwarze, halbverkohlte, vom Feuer
geborstene Steine, schon trat das Meer plötzlich zurück, und das
Ufer wurde durch Felsbrocken vom Berge her unpassierbar. Einen
Augenblick war er unschlüssig, ob er umkehren solle, dann rief er
dem Steuermann, der dazu geraten hatte, zu: ªDem Mutigen hilft das
Glück, halt auf Pomponianus zu!´ Dieser befand sich in Stabiae, am
anderen Ende des Golfs - das Meer drängt sich hier in sanft
gekrümmtem Bogen ins Land-; dort hatte er, obwohl noch keine
unmittelbare Gefahr bestand, aber doch sichtbar drohte und, wenn sie
wuchs, unmittelbar bevorstand, sein Gepäck auf die Schiffe verladen
lassen, entschlossen zu fliehen, wenn der Gegenwind sich legte.
Dorthin fuhr jetzt mein Onkel mit dem für ihn günstigen Winde,
schloss den Verängstigten in die Arme, tröstete ihn, redete ihm gut
zu, und um seine Angst durch seine eigene Ruhe zu beschwichtigen,
liess er sich ins Bad tragen. Nach dem Bade ging er zu Tisch,
speiste seelenruhig oder - was nicht weniger grossartig ist -
anscheinend seelenruhig. Inzwischen leuchteten vom Vesuv her an
mehreren Stellen weite Flammenherde und hohe Feuersäulen auf, deren
strahlende Helle durch die dunkle Nacht noch gehoben wurde. Um das
Grauen der anderen zu beschwichtigen, erklärte mein Onkel, Bauern
hätten in der Aufregung ihre Herdfeuer brennen lassen, und nun
ständen ihre unbeaufsichtigten Hütten in Flammen. Dann begab er sich
zur Ruhe und schlief tatsächlich ganz fest, denn seine wegen seiner
Leibesfülle ziemlich tiefen, lauten Atemzüge waren vernehmlich, wenn
jemand an seiner Tür vorbeiging. Aber der Boden des Vorplatzes, von
dem aus man sein Zimmer betrat, hatte sich, von einem Gemisch aus
Asche und Bimsstein bedeckt, schon so weit gehoben, dass man, blieb
man noch länger in dem Gemach, nicht mehr hätte herauskommen können.
So weckte man ihn denn; er trat heraus und gesellte sich wieder zu
Pomponianus und den übrigen, die die Nacht durchwacht hatten.
Gemeinschaftlich berieten sie, ob sie im Hause bleiben oder sich ins
Freie begeben sollten, denn infolge häufiger, starker Erdstösse
wankten die Gebäude und schienen, gleichsam aus ihren Fundamenten
gelöst, hin- und herzuschwanken. Im Freien wiederum war das
Herabregnen ausgeglühter, allerdings nur leichter
Bimsstein-Stückchen bedenklich, doch entschied man sich beim Abwägen
der beiden Gefahren für das letztere, und zwar trug bei ihm eine
vernünftige Überlegung über die andere den Sieg davon, bei den
übrigen eine Befürchtung über die andere. Sie stülpten sich Kissen
über den Kopf und verschnürten sie mit Tüchern; das bot Schutz gegen
den Steinschlag.
Schon war es anderswo Tag, dort aber Nacht, schwärzer und dichter
als alle Nächte sonst, doch milderten die vielen Fackeln und
mancherlei Lichter die Finsternis. Man beschloss, an den Strand zu
gehen und sich aus der Nähe zu überzeugen, ob das Meer schon
gestatte, etwas zu unternehmen. Aber es blieb immer noch rauh und
feindlich. Dort legte mein Onkel sich auf eine ausgebreitete Decke,
verlangte hin und wieder einen Schluck kalten Wassers und nahm ihn
zu sich. Dann jagten Flammen und als ihr Vorbote Schwefelgeruch die
andern in die Flucht und schreckten ihn auf. Auf zwei Sklaven
gestützt, erhob er sich und brach gleich tot zusammen, vermutlich
weil ihm der dichtere Qualm den Atem nahm und den Schlund
verschloss, der bei ihm von Natur schwach, eng und häufig entzündet
war. Sobald es wieder hell wurde - es war der dritte Tag von dem an
gerechnet, den er als letzten erlebt hatte -, fand man seinen
Leichnam unberührt und unverletzt, zugedeckt, in den Kleidern, die
er zuletzt getragen hatte, in seiner äußeren Erscheinung eher einem
Schlafenden als einem Toten ähnlich.
Derweilen hatten
ich und meine Mutter in Misenum - doch das ist belanglos für die
Geschichte, und Du hast ja auch nur vom Ende meines Onkels hören
wollen. Also Schluss! Nur eines will ich noch hinzufügen: ich habe
alles, was ich selbst erlebt und was ich gleich nach der Katastrophe
- dann kommen die Berichte der Wahrheit noch am nächsten - gehört
hatte, aufgezeichnet. Du wirst das Wesentliche herauspicken, denn es
ist nicht dasselbe, ob man einen Brief schreibt oder Geschichte, ob
man an einen Freund oder für die Allgemeinheit schreibt.
EPISTULAE
VI, 20
C. Plinius
grüßt seinen Tacitus
Du schreibst
mir, der Brief, in welchem ich Dir auf Deinen Wunsch vom Tod
meines Onkels berichtet habe, wecke in Dir das Verlangen zu
erfahren, welche Ängste, welche Gefahren ich, in Misenum
zurückgeblieben, ausgestanden habe; denn als ich darauf zu
sprechen kam, habe ich abgebrochen. Sei's denn, wie sehr auch
die Erinnerung mir die Seele schaudernd mag empören!
Als mein Onkel
fort war, verwendete ich den Rest des Tages auf meine Studien
(weswegen ich ja daheim geblieben war); dann Bad, Abendessen,
kurzer, unruhiger Schlaf. Vorangegangen waren mehrere Tage lang
nicht eben beunruhigende Erdstösse - Kampanien ist ja daran
gewöhnt -; in jener Nacht wurden sie aber so stark, dass man
glauben musste, alles bewege sich nicht nur, sondern stehe auf
dem Kopfe. Meine Mutter stürzte in mein Schlafzimmer, ich wollte
gerade aufstehen, um sie zu wecken, falls sie schliefe. Wir
setzten uns auf den Vorplatz des Hauses, der in mäßigem Abstand
das Meer von den Gebäuden trennte.
Ich weiß nicht,
ob ich es Gleichmut oder Unüberlegtheit nennen soll (ich war ja
erst 18 Jahre alt); ich lasse mir ein Buch des Titus Livius
bringen, lese, als hätte ich nichts Besseres zu tun, exzerpiere
auch, wie ich begonnen hatte. Da kommt ein Freund meines Onkels,
der kürzlich bei ihm aus Spanien eingetroffen war, und als er
mich und meine Mutter dasitzen sieht, mich sogar lesend, schilt
er ihre Gleichgültigkeit, meine Unbekümmertheit; trotzdem blieb
ich bei meinem Buche.
Es war bereits
um die erste Stunde, und der Tag kam zögernd, sozusagen
schläfrig herauf. Die umliegenden Gebäude waren schon stark in
Mitleidenschaft gezogen, und obwohl wir uns auf freiem,
allerdings beengtem Raum befanden, hatten wir eine starke und
begründete Furcht, dass sie einstürzen könnten.
Jetzt schien es
uns ratsam, die Stadt zu verlassen. Eine verstörte Menschenmenge
schließt sich uns an, lässt sich - was bei einer Panik beinahe
wie Klugheit aussieht - lieber von fremder statt von der eigenen
Einsicht leiten und stösst und drängt uns in endlosem Zuge mit
sich fort.
Als wir die
Häuser hinter uns hatten, blieben wir stehen. Da sahen wir
allerlei Sonderbares, Beklemmendes geschehen. Die Wagen, die wir
hatten herausbringen lassen, rollten hin und her, obwohl sie auf
ganz ebenem Terrain standen, und blieben nicht einmal auf
demselben Fleck, wenn wir Steine unterlegten. Außerdem sahen
wir, wie das Meer sich in sich selbst zurückzog und durch die
Erdstösse gleichsam zurückgedrängt wurde. Jedenfalls war der
Strand vorgerückt und hielt zahllose Seetiere auf dem trockenen
Sande fest. Auf der anderen Seite eine schaurige, schwarze
Wolke, kreuz und quer von feurigen Schlangenlinien durchzuckt,
die sich in lange Flammengarben spalteten, Blitzen ähnlich, nur
größer. Da drängte wieder der Freund aus Spanien heftiger und
dringender: ªWenn dein Bruder, dein Onkel noch lebt, möchte er
auch euch lebend wiedersehen; ist er tot, war es gewiss sein
Wunsch, dass ihr am Leben bliebet. Was säumt ihr also, euch zu
retten?´ Wir erwiderten, wir könnten es nicht über uns gewinnen,
an uns zu denken, solange wir über sein Schicksal im ungewissen
seien. Er ließ sich nicht länger halten, stürzte davon und
entzog sich im gestreckten Lauf der Gefahr.
Nicht lange
danach senkte sich jene Wolke auf die Erde, bedeckte das
Meer, hatte bereits Capri eingehüllt und unsichtbar gemacht,
hatte das Kap Misenum unseren Blicken entzogen. Da bat und
drängte meine Mutter, befahl mir schließlich, mich irgendwie
in Sicherheit zu bringen; ich als junger Mann könne es noch,
sie, alt und gebrechlich, werde ruhig sterben, wenn sie nur
nicht meinen Tod verschuldet habe. Ich dagegen: ich wolle
nur mit ihr zusammen am Leben bleiben; damit fasste ich sie
bei der Hand und nötigte sie, ihre Schritte zu
beschleunigen. Widerstrebend fügte sie sich und machte sich
Vorwürfe, dass sie mich aufhalte.
Schon
regnete es Asche, doch zunächst nur dünn. Ich schaute
zurück: Im Rücken drohte dichter Qualm, der uns, sich über
den Erdboden ausbreitend, wie ein Gießbach folgte. ªLass uns
vom Wege abgehen´, rief ich, ªsolange wir noch sehen können,
sonst kommen wir auf der Strasse unter die Füße und werden
im Dunkeln von der mitziehenden Masse zertreten.´ Kaum
hatten wir uns gesetzt, da wurde es Nacht, aber nicht wie
bei mondlosem, Wolken verhangenen Himmel, sondern wie in
einem geschlossenen Raum, wenn man das Licht gelöscht hat.
Man hörte Weiber heulen, Kinder jammern, Männer schreien;
die einen riefen nach ihren Eltern, die anderen nach ihren
Kindern, wieder andere nach ihren Männern oder Frauen und
suchten sie an den Stimmen zu erkennen; die einen beklagten
ihr Unglück, andere das der Ihren, manche flehten aus Angst
vor dem Tode um den Tod, viele beteten zu den Göttern,
andere wieder erklärten, es gebe nirgends noch Götter, die
letzte, ewige Nacht sei über die Welt hereingebrochen. Auch
fehlte es nicht an Leuten, die mit erfundenen, erlogenen
Schreckensnachrichten die wirkliche Gefahr übersteigerten.
Einige behaupteten, in Misenum sei dies und das eingestürzt,
anderes stehe in Flammen - blinder Lärm, aber sie fanden
Glauben.
Dann hellte
es sich ein wenig auf, doch es war anscheinend nicht das
Tageslicht, sondern ein Vorbote des nahenden Feuers. Aber
das Feuer blieb in ziemlicher Entfernung stehen; es wurde
wieder dunkel, wieder fiel Asche, dicht und schwer, die wir,
fortgesetzt aufstehend, abschüttelten; wir wären sonst
verschüttet und durch die Last erdrückt worden. Ich könnte
damit prahlen, dass sich mir trotz der furchtbaren Gefahr
kein Seufzer, kein verzagtes Wort entrungen hatte, hätte ich
nicht - ein schwacher, aber für uns Menschen immerhin ein im
Tode wirksamer Trost - fest geglaubt, ich ginge mit allem
und alles mit mir zugrunde.
Endlich
wurde der Qualm dünner und verflüchtigte sich sozusagen zu
Dampf oder Nebel. Bald wurde es richtig Tag, sogar die Sonne
kam heraus, doch nur fahl wie bei einer Sonnenfinsternis.
Den noch verängstigten Augen erschien alles verwandelt und
mit einer hohen Ascheschicht wie mit Schnee überzogen.
Wir kehrten
nach Misenum zurück, machten uns notdürftig wieder zurecht
und verbrachten eine unruhige Nacht, schwankend zwischen
Furcht und Hoffnung. Die Furcht überwog, denn die Erdstösse
hielten an, und viele Leute, wie wahnsinnig von Schrecken
erregenden Prophezeiungen, witzelten über ihr und der
anderen Unglück. Wir konnten uns, obwohl wir die Gefahr aus
eigener Erfahrung kannten und weiter auf sie gefasst waren,
nicht entschließen wegzugehen, ehe wir nicht Nachricht von
meinem Onkel hatten.
Dies alles
gehört gewiss nicht in ein Geschichtswerk, und so wirst Du
es lesen, ohne Gebrauch davon zu machen; aber Du hast ja
danach gefragt und hast es somit Dir selbst zuzuschreiben,
wenn es Dir nicht einmal einen Brief zu verdienen scheint.
Leb wohl!
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