Heinrich Brüning (Zentrum)

Ausschnitt aus der Regierungserklärung vom 13. Oktober 1931 im Reichstag

"Allen Völkern sollte inzwischen lebendig vor Augen geführt sein, daß das Schicksal edes Staates mehr denn je in der Vergangenheit mit dem Schicksal seiner Nachbarn verflochten ist.

(Sehr wahr!)

Kein Staat kann auf die Dauer einen wirklichen Vorteil aus der Not der anderen Länder erwarten.

(Erneute lebhafte Zustimmung)

Die verderblichen Folgen politischer Zahlungen ohne wirtschaftliche Gegenleistungen haben die gesamte Weit ohne Ausnahme in heute noch unabsehbare Bedrängnis geführt.

(Sehr wahr! -- Lachen bei den Kommunisten)

Die weitschauende Initiative des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika hat leider nur eine vorübergehende Erleichterung geschaffen, so groß auch ihre Bedeutung war und so dankbar sie vom deutschen Volke empfunden wurde.

(Bravo! im Zentrum)

Schon die Ungewißheit in den Fragen der politischen Zahlungen übt fortgesetzt eine lähmende Wirkung auf den internationalen Wirtschafts- und Finanzverkehr aus. Unmittelbare und offene Aussprache, wie sie in Checkers, Paris, London, Rom und hier in Berlin gepflogen wurden und weiterhin zu führen sind, sollen den Weg zur tatsächlichen Solidarität der Nationen ebnen. Denn es muß die Möglichkeit gefunden werden, klare und ehrliche Stimmungen zwischen den Völkern der Welt zu schaffen.

(Sehr gut! in der Mitte)

Deutschland fordert bei aller verständnisvollen Rücksichtnahme auf die Lebensnotwendigkeiten der Nachbarn die Verwirklichung des Grundsatzes der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung unter den Völkern.

(Bravo! in der Mitte)

[...] Die Reichsregierung nimmt es für sich als einen Erfolg in Anspruch, daß sie rechtzeitig und als erste im Kreise der großen Nationen mit entscheidenden Sparmaßnahmen in den öffentlichen Ausgaben und mit möglichstes Senkung der Erzeugungskosten begonnen hat.

(Sehr gut! im Zentrum -- Zurufe von den Kommunisten)

Mit ihm gemeinsam wird in kurzer Frist ein Wirtschaftsprogramm für die nächsten Monate ausgearbeitet. Dieses Programm hat als erste Voraussetzung

(Zuruf von den Kommunisten: Hungerprogramm!)

die Aufrechterhaltung der Stabilität unserer Währung, an der unter keinen Umständen gerüttelt werden kann.

(Lebhafte Zustimmung in der Mitte und bei der Deutschen Arbeiterpartei. Zuruf: Dann werden die anderen rütteln)

Von entscheidender Wichtigkeit ist die Durchführung eines ausgearbeiteten Planes zur Tilgung der kurzfristigen Schulden und ebenso eine endgültige Klärung der Reparationsfrage. [...]

1929 haben wir noch 7,2 Millionen Tonnen agrarischer Produkte importiert, '30 5,7 und nach den Ergebnissen der letzten/der ersten Monate dieses Jahres, in diesem Jahre schätzungsweise nur noch 3,2 Milliarden [Millionen] Tonnen.

(Unruhe bei den Kommunisten)

Wir sind also unter die Hälfte des Jahres 1929 gekommen. Und daß alles nicht so falsch ist, beweist ja auch die Tatsache, daß selbst in dem Augenblick der schwersten Krise es nicht so ist, daß die Arbeitslosigkeit in den vergangenen vier Wochen in einem Umfange gestiegen ist, wie wir ihn ursprünglich nach der Lage der ganzen Weitsituation uns selbst berechnet hatten. Und deswegen, so sehr wie ich wünschte, daß hier in Deutschland eine Möglichkeit wäre, daß ich einmal nur für wenige Monate, die noch bis zu einer notwendigen internationalen Lösung, die allein die Beruhigung in der Welt und die Grundlagen für den Wiederaufstieg bringen kann, einmal die Parteien zusammenfinden möchte, so muß ich sagen, daß wenn das nicht möglich ist, diese Reichsregierung entschlossen ist, hier vor dem Reichstage ihre Politik zu verteidigen und, meine Damen und Herren, zu verteidigen, nicht mehr wie sie sie in den Wintermonaten verteidigen mußte, nicht ohne sagen zu können, daß sie bislang keine sichtbaren Erfolge in der Außenpolitik und auf manchen anderen Gebieten hatte. Sondern heute kann sie sagen, daß der Weg frei ist, und daß auch der kommende schwere Winter unter allen Umständen überstanden werden kann."

Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt am Main

Verhandlungen des Reichstags. Stenographische Berichte. V. Wahlperiode 1930. Bd.446. 53. Sitzung. Berlin 1932, S. 2070, 2072 und 2077.

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