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Die Märztage in Berlin
oder
die Nacht des Freiheitskampfes,
am 18. März 1848.
Der Sturm, der mit wachsender Gewalt das königliche
Schloß umbrauste, konnte nicht länger überhört werden, und hätte man die
Ohren verstopfen wollen, der Ruf von Österreich wäre hindurchgedrungen, daß
Preußen jetzt vereinzelt in Deutschland dastehe, daß es die Gewalt der
Ereignisse bei weitem überholt, und seine Stellung gänzlich unhaltbar
geworden sei. Aus diesem Gefühle ging auch der Entschluß hervor, es zum
Kampf auf Tod und Leben kommen zu lassen, und dieser gänzliche Wechsel in
der inneren Gesinnung prägte sich auch blitzschnell in der äußeren
Erscheinung der Stadt aus. Es wurden sogleich Barrikaden, die sich in
wenigen Stunden über die ganze Stadt ausdehnten, bis zur Zahl von 5 000
errichtet, dann wurde mit allen Glocken Sturm geläutet, das Straßenpflaster
aufgerissen, mehrere Straßen mit Glasscherben bestreut, spitziges Eisen in
den Boden getrieben, um der Reiterei den Weg unmöglich zu machen. Steine
wurden auf die Dächer geschafft und sogar abgedeckt, siedendes Wasser und Öl
war in Bereitschaft. Leute jeden Alters, Geschlechts und Standes waren
dabei, und nur beim Heranrücken des Militärs entfernten sich Frauen, Kinder,
Greise in die Häuser, alles Bereitgehaltene herabzuschleudern. Mit der
Beleuchtung der Häuser verfuhr man in der Weise, daß die Fenster des zweiten
Stockes beleuchtet wurden, sobald die Kämpfer Licht oder Dunkelheit
bedürften, wenn ihr Rückzug sie den Blicken des verfolgenden Feindes
entziehen sollte. Die Kämpfer anlangend, so erblicken wir unter ihnen
Studenten, Schriftsteller, Künstler, junge Beamte und Arbeiter; Polen mögen
wenige als Mitkämpfer gefehlt haben. Die Schützen-Gilde machte eine, am
besten bewaffnet und im Gebrauch der Gewehre große Wirkung. Eines der
hitzigsten Gefechte war bei der Barrikade in der Breitenstraße, unfern des
köllnischen Rathauses! Der Kampf währte drei Stunden, fünfmal lief das
Militär dagegen Sturm, 4 Offiziere und 30 Mann wurden getötet; es wurde mit
Kartätschen dagegen geschossen, aber erst, nachdem fortwährend neue Truppen
herbeigezogen waren, wurden die Verteidiger überwältigt. Jedoch im Rücken
waren neue Barrikaden errichtet, und die ihnen nachdrängenden Truppen mit
Steinhagel vom köllnischen Rathause empfangen. Und als Mangel an Waffen
wurde, so sind gleich mehrere Kasernen, Waffenläden und wo man nur Waffen
hoffte, erstürmt worden. Die einzeln auf der Straße getroffenen Offiziere
und Soldaten wurden entwaffnet. Am mörderischsten war der Kampf am
Landwehrzeughaus in der Lindenstraße, bei dessen Verteidigung sich besonders
zwanzig Offiziere auszeichneten, welche von den Fenstern aus ein
wohlgezieltes Feuer gegen die Anstürmenden unterhielten. Letztere wurden von
einem Arbeiter aus Halle, namens Hesse, angeführt, der, jede Gefahr kühn
verachtend, den Kampf unnachlassend fortsetzte. Da es seinem Haufen jedoch
gänzlich an Feuerwaffen fehlte, so wurden mehrere Bürgerschützen
herbeigeholt, welche die Verteidiger von den Fenstern vertrieben und es dem
braven Hesse und seinen Gefährten möglich machten, die Türen zu sprengen und
in das Innere einzudringen. Fast durch die ganze Nacht hat der Streit
gedauert, und der vorgefundene Waffenvorrat kam schon zu spät, um bei dem
bald beendeten Blutbad noch wirksame Dienste zu leisten. Nun wurde das
Militär von allen Posten entfernt, Bürger, Studenten und Arbeiter besetzten
das Schloß und alle öffentlichen Gebäude. Einen schauerlichen Eindruck
machten die Leichen der Gefallenen, jedes Haupt mußte sich entblößen. Die
Zahl der Gefallenen, die öffentlich bestattet wurden, war 155; viele
Familien beerdigten die ihrigen abgesondert; die Verwundeten wurden im
Schloßgebäude unter der Königin Aufsicht aufs beste verpflegt, 700
verwundet, von denen viele starben. Der Verlust des Militärs wird auf 1 590
gerechnet. Den 22. März ertönten alle Glocken der Stadt zum Aufbruch des
Zuges, der sich um 2 Uhr in Bewegung setzte, wobei die Särge von Jungfrauen
mit Blumen und Kränzen, Bürgergarden, Studenten, Arbeitern mit Fahnen
begleitet wurden. Tränen waren in aller Augen.
Gedruckt bei M. Leil, Leopoldstadt,
Weintraubengasse Nr. 503
zitiert nach:
Revolution 1848
Die Maerztage in Berlin |