Am Sklavenmarkt in Savannah verkauft

 

Es war eine unruhige, wolkenlose Nacht. Ich wälzte mich in meinem Bett hin und her, während der Mond, der in dieser Nacht seine volle Größe erreicht hatte, durch das geöffnete Fenster direkt auf mein Gesicht schien und einen ruhigen Schlaf verhinderte. Abermals hatte ich diesen schrecklichen Traum von meiner Mutter, die als schwarze Frau aus Afrika geholt, nach Amerika gebracht und dort auf einem Sklavenmarkt verkauft wurde. Andere Menschen wären vielleicht aus dem Traum erwacht und hätten das beruhigende Gefühl gehabt, es sei nur ein Albtraum gewesen, ich aber wurde von dem tragischen Schicksal meiner Mutter wieder einmal eingeholt.

Es war im Jahre 1730, als meine afrikanische Mutter von weißen Händlern mit einem Schiff nach Amerika gebracht wurde. Nachdem sie die äußerst anstrengende Reise, auf der fast die Hälfte aller Gefangenen unter Deck starben,  überstanden hatte, wurde sie auf den Sklavenmarkt in Savannah gebracht. Die Händler versuchten die Sklaven, die sie nicht als Menschen, sondern als ihre Ware, betrachteten, mit Fleisch, Getreide und Kakaomilch zu stärken, um sie für einen besseren Preis verkaufen zu können. Auf diesem Verkaufsmarkt verglichen die weißen Zuschauer, Interessenten und Käufer die Sklaven mit lauter Stimme, lachten alte Frauen und Männer aus, spotteten über deren offensichtlichen Ängste und ihre schwarzen Körper, während sie bei dem Verkauf einer jungen, hübschen Frau, wie auch bei meiner Mutter, pfiffen. Meine Mutter, die als "bessere Ware" galt, wurde an einen Baumwollplantagenbesitzer verkauft, der sehr viele Arbeitskräfte auf seinem Gut brauchte. Als sie auf dem Hof ihres Käufers ankam, musste sie sofort mit der Arbeit beginnen. Der Bauer sah meiner Mutter und den anderen Sklaven jeden Tag bei der Arbeit zu und sobald jemand nur einen Augenblick Pause machte, weil er von den täglichen Strapazen so erschöpft war, bekam er heftige Schläge mit der Peitsche. Der Arbeitstag der Sklaven betrug täglich 15 Stunden, in denen sie nur eine einzige Pause von 15 Minuten in der Mittagszeit hatten. Am Abend kehrten sie in ihre kleinen Hütten zurück, in denen sie zu ca. einem Dutzend zusammen lebten. Jeder musste auf Brettern schlafen, auf welchen nur eine Auflage aus grober Wolle lag. Wer eine bessere Schlafmöglichkeit wollte, musste sie sich selbst kaufen. Meine Mutter und fast alle Sklaven hatten dafür kein Geld, denn das Belobigungsgeld, das der Bauer hin und wieder auszahlte, war so gering, dass es Jahrzehnte gedauert hätte sich irgendetwas Neues zu kaufen.

Aber obwohl die Sklaven von dem Bauern wegen jeder Kleinigkeit bestraft wurden, hielten sich nicht alle Sklaven an alle Regeln, die ihnen vorgeschrieben wurden. Wenn der Bauer z.B. gewusst hätte, dass meine Mutter lesen und schreiben kann, wäre sie bestraft worden, denn Lesen zu können war verboten. Es war ebenfalls verboten an jeglichem Unterricht teilzunehmen oder irgend etwas zu unterrichten. Trotzdem widersetzte sich meine Mutter den Regeln und organisierte nächtliche Übungstreffen für Sklaven, die Lesen lernen wollten. Eines Abends bemerkte der Bauer jedoch, dass Licht in einer der kleinen Hütten brannte. Darauf stürzte er in die Behausung und überraschte die Sklaven bei einem Übungstreffen, das von meiner Mutter organisiert worden war. Er zerrte meine Mutter aus der Hütte heraus, während die anderen Sklaven, völlig verängstigt in ihre "Betten" sprangen. Im Haus ihres Besitzers wurde meine Mutter bis zur Ohnmächtigkeit geschlagen und wurde grausam misshandelt. Meine Mutter hatte Glück im Unglück, denn der Besitzer hätte sie auch zu Tode foltern können, wie er es schon mit anderen Sklaven gemacht hatte, als sie sich nicht den Regeln beugten und z.B. flüchteten. Durch diese Misshandlung entstand ich. Natürlich wusste der Besitzer von mir und wollte mich, sobald ich auf der Welt wäre töten, denn es wäre eine Schande ein Kind mit einer Sklavin zu haben, außerdem war er ja verheiratet. Die Frau des Plantagenbesitzers aber war an diesem Abend nicht zu Hause gewesen und hatte nichts von all dem mitgekriegt, aber die 19-jährige Tochter, die ihren Vater aufgrund der schlechten Behandlung der Sklaven hasste, hatte alles beobachtet. Daraufhin bat sie meiner Mutter, natürlich heimlich an, mich, wenn ich geboren bin aufzunehmen und groß zu ziehen. Meine Mutter lehnte die Hilfe anfangs misstrauisch ab, nahm sie bald jedoch dankend an und so flüchtete sie kurz vor meiner Geburt in das Haus von Val, der Tochter des Bauern, am anderen Ende der Stadt. Dort gebar sie mich. Kurz nach meiner Geburt verließ sie die Stadt, um nicht die Aufmerksamkeit des Plantagenbesitzers, der bereits nach uns suchte, auf mein Versteck zu lenken. Aber wie es das Schicksal wollte, griff der Bauer meine Mutter auf der Flucht auf und stellte ihr das Ultimatum, dass er sie am Leben lassen würde, wenn sie ihm verriet, wo ich war. Obwohl er sie grausam folterte, verlor sie kein Wort über mein Versteck. Er machte solange weiter bis meine Mutter an den Qualen starb.

Noch in der gleichen Nacht verschwand Val mit mir aus der Stadt und wir zogen nach dem Norden, wo keine Sklaverei herrschte. Sie erzog mich als wäre ich ihr eigenes Kind. Als ich alt genug war, erzählte sie mir von meiner Abstammung und gab mir das Foto meiner Mutter, dass Val all die Jahre bei sich trug.

Noch immer herrscht im Süden die Sklaverei, aber ich hoffe, dass die Schwarzen eines Tages freie Menschen sind. Ich meinerseits bin halb weiß und halb schwarz. Ich habe einen wunderbaren Ehemann, zwei süße Kinder, eine tolle Halbschwester, namens Val, die mich aufzog und der ich mein Leben zu verdanken habe UND ich habe durch Erzählungen eine Vorstellung von meine Mutter, die ihr Leben opferte, um mir ein Leben zu geben.

 

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