Besatzungsstatut
Das Besatzungsstatut regelt die Zuständigkeit der Westalliierten für
wichtige Politikbereiche in der Bundesrepublik Deutschland.
J.F. Carthaus (Druck)
Bonn, 21. September 1949
Papier, Druck
37,5 x 27 x 2,4 cm; 37,5 x 54,7 cm (aufgeschlagen)
Haus der Geschichte, Bonn
EB-Nr.: 1999/09/0441
Besatzungsstatut zur Abgrenzung der Befugnisse und
Verantwortlichkeiten zwischen der zukünftigen deutschen Regierung und der
Alliierten Kontrollbehörde vom 10. Mai 1949
In Ausübung der obersten Gewalt, welche die Regierungen Frankreichs,
der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs beibehalten,
proklamieren wir,
General Pierre Koenig, Militärgouverneur und Oberbefehlshaber der
französischen Zone Deutschlands,
General Lucius D. Clay, Militärgouverneur und Oberbefehlshaber der
amerikanischen Zone Deutschlands, und
General Sir Brian Hubert Robertson, Militärgouverneur und
Oberbefehlshaber der britischen Zone Deutschlands,
hiermit gemeinsam das folgende Besatzungsstatut:
1.
Die Regierungen Frankreichs, der Vereinigten Staaten und des Vereinigten
Königreichs wünschen und beabsichtigen, daß das deutsche Volk während
des Zeitraumes, in dem die Fortdauer der Besetzung notwendig ist, das mit
der Besetzung zu vereinbarende größtmögliche Maß an Selbstregierung
genießt. Abgesehen von den in diesem Statut enthaltenen Beschränkungen
besitzen der Bund und die ihm angehörigen Länder volle gesetzgebende,
vollziehende und richterliche Gewalt gemäß dem Grundgesetz und ihren
Verfassungen.
2.
Um sicherzustellen, daß die Grundziele der Besetzung erreicht werden,
bleiben auf folgenden Gebieten Befugnisse ausdrücklich vorbehalten,
einschließlich des Rechts, Auskünfte und Statistiken, welche die
Besatzungsbehörden benötigen, anzufordern und nachzuprüfen:
a) Die Abrüstung und Entmilitarisierung, einschließlich der damit
zusammenhängenden Gebiete der wissenschaftlichen Forschung, die Verbote
und Beschränkung der Industrie und die zivile Luftfahrt;
b) die Kontrollen hinsichtlich der Ruhr, die Restitutionen, die
Reparationen, die Dekartellisierung, die Entflechtung, die
Handelsdiskriminierungen, die ausländischen Interessen in Deutschland und
die Ansprüche gegen Deutschland;
c) auswärtige Angelegenheiten, einschließlich internationaler Abkommen,
die von Deutschland oder für Deutschland abgeschlossenen werden;
d) kriegsversprengte Personen (displaced persons) und Zulassung von
Flüchtlingen;
e) Schutz, Ansehen und Sicherheit der alliierten Streitkräfte,
Angehörigen, Angestellten und Vertreter, deren Vorrechte, sowie die
Deckung der Kosten der Besatzung und ihrer anderen Anforderungen;
f) die Beachtung des Grundgesetzes und der Länderverfassungen;
g) die Kontrolle über den Außenhandel und Devisenverkehr;
h) die Kontrolle über innere Maßnahmen, jedoch nur in dem Mindestumfang,
der erforderlich ist, um die Verwendung von Geldmitteln, Lebensmitteln und
anderen Lieferungen derart sicherzustellen, daß die Notwendigkeit
auswärtiger Hilfe für Deutschland auf ein Mindestmaß herabgesetzt wird;
i) die Kontrolle der Versorgung und Behandlung von Personen in deutschen
Gefängnissen, die vor den Gerichten oder Tribunalen der Besatzungsmächte
oder Besatzungsbehörden angeklagt oder von diesen verurteilt worden sind,
über die Vollstreckung von Urteilen, die über diese Personen verhängt
wurden, und über andere sie betreffende Fragen der Amnestie, Begnadigung
oder Freilassung.
3.
Die Regierungen Frankreichs, der Vereinigten Staaten und des Vereinigten
Königreichs hoffen und erwarten, daß die Besatzungsbehörden keinen
Anlaß haben werden, auf anderen Gebieten als auf den ihnen oben
ausdrücklich vorbehaltenen einzugreifen. Die Besatzungsbehörden behalten
sich indessen das Recht vor, auf Weisung ihrer Regierungen die Ausübung
der vollen Gewalt ganz oder teilweise wieder zu übernehmen, wenn sie dies
als wesentlich ansehen für die Sicherheit oder die Aufrechterhaltung der
demokratischen Regierung in Deutschland oder als Folge der internationalen
Verpflichtungen ihrer Regierungen. Bevor sie entsprechende Schritte
unternehmen, werden sie die zuständigen deutschen Behörden von ihrer
Entscheidung und deren Gründen förmlich unterrichten.
4.
Die deutsche Bundesregierung und die Länderregierungen haben die
Befugnis, nach ordnungsmäßiger Unterrichtung der Besatzungsbehörden auf
den Gebieten, die den Besatzungsbehörden vorbehalten sind, Gesetze zu
erlassen und tätig zu werden, es sei denn, daß die Besatzungsbehörden
ausdrücklich anders bestimmen, oder daß derartige Gesetze oder
Maßnahmen mit den von den Besatzungsbehörden selbst getroffenen
Entscheidungen oder Maßnahmen unvereinbar sind.
5.
Jede Änderung des Grundgesetzes bedarf vor ihrem Inkrafttreten der
ausdrücklichen Zustimmung der Besatzungsbehörden. Länderverfassungen,
Änderungen dieser Verfassungen, jedes andere Gesetz und jede
Vereinbarung, die zwischen dem Bund und auswärtigen Regierungen getroffen
wird, treten 21 Tage nach ihrem amtlichen Eingang bei den
Besatzungsbehörden in Kraft, sofern sie nicht von diesen vorher,
einstweilig oder endgültig, abgelehnt worden sind. Die
Besatzungsbehörden werden ein Gesetz nicht ablehnen, es sei denn, daß es
nach ihrer Ansicht mit dem Grundgesetz, einer Länderverfassung, den
Gesetzen oder sonstigen Anordnungen der Besatzungsbehörden selbst oder
mit den Bestimmungen dieses Status unvereinbar ist oder daß es eine
schwere Bedrohung der Grundziele der Besetzung darstellt.
6.
Mit dem alleinigen Vorbehalt der Erfordernisse ihrer Sicherheit
garantieren die Besatzungsbehörden, daß alle Besatzungsorgane die
bürgerlichen Rechte jeder Person achten, auf Schutz vor willkürlicher
Verhaftung. Durchsuchung oder Festnahme, auf Vertretung durch einen
Anwalt, auf Freilassung gegen Kaution, sofern die Umstände dies
rechtfertigen, auf Verkehr mit den Angehörigen und auf ein rechtes und
schnelles Verfahren.
7.
Die Gesetze, welche die Besatzungsbehörden vor Inkrafttreten des
Grundgesetzes erlassen haben, bleiben gültig, wenn sie nicht von den
Besatzungsbehörden in Übereinstimmung mit den folgenden Vorschriften
aufgehoben oder abgeändert werden:
a) Gesetze, die mit den vorstehenden Bestimmungen unvereinbar sind, werden
aufgehoben oder so gehandhabt werden, daß sie mit ihnen vereinbar sind;
b) Gesetze, die auf den vorbehaltenen Befugnissen gemäß § 2 beruhen,
werden kodifiziert werden;
c) nicht unter Absätze a) oder b) fallende Gesetze werden auf Verlangen
der zuständigen deutschen Behörden von den Besatzungsbehörden
aufgehoben werden.
8.
Jede Maßnahme soll als Handlung der Besatzungsbehörden im Rahmen der
hier vorbehaltenen Befugnisse angesehen und als solche auf Grund dieses
Statuts wirksam werden, sofern sie in einer Weise ergriffen oder
begründet wird, die in einer Vereinbarung zwischen den
Besatzungsbehörden vorgesehen ist. Die Besatzungsbehörden können nach
ihrem Ermessen ihre Entscheidungen entweder unmittelbar oder durch
Weisungen an die zuständigen deutschen Behörden zur Ausführung bringen.
9.
Nach 12 Monaten und in jedem Fall innerhalb von 18 Monaten nach
Inkrafttreten dieses Statuts werden die Besatzungsmächte seine
Bestimmungen überprüfen im Lichte der Erfahrungen, die bei seiner
Anwendung gemacht wurden, und im Hinblick auf eine Erweiterung der
Zuständigkeit der deutschen Stellen auf den Gebieten der Gesetzgebung,
Exekutive und der Rechtspflege.
Dem Parlamentarischen Rat in Bonn mit einer Note übermittelt am 10.
April 1949.
Quelle: Sonderdruck sowie Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission in
Deutschland, Nr. 1, S. 13 ff.