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Eine schwere
Geburt
Schwere Geburt der
Weimarer Republik |
Ersehnt seit über
einem halben Jahrhundert von geistigen Kräften und politischen
Bewegungen, war die Gründung der 1.deutschen Republik im
November 1918 ein doch von niemandem richtig erwünschtes
Ereignis.
Als der Kaiser und die Oberste HeeresLeitung
unter Ludendorff und Hindenburg im August von 1918 die
Aussichtslosigkeit des, als so sicher zu gewinnen geglaubten
Krieges, bewußt werden, wird durch einen Erlaß des Kaisers im
September die Demokratisierung des deutschen Staatswesens
eingeleitet.
Auf einmal stehen der neue Reichskanzler Prinz Max von Baden und
sein Kabinett, bestehend aus Zentrum, Fortschritt und
Sozialdemokraten, vor der Verantwortlichkeit den Krieg zu
beenden und dies vor dem Volk zu begründen.
Auf Drängen des Kaisers besteht der 1.Akt der neuen Regierung
nun darin den Alliierten ein Waffenstillstandsangebot zu
unterbreiten. Eine Handlung die das Volk, welches bis dahin
allein durch euphorisierende Hoffnungen und Versprechungen die
Leiden und Entbehrungen des Krieges ertragen hatte, als
grausamen Verrat der neuen Regierung empfindet. Mit diesem
offenen Eingeständnis der absehbaren Kapitulation, also der Unmöglichkeit
des Sieges, ist der Wille zur Fortsetzung des Krieges im Volk
wie bei den Soldaten gebrochen. Ausgelöst durch den Militärstreik
der Matrosen in Kiel Anfang November springt eine Welle von
Unruhen und Aufständen auf ganz Deutschland über. Wilsons
deutlichste Bedingung für den Waffenstillstand, also endlich
Frieden unter bestmöglichen Bedingungen, ist die
Demokratisierung. Die Forderung nach Abdankung des Kaisers wird
immer lauter, und am 9.November sind schließlich sämtliche
Regierungsapparate der deutschen Hauptorte abgesetzt und durch
Arbeiter- und Soldatenräte ersetzt. Unter dem Drängen der
Massen erklärt der Phillip Scheidemann (SPD) in Berlin die
Abdankung des Kaisers und ruft die Republik aus. Max von Baden
tritt überfordert zurück, der neue Reichskanzler wird
Friedrich Ebert. Die provisorische Regierung besteht aus der
radikaleren Unabhängigen SPD und
der gemäßigten Mehrheits- SPD. Ab diesem
Zeitpunkt befinden sich die Sozialdemokraten in einer Zwickmühle.
Von außen bedrängt durch den
Spartakusbund – am 9.November ebenfalls Ausrufung der
Republik, allerdings der Sozialistischen, durch Karl Liebknecht
und den Spartakusaufstand –
sehen sie sich vor der Aufgabe einerseits die zivile Ordnung und
wirtschaftliche Sicherheit wiederherzustellen, andererseits den
Überlauf der Massen zu den radikal-linken
Bewegungen zu verhindern. Zwar ist der Sturz der Monarchie
theoretisch fest im Programm der SPD verankert, in der Praxis
jedoch, v.a. der prekären Situation um 1918 übernimmt die MSPD
nur widerwillig die alleinige Regierungsverantwortung.
Hier begeht sie nun den 2.Fehler aus Sicht der Bürger:
Ihr vorrangiges Ziel der Wiederherstellung der Ordnung und der
Verhinderung eines bolschewistischen Chaos (Angst vor dem Übergreifen
der gerade erfolgenden russischen Revolution), nur möglich
durch eine staatstragende Militärgewalt, also den sicheren Rückzug
der Armee und deren Akzeptanz der neuen Regierung, bewegt Ebert
am 10.November dazu ein Bündnis mit Groener, dem neuen Leiter
der OHL, einzugehen. Somit wird die Revolution, besonders
aus Sicht der Linksextremen, also den unteren Schichten, auf
halben Wege verraten und gestoppt. Herrschafts- und
Geistesapparat des Kaiserreichs bleiben erhalten. Verwaltung
(Parteien), Generalität, Justiz, Universitäten, Kirchen und
Wirtschaft arbeiten für eine Republik ohne an sie zu glauben.
Durchsetzt von monarchistisch-revisionistischem Gedankengut und
Angst vor dem bolschewistischen Terror verhindern sie eine
gesellschaftliche Umstrukturierung. Die Klassen der Republik
sind dieselben des Kaiserreiches. Die Folgen des Krieges sind
hauptsächlich spürbar bei Arbeitern und Bauern. Man kann also
sagen: Der alte konservative Verwaltungsapparat strebt zurück
zur autoritären Monarchie, die Regierung in Form der SPD zur
parlamentarischen Monarchie und einer langsamen Entwicklung zur
Demokratie, und die Spartakisten, die Linksradikalen sehen die
Revolution als unvollendet und wünschen einen radikalen
gesellschaftlichen Umsturz. Die große Masse der Bevölkerung
ist verunsichert, verwirrt, lebt im Elend, sehnt sich allein
nach der Rückkehr zu einem normalen Leben. Zusätzlich
vernichtend wird die Regierung dann von der Entscheidung über
die Kriegsschuldfrage im Laufe des Versailler Vertrages
getroffen. Getrieben von eigennützigen, kurzsichtigen
Interessen erlegen die Alliierten den Deutschen die Alleinschuld
am Kriege auf. Zusätzlich muß Deutschland immense
Reparationszahlungen, Gebietsabtretungen, Abgabe von Kolonien,
und eine Heeresverkleinerung akzeptieren; das Volk sieht die
Schuld bei den Initiatoren des Waffenstillstandsabkommens, also
der sozialdemokratischen Regierung. Von Hindenburg selber wird
nun die Dolchstoßlegende verbreitet. Vor der
Nationalversammlung beschuldigt er die SPD durch die Revolution
1918 der OHL in den Rücken gefallen zu sein, also das Militär
durch ideologische Zersetzungsarbeit kampfunfähig gemacht zu
haben. Die Weimarer Verfassung, die im Januar 1919 in Kraft
tritt, basiert auf der Vorrausetzung, dass das Volk sich selbst
Autorität sein kann. Dies aber ist nicht gegeben. Allein in den
letzten Jahrzehnten wurde der Bevölkerung durch Bismarck und
Wilhelm II. Ein obrigkeitsstaatliches Denken und untertanenbewusstes
Verhalten regelrecht eingeimpft.
Das nun geforderte politische
Handlungsvermögen und die noch nie erfahrene
Eigenverantwortlichkeit bewirkt bei den Bürgern ebensoviel
Verunsicherung, wie bei der unerfahrenen Regierung. Vom jetzt
geltenden unbeschränkten Parlamentarismus wird gefordert sich
in einer absolut chaotischen Lage zu etablieren, ohne erfahrene,
zuverlässige Unterstützung. Die Aufmerksamkeit der
ohnehin schwachen Regierung wird von konkreteren Fragen in
Anspruch genommen. "Roter Terror" in Sachsen, Thüringen,
und im Ruhrgebiet werden von Freikorps und der Reichswehr
niedergeschossen. Dies bewirkt wiederum einen Zulauf der unteren
Schichten zu den Linksradikalen. Sie fühlen sich von der
Regierung verraten, die sich mit der rechten Reichswehr verbündet.
Neben der neu entstandenen kommunistischen, Russland - geprägten
Massenpartei, etablieren sich auf rechtsextremer Seite, zusätzlich
zu konservativen Kräften- 1920 Kapp-Putsch-, nationalistisch- völkische
Gruppierungen. Zentrum hiervon ist das partikularistische
Bayern. Politische Morde, wie 1919 an Rosa Luxemburg, Karl
Liebknecht und dem bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner,
sowie 1921 an dem sozialdemokratischen Politiker Erzberger und
1922 an dem jüdischen Zentrumspolitiker Rathenau und dem
sozialdemokratischen Parteiführer Scheidemann, sowie
Massenexekutionen seitens rechter Freikorps und Söldner, werden
vom veralteten, konservativen Justizapparat kaum geahndet;
insgeheim sogar gutgeheißen. Die Regierung sieht hierbei
tatenlos zu. Das wirtschaftliche Chaos wird durch die sich
laufend verstärkende Inflation vergrößert. Statt Steuererhöhungen
werden Notenpressen eingerichtet, um den Reparationszahlungen
nachzukommen. So wird auch die Kluft zwischen Arm und Reich
immer größer; wieder eine Fehlentwicklung, die der neuen
Regierung angelastet wird.
1923 wird schließlich durch den Ruhrkrieg
mit Frankreich der totale Zusammenbruch der Währung herbeigeführt.
Die Regierung ist nicht mehr fähig, das gegen die französische
Besatzung streikende deutsche Volk im Ruhrgebiet zu unterstützen
und gleichzeitig auf die Einfuhren von dort zu verzichten. Die
Regierung Ebert tritt ab. Neuer Reichskanzler wird Stresemann,
mit dem eine Phase der Stabilisierung eingeleitet wird.
Die Sozialdemokraten befinden sich in den Anfangsjahren also in
einem ständigen Zwiespalt. Die Rechte wirft ihr vor die
Revolution mitgetragen bzw. verantwortet zu haben, die Linke
wirft ihr vor sie verraten zu haben. Die Regierung selbst ist
nur daran interessiert, die Auswirkungen des Vertrages von
Versailles so glimpflich wie möglich zu halten, die Weimarer
Verfassung entstehen zu lassen, und innere Ordnung und
Sicherheit herzustellen.
Da die Revolution von 1918 nur eine
politische, nicht aber eine soziale Umstrukturierung bewirkt
hat, konnte sich die demokratische Denkweise noch nicht
durchsetzen.
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Quelle: Kurt Schumacher zur Dolchstoßlegende |