[Inhalt]
Einführung
Am 20.11.1945 begann im Nürnberger Justizpalast in der Fürther-Straße
110 im Saal 600 der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher. 21 ehemals führende
Vertreter des "1000-jährigen Reiches" saßen auf der Anklagebank.
Auch gegen sechs Gruppen und Organisationen - das Reichskabinett, das Führerkorps
der NSDAP, SS und SD, SA und Gestapo, Generalstab und Oberkommando der
Wehrmacht - wurde Anklage erhoben. Sie lautete auf Verschwörung und
Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit. Nach 9 Monaten wurde am 1.10.1946 das Urteil verlesen: 12 mal
die Todesstrafe (Bormann in Abwesenheit), 3 mal lebenslänglich, 4 Zeitstrafen
zwischen 10 und 20 Jahren, 3 Freisprüche. Im Anschluß an den internationalen
Hauptkriegsverbrecherprozeß fanden die 12 Nürnberger Nachfolgeprozesse
statt. Mit dem letzten Urteil am 11. April 1949 waren die Nürnberger
Kriegsverbrecherprozesse zu Ende. Sie wurden zu einer umfassenden Darstellung
des nationalsozialistischen Regimes. Anläßlich des 50. Jahrestages des
Beginns der Nürnberger Prozesse bietet das Bildungszentrum, die
Volkshochschule der Stadt Nürnberg, interessierten Laien eine
Zusammenstellung wichtiger Inhalte der Prozesse. Den roten Faden bildet dabei
die zeitliche Abfolge der Ereignisse: von den ersten Schritten seit 1940 über
die Entstehung der Anklageschrift bis zur Eröffnung des
Hauptkriegsverbrecherprozesses. Daran schließen sich Auszüge aus den
Beweisvorträgen der amerikanischen, britischen, französischen und
sowjetischen Anklagebehörde an. Es folgt eine kurze Darstellung der Argumente
der Verteidigung und ein Überblick über das Urteil. Exemplarisch werden die
Schuldsprüche einschließlich Begründung durch das Gericht für vier der
einundzwanzig angeklagten Einzelpersonen im Wortlaut zitiert. Den Abschluß
bildet eine Übersicht über die Nürnberger Nachfolgeprozesse.
Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß stellte schon allein in
organisatorischer Sicht alles bisher Dagewesene in den Schatten. An 218 Tagen
wurde verhandelt. Das Sitzungsprotokoll umfaßt 4 Millionen Wörter und füllte
16 000 Seiten. Von der Anklage wurden 2360 Beweisdokumente vorgelegt, von der
Verteidigung 2700. Das Gericht hörte 240 Zeugen und prüfte 300 000
eidesstattliche Erklärungen. Der Prozeß wurde in vier Sprachen geführt:
englisch, französisch, russisch und deutsch.
Die vorliegende Zusammenstellung kann nur eine grobe Skizze sein. Es werden
eine Reihe wichtiger Aspekte angesprochen, andere jedoch, die in der
zeitgeschichtlichen Forschung und in der politischen Diskussion nach 1949 bis
heute eine wichtige Rolle spielen, konnten - schon aus Platzgründen - nicht
berücksichtigt werden.
Nürnberg, Juni 1995
Gabi Müller-Ballin
Einführung
Stationen auf dem Weg nach Nürnberg
Zur Vorgeschichte des Hauptkriegsverbrecherprozesses- Die Erklärung von St. James
- UNWCC und Moskauer Konferenz
- Robert Jackson wird Chef der Anklagebehörde
- Das Londoner Abkommen
Die Anklage
- Anklagevertretung
- Anklageschrift
- Anklagepunkt 1: Verschwörung
- Anklagepunkt 2: Verbrechen gegen den Frieden
- Anklagepunkt 3: Kriegsverbrechen
- Anklagepunkt 4: Verbrechen gegen die Menschlichkeit
- Die Angeklagten
- Reaktionen der Angeklagten auf die Anklageschrift
Die Prozeßeröffnung
aus den Beweisvorträgen der Anklagebehörde- Das Hoßbach-Protokoll
- KZ-Filme als Beweismaterial
- Die Schmundt-Notizen
- "Zwangsarbeit - wirtschaftliche Ausplünderung -
Verbrechen gegen die menschlichen Lebensgrundlagen"
- Zeugin Madame Vaillant-Couturier
- Oradour-sur-Glane
- Zeuge der Anklage:
Generalfeldmarschall Friedrich Paulus
- "Das Verpflegen von Kriegsgefangenen
ist eine mißverstandene Menschlichkeit"
- "Technik der Entvölkerung"
- "12 Gebote für das Verhalten der Deutschen
im Ostraum und die Behandlung der Russen"
- Lidice und andere
- Jüdische Babys in Auschwitz
Die Verteidigung
- Die Zuständigkeit des Gerichts wird in Frage gestellt
- Das "tu quoque" Argument
- Zeuge der Verteidigung:
Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz
Die Schlußplädoyers der Verteidigung und der Anklagebehörde
Die angeklagten Organisationen
Schlußworte der Angeklagten
Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde"
Die Presse in Nürnberg
Das Urteil- Die Richter
- Die Urteilsverkündung
- Zu den grundsätzlichen Rechtsfragen des Verfahrens
- Zum Begriff der Verschwörung
- Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten
- Tabelle der Strafausspüche
- Die Vollstreckung des Urteils
Zur Bedeutung von "Nürnberg
Die Nürnberger Nachfolgeprozesse
- Ärzte und Juristen
- SS und Polizei
- Industrielle und Bankiers
- Militärische Führer
- Minister und hohe Regierungsbeamte
- Tabelle der Strafaussprüche
Zeittafel
Anmerkungen und Literaturnachweis
Dokumente im Wortlaut:
A) Das Hoßbach-Protokoll, in: Der Prozeß gegen die Haupt-
kriegsverbrecher, Urkunden und anderes Beweismaterial,
Nachdruck München 1989, Bd. 1,S. 402 ff, Dokument 386-PS,
B) Fritz Sauckel, Das Programm des Arbeitseinsatzes (20.4.1942),
in: Der Prozeß ..., Urkunden ...,Bd. 1, S. 55-71, Dokument 016-PS
C) Entwurf einer Rede Krupps, "Gedanken über den großindustriellen
Unternehmer".., in: Der Prozeß gegen ..., Urkunden ..., Bd. 11,
S. 67 ff., Dokument 317-D
D) Schuldsprüche gegen Keitel, Streicher, Funk und Schacht
im Wortlaut, in: Der Prozeß gegen ..., Protokoll, Bd. 1,
S. 324 ff (Keitel), S. 340 ff (Streicher), S. 243 ff (Funk), S. 346 ff (Schacht).
Stationen auf dem Weg nach Nürnberg
Zur Vorgeschichte des Hauptkriegsverbrecherprozesses
Bereits 1940 erhoben die britische, tschechische, französische und
polnische Regierung offizielle Proteste gegen die Verbrechen, die von den
Deutschen während der Besetzung in Polen und der Tschechoslowakei begangen
wurden. Im Oktober 1941 verdammte Franklin D. Roosevelt öffentlich " die
Hinrichtung ganzer Reihen unschuldiger Geiseln" durch die Deutschen.
Winston Churchill, der englische Premierminister, schloß sich diesem Schritt
des amerikanischen Präsidenten an. Die Sowjetunion sandte im November 1941
und im Januar 1942 diplomatische Noten aus, in denen die deutsche Regierung
der "systematischen und bewußten verbrecherischen Verletzung des Völkerrechts",
die durch Brutalitäten und Gewalttaten gegen russische Kriegsgefangene, durch
Plünderungen und Zerstörungen sowie durch Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung
begangen worden sei, beschuldigt wurde.
Die Erklärung von St. James
Im Januar 1942 wurde in einer Konferenz in London der erste Schritt zur
Formulierung eines Programms für die Behandlung von Kriegsverbrechern
unternommen. An dieser Konferenz nahmen Repräsentanten folgender von den
Deutschen besetzten Länder teil: Belgien, Tschechoslowakei, Frankreich,
Griechenland, Holland, Jugoslawien, Luxemburg, Norwegen und Polen . In der
Erklärung von St. James vom 13.1.1942 bezeichneten die Konferenzteilnehmer
"als eines ihrer wichtigsten Kriegsziele die Bestrafung der für die
Verbrechen Verantwortlichen, und zwar im Wege der Rechtsprechung, gleichgültig,
ob die Betreffenden alleinschuldig oder mitverantwortlich für diese
Verbrechen waren". (1) Die Unterzeichnermächte verlangten ferner, "daß
im Geiste internationaler Solidarität a) die Schuldigen oder Verantwortlichen
ohne Ansehen der Nationalität gesucht und vor Gericht gestellt und
abgeurteilt würden, b) daß die verkündeten Urteile vollstreckt würden"(2).
In der Anerkennung der Erklärung von St. James durch die Vereingten Staaten
von Nordamerika, Großbritannien und die Sowjetunion wurde die Ansicht bekräftigt,
daß über die Kriegsverbrechen in Gerichtsverfahren verhandelt werden sollte.
UNWCC und Moskauer Konferenz
Im Oktober 1942 trat die von 17 Nationen - Australien, Belgien, Kanada,
China, Frankreich, Griechenland, Holland, Indien, Jugoslawien, Luxemburg,
Neuseeland, Norwegen, Polen, Südafrika, Tschechoslowakei, das Vereinigte Königreich
von Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika -
gebildete "Kriegsverbrechenskommission der Vereinigten Nationen"
erstmals zusammen. Die UNWCC (United Nations War Crimes Commission) wurde eine
wichtige Zentralstelle für Kriegsverbrecher-Angelegenheiten. Sie empfing und
registrierte Anzeigen, die von den Mitgliedsstaaten eingereicht wurden und veröffentlichte
Listen von Personen, die der Kriegsverbrechen verdächtig waren.
Anläßlich der Moskauer Konferenz wurde am 1. November 1943 die "Erklärung
über deutsche Grausamkeiten im besetzten Europa" von Großbritannien,
der Sowjetunion und den USA veröffentlicht. Ihrzufolge sollten
Kriegsverbrecher an das Land, in dem sie die Verbrechen verübt hatten,
ausgeliefert, und nach dem dort geltenden Recht verurteilt werden. Die
Hauptkriegsverbrecher, deren Taten nicht mehr geographisch lokalisiert werden
können, weil sie in mehreren Ländern Verbrechen begingen, sollten nach einer
gemeinsamen Entscheidung der Regierungen der Alliierten bestraft werden. Das
war die Basis für die späteren Übereinkommen, auf Grund deren die Nürnberger
und andere internationale Prozesse (Tokio) abgehalten wurden.
Robert Jackson wird Chef der Anklagebehörde
Als der Krieg in Europa sich seinem Ende näherte, stellte die Behandlung
der Kriegsverbrecher eine der wichtigsten Aufgaben für die Gestaltung des
Friedens dar. Während der Konferenz in San Francisco , Anfang Mai 1945, führten
diplomatische Vertreter der vier Alliierten Besprechungen über die Errichtung
eines Internationalen Militärgerichts zur Aburteilung der europäischen
Hauptkriegsverbrecher durch. In den USA wurde der Richter am Obersten
Bundesgericht, Robert H. Jackson am 2. Mai von Präsident Truman beauftragt,
verbindliche Verhandlungen über die in Aussicht genommenen Verfahren zu führen.
Gleichzeitig wurde er zum Chef der Anklagebehörde bestellt. Richter Jackson
sammelte zunächst einen Stab von Mitarbeitern um sich und überreichte am 6.
Juni 1945 nach einer Reihe von Besprechungen im besetzten Deutschland, in
Frankreich und in England einen vorläufigen Bericht an Präsident Truman. In
diesem Bericht, der die öffentliche Aufmerksamkeit in weitem Umfang auf sich
zog und Anlaß zu vielen Debatten zwischen Juristen und Vertretern der öffentlichen
Meinung bot, wurden die grundsätzlichen Rechtsbegriffe und der Plan der Nürnberger
Prozesse entwickelt.Sinn und Zweck der Strafverfolgung sei es, so Jackson,
"eine gut dokumentierte historische Darstellung dessen zu erarbeiten, was
nach unserer Überzeugung ein großangelegter, konzentrierter Plan war, die
Aggressionen und Barbareien anzuzetteln und zu verüben, die die Welt
schockiert haben ...Wir müssen unglaubliche Ereignisse durch glaubwürdige
Beweise festhalten." (3)
Das Londoner Abkommen
Bald nach der Veröffentlichung des Jackson-Berichtes kamen die Vertreter
der vier Alliierten in London zusammen. Die Konferenz wurde am 26.6.1945 eröffnet
und erarbeitete in den folgenden Wochen ein "Abkommen über die
Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen
Achse" sowie eine "Verfassung der Internationalen Militärgerichte".
Trotz ernster Meinungsverschiedenheiten zwischen den vier Delegationen, u.a.
bezüglich der Definition der zur Verhandlung anstehenden Verbrechen, des
Gerichtsortes, der voraussichtlichen Dauer der Verfahren, kam es am 8.8.45
nach insgesamt 15 Sitzungen zur Unterzeichnung des "Londoner
Abkommens", dem sich im folgenden 19 weitere Nationen anschlossen. Das
Londoner Abkommen basierte im allgemeinen auf den Vorschlägen des
Jackson-Berichts und regelte die Zusammensetzung, die Zuständigkeit und das
Verfahren des Internationalen Militärgerichtshofs. Berlin wurde Dauersitz des
Tribunals und Nürnberg als Verhandlungsort für den ersten Prozeß ausgewählt.
Die Signatarmächte bestimmten sodann die Mitglieder des Tribunals und die
Hauptankläger. Letztere erhoben in Berlin am 18. Oktober 1945 die Anklage
gegen 24 Einzelpersonen und sechs "Gruppen oder Organisationen".
Mit der Unterzeichnung des Londoner Statuts stand auch der Gang des
Prozesses selbst fest, denn Artikel 24 bestimmte folgenden Verlauf:
a. Die Anklage wird vorgelesen.
b. Der Gerichtshof fragt jeden Angeklagten, ob er sich schuldig bekennt oder nicht.
c. Die Anklagebehörde gibt eine einleitende Erklärung ab.
d. Der Gerichtshof fragt die Anklagebehörde und die Verteidigung, ob und
welche Beweismittel sie dem Gericht anzubieten wünschen, und entscheidet
über die Zulässigkeit jedes Beweismittels.
e. Die Zeugen der Anklagebehörde werden vernommen. Nach ihnen die der Verteidigung.
Danach wird der vom Gericht als zulässig erachtete Gegenbeweis seitens der
Anklagebehörde oder Verteidigung erhoben.
f. Der Gerichtshof kann jederzeit Fragen an Zeugen oder Angeklagte richten.
g. Anklagebehörde und Verteidiger sollen jeden Zeugen und Angeklagten,
der Zeugnis ablegt, verhören und sind befugt, sie im Kreuzverhör zu vernehmen.
h. Sodann hat die Verteidigung das Wort.
i. Nach ihr erhält die Anklagebehörde das Wort.
j. Der Angeklagte hat das letzte Wort
k. Der Gerichtshof verkündet Urteil und Strafe.(4)
Die Anklage
Anklagevertreter vor Gericht waren
jeweils als Hauptankläger
- für die USA: Justice Robert H. Jackson
- für Großbritannien: S.M. Generalstaatsanwalt Sir Hartley Shawcross, K.C.,
.M.P.
- für Frankreich: Francois de Menthon, Auguste Champetier de Ribes
- für die UdSSR: General R.A. Rudenko
Die Anklageschrift
Kernpunkt des Londoner Statuts war Artikel 6, der die Zuständigkeit des
Internationalen Militärgerichtshofes regelte.
"Die folgenden Handlungen, oder jede einzelne von ihnen, stellen
Verbrechen dar, für deren Aburteilung der Gerichtshof zuständig ist. Der Täter
solcher Verbrechen ist persönlich verantwortlich:
- Verbrechen gegen den Frieden: nämlich Planung, Vorbereitung, Einleitung
oder Führung eines Angriffskrieges oder eines Krieges unter Verletzung
internationaler Verträge, Vereinbarungen oder Zusicherungen oder
Teilnahme an einem gemeinsamen Plan oder einer Verschwörung zur Ausführung
einer der vorgenannten Handlungen;
- Kriegsverbrechen: nämlich Verletzungen der Kriegsgesetze und der
Kriegsgebräuche. Solche Verletzungen umfassen, ohne jedoch darauf beschränkt
zu sein, Ermordung, Mißhandlung oder Verschleppung der entweder aus einem
besetzten Gebiet stammenden oder dort befindlichen Zivilbevölkerung zur
Sklavenarbeit oder zu irgendeinem anderen Zweck, Ermordung oder Mißhandlung
von Kriegsgefangenen oder Personen auf hoher See, Tötung von Geiseln,
Raub öffentlichen oder privaten Eigentums, mutwillige Zerstörung von Städten,
Märkten und Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht
gerechtfertigte Verwüstung;
- Verbrechen gegen die Menschlichkeit: nämlich Ermordung, Ausrottung,
Versklavung, Verschleppung oder andere an der Zivilbevölkerung vor Beginn
oder während des Krieges begangene unmenschliche Handlungen; oder
Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in Ausführung
eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der
Gerichtshof zuständig ist, unabhängig davon, ob die Handlung gegen das
Recht des Landes , in dem sie begangen wurde, verstieß oder nicht. Anführer,
Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die an der Fassung oder Ausführung
eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der
vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen
verantwortlich, die von irgendwelchen Personen in Ausführung eines
solchen Planes begangen worden sind."(5)
In der 25.000 Wörter umfassenden Anklageschrift, die auf dem eben
zitierten Artikel 6 beruhte, wurde aus a) Verbrechen gegen den Frieden zwei
Anklagepunkte, nämlich Anklagepunkt 1 Verschwörung und Anklagepunkt 2
Verbrechen gegen den Frieden.
Worum ging es der Anklagevertretung im einzelnen? Nachfolgend zentrale
Ausschnitte aus der Anklageschrift, die die vier Anklagepunkte näher
beschreiben und erläutern.
Anklagepunkt 1: Verschwörung
Dieser Anklagepunkt bezieht sich auf die Teilnahme als Führer,
Organisatoren, Anstifter und Mittäter an der Ausarbeitung oder Ausführung
eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung, die darauf zielte oder mit
sich brachte die Begehung von Verbrechen gegen den Frieden, gegen das
Kriegsrecht und gegen die Humanität. Mit allen Mitteln, gesetzlichen und
ungesetzlichen, wobei die Verschwörer auch Drohung, Gewalt und Angriffskriege
erwogen, wollten sie erreichen: den Versailler Vertrag und seine Beschränkungen
der militärischen Rüstungen zu vernichten sowie sich die 1918 verlorenen
Gebiete und noch weitere anzueignen. Als ihre Ziele immer ungeheuerlicher
wurden, planten sie ihre Angriffskriege unter Verletzung internationaler Verträge
und Vereinbarungen. Um andere Personen für die Teilnahme zu gewinnen und sich
ein Höchstmaß an Kontrolle über das deutsche Volk zu sichern, wurden unter
anderem folgende Grundsätze aufgestellt und ausgenutzt: die Lehre vom
"deutschen Blut" und von der "Herrenrasse", von der sie
das Recht ableiteten, andere Rassen und Völker zu unterjochen und
auszurotten; das "Führerprinzip" mit unbegrenzter Macht der Führerschaft
und bedingungslosem Gehorsam der anderen; die Lehre, daß Krieg eine edle und
notwendige Beschäftigung für die Deutschen sei.
Die Verschwörer zielten darauf ab, durch Terror und mit dem gewalttätigen
Heer der SA die deutsche Regierung zu untergraben und zu stürzen. Sie
setzten, nachdem Hitler Reichskanzler geworden war, die freiheitlichen Artikel
der Weimarer Verfassung außer Kraft und verboten alle anderen Parteien. Sie
festigten ihre Macht durch Gleichschaltung, militärische Erziehung der
Jugend, Konzentrationslager, Mord, Zerstörung der Gewerkschaften, Kampf gegen
die Kirchen und pazifistischen Vereinigungen, wobei sie Organisationen wie die
SS, die Gestapo und andere einsetzten. Zur Verwirklichung ihrer
Herrenvolklehre erhoben sie die unbarmherzige Verfolgung und Ausrottung der
Juden zum Programm. Von den 9.600.000 Juden, die in Europa unter ihrer
Herrschaft lebten, sind nach vorsichtiger Schätzung 5.700.000 verschwunden.
Anklagepunkt 2: Verbrechen gegen den Frieden
Die meisten Angeklagten wirkten dabei mit, die deutsche Wirtschaft zur Ausrüstung
der Militärmaschine umzustellen. Bis März 1935 betrieben sie eine geheime
Aufrüstung . Sie verließen die Abrüstungskonferenz und den Völkerbund,
verkündeten die allgemeine Wehrpflicht und besetzten die entmilitarisierte
Zone des Rheinlandes. Sie verleibten sich Österreich und die Tschechoslowakei
ein und begannen schließlich den Angriffskrieg gegen Polen, obwohl sie wußten,
daß sie damit auch mit Frankreich und Großbritannien in Krieg geraten würden.
Sodann überfielen sie Dänemark, Norwegen, Belgien, die Niederlande,
Luxemburg, Jugoslawien und Griechenland. Sie marschierten in die Sowjetunion
ein und arbeiteten mit Italien und Japan bei dem Angriffskrieg gegen die
Vereinigten Staaten zusammen.
Insgesamt wurden von ihnen dabei 36 internationale Verträge und
Abmachungen 64 mal verletzt oder gebrochen; sie sind im Anhang C der
Anklageschrift aufgeführt. Dazu gehören unter anderem die Haager Konvention
zur friedlichen Regelung von internationalen Streitfragen von 1899 und 1907;
die Haager Konvention V über die Respektierung der Rechte und Pflichten
neutraler Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges von 1907; der
Garantievertrag von Locarno zwischen Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien
und Italien von 1925; zahlreiche Schieds- und Schlichtungsverträge
Deutschlands mit benachbarten Ländern; der Pariser Briand-Kellog-Pakt zur
Verdammung des Krieges als eines Instruments der nationalen Politik von 1928;
eine Reihe von Zusicherungen, Erklärungen und Nichtangriffsverträgen
Deutschlands; und die Verletzung des Münchner Abkommens von 1938.
Anklagepunkt 3: Kriegsverbrechen
Abschnitt A dieses Anklagepunktes behandelt die Ermordung und Mißhandlung
der Bevölkerung von besetzten Gebieten, wobei Erschießen, Erhängen,
Vergasen, Aushungern, übermäßiges Zusammenpferchen, planmäßige Unterernährung,
systematische Überarbeitung, unzureichende Hygiene, Prügel, Folter und
Experimente hervorgehoben werden. Hinzu kommen Massenmorde an Gruppen
bestimmter Rasse oder Nationalität, Verhaftung und Freiheitsentzug ohne
Gerichtsverfahren sowie unmenschliche Haft in Konzentrationslagern. Die
nachfolgenden Einzelheiten sind nur Beispiele aus der Fülle des Materials: In
Frankreich kam es zu Massenverhaftungen, denen Martern folgten wie Eintauchen
in kaltes Wasser, Erstickung, Ausrenken von Gliedern und Benutzung von
Folterwerkzeugen wie des eisernen Helms und elektrischen Stroms. In Nizza
wurden im Juli 1944 die Gefolterten zur Schau gestellt. Von 228.000 Franzosen,
die in Konzentrationslager gebracht wurden, gab es nur 28.000 Überlebende. In
Oradour-sur-Glane wurde die gesamte Ortsbevölkerung erschossen oder lebendig
in der Kirche verbrannt. Unzählige Morde und Grausamkeiten wurden in Italien,
Griechenland, Jugoslawien und in den nördlichen und östlichen Gebieten
begangen. In Polen und in der Sowjetunion gehen die Zahlen in die Millionen.
Etwa 1.500.000 Menschen wurden in Majdanek, ungefähr 4.000.000 in Auschwitz
umgebracht. Im Lager von Ganow, wo 200.000 Menschen ermordet wurden, kam es zu
ausgeklügelten Grausamkeiten wie Bauchaufschlitzen und Erfrierenlassen in
Wasserfässern. Massenerschießungen fanden unter Musikbegleitung statt. Im
Gebiet von Smolensk wurden mehr als 135.000 Menschen ermordet, im Gebiet von
Leningrad 172.000, im Gebiet von Stalingrad 40.000. In Stalingrad selbst
wurden nach der Vertreibung der Deutschen über tausend verstümmelte Leichen
von Ortsbewohnern gefunden, die Foltermerkmale aufwiesen, darunter 139 Frauen,
denen die Arme in schmerzhafter Weise nach hinten gebogen und mit Draht
zusammengeschnürt waren; einigen waren die Brüste abgeschnitten worden, auf
den Leichen der Männer war der fünfzackige Judenstern mit einem Eisen
eingebrannt oder mit einem Messer ausgeschnitten, einigen war der Bauch
aufgeschlitzt. In der Krim wurden 144.000 Menschen auf Lastkähne getrieben,
aufs Meer gefahren und ertränkt. In Babi Jar bei Kiew wurden über 100.000 Männer,
Frauen und Kinder und Greise ermordet, in Kiew selbst 195.000, im Gebiet Rowno
über 100.000, im Gebiet von Odessa 200.000, in Charkow etwa 195.000
erschossen, zu Tode gefoltert oder vergast. In Dnjepropetrowk wurden 11.000
Frauen, Greise und Kinder erschossen oder lebendig in eine Schlucht geworfen.
Mit den Erwachsenen rotteten die Nazis unbarmherzig auch die Kinder aus. Sie töteten
sie in Kinderheimen und Krankenhäusern, begruben sie bei lebendigem Leibe,
warfen sie ins Feuer, erstachen sie mit Bajonetten, vergifteten sie, führten
Experimente an ihnen aus, zapften ihnen Blut zum Gebrauch in der deutschen
Armee ab und warfen sie ins Konzentrationslager, wo sie durch Hunger, Folter
und Seuchen ums Leben kamen. Im Lager Janow in Lemberg töteten die Deutschen
8.000 Kinder in zwei Monaten.
Abschnitt B des dritten Anklagepunktes befaßt sich mit der
Deportation von Millionen Menschen aus den besetzten Gebieten zur
Sklavenarbeit und für andere Zwecke, wobei viele wegen der schrecklichen Verhältnisse
schon auf den Transporten starben. Als Beispiele werden unter anderen Belgien
angegeben, von wo 190.000 Menschen nach Deutschland verschleppt wurden, die
Sowjetunion mit 4.978.000 und die Tschechoslowakei mit 750.000 Deportierten.
Abschnitt C gilt Mord und Mißhandlung an Kriegsgefangenen, wobei
ebenfalls wieder viele Beispiele aufgeführt werden, zu denen unmenschliche Märsche,
Prügel, Hunger, Vergasungen, Foltern, Fesselungen und Erschießungen gehören.
Abschnitt D stellt fest, daß die Angeklagten im Laufe ihrer
Angriffskriege in den von den deutschen Streitkräften besetzten Ländern dazu
übergingen, in weitem Maße Geiseln aus der Zivilbevölkerung herauszugreifen
und zu töten, besonders in Frankreich, Holland und Belgien. In Krajlevo,
Jugoslawien wurden einmal 5.000 Geiseln erschossen.
Abschnitt E betrifft die Plünderung öffentlichen und privaten
Eigentums. Dazu gehörte es, den Lebensstandard in den besetzten Gebieten
durch Abtransport von Nahrungsmitteln herabzusetzen und Hungersnöte
hervorzurufen, Rohstoffe und Maschinen fortzuschaffen, Geschäftsunternehmungen
und industrielle Anlagen zu beschlagnahmen sowie Eigentümer zu zwingen, ihren
Besitz "freiwillig" abzutreten. Ferner wurden der Wert der Landeswährungen
herabgesetzt, hohe Besatzungssteuern auferlegt, Ländereien für deutsche
Siedlungszwecke enteignet, ganze Industriestädte zerstört, Kulturstätten
und wissenschaftliche Institute vernichtet, Museen und Galerien geplündert.
Frankreich wurden dabei Werte in Höhe von 1.337 Milliarden Francs entzogen.
Die Sowjetunion nennt ebenfalls enorme Zerstörungen und Ausbeutungen,
darunter 1.710 Städte und 70.000 Dörfer, die von den Deutschen zerstört
oder schwer beschädigt wurden, was 25 Millionen Menschen obdachlos machte.
Ferner hebt die Sowjetunion hervor, daß die Deutschen Gut und Museum Leo
Tolstois zerstörten, das Grab des großen Schriftstellers entweihten und
ebenso das Tschaikowskij-Museum in Klin vernichteten. Der Gesamtbetrag der der
Sowjetunion zugefügten Schäden wird mit 679 Milliarden Rubel angegeben. Die
der Tschechoslowakei entzogenen Werte beliefen sich auf 200 Milliarden Kronen.
Abschnitt F behandelt die Eintreibung von finanziellen
Kollektivstrafen. Die Gesamtsumme der Bußen zum Beispiel, die allein französischen
Gemeinden auferlegt wurden, beläuft sich auf 1.157.179.484 Francs.
Abschnitt G betrifft die frevelhafte Zerstörung von großen und
kleinen Städten und Dörfern sowie Verwüstungen ohne militärisch begründete
Notwendigkeit. In Norwegen wurde ein Teil der Lofoten zerstört, ebenso die
Stadt Telerag. In Frankreich fielen außer Oradour-sur-Glane zahlreiche andere
Orte willkürlicher Zerstörung zum Opfer, die Stadt Saint-Die wurde
niedergebrannt, der Hafenbezirk von Marseille in die Luft gesprengt, Kurorte
wurden in Trümmer gelegt. In Holland wurden Häfen, Schleusen, Deiche und Brücken
zerstört und ungeheuere Verwüstungen durch Überflutungen angerichtet.
Griechenland und Jugoslawien werden mit vielen sinnlos zerstörten Ortschaften
erwähnt, so zum Beispiel das Dorf Skela in Jugoslawien, das durch Feuer dem
Erdboden gleichgemacht wurde, wobei die Deutschen alle Einwohner töteten. Das
gleiche Schicksal erlitten Lidice und seine Bewohner in der Tschechoslowakei.
Abschnitt H ist der zwangsweisen Rekrutierung von Zivilarbeitern
gewidmet, wobei viele Parallelen zu Abschnitt B bestehen. Für Frankreich
werden 936.813 Personen genannt, die gezwungen wurden, in Deutschland zu
arbeiten.
Abschnitt I trägt die Überschrift "Zwang für Zivilbewohner
besetzter Gebiete, einer feindlichen Macht den Treueid zu leisten", womit
hauptsächlich die Bewohner von Lothringen und dem Elsaß gemeint sind.
Abschnitt J behandelt die Germanisierung besetzter Gebiete . Auch in
diesem Abschnitt werden ausschließlich Beispiele aus Frankreich angeführt,
wie zum Beispiel die Ansiedlung von 80.000 Deutschen aus dem Saargebiet und
Westfalen in Lothringen, wobei 2.000 französische Bauernhöfe Deutschen übertragen
wurden, oder die zwangsweise Germanisierung aller französischen Vor- und
Familiennamen im Departement Moselle.
Für alle im Anklagepunkt 3 genannten Taten werden die Bestimmungen, Verträge
und Konventionen genannt, die dadurch verletzt wurden.
Anklagepunkt 4: Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Dieser Anklagepunkt ist eine Erweiterung des Anklagepunktes 3 und umfaßt
folgende zwei Titel: "Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Deportation und
andere unmenschliche Handlungen gegen Zivilbevölkerungen vor oder während
des Krieges" sowie "Verfolgung aus politischen, rassischen und
religiösen Gründen. Neben Judenausrottungen werden in diesem Punkt auch
Verbrechen an einzelnen Persönlichkeiten aufgeführt, wie die Ermordung des
österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß, des Sozialdemokraten Breitscheid
und des Kommunisten Thälmann. (6)
Teil 1 und 2 der Anklageschrift , die Verschwörung und Verbrechen gegen
den Frieden betreffend, wurden in erster Linie von den Engländern und
Amerikanern verfasst. Für Robert Jackson bestand der Kern der ganzen Klage
darin,daß Verbrechen gegen den Frieden zum anerkannten Bestandteil des Völkerrechts
erklärt wurden. Die Briten setzten sich gleichfalls für dieses Ziel ein. Die
Anklagepunkte "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die
Menschlichkeit" stützten sich hauptsächlich auf das Beweismaterial über
spezifische Grausamkeiten, das von den Sowjets, Franzosen oder den von
Deutschen besetzt gewesenen Ländern vorgelegt worden war.
Die Angeklagten
Angeklagt waren 24 Einzelpersonen und 6 Gruppen und Organisationen. Die
einzelnen Personen waren (mit Funktionsangaben):
Hermann Göring
Göring war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichsführer
der SA, General der SS, Mitglied und Präsident des Reichstags, Preußischer
Innenminister, Präsident der Preußischen Polizei und Chef der Preußischen
Geheimen Staatspolizei, Präsident des Preußischen Staatsrates, Treuhänder
des Vierjahresplans, Reichsluftfahrtminister, Präsident des Ministerrates für
die Reichsverteidigung, Oberhaupt des Hermann-Göring-Konzerns und
designierter Nachfolger Hitlers: Anklagepunkte: 1,2,3,4.
Rudolf Hess
Heß war in der Zeit von 1921 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Stellvertreter
des Führers, Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Mitglied des Reichstags,
Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung, designierter
Nachfolger des "Führers" nach dem Angeklagten Göring, General der
SS und General der SA. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Joachim von Ribbentrop
Ribbentrop war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied
des Reichstags, Außenpolitischer Berater Hitlers, Vertreter der NSDAP in auswärtigen
Angelegenheiten, Botschafter in London, Organisator und Leiter der
Dienststelle Ribbentrop, Reichsminister für auswärtige Angelegenheiten,
Mitglied des politischen Stabes des "Führers" im Hauptquartier und
General der SS. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Robert Ley
Ley war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichsleiter,
Organisationsleiter der NSDAP, Reichstagsmitglied, Führer der Deutschen
Arbeitsfront, General der SA und Mitorganisator des
"Zentralaufsichtsamtes für die Wohlfahrt der Fremdarbeiter".
Anklagepunkte: 1,3,4
Wilhelm Keitel
Keitel war von 1938 bis 1945: Chef des Oberkommandos der deutschen
Wehrmacht, Mitglied des Ministerrates für die Reichsverteidigung und
Feldmarschall. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Ernst Kaltenbrunner
Kaltenbrunner war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP,
General der SS, Mitglied des Reichstags, General der Polizei, Staatssekretär
für Sicherheit in Österreich und Chef der Polizei, Polizeipräsident von
Wien, Nieder- und Oberösterreich, Leiter des Reichssicherheitshauptamtes und
Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes. Anklagepunkte: 1,3,4
Alfred Rosenberg
Rosenberg war in den Jahren 1920 bis 1945: Mitglied der NSDAP,
Reichstagsmitglied, Reichsleiter der NSDAP für Weltanschauung und Außenpolitik,
Herausgeber der nationalsozialistischen Zeitung "Völkischer
Beobachter" und der "NS-Monatshefte", Leiter des außenpolitischen
Amtes der NSDAP, Sonderbeauftragter für die gesamte geistige und
weltanschauliche Schulung der NSDAP, Reichsminister für die besetzten
Ostgebiete, Organisator des "Einsatzstabes Rosenberg", General der
SS und der SA. Anklagepunkte: 1, 2,3,4
Hans Frank
Frank war in der Zeit von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, General der
SS, Reichstagsmitglied, Reichsminister ohne Geschäftsbereich, Reichskommissar
für die Gleichschaltung der Justiz, Präsident der Internationalen
Rechtskammer und der Akademie für deutsches Recht, Chef der Zivilverwaltung
von Lodz, Oberster Verwaltungschef der Militärbezirke von Westpreußen,
Posen, Lodz und Krakau und Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete.
Anklagepunkte: 1,3,4
Wilhelm Frick
Frick war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Reichsleiter, General der
SS, Reichstagsmitglied, Reichsinnenminister, Preußischer Minister des
Inneren, Reichswahlleiter, Generalbevollmächtigter für die Reichsverwaltung,
Leiter des Zentralbüros für die Einverleibung des Sudetenlandes, Memel,
Danzig, der einverleibten Ostgebiete, Eupen, Malmedy und Moresnet, Leiter des
Zentralbüros für das Protektorat Böhmen und Mähren, Generalgouverneur für
Unter-Steiermark, Ober-Kärnten, Norwegen, Elsaß-Lothringen und für alle
anderen besetzten Gebiete, und Reichsprotektor für Böhmen und Mähren.
Anklagepunkte: 1,2,3,4
Julius Streicher
Streicher war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied des
Reichstags, General in der SA, Gauleiter von Franken, Hauptschriftleiter des
antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer". Anklagepunkte: 1,4
Walther Funk
Funk war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Hitlers
Wirtschaftsberater, Reichstagsmitglied, Pressechef der Reichsregierung,
Staatssekretär im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda,
Reichswirtschaftsminister, Preußischer Wirtschaftsminister, Präsident der
Deutschen Reichsbank, Wirtschaftsbevollmächtigter und Mitglied des
Ministerrates für die Reichsverteidigung. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Hjalmar Schacht
Schacht war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied
des Reichstags, Reichswirtschaftsminister, Reichsminister ohne Geschäftsbereich
und Präsident der Deutschen Reichsbank. Anklagepunkte: 1,2
Karl Dönitz
Dönitz war von 1932 bis 1945: Befehlshaber der U-Boot-Flottille Weddingen,
Befehlshaber der U-Boot-Waffe, Vizeadmiral, Großadmiral und oberster
Befehlshaber der deutschen Kriegsmarine, Hitlers Ratgeber und dessen
Nachfolger als Haupt der deutschen Regierung. Anklagepunkte: 1,2,3
Erich Raeder
Raeder war von 1928 bis 1945: Oberster Befehlshaber der deutschen
Kriegsmarine, Generaladmiral, Großadmiral und Admiralinspekteur der deutschen
Kriegsmarine. Anklagepunkte 1,2,3
Baldur von Schirach
Schirach war von 1924 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Mitglied des
Reichstags, Reichsjugendführer beim Stab der Obersten SA-Führung,
Reichsleiter in der NSDAP für Jugenderziehung, Leiter der Hitler-Jugend,
Reichsverteidigungskommissar, Reichsstatthalter und Gauleiter von Wien.
Anklagepunkte: 1,4
Fritz Sauckel
Sauckel war in den Jahren 1921 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Gauleiter und
Reichsstatthalter von Thüringen, Mitglied des Reichstags, Generalbevollmächtigter
für den Arbeitseinsatz innerhalb des Vierjahresplanes, zusammen mit dem
Angeklagten Ley Leiter der "Reichsdienststelle für die Fürsorge der
Fremdarbeiter", General der SS und General der SA. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Alfred Jodl
Jodl war von 1932 bis 1945: Oberstleutnant in der Operationsabteilung der
Wehrmacht, Oberst, Chef der Operationsabteilung des Oberkommandos der
Wehrmacht, Generalmajor, Chef des Wehrmachtführungsstabes und
Generalleutnant. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Martin Bormann
Bormann war in der Zeit von 1925 bis 1945: Mitglied der NSDAP,
Reichstagsmitglied, Mitglied des Stabes der Obersten Leitung der SA, Gründer
und Leiter der Hilfskasse der NSDAP, Stabsleiter des "Führer"-Stellvertreters
Heß, Leiter des Parteigerichts, Sekretär des "Führers", Mitglied
des Ministerrats für die Reichsverteidigung, Organisator und Leiter des
Volkssturms, General der SS und General der SA, Anklagepunkte: 1,3,4
Franz von Papen
Papen war in den Jahren zwischen 1932 und 1945: Mitglied der NSDAP,
Mitglied des Reichstags, Reichskanzler, Vizekanzler, Spezial-Bevollmächtigter
für die Saar, Unterhändler für das Konkordat mit dem Vatikan, Botschafter
in Wien und Botschafter in der Türkei. Anklagepunkte: 1,2
Arthur Seyß-Inquart
Seyß-Inquart war von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS,
Staatsrat in Österreich, Innenminister und Minister für Sicherheit in Österreich,
Bundeskanzler von Österreich, Mitglied des Reichstags, Reichsminister ohne
Portefeuille, Chef der Zivilverwaltung in Südpolen, stellvertretender
Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete und Reichskommissar für
die besetzten Niederlande. Anklagepunkte: 1,2,3,4
Abert Speer
Speer war in den Jahren von 1932 bis 1945: Mitglied der NSDAP,
Reichsleiter, Mitglied des Reichstags, Reichsminister für Bewaffnung und
Munition, Leiter der "Organisation Todt", Generalbevollmächtigter für
Bewaffnung in der Reichsstelle für den Vierjahresplan und Vorsitzender des Rüstungsrates.
Anklagepunkte: 1,2,3,4
Konstantin Freiherr von Neurath
Neurath war zwischen 1932 und 1945: Mitglied der NSDAP, General der SS,
Mitglied des Reichstags, Reichsminister, Reichsaußenminister, Reichsprotektor
für Böhmen und Mähren. Anklagepunkte:1,2,3,4
Hans Fritzsche
Fritzsche war von 1933 bis 1945: Mitglied der NSDAP, Hauptschriftleiter des
offiziellen deutschen Nachrichtenbüros, Chef des Rundfunksystems und der
Presseabteilung des Reichsministers für Propaganda; Ministerialdirektor im
Reichspropagandaministerium, Chef der Rundfunkabteilung der
Propagandaabteilung der Nazi-Partei und Bevollmächtigter für die politische
Organisation des Großdeutschen Rundfunks. Anklagepunkte: 1,3,4
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach
Krupp war zwischen 1932 und 1945: Leiter der Friedrich-Krupp-AG, Mitglied
des Generalwirtschaftsrates, Präsident der Reichsvereinigung der Deutschen
Industrie, Leiter der Gruppe für Kohle, Eisen und Metallprodukte unter dem
Reichswirtschaftsministerium. Anklagepunkte: 1,2,3,4 (7)
Im Anhang A der Anklageschrift wurden unter dem Namen eines jeden
Angeklagten die Tatbestände konkretisiert, auf die die Anklagevertretung sich
bei der Feststellung der persönlichen Verantwortung jedes einzelnen stützte.
Neben den einzelnen Angeklagten umfaßte die Anklageschrift sechs
"Gruppen und Organisationen": die SS, SA, den "Generalstab und
das Oberkommando der Wehrmacht", das "Reichskabinett", das
"Führerkorps" der NSDAP und "Gestapo und SD", gegen die
Erklärungen ihrer verbrecherischen Betätigung gerichtet werden sollten.
Im Rückblich erscheint es, so Telford Taylor, Mitglied der amerikanischen
Anklagebehörde und später Hauptankläger bei den Nürnberger
Nachfolgeprozessen, als überaus bemerkenswert, daß vier große Nationen mit
unterschiedlichen Rechtstraditionen und politischen Einstellungen in der Lage
waren, sich auf ein Dokument zu einigen,das eine brauchbare Basis für die
gemeinsame Anklage bot.(8)
Reaktionen der Angeklagten auf die Anklageschrift
Wie nahmen die Gefangenen das furchtbare Dokument auf? Der amerikanische
Gerichtspsychologe Gustave M. Gilbert hat die Angeklagten in ihren Zellen
beobachtet, mit ihnen gesprochen und ein genaues Tagebuch darüber geführt.
Er bittet die Gefangenen, ihre Stellungnahme zu der Anklageschrift mit ein
paar Worten an den Rand des Dokuments zu schreiben. Diese Bemerkungen spiegeln
nach Ansicht des Psychologen die Charaktere am deutlichsten wider.
Hans Fritzsche: "Es ist die schrecklichste Anklage aller Zeiten. Nur
eines ist noch schrecklicher: die Anklage, die das deutsche Volk gegen den Mißbrauch
seines Idealismus erheben wird."
Franz v. Papen: " Die Anklage hat mich entsetzt, und zwar wegen 1. der
Unverantwortlichkeit, mit der Deutschland in diesen Krieg und die weltweite
Katastrophe geworfen wurde, 2. der Anhäufung von Verbrechen, die einige Angehörige
meines Volkes begangen haben. Das letztere ist psychologisch unerklärlich.
Ich glaube, daß Heidentum und die Jahre der totalitären Herrschaft die
Hauptschuld tragen. Durch beides wurde Hitler im Laufe der Jahre ein
pathologischer Lügner."
Hjalmar Schacht: "Ich verstehe überhaupt nicht, warum ich angeklagt
bin."
Frank: "Ich erwarte den Prozeß als ein gottgewolltes Weltgericht, das
berufen ist, die furchtbare Zeit der Leiden unter Adolf Hitler zu prüfen und
zum Abschluß zu bringen."
Kaltenbrunner: " Ich fühle mich nicht schuldig an irgendwelchen
Kriegsverbrechen, ich habe nur meine Pflicht als Sicherheitsorgan getan und
weigere mich, als Ersatz für Himmler zu dienen."
Dönitz: "Keiner dieser Anklagepunkte betrifft mich letzten Endes.
Typischer amerikanischer Humor."
Keitel: "Für einen Soldaten sind Befehle Befehle."
Ribbentrop: " Die Anklage richtet sich gegen die verkehrten
Leute."
Speer: "Der Prozess ist notwendig. Es gibt eine gemeinsame
Verantwortung für so schreckliche Verbrechen - auch unter einem autoritären
System."
Heß: "Ich kann mich nicht erinnern."
Göring läßt einen Geistesblitz los: "Der Sieger wird immer der
Richter und der Besiegte stets der Angeklagte sein!" (9)
Es gab nur einen, der unter der Wucht der Anklageschrift zusammenbrach: Dr.
Robert Ley, einst mächtiger Führer der Deutschen Arbeitsfront und als
Antisemit höchstens noch von Streicher übertroffen. Ley erhängte sich am
25.10.1945 in seiner Zelle.
Leys Platz auf der Anklagebank war allerdings nicht der einzige, der leer
blieb. Zwei weitere Männer blieben dem Gericht fern. Gustav Krupp von Bohlen
und Halbach und Martin Bormann. Mit Krupp wollte die Anklagebehörde
symbolisch die deutsche Rüstungsindustrie erfassen. Die Anklageschrift warf
dem Industriellen vor:"... daß er die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer
förderte und ihre Kontrolle über Deutschland stärkte und festigte; er förderte
die Vorbereitung für den Krieg. Er nahm teil an den militärischen und
wirtschaftlichen Plänen und Vorbereitungen der Nazi-Verschwörer für
Angriffskriege; er genehmigte und leitete Kiegsverbrechen und Verbrechen gegen
die Humanität, besonders Ausbeutung und Mißbrauch von Menschen für Arbeit
in der Führung von Angriffskriegen, und nahm an diesen Verbrechen teil".
(10) Gustav Krupp war jedoch nicht verhandlungsfähig. Anträge der
Anklagevertretung, gegen ihn in Abwesenheit zu verhandeln oder an seine Stelle
Sohn Alfried zu setzen, wurden von den Richtern abgewiesen. Krupps Platz auf
der Anklagebank blieb leer. Leer blieb auch der Platz des Angeklagten Martin
Bormann, Hitlers Privatsekretär. Gegen ihn wurde in Abwesenheit verhandelt.
Die Prozeßeröffnung
Der Prozeß wurde am 20.11.1945 mit dem Verlesen der Anklageschrift durch
Lordrichter Geoffrey Lawrence, dem Vorsitzenden des Internationalen Militärgerichtshofes
in Nürnberg eröffnet. Nach dem die Anklageschrift im vollen Wortlaut
vorgetragen worden war, wurden die Angeklagten aufgefordert, sich für
"schuldig oder nicht schuldig" zu erklären. Alle Angeklagten mit
Ausnahme des abwesenden Bormann erklärten sich für "nicht
schuldig". Darauf folgte Robert Jacksons Eröffnungsrede für die
Anklagebehörde. Diese Rede wurde weithin gerühmt, häufig abgedruckt und
wird oft zitiert. Hier ein kurzer Auszug:
" ...Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen,
waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, daß die
menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde
sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben. Daß vier große
Nationen, erfüllt von ihrem Siege und schmerzlich gepeinigt von dem
geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde
freiwillig dem Richterspruch des Gesetzes übergeben, ist eines der
bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt
hat." Wenig später stellte sich Jackson offen der Frage der
"Siegerjustiz":" Bevor ich auf die Einzelheiten des
Tatbestandes eingehe, müssen noch einige allgemeine Überlegungen freimütig
erwogen werden, die das Ansehen des Prozesses in der Meinung der Welt
beinflussen könnten. Ankläger und Angeklagte sind in einer sichtlich
ungleichen Lage zueinander. Das könnte unsere Arbeit herabsetzen, wenn wir
nicht bereit wären, selbst in unbedeutenden Dingen gerecht und gemäßigt zu
sein. Leider bedingt die Art der hier verhandelten Verbrechen, daß in Anklage
und Urteil siegreiche Nationen über geschlagene Feinde zu Gericht sitzen. Die
von diesen Männern verübten Angriffe, die eine ganze Welt umfaßten, haben
nur wenige wirklich Neutrale hinterlassen. ... Wir dürfen niemals vergessen,
daß nach dem gleichen Maß, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch
wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagten einen
vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eigenen Lippen zu bringen.
Wir müssen an unsere Aufgabe mit so viel innerer Überlegenheit und geistiger
Unbestechlichkeit herantreten, daß dieser Prozeß einmal der Nachwelt als die
Erfüllung menschlichen Sehnens nach Gerechtigkeit erscheinen möge."
(11) Und an anderer Stelle: "Die Gefahr, die wir im Angesicht des
sittlichen Urteils der Welt zu gewärtigen haben, besteht darin, daß die Welt
diese Verhandlungen als politischen Prozeß betrachtet, den der Sieger dazu
benutzt, sich an den Besiegten zu rächen. ... Wir müssen allen Deutschen
klar machen, daß das Übel, für das ihre geschlagenen Führer vor Gericht
stehen, nicht die Tatsache ist, daß sie den Krieg verloren haben, sondern daß
sie ihn begonnen haben."
Einen Großteil seiner Rede widmete Jackson anschließend einem Überblick
über das Beweismaterial, auf das sich der Vorwurf der Verschwörung zur
Einleitung und Durchführung eines Angriffskrieges stützte.
Aus den Beweisvorträgen der Anklagebehörde
Das Hoßbach-Protokoll
In den nächsten Sitzungstagen wurde dazu eine Fülle von Beweisdokumenten
zitiert. Eines der Schlüsseldokumente in diesem Zusammenhang ist das "Hoßbach-Protokoll"
vom 5. November 1937. Was geschah an diesem Tag? An diesem Tag, noch fast ein
Jahr vor dem Anschluß Österreichs, fast zwei Jahre vor Kriegsbeginn, enthüllte
Hitler die ganze Reichweite seiner Pläne. Während das deutsche Volk und die
Welt noch immer mit Friedensbeteuerungen beschwichtigt wurden, fand in Berlin
eine geheime Sitzung statt. Die Teilnehmer, die sich um Hitler versammelten,
waren Reichskriegsminister Werner von Blomberg, Generaloberst Werner von
Fritsch als Oberbefehlshaber des Heeres, Generaladmiral Erich Raeder als
Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Generaloberst Hermann Göring als
Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsaußenminister Constantin von Neurath
und der persönliche Adjutant Hitlers, Oberst Friedrich Hoßbach. Hoßbach
fertigte über den Inhalt dieser Sitzung ein Protokoll an. Es überdauerte den
Krieg, wurde von den alliierten Truppen gefunden und lag nun auf dem Tisch der
Anklagevertretung in Nürnberg. "Das Schriftstück", sagte der
amerikanische Ankläger Aldermann, "zerstört jeden nur möglichen
Zweifel an den wohlüberlegten Plänen der Nazis bezüglich ihrer Verbrechen
gegen den Frieden. Dieses Schriftstück ist von so ungeheurer Bedeutung, daß
ich mich verpflichtet fühle, es in seinem vollen Wortlaut vorzulesen."
Das Hoßbach-Protokoll ist eines der wichtigsten Beweisdokumente im ganzen Nürnberger
Hauptkriegsverbrecherprozeß. Es zeigt fünf Dinge mit aller Deutlichkeit: 1.
Hitlers Aufrüstung war nicht, wie er immer wieder betonte, eine Frage von
nationaler Würde und Gleichberechtigung, sondern die erste Stufe seiner
Angriffsabsichten. 2. Seit jener Besprechung vom 5. November 1937 wußten
Wehrmachtsführung und Auswärtiges Amt, wußten die Angeklagten Göring,
Keitel, Raeder und von Neurath,daß Hitler den "unabänderlichen Entschluß"
gefaßt hatte, spätestens 1943/45 Gewalt anzuwenden und Krieg zu führen. 3.
Hitler ist entschlossen, auch seine Gesinnungsfreunde Mussolini und Franco zu
verkaufen. Es geht ihm nicht um seine Blutsverwandten, Österreicher und
Sudetendeutsche, sondern um Rohstoffe und Menschenmaterial für neue
Divisionen. 4. Alle Beteuerungen Hitlers gegenüber dem deutschen Volk und
gegenüber der Welt sind bewußte Täuschungen: "Wir haben keine
territorialen Forderungen in Europa", "Wir wollen nur den
Frieden", "Wir wissen, daß Spannungen in Europa nicht durch Krieg
gelöst werden können." 5. Hitler, der von seinem Propagandaminister
Goebbels als "der größte Feldherr aller Zeiten" gepriesen worden
ist, hat die militärische Lage vollkommen falsch eingeschätzt. Mit den
Vereinigten Staaten von Amerika hat er überhaupt nicht gerechnet. (12) (Das
Protokoll ist im vollen Wortlaut im Anhang abgedruckt)
KZ-Filme als Beweismaterial
Dann folgten im Gerichtssaal Filme über die Konzentrationslager
Buchenwald, Bergen-Belsen und Dachau. Sie wurden in dem Zustand gezeigt, in
dem amerikanische und britische Truppen sie vorgefunden hatten. Selbst für
jene, die wie Telford Taylor schon eine frühere Besichtigung mitgemacht
hatten, waren diese Bilder kaum zu ertragen. Der furchtbare Zustand der
Lebenden und die Berge nackter Leichen, die von Bulldozern in ein gewaltiges
Massengrab geschoben wurden, boten einen erschütternden Anblick.
Die Schmundt-Notizen
Nach der amerikanischen Anklagevertretung, für die ungefähr 50 Personen
vor Gericht auftraten, erhielt die britische Anklagevertretung das Wort. Ihr
Vorsitzender, Kronanwalt Sir Hartley Shawcross schilderte unter Anklagepunkt 2
"Verbrechen gegen den Frieden" die Besetzung von Polen, Dänemark,
Norwegen, Belgien, Holland, Luxemburg, Griechenland, Jugoslawien und der
Sowjetunion. Die britische Präsentation des Beweismaterials beanspruchte
knapp 4 Tage und belastete Ribbentrop, Keitel, Rosenberg, Raeder und Jodl
schwer. Zu den Beweisdokumenten gehörte eine Zusammenstellung und Auslegung
der von den Nazis verletzten zwischenstaatlichen Nichtangriffspakte. Ferner
befaßte sich Shawcross mit der Planung und Ausführung der tatsächlichen
Angriffe gegen einzelne Länder: Neben dem schon zitierten Hoßbach-Protokoll
berief er sich auf die sogenannten "Schmundt-Notizen", die bereits
von den Amerikanern in den Prozeß eingeführt worden waren und die ein
weiteres Schlüsseldokument im Nürnberger Verfahren waren. Es handelte sich
um das Protokoll einer Konferenz, die am 23.5.1939 im Arbeitszimmer des
"Führers" in der neuen Reichskanzlei stattfand. Hitlers Adjudant
Schmundt (Nachfolger von Hoßbach) hat die Aufzeichnungen angefertigt. Von den
Angeklagten waren anwesend: Göring, Raeder und Keitel. Letzterer hat die
Echtheit des Dokuments bestätigt. Entscheidend ist das Datum: der 23. Mai
1939. Zwei Monate nach Hitlers Einmarsch in Prag, zwei Monate nach Beendigung
des spanischen Geheimkrieges der Legion Condor, und nicht viel mehr als drei
Monate vor Beginn des 2. Weltkrieges fiel die Entscheidung über das Leben von
Millionen Menschen. "Es heißt, die Umstände den Forderungen
anzupassen", erklärte Hitler den Teilnehmern der Berliner
Geheimkonferenz. "Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden
Eigentums ist dies nicht möglich. Die zurückliegende Zeit ist wohl ausgenützt
worden. Alle Schritte waren folgerichtig auf das Ziel ausgerichtet.
Nationalpolitische Einigung der Deutschen ist erfolgt. Weitere Erfolge können
ohne Bluteinsatz nicht mehr errungen werden". Dann entwickelt Hitler
seine Pläne: "Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt
sich für uns um die Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung
der Ernährung. In Europa ist keine andere Möglichkeit zu sehen. Zwingt uns
das Schicksal zur Auseinandersetzung mit dem Westen, ist es gut, einen größeren
Ostraum zu besitzen. Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen, und bleibt
der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen...".
(13)Gleichsam als Resümee zu Anklagepunkt 1 und 2 wurde am 11.12. ein
Dokumentarfilm über den Nationalsozialismus in den Jahren von 1921 bis 1944
im Gerichtssaal vorgeführt.
"Zwangsarbeit - wirtschaftliche Ausplünderung - Verbrechen gegen die
menschlichen Lebensgrundlagen"
Nach der Weihnachtspause eröffnete der französische Hauptankläger
Francis de Menthon am 17.1.1946 die französische Klage. Er warf den
Angeklagten hauptsächlich und in erster Linie Kriegsverbrechen vor und wandte
sich nun den Beweisen für die Begehung derartiger Verbrechen in den besetzten
westeuropäischen Ländern zu. (Es gab eine Arbeitsteilung: Rudenko, der
sowjet. Hauptankläger konzentrierte sich auf die osteuropäischen Länder).
De Menthon teilte die den Angeklagten zu Last gelegten Kriegsverbrechen in 3
Hauptkategorien ein: "die Zwangsarbeit, die wirtschaftliche Ausplünderung
und die Verbrechen gegen die menschlichen Lebensgrundlagen". (14) Sauckel,
der "in Verbindung" mit Göring und Speer handelte, trug laut
Anklage die schwerste Last der Schuld für das Zwangsarbeitsprogramm. (Sauckels
Programm ist im Anhang abgedruckt). Unter "wirtschaftlicher Plünderung"
verstand de Menthon "sowohl die Wegnahme von Gütern aller Art wie die
Ausbeutung der nationalen Reichtümer an Ort und Stelle zugunsten des
deutschen Krieges". Im Zusammenhang mit den "Verbrechen gegen
physische Personen" behandelte de Menthon die "Exekutionen von
Geiseln, die Verbrechen der Polizei, die Deportationen, die Verbrechen gegen
Kriegsgefangene sowie die Terroraktionen gegen die Widerstandsbewegung und die
Massaker an der Zivilbevölkerung". (15) In seinem Resümee hielt de
Menthon fest: " .. der Krieg war von langer Hand vorbereitet und geplant,
und bis zum letzten Tag wäre es ein leichtes gewesen, ihn zu vermeiden, ohne
auch nur im geringsten etwas von den berechtigten Interessen des deutschen
Volkes zu opfern. Und die Greueltaten sind im Laufe des Krieges nicht unter
dem Einfluß einer wilden Leidenschaft oder eines kriegerischen Zornes oder
aus einem Gefühl der Rache begangen worden, sondern aus kalter Berechnung, in
bewußter Anwendung von Methoden und einer schon früh vorhandenen
Lehre." (16) Nach de Menthons Eröffnungsrede begann der stellvertretende
französische Hauptankläger Edgar Faure mit der Präsentation des
Beweismaterials. Beweismaterial bezüglich der "Arbeitspflicht" und
der "Ausplünderung der Wirtschaft" wurde für die Länder Dänemark,
Norwegen, Holland, Belgien, Luxemburg und Frankreich vorgelegt. Allein die
Zahlen waren niederschmetternd. Über 150.000 Belgier, 430.000 Holländer und
2,6 Millionen Franzosen waren gezwungen worden, "für die
Kriegsanstrengungen des nationalsozialistischen Deutschlands zu
arbeiten". (17) .Über 875.000 französische Arbeiter waren nach
Deutschland deportiert und fast eine Million Kriegsgefangene zur Unterstützung
militärischer Zwecke herangezogen worden. In der Beweisführung über die
"Ausplünderung der Wirtschaft" stellten die Franzosen dar, wie
Fabriken, Maschinen und andere Produktionsgüter beschlagnahmt und nach
Deutschland geschafft wurden. Noch schädlicher aber wirkte sich die
Beschlagnahme von Lebensmitteln sowie von Holz und anderen Brennstoffen aus.
Im Laufe des Krieges gingen die französischen Lebensmittelrationen auf 1.800
bis 1.300 oder weniger Kalorien pro Tag zurück, ein Niveau, das sogar nach
Ansicht der deutschen Regierung "eine Aushungerung bedeutet, die langsam
zum Tode führt". Im nächsten Schritt präsentierte die französische
Anklagevertretung Beweismaterialien über die deutschen Konzentrationslager
und über die Tötung von Geiseln. Allein in Frankreich wurden fast 30.000
Geiseln umgebracht. In den Niederlanden waren es insgesamt 3.000 und auch in
den anderen westeuropäischen Ländern verhielt es sich ähnlich. Viele
Tausende wurden eingesperrt oder in Konzentrationslager deportiert. 40.000
Franzosen starben in französischen Gefängnissen unter deutscher Kontrolle.
Dubost legte Beweise für viele Einzelfälle vor, bei denen es vor der Tötung
zu unaussprechlichen Folterungen gekommen war. (18)
Die Zeugin Madame Vaillant-Couturier
Eine der Zeuginnen, die die französische Anklagevertretung aufrief, war
Madame Vaillant- Couturier. Sie war eine mehrfach ausgezeichnete Abgeordnete
der Konstituierenden Versammlung von Frankreich. Als Mitglied der Resistance
war sie von den Deutschen Anfang 1942 in Paris verhaftet worden und hatte fast
ein Jahr in deutschem Gewahrsam verbracht. Im März 1943 war sie dann mit
einem Konvoi von 230 Französinnen nach Auschwitz gebracht und hier sowie im
Lager Ravensbrück bis Kriegsende festgehalten worden. In Auschwitz waren die
Französinnen unter derart entsetzlichen Bedingungen zur Arbeit gezwungen
worden, daß nur 49 dieses eine Jahr überlebten. Madame Vaillant-Couturier
beschrieb nun vor dem Internationalen Militärgerichtshof das
Selektionsverfahren für diejenigen, die in die Gaskammern von Auschwitz
geschickt wurden. Auch beschrieb sie die mit den Häftlingen veranstalteten
medizinischen Experimente. Bei beiden Tätigkeiten tauchte der Name von Dr.
Josef Mengele zum erstenmal im Prozeßprotokoll auf. (19)
Oradour-sur Glane
Nach dieser Zeugenvernehmung folgten Beweisdokumente für Kriegsverbrechen
gegen Kriegsgefangene und Zivilisten. Darunter befindet sich ein amtlicher
Bericht des französischen Generals Bridoux über das Massaker von
Oradour-sur-Glane. Charles Dubost verlaß ihn im Gerichtssaal: "Am
Samstag, den 10. Juni (1944) , brach eine Abteilung SS, die wahrscheinlich der
in der Gegend anwesenden Division "Das Reich" angehörte, in den
vorher gänzlich umstellten Ort ein und befahl der Bevölkerung, sich auf dem
Marktplatz zu versammeln. Die Männer wurden aufgefordert, sich in vier oder fünf
Gruppen aufzustellen, von denen alsdann jede in eine Scheune eingesperrt
wurde. Die Frauen und Kinder wurden in die Kirche geführt und dort
eingeschlossen. Bald darauf krachten MG-Salven, und das ganze Dorf sowie die
umliegenden Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt. Die Häuser wurden eines
nach dem anderen angezündet. Während dieser Zeit lebten die Frauen und
Kinder, welche den Lärm der Feuersbrunst und der MG-Salven hörten, in höchster
Angst. Um 17.00 Uhr drangen deutsche Soldaten in die Kirche ein und stellten
auf der Kommunionbank ein Erstickungsgerät auf, das aus einer Art Kiste
bestand, aus der brennende Zündschnüre hervorragten. In kurzer Zeit wurde
die Luft nicht mehr atembar; jemandem gelang es jedoch, die Sakristeitür
aufzureißen, wodurch es möglich wurde, die von der Erstickung betroffenen
Frauen und Kinder wieder zu beleben. Die deutschen Soldaten begannen dann
durch die Kirchenfenster zu schießen, sie drangen in die Kirche ein, um die
letzten Überlebenden durch Maschinenpistolenschüsse zu erledigen, und schütteten
einen leicht entzündbaren Stoff auf den Boden. Eine einzige Frau konnte sich
retten. Sie war an einem Kirchenfenster emporgeklettert, um zu fliehen, als
die Rufe einer Mutter, die dieser Frau ihr Kind anvertrauen wollte, die
Aufmerksamkeit eines Postens auf sie lenkte. Er gab Feuer und verletzte sie
schwer. Sie konnte ihr Leben nur dadurch retten, daß sie sich totstellte.
Gegen 18.00 Uhr hielten die deutschen Soldaten die in der Nähe vorbeifahrende
Lokalbahn an und ließen die nach Oradour fahrenden Reisenden aussteigen. Sie
streckten sie durch Maschinenpistolen nieder und warfen die Leichen in die
Feuersbrunst." Als nach dem Massaker wieder Menschen den eingeäscherten
Ort betraten, bot sich ihnen ein grauenvolles Bild: " In der teilweise
eingestürzten Kirche befanden sich noch verkohlte, von Kinderleichen
stammende menschliche Überreste. Gebeine waren mit der Asche des Holzgetäfels
vermengt. Ein Zeuge konnte am Eingang der Kirche den Leichnam einer Mutter
sehen, die ihr Kind in den Armen hielt, sowie vor dem Altar die Leiche eines
knienden Kindeleins und bei dem Beichtstuhl die zweier Kinder, die sich noch
umschlungen hielten." Dieser Bericht stammte keineswegs von der französischen
Regierung des ersten Nachkriegsjahres. Er wurde vielmehr von Bridoux im
Auftrag der Vichy-Regierung abgefaßt und dem deutschen Oberbefehlshaber West
übergeben. (20) Oradour war nur eine Begebenheit unter vielen hundert.
Tagelang wurden im Nürnberger Gerichtssaal die Namen von Städten und Dörfern
aufgezählt, die das gleiche und oft ein noch schlimmers Schicksal hatten.
Stunde um Stunde der Verhandlung war angefüllt mit den Zeugnissen vom Leid
von tausend, zehntausend, hunderttausend namenlosen Menschen. Die Franzosen
beendeten ihren Klagevortrag mit Beweisen hinsichtlich der "Germanisierung.der
besetzten Gebiete" (Elsaß und Lothringen) und bezüglich der
"Verfolgung aus politischen, rassischen und religiösen Gründen".
Zeuge der Anklage: Generalfeldmarschall Friedrich Paulus
Nach den Franzosen hielt als letzter der vier Anklagevertreter am 8.2.1946
Roman Rudenko, Hauptankläger für die Sowjetunion, seine Eröffnungsrede. Der
Gerichtssaal war zum erstenmal seit Wochen wieder voll besetzt. Die
Pressevertreter waren vollzählig anwesend. Rudenko schilderte noch einmal die
Eroberung der Tschechoslowakei, Polens, Jugoslawiens und der Sowjetunion. Für
große Aufregung sorgte der sowjetische Hauptankläger als er
Generalfeldmarschall Friedrich Paulus in den Zeugenstand rief. Paulus hatte im
September 1940 den Auftrag erhalten, den Operationsplan für den Angriff auf
die Sowjetunion durch eine deutsche Armee von etwa 130 bis 140 Divisionen
auszuarbeiten, mit dem Ziel, die in Westrußland befindlichen Teile der
sowjetischen Streitkräfte zu vernichten und eine Linie zu erreichen, die von
Archangelsk entlang der Wolga bis zum Kaspischen Meer verlief. Paulus
arbeitete einen derartigen Plan aus und übernahm in der Folge noch zahlreiche
weitere ähnliche Aufgaben. Über diese Tätigkeiten sollte er in Nürnberg
aussagen. Sensationell war sein Erscheinen im Zeugenstand aber vor allem aus
folgendem Grund: Ende 1941 hatte Paulus den Oberbefehl über die Sechste Armee
erhalten, die zu dieser Zeit gerade in Südrußland kämpfte. Es kam zur berühmten
Schlacht von Stalingrad, in deren Verlauf die Sechste Armee eingekesselt
wurde. Hitler befahl Paulus, bis zum letzten Mann auszuhalten, und beförderte
ihn zum Generalfeldmarschall. Aber zur tiefsten Empörung von Hitler ergab
sich Paulus schließlich mit den Überresten seiner Truppe den sowjetischen
Streitkräften. In der Gefangenschaft bildete Paulus' Untergebener General
Walther von Seydlitz-Kurzbach eine Gruppe, die sich "Nationalkomitee
Freies Deutschland" nannte, und die aus emigrierten deutschen Kommunisten
sowie aus einer großen Zahl deutscher Kriegsgefangener in der Sowjetunion
bestand. Paulus selbst schwor öffentlich dem Hitler-Regime ab. Die
angeklagten Militärs sahen der Aussage von Paulus neugierig, angespannt und
feindselig entgegen. Paulus selbst gab nichts sensationell neues von sich. Aus
Aldermanns Dokumenten und Erklärungen war bereits unstrittig hervorgegangen,
daß der deutsche Überfall auf die Sowjetunion vorsätzlich erfolgt war, und
keinesfalls als Verteidigungsreaktion auf sowjetische Initiativen. Paulus
Zeugenaussage lieferte nun das "Fleisch zu den dokumentarischen
Knochen" (21). Nachfolgend ein kurzer Auszug aus Rudenkos Verhör von
Paulus:Rudenko: "Unter welchen Umständen wurde der bewaffnete Überfall
auf die UdSSR durchgeführt?" Paulus: " Der Angriff auf die
Sowjetunion erfolgte, wie ich ausgeführt habe, nach einem von langer Hand
vorbereiteten und sorgsam getarnten Plan. Ein großes Täuschungsunternehmen,
das von Norwegen und von der französischen Küste organisiert wurde, sollte
die Absicht einer Landung in England im Juni 1941 vortäuschen und die
Aufmerksamkeit vom Osten ablenken." Rudenko: "Wie würden Sie die
Ziele bezeichnen, die Deutschland mit dem Überfall auf die Sowjetunion
verfolgte?" Paulus: "Die Zielsetzung Wolga-Archangelsk, die weit über
die deutsche Kraft ging, charakterisiert an sich schon die Maßlosigkeit der
Eroberungspolitik Hitlers und der nationalsozialistischen Staatsführung.
Strategisch hätte das Erreichen dieser Ziele die Zerschlagung der Streitkräfte
der Sowjetunion bedeutet. Wie sehr es Hitler auf die Gewinnung
wirtschaftlicher Ziele in diesem Krieg ankam, dafür kann ich ein Beispiel anführen,
das ich persönlich erlebt habe. Am 1. Juni 1942, gelegentlich einer
Oberbefehlshaber-Besprechung im Bereich der Heeresgruppe Süd in Poltawa, erklärte
Hitler: "Wenn ich das Öl von Maikop und Grozny nicht bekomme, dann muß
ich diesen Krieg liquidieren." Zusammenfassend möchte ich sagen: Die
gesamte Zielsetzung bedeutete die Eroberung zwecks Kolonisierung der
russischen Gebiete, unter deren Ausnutzung und Ausbeutung und mit deren
Hilfsmitteln der Krieg im Westen zu Ende geführt werden sollte, mit dem Ziele
der endgültigen Aufrichtung der Herrschaft über Europa." ... Rudenko:"
Wer von den Angeklagten war aktiver Teilnehmer an der Entwicklung des
Angriffskrieges gegen die Sowjetunion?" Paulus: "Von den
Angeklagten, soweit sie in meinem Blickfeld lagen, die ersten militärischen
Berater Hitlers. Das ist der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Keitel, der
Chef des Wehrmachtsführungsstabes, Jodl, und Göring in seiner Eigenschaft
als Reichsmarschall, als Oberbefehlshaber der Luftwaffe und als Bevollmächtigter
auf dem rüstungswirtschaftlichen Gebiet." (22)
"Das Verpflegen von Kriegsgefangenen ist eine mißverstandene
Menschlichkeit"
Die anschließend von der sowjetischen Anklagevertretung vorgelegten
Dokumente über Verbrechen an sowjetischen Kriegsgefangenen berichteten von
entsetzlichen Vorfällen. General Kurt von Oesterreich, der Kommandant der
Kriegsgefangenen des Danziger Wehrkreises, bestätigte in seiner
eidesstattlichen Versicherung, er habe den Befehl bekommen, daß
"Kriegsgefangenenlager ... einfach unter freiem Himmel durch Absperrung
mit Stacheldrahtzäunen errichtet werden müßten", und daß es keine
Barackenlager für die russischen Gefangenen gegeben habe. In diesen ungeschützten
Internierungslagern verhungerten und erfroren Millionen sowjetischer
Gefangener. In Generalfeldmarschall von Reichenaus Befehl über das
"Verhalten der Truppe im Ostraum" hieß es: "Das Verpflegen von
... Kriegsgefangenen ist eine ... mißverstandene Menschlichkeit."
Tausende von Gefangenen wurden in Sachsenhausen, Majdanek und anderen
Konzentrationslagern umgebracht. Gefangene deutsche Soldaten sagten aus, daß
die Generäle Walter Model und Walther Nehring, beides Kommandeure von
Panzerdivisionen, den Befehl erteilt hätten, daß keine Gefangenen gemacht
werden sollten - vermutlich um das Vordringen ihrer Truppen zu beschleunigen.
Besonders abscheulich waren die von den Deutschen errichteten Großlazarette für
Gefangene, in denen infolge von vorsätzlicher Überfüllung, Schmutz,
Infektionskrankheiten und Hunger täglich Hunderte von "Patienten"
starben. (23)
"Technik der Entvölkerung"
Zum Beweismaterial, das der sowjetische Hauptankläger Roman Rudenko dem
Gericht vorlegte, gehörten auch die Erinnerungen des ehemaligen
nationalsozialistischen Senatspräsidenten von Danzig, Hermann Rauschning.
Dieser berichtete, was Adolf Hitler einmal zu ihm sagte, und Rudenko las die
ungeheuerliche Stelle im Gerichtssaal vor: ""Wir müssen eine
Technik der Entvölkerung schaffen. Wenn Sie mich fragen, was ich unter Entvölkerung
verstehe, so werde ich ihnen sagen, daß ich die Vernichtung ganzer rassischer
Einheiten im Auge habe, und dies werde ich tun, ich sehe darin, grob ausgedrückt,
meine Aufgabe. Die Natur ist grausam, daher dürfen auch wir grausam sein.
Wenn ich die Blüte des deutschen Volkes ohne jedes Bedauern über das Vergießen
kostbaren deutschen Blutes in die Hölle des Krieges schicken kann, so habe
ich natürlich das Recht, Millionen von Menschen niederer Rasse zu vernichten,
die sich wie Ungeziefer vermehren." (24)
"12 Gebote für das Verhalten der Deutschen im Ostraum und die
Behandlung der Russen"
Im weiteren Verlauf legte Oberjustizrat Smirnow Beweismaterial für
deutsche Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete der
UdSSR, Jugoslawiens, Polens und der Tschechoslowakei vor. Dieses
Beweismaterial basierte auf eidesstattlichen Aussagen von Augenzeugen
deutscher Greueltaten, die der "Außerordentlichen Staatlichen Kommission
der Sowjetunion" vorgelegt worden waren. Wenn man an den Charakter und an
die große Zahl der Dokumente dachte, die zuvor von den amerikanischen und
französischen Anwälten vorgelegt worden waren, dann konnte es scheinbar gar
nichts Schlimmeres mehr geben; aber tatsächlich verblaßten diese früheren
Präsentationen im Vergleich zu dem, was Smirnow aufbot. Es stellte sich
heraus, warum dies so war: Den Naziführern war es durch Befehle, Einschüchterungen
und die Vorführung von Beispielen gelungen, ihre Gefolgsleute davon zu überzeugen,
daß Slawen tatsächlich "Untermenschen" seien und daß sie -
abgesehen von denen, die einer nützlichen Sklavenarbeit zugeführt werden könnten
- auf derartig bestialische Weise umgebracht werden sollten, daß im ganzen
Land nur noch Angst und Schrecken regierten. Dazu war eine entsprechende
Indoktrinierung und Ausbildung erforderlich, wie Smirnow erläuterte: "Es
ist selbstverständlich, daß es nicht genügte, chemische Rezepte für
"Zyklon A" (ein Giftgas) auszuarbeiten, Gaskammern und Krematoriumsöfen
zu konstruieren oder Spezialverfahren der Massenerschießung in allen
Einzelheiten festzulegen, um Millionen unschuldiger und hilfloser Menschen zu
vernichten, sondern man mußte zu diesem Zwecke viele Tausende von
Befehlsvollstreckern ausbilden, die diese Politik nicht "ihrer Form,
sondern ihrem Geiste nach", wie sich Himmler einst ausdrückte, ausführten.
Man mußte Menschen ohne Herz und Gewissen, mit perversen Neigungen, solche
die mit den Grundsätzen der Moral und des Rechts bewußt gebrochen hatten,
erziehen." (25) Als Beleg dafür legte Smirnow ein Dokument vor, das den
Titel trug "12 Gebote für das Verhalten der Deutschen im Osten und die
Behandlung der Russen", unterzeichnet von Herbert Backe, dem ehemaligen
Ernährungsminister, der seine Leser ermahnte: " Ihr müßt Euch bewußt
sein, daß Ihr Repräsentanten Großdeutschlands und Bannerträger der
nationalsozialistischen Revolution und des neuen Europa für Jahrhunderte
seid. Ihr müßt daher auch die härtesten und rücksichtslosesten Maßnahmen,
die aus Staatsnotwendigkeiten gefordert werden, mit Würde durchführen.
Charaktermängel des Einzelnen werden grundsätzlich zu seiner Abberufung führen."
(26) Anschließend veranschaulichte Smirnow die Ergebnisse derartiger
Anweisungen durch eine lange Abfolge von Augenzeugenbeschreibungen, die teils
von Gefangenen, teils von deutschen Soldaten oder Zivilisten stammten.
Beispielsweise sagte ein Gefangener aus, der Leichen verbrennen mußte: "
Um das Janovskylager herum war ein Stacheldraht angebracht ... Dahin brachte
man Menschen, die dort vor Kälte und Hunger umkamen, da sie sich von dort
nicht retten konnten ... Ein Mensch wurde am Hals, an den Händen oder Füßen
aufgehängt, dann wurden die Hunde auf ihn gehetzt und rissen ihn in Stücke.
Der Mensch wurde als Zielwand bei Schießübungen verwendet. Mit diesen Dingen
beschäftigten sich am meisten die Gestapoleute Heine, Müller, Blum, der Chef
des Lagers, Willhaus, und andere, an deren Namen ich mich nicht erinnere. ...
Die Menschen wurden an den Beinen angefaßt und auseinandergerissen; Kinder im
Alter von einem Monat bis zu drei Jahren wurden in Fässern, die mit Wasser
gefüllt waren ertränkt. ... Die Frauen wurden an den Haaren aufgehängt,
dabei wurden sie ausgezogen, hin und her geschaukelt, und so hingen sie, bis
sie starben."
Lidice und andere
Vier Tage lang erklangen im Gerichtssaal Berichte von unvorstellbaren und
zahllosen Tötungen in allen von den Deutschen besetzten Gebieten in der
Sowjetunion, Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei. Als sich Smirnow mit
der Tschechoslowakei befaßte, berichtete er von der Vernichtung von Lidice,
einem Dorf in der Nähe von Prag , einer Greueltat, die damals überall in
Europa und den USA bekannt war. Viele Sowjetdörfer, so Smirnow, hätten
dasselbe Schicksal wie Lidice erlitten. Er nannte die Zahlen der Toten in
mehreren Städten.Waren diese Zahlen überzogen? Waren die Greueltaten
erfunden oder übertrieben? Abgesehen vielleicht von Göring ist keiner der
Richter, Verteidiger oder sonstigen Beobachter zu der Schlußfolgerung
gelangt, daß man der sowjetischen Beweisführung im Grunde nicht trauen könne.
Aber selbst Göring mußte gegenüber Dr. Gilbert zugeben, daß "es genügt,
wenn nur 5 Prozent all dieser Greuelgeschichten wahr sind". (27) Am 19.
Februar wandte sich Smirnow den Massenhinrichtungen in Auschwitz, Majdanek,
Chelmno, Treblinka, Sobibor und Belsec zu. Die Glaubwürdigkeit der Beweisführung
wurde durch sichergestellte deutsche Fotografien erhöht. Die abgelichteten
Szenen stimmten mit dem Inhalt der Beweisdokumente überein. Smirnow schloß
diesen Teil der sowjetischen Anklage mit einem Dokumentarfilm über "Die
Grausamkeiten der deutsch-faschistischen Eindringlinge" ab. Ausgenommen
von Göring, für den dieser Film kein Beweis war, stellten die anderen
Angeklagten die Glaubwürdigkeit des Films nicht in Frage. Daran anschließend
wurden die Naziplünderungen und die Zerstörung von Eigentum geschildert.
Jüdische Babys in Auschwitz
Am 25. Februar präsentierte Smirnow das Beweismaterial für den
Anklagepunkt "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Diese Verbrechen
unterschieden sich kaum von den Kriegsverbrechen gegen militärische und
zivile Opfer. Als Unterscheidungsmerkmal wurde angegeben, daß sie sich gegen
bestimmte nationale oder religiöse Gruppen richteten. Beim Beweismaterial über
die Judenverfolgung stützte sich Smirnow weitgehend auf die von den
Amerikanern sichergestellten Dokumente über die Einsatzgruppen sowie auf
Berichte der sowjetischen und polnischen Regierungen über die Todeslager.
Severina Schmaglewskaja, eine Frau die in Auschwitz gewesen war, sagte aus:
Neugeborene Babys jüdischer Mütter wurden sofort umgebracht, und bei ihrer
Ankunft zur Vernichtung bestimmte Kinder wurden oft in die Verbrennungsöfen
geworfen, ohne daß man sie vorher in den Gaskammern erstickte. Andere Kinder
wurden mit unbekanntem Ziel weggebracht. "Im Namen aller Frauen, die im
Konzentrationslager zu Müttern geworden sind", sagte die Zeugin, "möchte
ich heute die Deutschen fragen: "Wo sind diese Kinder?" Dr. Gilbert
sah, wie einige Angeklagte und ihre Anwälte den Kopf senkten oder sich auf
die Lippen bissen. Dr. Kranzbühler, der Anwalt von Dönitz, fragte seinen
Klienten: "Hat denn niemand irgend etwas von diesen Dingen gewußt?"
Dönitz schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. "Natürlich, jemand
wußte davon", sagte Jodl ruhig. Der Angeklagte Jodl hatte selbstverständlich
recht. Wenn niemand von "diesen Dingen" gewußt hätte, dann wären
sie auch nicht passiert. (28)
Die Verteidigung
Am 4.3.1946 kamen die Verteidiger der Angeklagten an die Reihe. In aller
Form wurde ihre Seite des Verfahrens vor dem Internationalen Militärgerichtshof
eröffnet. Gemäß Artikel 16 und 23 des Londoner Statuts wurden die
Verteidiger entweder von den in Haft befindlichen Angeklagten selbst gewählt
oder auf deren Verlangen vom Gerichtshof ernannt. In Abwesenheit des
Angeklagten Bormann ernannte der Gerichtshof für ihn einen Verteidiger und
bestimmte auch Verteidiger zur Vertretung der angeklagten Gruppen und
Organisationen. Das Generalsekretariat des Tribunals hatte seit Anfang
November 1945 Dokumente und Zeugen, die die Verteidigung haben wollte,
ausfindig gemacht und beschafft. Insgesamt legte die Verteidigung dem
Gerichtshof 2.700 Dokumente vor.
Die Zuständigkeit des Gerichts wird in Frage gestellt
Gleich zu Prozeßbeginn legten alle Verteidiger eine gemeinsame Petition
vor, die die juristischen Grundlagen des Prozesses in Frage stellten.
Insbesondere ging es um die Strafbarkeit "der Entfesselung des
ungerechten Krieges". Die Verteidigung machte geltend, daß "soweit
es sich um Verbrechen gegen den Frieden handelt, ... der gegenwärtige Prozeß
keine gesetzliche Grundlage im internationalen Recht (hat), sondern ein
Verfahren (ist), das auf einem neuen Strafrecht basiert, einem Strafrecht, das
erst nach der Tat geschaffen wurde". (29) Der Vorsitzende Richter des
Internationalen Militärgerichtshofs, Sir Geoffrey Lawrence lehnte diesen
Antrag mit der Begründung ab, im Kellog-Briand-Pakt von 1928 hätten sich 15
Staaten, darunter auch Deutschland, dafür ausgesprochen, den Krieg als
"Werkzeug nationaler Politik" zu ächten und zwischenstaatliche
Konflikte nur "durch friedliche Mittel" beizulegen. Allerdings waren
zur Einhaltung dieses Paktes keine Zwangsmittel vorgesehen.
Das "tu quoque" Argument
Mehrfach versuchte die Verteidigung in Nürnberg vom "tu quoque"
Argument ( d.h. gleiches Maß für gleichen Tatbestand; der Feind habe sich
genauso verhalten) Gebrauch zu machen. Die Richter reagierten darauf mit dem
Hinweis, daß das Londoner Statut die Zuständigkeit des Gerichts darauf
beschränke, über deutsche Kriegsverbrechen zu urteilen, nicht aber über völkerrechtswidrige
Handlungen der Siegermächte.Die Reihenfolge der Verteidigung entsprach der
Anklageschrift. Als erster war Görings Verteidiger an der Reihe . Während
die Verteidigung Görings 12 Tage in Anspruch nahm, dauerte die der übrigen
20 Angeklagten etwa 4 Tage pro Angeklagter. Insgesamt vergingen darüber 78
Prozeßtage. Außer Heß betraten alle Angeklagten den Zeugenstand. Die
Mehrzahl von ihnen gab zu, daß grauenhafte Verbrechen begangen worden waren,
behauptete aber, daß sie persönlich in gutem Glauben gehandelt hätten. Die
Generale hatten nur Befehle befolgt; die Admirale hatten nichts anderes als
andere Admirale getan; die Politiker hatten nur für das Vaterland gearbeitet,
und die Finanzleute hatten sich nur mit Geschäften befaßt. (30) Die Fülle
der Beweisanträge der Verteidiger richtete sich kaum gegen das der Anklage
zugrundeliegende Tatgeschehen. Den Beweisdokumenten der Anklagevertretung
wurde nicht widersprochen. Ebensowenig wurde die Prozeßführung angegriffen.
Sie wurde als sachlich, korrekt und fair bewertet. Vielmehr wurde immer wieder
die Zuständigkeit des Gerichts generell in Frage gestellt.
Zeuge der Verteidigung: Rudolf Höß, Kommandant von Auschwitz
Ein Zeuge, der unverständlicherweise von der Verteidigung und nicht von
der Anklagevertretung aufgerufen wurde, war Rudolf Höß, von 1940-43
Lagerkommandant von Auschwitz. Wie kein anderer verbreitete er lähmendes
Entsetzen im Gerichtssaal. Hier berichtete ein Massenmörder aus erster Hand.
Unter anderem sagte Höß aus: "Im Sommer 1941 wurde ich zum persönlichen
Befehlsempfang zum Reichsführer SS, Himmler, nach Berlin befohlen. Dieser
sagte mir dem Sinne nach, ich kann das nicht mehr wörtlich wiederholen, der Führer
habe die Endlösung der Judenfrage befohlen, wir, die SS, haben diesen Befehl
durchzuführen. Wenn jetzt zu diesem Zeitpunkt dies nicht durchgeführt wird,
so wird später das jüdische Volk das deutsche vernichten. Er habe Auschwitz
deswegen gewählt, weil es bahntechnisch am günstigsten liegt und auch das
ausgedehnte Gelände für Absperrmaßnahmen Raum bietet." (31) Höß
sprach so ruhig und gefühllos als handelte es sich um ganz selbstverständliche
Dinge und nicht darum, Hunderttausende von Menschen in den Tod zu schicken. Höß
versuchte Dr. Gilbert seine Sicht der Dinge zu erklären: "Verstehen Sie
nicht, wir SS-Leute sollten nicht über diese Dinge nachdenken; es kam uns nie
in den Sinn. Und außerdem war es gewissermaßen eine Selbstverständlichkeit
geworden, daß die Juden an allem Schuld hatten. ... Es stand nicht nur in den
Zeitungen wie dem "Stürmer", sondern wir hörten es überall.
Selbst bei unserer militärischen und ideologischen Ausbildung wurde als
selbstverständlich vorausgesetzt, daß wir Deutschland vor den Juden zu schützen
hätten. ... Wir waren alle darauf gedrillt, Befehle auszuführen, ohne darüber
nachzudenken. Der Gedanke, einen Befehl nicht auszuführen, kam einfach
niemandem." (32) Höß Aussage war für die Angeklagten und ihre
Verteidiger niederschmetternd.
Die Schlußplädoyers der Verteidigung und der
Anklagebehörde
Fast der ganze Juli 1946 verging über den Schlußplädoyers der
Verteidigung (16 Prozeßtage) und der Anklagebehörde (3 Tage). Inhaltlich kam
nichts mehr neues zu Tage. Die Verteidiger bestritten erneut die Rechtsgültigkeit
der in der Londoner Charta aufgeführten "Verbrechen gegen den
Frieden". Gegen die ersten sieben Angeklagten - Göring, Heß,
Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg und Frank - lag so vernichtendes
Beweismaterial vor, daß eine Verurteilung und schwere Strafen zu erwarten
waren. Bei den restlichen sei der Ausgang, so Telford Taylor, ungewiss
gewesen. Die Verteidiger von Streicher, Funk und Schacht forderten denn auch
jeweils Freispruch für ihre Mandanten.Robert Jackson, der am 26.7.1946 das
Schlußplädoyer für die amerikanische Anklagevertretung hielt, sagte
:"Wenn wir nur die Erzählungen der vorderen Reihe der Angeklagten
zusammenstellen, so bekommen wir folgendes lächerliche Gesamtbild von Hitlers
Regierung; sie setzte sich zusammen aus: Einem Mann Nummer 2, der nichts von
den Ausschreitungen der von ihm selbst eingerichteten Gestapo wußte, und nie
etwas vermutete von dem Ausrottungsprogramm gegen die Juden, obwohl er der
Unterzeichner von über 20 Erlassen war, die die Verfolgung dieser Rasse ins
Werk setzten. Einen Mann Nummer 3, der nur ein unschuldiger Mittelsmann war,
der Hitlers Befehle weitergab, ohne sie überhaupt zu lesen, wie ein Briefträger
oder ein Botenjunge. Einem Außenminister, der von auswärtigen
Angelegenheiten wenig und von der auswärtigen Politik gar nichts wußte.
Einem Feldmarschall, der der Wehrmacht Befehle erteilte, jedoch keine Ahnung
hatte, zu welchen praktischen Ergebnissen diese führen würden. Einem Chef
des Sicherheitswesens, der unter dem Eindruck war, daß die polizeiliche Tätigkeit
seiner Gestapo und seines SD im wesentlichen derjenigen der Verkehrspolizei
gleichkam. Einem Parteiphilosophen, der an historischen Forschungen
interessiert war und keinerlei Vorstellung von den Gewalttaten hatte, zu denen
im 20. Jahrhundert seine Philosophie anspornte. Einem Generalgouverneur von
Polen, der regierte, aber nicht herrschte. Einem Gauleiter von Franken, der
sich damit beschäftigte, unflätige Schriften über die Juden herauszugeben,
der jedoch keine Ahnung hatte, daß sie irgend jemand jemals lesen würde.
Einem Innenminister, der nicht wußte, was im Innern seines eigenen Amtes vor
sich ging, noch viel weniger etwas wußte von seinem eigenen Ressort und
nichts von den Zuständen im Innern Deutschlands. Einem Reichsbankpräsidenten,
der nicht wußte, was in den Stahlkammern seiner Bank hinterlegt und was aus
ihnen herausgeschafft wurde. Und einem Bevollmächtigten für die
Kriegswirtschaft, der geheim die ganze Wirtschaft für Rüstungszwecke
leitete, jedoch keine Ahnung hatte, daß dies irgend etwas mit Krieg zu tun hätte.
... Angesichts dieses Hintergrundes verlangen diese Angeklagten heute von
diesem Gerichtshof, sie für nichtschuldig zu erklären an der Planung, Ausführung
oder Verschwörung zur Begehung dieser langen Liste von Verbrechen und
Unrecht. ... Wenn Sie von diesen Männern sagen sollten, daß sie nicht
schuldig seien, so wäre es ebenso wahr zu sagen, daß es keinen Krieg gegeben
habe, daß niemand erschlagen und kein Verbrechen begangen worden sei."
(33) Auf Jacksons Plädoyer folgte das Plädoyer des britischen Hauptanklägers,
der in seiner Rede unmißverständlich zu verstehen gab, daß jeder der
Angeklagten ein Mörder sei. Die französische und die sowjetische Anklage
forderte ausdrücklich die Todesstrafe für alle Angeklagten. Shawcross, der
Brite, betonte wiederholt die Legitimität einer solchen Entscheidung, hoffte
aber, daß unterschiedliche Urteile gefällt würden. Jackson gab keine klare
Empfehlung ab.
Die angeklagten Gruppen und Organisationen
Am 30. Juli 1946 begann der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg
das Beweismaterial gegen die nach Artikel 9 der Londoner Charta angeklagten
Gruppen und Organisationen anzuhören und entgegenzunehmen. Angeklagt waren
das Reichskabinett, das Führerkorps der NSDAP, SS und SD, SA, Gestapo und
Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht. Diese Art der Anklage ( auf
Gruppen und Organisationen bezogen) war etwas ganz neues, und ging auf einen
Vorschlag des amerikanischen Obersten Murray Bernays aus dem Jahre 1944 zurück.
(34) In den vergangenen Monaten waren beim Gericht eine Unmenge von Briefen,
eidesstattlichen Versicherungen und Anträgen zugunsten der Organisationen
eingegangn. Allein die SS Angehörigen schickten 136 000 Affidavits
(eidesstattliche Versicherungen). Vom Gericht bevollmächtigte
Untersuchungsrichter vernahmen 101 Zeugen, aus denen dann diejenigen ausgewählt
wurden, die vor dem Gerichtshof aussagen sollten. Im Hinblick auf das Führerkorps
der NSDAP machte die Verteidigung geltend, daß die meisten der Politischen
Leiter, rund 600 000 Parteimitglieder, nichts von den Verbrechen der Partei
gewußt hätten oder nicht in sie verwickelt gewesen waren. (35) Aus dem
Beweismaterial gegen SS, SD und Gestapo ging klar hervor, daß viele Tausende
ihrer Mitglieder von grauenvollen Kriegsverbrechen gewußt hatten und darin
verstrickt gewesen waren. Die Verteidigung bestritt jedoch, daß dies pauschal
für alle Angehörigen dieser Gruppen galt. Hinsichtlich des Generalstabs und
des Oberkommandos der Wehrmacht konzentrierte sich die Verteidigung darauf, daß
dieses keine einheitlichen Gruppen gewesen waren und deshalb die Anklage als
solche nicht gerechtfertigt sei. Das gleiche Argument wurde in Bezug auf das
Reichskabinett angeführt. Die SA, die Sturmabteilung der NSDAP, habe nach dem
"Röhm-Putsch" von 1934 an Prestige und Bedeutung verloren. Nachdem
die Schlußplädoyers der Verteidiger der angeklagten Gruppen und
Organisationen am 28. August 1946 abgeschlossen waren, kamen die
Anklagevertreter mit ihren Schlußplädoyers an die Reihe. Tom Dodd, der das
Plädoyer für die amerikanische Seite hielt, hob die Bedeutung der Klage
gegen die Organisationen vor: "Dadurch, daß diese Organisationen für
verbrecherisch erklärt werden, wird dieser Gerichtshof nicht nur an das
deutsche Volk, sondern an die Völker der ganzen Welt eine Warnung
aussprechen. Die Menschheit soll wissen: Verbrechen bleiben nicht straflos,
weil sie im Namen einer politischen Partei oder eines Staates begangen worden
sind, über Verbrechen wird nicht hinweggesehen, weil sie zu umfangreich sind;
Verbrecher werden nicht straflos davonkommen, weil ihrer zu viele sind."
(36).
Schlußworte der Angeklagten
Das letzte Wort hatten die Angeklagten. So bestimmte es das Statut des
Internationalen Militärgerichtshofs. Am 31. August erhalten deshalb alle 21
Angeklagten im Gerichtssaal noch einmal Gelegenheit, ans Mikrophon zu treten
und in eigener Sache zu sprechen. Fast fünfzig Druckseiten des
Gerichtsprotokolls nehmen diese Schlußworte ein. (37) Damit war die
Beweisaufnahme im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß beendet. Der
Gerichtshof vertagte sich bis zur Urteilsverkündung.
Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde"
Die Nürnberger "Prozeß-Gemeinde" war sehr heterogen. Sie war
von der einheimischen Bevölkerung getrennt. Da Nürnberg in der
amerikanischen Besatzungszone lag, war die amerikanische Militärregierung für
die nötige Infrastruktur verantwortlich. Sie beseitigte die Kriegsschäden am
Prozeßgebäude, hatte die Angeklagten und die Zeugen nach Nürnberg gebracht
und stellte das Wachpersonal im Gefängnis und im Gerichtssaal zur Verfügung.
Ihr oblag die Ausstattung der Prozeßmitarbeiter und der Pressevertreter mit
den notwendigen Vervielfältigungs-, Aufzeichnungs- und Telefongeräten und
-einrichtungen. Aus ihren Reihen kam ein Großteil des Verwaltungs- und Büropersonals.
Sie beschaffte und verteilte Nahrung und Getränke, Heizmaterial und sonstige
Dienstleistungen für die Gemeinde. Sie unterhielt einen PX-Laden und stellte
den Wagenpark und die Fahrer zur Verfügung. Ferner oblag ihr die
Bereitstellung der Unterkünfte. Die Mitglieder der französischen und der
englischen Delegation wohnten vor allem in Zirndorf. Die US-Quartiere lagen
schon wegen der Größe der Delegation - sie war um ein Vielfaches größer
als die der anderen Nationen - über ganz Nürnberg verstreut. Robert Jackson
und seine engsten Mitarbeiter waren in Dambach untergebracht. Mittelpunkt des
gesellschaftlichen Lebens war das Grand Hotel am Nürnberger Hauptbahnhof. Während
die sowjetische, englische und französische Delegation in sich homogen waren,
gehörten zur amerikanischen auch Nichtamerikaner, z.B. Deutsche wie Robert
Kempner. Das internationale Spektrum der Prozeß-Gemeinde wurde noch verstärkt
durch kleine Delegationen aus den ehemals von den Nationalsozialisten
besetzten Ländern Polen, Jugoslawien, Tschechoslowakei, Dänemark, Norwegen,
Niederlande und Griechenland. Die ersten drei arbeiteten eng mit der
sowjetischen, die anderen mit der britischen Delegation zusammen. Sie
fungierten als Beobachter und als Quelle für zusätzliches
Beweismaterial.(38)
Die Presse in Nürnberg
Die Pressevertreter, die über den Nürnberger Prozeß berichteten waren südwestlich
von Nürnberg , in Stein, in der Faber-Castellschen Bleistiftfabrik
untergebracht. Die Reporter und Kommentatoren kamen aus über zwanzig
Nationen: rund achtzig aus den USA, fünfzig aus England, vierzig aus
Frankreich, fünfunddreißig aus der Sowjetunion, zwanzig aus Polen und ein
Dutzend aus der Tschechoslowakei. Im Gerichtssaal waren 240 Plätze für die
Presse reserviert und in einem großen Presseraum konnte das Verfahren auch über
Lautsprecher verfolgt werden. Im Justizpalast waren die Nachrichtenagenturen
RCA, Mackey, press Wireless und Tass untergebracht, und Fernschreiber wurden
zur Nachrichtenübermittlung nach London und Paris installiert. Das
Pressekorps behielt natürlich im Laufe des Prozesses nicht seine anfängliche
Stärke bei. Sobald sich immer deutlicher herausstellte, daß die
Verhandlungen noch mindestens mehrere Monate weitergehen würden, reisten
viele Reporter ab. Wenn es aber etwas besonders Berichtenswertes gab, war der
Andrang wieder groß. Das war der Fall bei den Eröffnungsreden der Ankläger,
bei der Zeugenvernehmung von General Paulus, bei den Schlußworten der
Angeklagten.(39)
Das Urteil
In völliger Abgeschiedenheit arbeiteten die Richter der vier Nationen am
Urteil und seiner Begründung. Selbst die Telefonleitungen zu den
Beratungszimmern waren für diese Wochen abgeschaltet. Sicherheitsoffiziere überwachten
die Zugänge, durchsuchten die Papierkörbe, beseitigten jede Spur, aus der
ein Außenstehender vorzeitige Schlüsse auf den Ausgang der Beratung ziehen
konnte. Während die Briten, Franzosen und Sowjets selbständig arbeiteten,
hatten sich die amerikanischen Richter qualifizierte Juristen aus den USA als
Berater kommen lassen.
Die Richter
Der Internationale Militärgerichtshof in Nürnberg setzte sich aus je zwei
Vertretern der vier alliierten Mächte zusammen: Für Großbritannien waren
das Lordrichter Geoffrey Lawrence (Vorsitzender) und sein Stellvertreter
Richter Birkett. Für die USA: Francis Biddle und als Stellvertreter Richter
John J. Parker. Für Frankreich: Professor Donnedieu de Vabres, als
Stellvertreter Appelationsgerichtsrat R. Falco. Für die Sowjetunion:
Generalmajor I.T. Nikitchenko, als Stellvertreter Oberstleutnant A.F.
Wolchkow.Gestützt auf die Aufzeichnungen des amerikanischen Richters Francis
A. Biddle und seines englischen Kollegen Sir Norman Birkett hat der
amerikanische Historiker Bradley F. Smith in seinem 1977 erschienenen Buch
"Der Jahrhundert-Prozeß" die Legende zerstört, das Gericht sei in
allen wesentlichen Punkten den Vorstellungen der Anklage gefolgt. Bevor es zu
den Urteilssprüchen kam , konnten alle acht Richter in zwei Beratungsperioden
ihre Meinung äußern. In der abschließenden Beratung zählten nur die
Stimmen der vier ordentlichen Mitglieder des Gerichts. Für eine Verurteilung
war eine Mehrheit von drei Stimmen erforderlich. Die Richter verhandelten die
Urteile in der Reihenfolge der Anklageschrift; nur die Fälle ,die sich als
schwer zu entscheiden erwiesen hatten, wurden für zuletzt aufgespart. Das
waren einmal die möglichen Freisprüche (Papen, Schacht und Fritzsche), zum
anderen die strittigen Fälle Schirach, Bormann, Raeder, Dönitz, Speer und
von Neurath. Der französische Vertreter Donnedieu de Vabres formulierte fast
immer das mildeste Urteil, wollte aber keine Freisprüche. Nikitschenko
forderte für alle die Todesstrafe. (40)
Die Urteilsverkündung
Am 30.September und 1.Oktober 1946 fand im vollbesetzten Saal 600 die
Urteilsverkündung statt. Am Anfang erklärten die Richter über ihre Zuständigkeit,
die von der Verteidigung immer wieder bestritten wurde und über die die
Meinungen der Völkerrechtler bis heute auseinandergehen: "Dem
Gerichtshof ist die Vollmacht verliehen worden, alle Personen abzuurteilen,
die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit nach den im Statut festgelegten Begriffsbestimmungen begangen
haben". Die Täter solcher Verbrechen waren persönlich verantwortlich.
Ferner wurde die Zuständigkeit aus der "bedingungslosen Kapitulation
Deutschlands" hergeleitet.Der Hauptteil des Urteils - es umfaßt
insgesamt 197 Seiten im Gerichtsprotokoll - bezog sich auf Punkt 1 der
Anklage: Verschwörung zur Planung und Führung von Angriffskriegen. Es wurde
die Geschichte der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, die
Konsolidierung ihrer Macht im "Dritten Reich" und die Vorbereitungen
für die deutschen Eroberungen durch Waffengewalt geschildert. Das Urteil
folgte in seiner Darstellung den Eroberungszügen, stützte sich dabei auf
erbeutete deutsche diplomatische und militärische Dokumente und kam zu dem
Resultat, daß "einige der Angeklagten Angriffskriege gegen 12 Nationen
geplant hatten und durchführten und daher dieses Verbrechens schuldig zu
erachten seien". (41). Der Gerichtshof bezeichnete das Beweismaterial zu
Teil 3 und 4 der Anklage - Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die
Menschlichkeit - im Hinblick auf die Grausamkeiten als "überwältigend
in seinen Ausmaßen und seinen Einzelheiten". Die Richter erklärten die
Grausamkeiten als "das Ergebnis von kalten und verbrecherischen Überlegungen",
die unter den "Begriff des totalen Krieges" fielen. (42)
Zu den grundsätzlichen Rechtsfragen des Verfahrens
Anschließend behandelte der Gerichtshof die grundsätzlichen Rechtsfragen
des Verfahrens. Unter anderem ging es um den Antrag der Verteidigung , den
Anklagepunkt des Angriffskrieges fallen zu lassen, weil "zur Zeit, als
die angeblichen verbrecherischen Handlungen begangen wurden, keine souveräne
Macht Angriffskriege als Verbrechen ansah" und "daß kein Verbrechen
ohne ein bereits vorher in Kraft befindliches Strafgesetz bestraft werden
kann", nulla poena sine lege. Dieser Einwand wurde vom Gericht mit der
Begründung abgelehnt, daß Angriffskriege mindestens seit dem Abkommen von
Paris im Jahre 1928, dem Kellog-Briand-Pakt, als Verbrechen im Sinne des Völkerrechts
anzusehen seien. (43) Außerdem wies das Gericht den Einwand der Verteidigung,
daß sich Völkerrecht nur mit den Handlungen souveräner Staaten befasse und
keine Bestrafung von Einzelpersonen vorsehe, zurück. "Verbrechen gegen
das Völkerrecht", sagt das Urteil, "werden von Personen begangen,
nicht von abstrakten Einheiten, und nur durch Bestrafung von Einzelpersonen
... kann ... internationales Recht durchgesetzt werden." Ferner wies das
Urteil das Vorbringen der Verteidigung zurück, daß die Angeklagten unter
Hitlers Befehlsgewalt gehandelt hätten und daher nicht für ihre Handlungen
verantwortlich seien: "Daß ein Soldat den Befehl erhalten hat, unter
Verletzung des Völkerrechts zu töten oder zu martern, ist niemals als ein
Entschuldigungsgrund für solche brutalen Handlungen anerkannt worden, wenn
auch ... der Befehl als mildender Umstand bei der Bestrafung berücksichtigt
werden kann. Der wirkliche Prüfstein ... ist nicht das Bestehen eines solchen
Befehls, sondern die Frage, ob eine den Sittengesetzen entsprechende Wahl tatsächlich
möglich war". (44)
Zum Begriff der Verschwörung
Den Begriff der Verschwörung, der der Kernpunkt der amerikanischen Anklage
war, ließ das Gericht nur in einem eng umgrenzten Rahmen gelten, ein
Gesichtspunkt, der besonders bei der Entscheidung über die Schuld oder
Unschuld der einzelnen Angeklagten wichtig wurde. Die Verschwörung müßte
mit ihrem verbrecherischen Zweck klar ersichtlich sein. Sie dürfe nicht zu
weit vom Zeitpunkt der Entscheidung und Handlung entfernt sein." Das
Gericht entschied jedoch, daß "das Beweismaterial den gemeinsamen Plan
einzelner Angeklagter erwiesen habe" und wies das Argument der
Verteidigung zurück, daß "ein gemeinsamer Plan in einer totalen
Diktatur nicht bestehen könne". Es erklärte: "Hitler konnte keinen
Angriffskrieg allein führen. Er benötigte die Mitarbeit von Staatsmännern,
militärischen Führern, Diplomaten und Geschäftsleuten. Wenn diese seine
Ziele kannten und ihre Mitarbeit zur Verfügung stellten, machten sie sich zu
Teilnehmern an dem von ihm ins Leben gerufenen Plan. Wenn sie wußten, was sie
taten, so können sie nicht als unschuldig erachtet werden, weil Hitler sie
benutzte." (45)Greueltaten, die vor dem Kriege von den
Nationalsozialisten begangen wurden, wie furchtbar sie auch sein mochten - die
Verfolgung der Juden, der Zigeuner und anderer - wurden nach der Sprache des
Londoner Statuts als außerhalb der juristischen Zuständigkeit des
Internationalen Militärgerichtshofes erklärt und deshalb nicht geahndet.Das
Führerkorps der NSDAP, SS, SD und Gestapo wurden als verbrecherische
Organisationen für diejenigen erklärt, die nach dem 1. September 1939
(Kriegsbeginn) Mitglieder geworden waren oder blieben. Niemand sollte wegen
Mitgliedschaft verurteilt werden, wenn er nicht entweder "Kenntnis von
den verbrecherischen Zwecken oder Handlungen der Organisation" hatte oder
"persönlich in die Ausführung verbrecherischer Akte verwickelt war.
Mitgliedschaft allein ist nicht ausreichend, um in den Rahmen dieser
Feststellungen zu fallen." (46). Das Gericht lehnte es ab, die SA, das
Reichskabinett sowie Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht zu
verbrecherischen Gruppen oder Organisationen zu erklären.
Schuld oder Unschuld der einzelnen Angeklagten
Der Schlußabschnitt des Urteils befaßte sich mit der Schuld oder Unschuld
der einzelnen Angeklagten. Zuerst wurden die Schuldsprüche mit der Begründung
verlesen. Jeder der Angeklagten erfuhr, nach welchen Punkten der
Anklageschrift er schuldig oder nicht schuldig befunden wurde. Danach, am
Nachmittag des 1. Oktober 1946 wurden die Verurteilten noch einmal, und
diesmal jeder für sich allein, in den Saal geführt, um die Bekanntgabe des
Strafmaßes zu hören. Die meisten Angeklagten nahmen die Schuldsprüche mit
äußerer Unbeweglichkeit entgegen. Fritzsche, Papen und Schacht, die
Freigesprochenen und schon Freigelassenen zeigten die beste Laune, lachten und
rauchten genießerisch. Von allen Seiten prasselten die Fragen der
Journalisten der ganzen Welt auf sie nieder. Zwölf Angeklagte wurden zum Tode
durch den Strang verurteilt: Göring, Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner,
Rosenberg, Frick, Frank, Streicher, Sauckel, Jodl, Seyss-Inquart, und Martin
Bormann in Abwesenheit. Heß, Funk und Raeder wurden zu lebenslänglichem Gefängnis,
Schirach und Speer zu zwanzig Jahren, Neurath zu fünfzehn und Dönitz zu zehn
Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Dr. Gilbert, dem Gerichtspsychologen konnte
sich Sauckel am schlechtesten mit dem Todesurteil abfinden. Er bestürmte
Friseur, Gefängnisarzt und Psychologen mit dem Hinweis, daß alles zweifellos
nur einem Übersetzungsfehler zuzuschreiben sei. Er war fest überzeugt, daß
man den Irrtum noch entdecken und das Urteil revidieren würde.Das sowjetische
Mitglied des Gerichtshofes, General Nikitschenko, war mit dem Freispruch von
Schacht, Papen und Fritzsche und mit der Entscheidung, das Reichskabinett und
den Generalstab als nicht verbrecherische Organisationen zu erklären, nicht
einverstanden. Außerdem war Nikitschenko der Meinung, daß Heß zum Tode hätte
verurteilt werden müssen. Die "Abweichende Meinung des Sowjetischen
Mitglieds des Internationalen Militätgerichtshofes" wurde im Prozeßprotokoll
anschließend an das Urteil abgedruckt. (Tabelle der Urteilssprüche siehe
umseitig (47)).Es können aus Platzgründen nicht alle Schuldsprüche und
Urteilsbegründungen für die 21 Angeklagten zitiert werden. Exemplarisch
wurden Keitel (48), Streicher(49), Funk (50) und Schacht(51) ausgewählt
(siehe Dokument D im Anhang).
Tabelle der Strafaussprüche
30. September 1946 * Angeklagter Punkte nach denen die Strafausspruch
Verurteilung erfolgt ist Hermann Wilhelm Göring 1, 2, 3, 4 Tod durch den
Strang Rudolf Heß 1,2 Lebenslängliches Gefängnis Joachim von Ribbentrop 1,
2, 3, 4 Tod durch den Strang Wilhelm Keitel 1, 2, 3, 4 Tod durch den Strang
Ernst Kaltenbrunner 3, 4 Tod durch den Strang Alfred Rosenberg 1, 2, 3, 4 Tod
durch den Strang Hans Frank 3, 4 Tod durch den Strang Wilhelm Frick 2, 3, 4
Tod durch den Strang Julius Streicher 4 Tod durch den Strang Walter Funk 2, 3,
4 Lebenslängliches Gefängnis Hjalmar Schacht nicht schuldig Karl Dönitz 2,3
10 Jahre Gefängnis Erich Raeder 1,2,3 Lebenslängliches Gefängnis Baldur von
Schirach 4 20 Jahre Gefängnis Fritz Sauckel 3, 4 Tod durch den Strang Alfred
Jodl 1, 2, 3, 4 Tod durch den Strang Franz von Papen nicht schuldig Arthur Seyß-Inquart
2, 3, 4 Tod durch den Strang Albert Speer 3, 4 20 Jahre Gefängnis Constantin
von Neurath 1, 2, 3, 4 15 Jahre Gefängnis Hans Fritzsche nicht schuldig
Martin Bormann 3, 4 Tod durch den Strang Unterschrift: Geoffry Lawrence
Vorsitzender Unterschrift: Francis Biddle Für die Richtigkeit der Abschrift:
Unterschrift: H. Donnedieu de Vabres Unterschrift: JOHN E. RAY Unterschrift:
Nikitchenko Oberst, FA * Dieser Urteilsspruch wurde in öffentlicher
Gerichtssitzung durch den Vorsitzenden am 1. Oktober 1946 verlesen. (Punkt 1:
Verschwörung zur Planung und Führung von Angriffskriegen; Punkt 2:
Verbrechen gegen den Frieden; Punkt 3: Kriegsverbrechen; Punkt 4: Verbrechen
gegen die Menschlichkeit)
Die Vollstreckung des Urteils
Die von den Verurteilten oder von ihren Angehörigen an den alliierten
Kontrollrat, der gemäß Artikel 29 des Londoner Abkommens die Urteile zu bestätigen
hatte, gerichteten Gnadengesuche wurden abgelehnt.Die Hinrichtung der zum Tode
Verurteilten erfolgte in den ersten Stunden des 16. Oktober 1946 in einer
Halle im Hof des Nürnberger Justitzgebäudes in der Fürther-Straße. Als
Deutsche waren der bayerische Ministerpräsident , Wilhelm Hoegner und der
Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Nürnberg, Friedrich Leistner
anwesend. Hermann Göring entzog sich der Hinrichtung durch Selbstmord, den er
zwei Stunden vor dem festgesetzten Termin beging. Die Hinrichtung erfolgte an
zwei Galgen. Die Leichname wurden im Krematorium des Münchner Ostfriedhofes
verbrannt; die Asche in einem lange Zeit geheimgehaltenen Fluß bzw. Bach
gestreut. Die zu Freiheitsstrafen Verurteilten wurden in das unter Vier-Mächte-Verwaltung
gestellte Gefängnis in Berlin-Spandau überführt.
Zur Bedeutung von "Nürnberg"
Der historisch gewordene Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem
Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg hatte zunächst den Zweck,
die Hauptschuldigen einer gerechten Bestrafung zuzuführen. Erstmals in der
Geschichte wurden Staatsmänner persönlich für Angriffskriege und
organisierte Massenvernichtung zur Rechenschaft gezogen und bestraft. "Nürnberg"
enthüllte durch Tausende amtliche Dokumente das "düstere Panorama des
Dritten Reiches" (Kempner): Die Befehle zum Überfall auf fremde
Nationen, zur Ermordung Kriegsgefangener, abgesprungener Flieger, Juden,
katholischer Priester, slawischer "Untermenschen", "nutzloser
Esser", "Minderrassiger" konnten Deutschland und der Welt präsentiert
werden. Der Nürnberger Prozeß sollte zur Grundlage eines neuen Völkerrechts
werden.(52) Der amerikanische Chefankläger Robert Jackson hatte unermüdlich
betont, daß sich die Nürnberger Prinzipien nicht nur auf Deutschland und auf
die Nationalsozialisten beziehen sollten: " Die moderne Zivilisation gibt
der Menschheit unbegrenzte Waffen der Zerstörung in die Hand. ... Jede
Zuflucht zu einem Krieg, zu jeder Art von Krieg, ist eine Zuflucht zu Mitteln,
die ihrem Wesen nach verbrecherisch sind. Der Krieg ist unvermeidlich eine
Kette von Tötung, Überfall, Freiheitsberaubung und Zerstörung von Eigentum.
... Die Vernunft der Menschheit verlangt, daß das Gesetz sich nicht genug
sein läßt, geringfügige Verbrechen zu bestrafen, die sich kleine Leute
zuschulden kommen lassen. Das Gesetz muß auch die Männer erreichen, die eine
große Macht an sich reißen und sich ihrer mit Vorsatz und in gemeinsamem
Ratschlag bedienen, um ein Unheil hervorzurufen, das kein Heim in der Welt
unberührt läßt. ... Der letzte Schritt, periodisch wiederkehrende Kriege zu
verhüten, die bei internationaler Gesetzlosigkeit unvermeidlich sind, ist,
die Staatsmänner vor dem Gesetz verantwortlich zu machen. ... Lassen Sie es
mich deutlich aussprechen: Dieses Gesetz wird hier zwar zunächst auf deutsche
Angreifer angewandt, es schließt aber ein und muß, wenn es von Nutzen sein
soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen die, die
jetzt hier zu Gericht sitzen". (53) Das Urteil von Nürnberg hat
Aggressionskriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht verhindern können.
Aber sie wurden klarer definiert und damit leichter erkennbar. Seit "Nürnberg"
will niemand mehr ein Aggressor sein. Die strafrechtlichen Konsequenzen für
Verletzungen des Völkerrechts und der Nürnberger Prinzipien sind allerdings
selten eingetreten, da eine Instanz zur Verfolgung, ein ständiger
Internationaler Strafgerichtshof, fehlte.
Die Nürnberger Nachfolgeprozesse
Die ursprüngliche Absicht der Alliierten, weitere Prozesse vor dem
Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg durchzuführen, wurde nicht
weiterverfolgt. Durch Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 ermächtigten
die Gouverneure der vier Besatzungszonen die Besatzungsbehörden, zur
Aburteilung von Kriegsverbrechern "geeignete Gerichtshöfe" zu
schaffen. In der amerikanischen Zone wurden in Nürnberg zwölf weitere
Verfahren durchgeführt, die auch als Nürnberger Nachfolgeprozesse bekannt
wurden.Anklage war gegen insgesamt 185 Personen erhoben worden, verhandelt
wurde gegen 177: Vier Angeklagte hatten Selbstmord verübt, vier waren für
verhandlungsunfähig erklärt worden. Die Vorbereitungen für die
Nachfolgeprozesse hatten im Mai 1946 begonnen, während der Prozeß gegen die
Hauptkriegsverbrecher noch im Gange war. Bald nach dessen Beendigung wurde das
Amt der US-Anklagebehörde eingerichtet und Telford Taylor zu seinem Leiter
ernannt. Die erste Anklageschrift -Vereinigte Staaten gegen Karl Brandt (Der
"Ärzteprozeß")- wurde am 25. Oktober 1946 eingereicht, am 9.12.
begann das Verfahren. Das letzte Urteil in den Nachfolgeprozessen erging am
11. April 1949.Die 12 Nachfolgeprozesse lassen sich in fünf Gruppen
untergliedern: Ärzte und Juristen: 39 Angeklagte SS und Polizei: 56
Angeklagte Industrielle und Bankiers: 42 Angeklagte Militärische Führer: 26
Angeklagte Minister und hohe Regierungsbeamte: 22 Angeklagte.24 Angeklagte
wurden zum Tod verurteilt, 20 zu lebenslänglicher Haft und 98 zu
Freiheitsstrafen zwischen 18 Monaten und 25 Jahren. Freispruch erging in 35 Fällen.
Von den zum Tod Verurteilten wurden 12 hingerichtet, einer an Belgien
ausgeliefert (dort verstorben), 11 zu lebenslanger Haft begnadigt. Mit
Gnadenerlaß vom 31. Januar 1951 setzte US-Hochkommissar McCloy zahlreiche
Strafen herab.(54)Auf der Grundlage einer von Telford Taylor, Chefankläger in
den Nürnberger Nachfolgeprozessen, erstellten Übersicht (55), folgt eine
knappe Skizze der 12 Verfahren.
Ärzte und Juristen
Der ÄrzteprozeßIm Ärzteprozeß ging es vor allem um die strafrechtliche
Verantwortlichkeit für die Ausführung von grausamen und häufig mörderischen
medizinischen Experimenten, die ohne Zustimmung der betreffenden Opfer an
Konzentrationslagerinsassen, Kriegsgefangenen und anderen Personen (einschließlich
Juden und sog. Asozialen) vorgenommen worden waren. Die am 25. Oktober 1946
eingereichte Anklageschrift enthielt die Namen von 23 Angeklagten. Karl Brandt
war eine Zeitlang einer von Hitlers privaten Ärzten gewesen und war im Alter
von vierzig Jahren zur höchsten militärischen Stellung im Deutschen Reich
als Reichskommissar für das Sanitär- und Gesundheitswesen aufgestiegen,
wobei er direkt Hitler unterstellt war; er war gleichzeitig Generalleutnant
der Waffen-SS. Seine Behörde hatte die Aufsicht über alle militärischen und
zivilen medizinischen Einrichtungen. Nach der Anklage wurden diese Experimente
in Dachau im Interesse der Luftwaffe ausgeführt, um die Grenzen menschlicher
Ausdauer und Lebensfähigkeit in großen Höhenlagen zu erforschen und um die
wirksamste Behandlung für Piloten mit schweren Erfrierungserscheinungen
festzustellen. In Dachau, Buchenwald und anderswo wurden Konzentrationslagerhäftlinge
mit Malaria, epidemischer Gelbsucht, Typhus oder anderen Krankheiten
infiziert, um Impfstoffe und Medikamente zu prüfen. Unter den verschiedenen
Versuchen, bei denen die Insassen der Lager als Versuchskaninchem mißbraucht
wurden, waren Methoden für Sterilisierung und Techniken, um Seewasser
trinkbar zu machen. Karl Brandt und drei weitere Angeklagte wurden außer der
Teilnahme an diesen "Experimenten" auch der Täterschaft am
sogenannten "Sterbehilfe"-Programm angeklagt, das die systematische
und geheime Ermordung von Alten, Geisteskranken, unheilbar Kranken, von
Kindern mit Mißbildungen und anderen Personen durch Vergasung, tödliche
Einspritzungen und auf anderem Wege in Altersheimen, Hospitälern und
Anstalten vorsah. Diese Personen wurden als "nutzlose Esser", und
als Belastung für die deutsche Kriegsmaschinerie betrachtet. Den Verwandten
dieser Opfer wurde mitgeteilt, daß sie auf natürliche Weise, zum Beispiel an
Herzschlag, gestorben seien. (56)Eine Tabelle mit den Urteilen finden sie auf
Seite 43 ff.Der JuristenprozeßDer Hauptpunkt der Anklage im Juristenprozeß
gegen Richter, Staatsanwälte und hohe Ministerialbeamte war die Anschuldigung
des "Justizmordes und anderer Greueltaten, die sie dadurch begingen, daß
sie Recht und Gerechtigkeit in Deutschland zerstörten und dann die leeren Hüllen
von Rechtsformen zur Verfolgung, Versklavung und Ausrottung von Menschen in
einem Riesenausmaß benützten." (57) "Die Beschuldigung, kurz
gesagt, ist die der bewußten Teilnahme an einem über das ganze Land
verbreiteten und von der Regierung organisierten System der Grausamkeit und
Ungerechtigkeit unter Verletzung der Kriegsgesetze und der Gesetze der
Menschlichkeit, begangen im Namen des Rechts unter der Autorität des
Justizministeriums und mit Hilfe der Gerichte. Der Dolch des Mörders war
unter der Robe des Juristen verborgen." (58)SS (Schutzstaffel der NSDAP)
und Polizei 1943 wurde die Zentrale der SS unter der Führung von Heinrich
Himmler in ungefähr ein Dutzend "Hauptämter" eingeteilt. Jeder der
drei Nürnberger "SS-Prozesse" befaßte sich mit einem oder mehreren
dieser Hauptämter.Der Prozeß gegen die Leiter des SS-Wirtschafts- und
Verwaltungshauptamtes (WVHA)Das WVHA unter der Leitung von Oswald Pohl war in
5 Amtsgruppen eingeteilt, von denen drei finanzielle und rechtliche Fragen der
SS bearbeiteten, die SS mit Uniformen, Quartieren und anderen Ausrüstungen
versorgten und mit der Errichtung und Pflege der SS-Gebäude, Baracken,
Befestigungen und Lager einschließlich der Konzentrationslager betraut waren.
Eine vierte Amtsgruppe hatte die direkte Verantwortung für die Verwaltung der
Konzentrationslager, und die fünfte leitete die Wirtschaftsbetriebe, wie
Bergwerke, Steinbrüche, Ziegeleien, die die SS in der Nähe der
Konzentrationslager besaß. Das hervorstechendste Merkmal des Urteils hier war
nach Telford Taylor die uneingeschränkte Verurteilung der Zwangsarbeit durch
das Gericht.Der RUSHA-FallDer zweite "SS-Fall" ist als der
RUSHA-(Rassen-und Siedlungshauptamt)-FALL bekannt. Die Angeklagten waren 14
hohe Beamte von verschiedenen SS-Organisationen, deren gemeinsames Ziel es
nach der Anklageschrift war, die angebliche Überlegenheit der
"nordischen Rasse" zu fördern und zu beschützen und all diejenigen
Kräfte zu unterdrücken und auszurotten, die sie "verwässern" oder
"vergiften" könnten.(59)Der EinsatzgruppenprozeßDie insgesamt vier
Einsatzgruppen (A,B,C,D) waren besondere Einheiten der SS, die die deutsche
Armee während des Überfalls und der Besetzung der Sowjetunion mit dem
allgemeinen Auftrag begleiteten, die "politische Sicherheit" in den
besetzten Gebieten zu gewährleisten. Die SS verstand unter der Ausführung
dieses Auftrages die sofortige und völlige Abschlachtung aller Juden in den
besetzten Gebieten und ebenso anderer Gruppen, wie kommunistischer
Parteifunktionäre und Zigeuner. Es ist bewiesen worden, daß ungefähr eine
Million Juden und andere Personen in der Sowjetunion von den Einsatzgruppen
"liquidiert" wurden. Die 24 Angeklagten waren Befehlshaber oder
Offiziere dieser Einheiten, und die Verhandlung gegen sie wurde nicht zu
Unrecht in der Presse als der größte Mordprozeß der Geschichte bezeichnet.
(60) "Die Angeklagten waren keine unzivilisierten Wilden, die nicht die
Feinheiten des Lebens zu schätzen wußten. Jeder dieser vor Gericht stehenden
Männer hat den Vorzug einer guten Erziehung gehabt. Acht waren Juristen,
einer ein Universitätsprofessor, ein anderer ein Zahnarzt und wieder ein
anderer Kunstsachverständiger. Einer der Angeklagten gab als Opernsänger
Konzerte in ganz Deutschland, bevor er seine Tour mit den Einsatzgruppen in Rußland
begann. Unter diesen gebildeten Männern von guter Herkunft befand sich sogar
ein früherer Geistlicher, der sich selbst seiner geistlichen Würde
entkleidet hatte". (61)SS-Generäle im Prozeß gegen die WilhelmstraßeZwei
weitere prominente SS-Führer wurden im Prozeß gegen die Wilhelmstraße
(siehe auch S. 41 ) verurteilt. Zwar wurden sie von der Anklage der Verbrechen
gegen den Frieden freigesprochen, jedoch wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen
gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Industrielle und Bankiers
Der Flick-ProzeßDer Flick-Prozeß war der zweite Prozeß gegen Angeklagte
aus der Privatindustrie im Rahmen des Kriegsrechts und der erste, in dem ein
rechtskräftiges Urteil gefällt wurde. Friedrich Flick und fünf seiner
Hauptmitarbeiter wurden beschuldigt, viele Tausende von ausländischen
Staatsangehörigen, und zwar Konzentrationslager-Insassen und Kriegsgefangene,
unter unmenschlichen Bedingungen in die Flick-Bergwerke und -Fabriken
deportiert zu haben. Der zweite Anklagepunkt beschuldigte alle außer einem
Angeklagten der Ausraubung von Fabriken und anderem Eigentum in Frankreich und
Rußland. Im dritten Anklagepunkt ging es unter dem Punkt "Verbrechen
gegen die Menschlichkeit" um die Teilnahme an der Judenverfolgung und
zwar durch Fortnahme (Arisierung) von begehrenswertem jüdischen
Industriebesitz und von Bergwerken. In Punkt vier wurden Flick und sein
Hauptmitarbeiter Otto Steinbrick beschuldigt, an den Verfolgungen und an
anderen Greueltaten durch Zahlung umfangreicher Summen an die SS mitgewirkt zu
haben. Die Hauptargumente der Verteidigung waren, daß alle Industriellen im
"Dritten Reich" in Furcht vor der Nazi-Tyrannei lebten und daß sie
gezwungen waren, Zwangsarbeiter zu beschäftigen. Die Beziehungen der
Angeklagten zu Himmler und ihre scheinbare Übereinstimmung mit der
Rassenideologie wurden als Tarnung hingestellt, von Flick beschrieben als
"mit den Wölfen heulen" und nur darauf abgestellt, ihre Stellung zu
erhalten. Im Flick-Prozeß hörte man zum erstenmal ganz deutlich in den Schlußworten
der Verteidigung ein Thema, das immer mehr bei der Verteidung in Nürnberg
tonangebend wurde: das deutsche Verhalten während des Zweiten Weltkrieges sei
nicht tadelnswerter als das der alliierten Nationen; Zwangsarbeit und
wirtschaftlicher Diebstahl sei nicht strafwürdiger als die Bombardierung von
deutschen Städten durch die Alliierten; deutsche Übergriffe sowie die
Greueltaten gegen die Juden könnten mit denen auf alliierter Seite verglichen
werden; als Beispiel wurden die Bombardierungen der letzten Kriegstage angeführt.
Das Urteil wurde am 22. Dezember 1947 verkündet und war äußerst milde und
versöhnlich. Das Gericht erkannte die Argumente der Verteigung und der
Angeklagten an.(62)Der Krupp-ProzeßAlfried Krupp war zusammen mit 11 seiner
Beamten angeklagt. Die Anklageschrift legte u.a. dar, daß die Firma Krupp
eine führende Rolle in dem geheimen und illegalen Wiederaufrüstungsprogramm
unter der Weimarer Republik gespielt, Hitlers Machtergreifung unterstützt,
die deutsche Industrie nach Naziprinzipien organisiert und bewußt und gewollt
an der Wiederaufrüstung Deutschlands zum Zwecke ausländischer Eroberungen
mitgearbeitet habe; ferner "als ein integrierender Teil der
Angriffshandlungen", "Eigentum und Hilfsquellen von besetzten Ländern
gestohlen und ausgebeutet sowie Staatsangehörige dieser Gebiete versklavt
habe". (63) ( Siehe dazu das Dokument zu Krupp im Anhang)Der
IG-Farben-ProzeßDer IG-Farben-Prozeß war der größte der industriellen
Prozesse. Alle Angeklagten wurden wegen der gleichen Verbrechen wie die
Krupp-Angeklagten vor Gericht gestellt: Planung und Durchführung von
Angriffskriegen, Verschwörung zu diesem Zwecke, wirtschaftliche Ausraubung
und Zwangsarbeit und Versklavung von Kriegsgefangenen, Deportierten und
Konzentrationslagerhäftlingen. Außerdem wurden drei Angeklagte noch wegen
Mitgliedschaft in der SS angeklagt. Nach Auffassung der Anklagebehörde wog
das Beweismaterial gegen die IG-Farben-Angeklagten am schwersten soweit
Industrielle auf der Anklagebank saßen. Dies galt besonders für die
Anklagepunkte Angriffskrieg und Verschwörung dazu; die Staatsanwaltschaft war
überzeugt, ihr Material beweise, daß die Leiter von IG-Farben lange vor
Hitlers Machtergreifung eine Diktatur wünschten, die "handeln konnte,
ohne Rücksicht auf die Launen der Massen nehmen zu müssen" und, daß
sie die Beherrschung der gesamten europäischen chemischen Industrie
anstrebten, wenn möglich auch außerhalb Europas. Noch bevor Hitler die Macht
an sich riß, hatte IG-Farben mit ihm Abmachungen für eine Regierungsunterstützung
zur Ausdehnung ihrer Anlagen für synthetisches Gasolin abgeschlossen.
IG-Farben unterstützte Hitlers Machtübernahme und die Festigung seiner
Gewalt durch weitgehende finanzielle Zuwendungen und durch systematische
Propaganda. IG-Farben arbeitete aufs engste mit Hitler und den deutschen militärischen
Führern zusammen und nahm bereitwillig an der Planung für den Aufbau einer
gigantischen deutschen Armee und Luftwaffe teil. Im Kampf zwischen Hjalmar
Schacht, der fürchtete, daß die unbegrenzte Wiederaufrüstung Deutschlands
finanzielle Stabilität gefährden könne, und Göring, dem Vorkämpfer einer
Wiederaufrüstung, die alle finanziellen Erwägungen beiseite ließ, stellte
sich IG-Farben mit dem ganzen Gewicht hinter Göring. IG-Farbens
Hauptangeklagter, Carl Krauch, war Görings direkter Berater und der führende
Mann der gesamten chemischen Industrie. Görings Vier-Jahres-Plan war zu 75
Prozent ein Farben-Projekt. Die Leiter der IG-Farben wußten infolge ihrer
strategischen Position auf dem Gebiet der Produktion von Gummi, Benzin,
Giftgas, daß die Wiederaufrüstung bei weitem jeden vorstellbaren
Verteidigungszweck überstieg. IG-Farben entwickelte seine eigenen Pläne für
die Aufsaugung der chemischen Industrie in den von Deutschland zu überfallenden
Ländern, und zwar gleichzeitig mit den militärischen Plänen, und setzte sie
sofort in Aktion, nachdem die einzelnen Eroberungen abgeschlossen waren.
IG-Farbens Beratungen mit den militärischen und politischen Führern überstiegen
bei weitem das Gebiet der technischen Angelegenheiten und waren äußerst
aggressiv und in jeder Beziehung auf Krieg gerichtet. (64) All diese Beweise
machten jedoch auf zwei der drei Richter wenig Eindruck. Das Urteil des
Gerichts vom Juli 1948 sprach alle Angeklagten vom Vorwurf der Verschwörung,
der Planung und Durchführung von Angriffskriegen frei.
Generalfeldmarschälle und Generale
Zwei der Nürnberger Nachfolgeprozesse beinhalteten Anklagen gegen 25 hohe
militärische Führer.Der Prozeß gegen die Südost-GeneraleIm sogenannten
"Geisel-Prozeß" oder Prozeß gegen die Südost-Generale waren zwölf
Armeeführer wegen Kriegsverbrechen angeklagt, die sie während der deutschen
Besetzung von Jugoslawien, Albanien und Griechenland begangen hatten. Der
wichtigste Anklagepunkt gegen alle Angeklagten war ihre Verantwortlichkeit für
die Tötung von vielen Tausenden von jugoslawischen und griechischen
Zivilisten. Viele dieser Menschen wurden auf Grund eines Befehls von
Generalfeldmarschall Weichs umgebracht, nach dem für einen von Partisanen getöteten
deutschen Soldaten einhundert Zivilisten als "Geiseln" hingerichtet
werden sollten. Bei anderer Gelegenheit wurden alle Einwohner von bestimmten Dörfern,
in deren Nähe eine Partisanenaktion vorgekommen war, ermordet und ihre Dörfer
niedergebrannt. Das Urteil im "Geisel-Prozeß" ist in den vorher von
Deutschland besetzten Ländern stark kritisiert worden. (65)Der OKW-ProzeßAlle
Angeklagten im Prozeß gegen das Oberkommando der Wehrmacht (OKW), an der
Spitze Generalfeldmarschall Wilhelm von Leeb, waren beschuldigt,
Angriffskriege geplant und geführt zu haben. Das Beweismaterial zeigte auch,
daß viele von ihnen den Hauptkonferenzen beigewohnt hatten, in denen Hitler
seine Absichten erklärt hatte, Polen, Holland, die Sowjetunion und andere Länder
zu überfallen. Auf die Teilnahme an diesen Konferenzen hatten die Richter des
Internationalen Militärgerichtshofes ihre Verurteilung von Keitel, Raeder und
von Neurath wegen Verbrechens gegen den Frieden entscheidend gestützt. Einige
der Angeklagten, die nicht selbst Teilnehmer der Konferenzen mit Hitler
gewesen waren, hatten an den Entwürfen für die Invasionspläne
mitgearbeitet. Trotz dieser Umstände hat das Gericht es abgelehnt, das
entsprechende Beweismaterial zu benutzen. Nach dem Urteil des Gerichts waren
die Kenntnis von Hitlers Angriffsabsichten und die Teilnahme an der Planung
und Einleitung von Angriffskriegen "nicht genügend, um die Teilnahme am
Kriege selbst bei Militärführern von hohem Rang zu einem Verbrechen zu
stempeln". (66) Ohne jede Erörterung über die Funktion oder Taten der
einzelnen Angeklagten schloß das Gericht, daß "die Angeklagten sich
nicht auf der Stufe der leitenden Politiker befunden hätten und deshalb in
diesem Anklagepunkt nicht schuldig seien." (67) Die Beschuldigungen gegen
die Angeklagten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
waren sehr schwer. Es waren in der Wehrmacht Befehle erteilt worden, die die
Hinrichtung aller Kommandos und politischer Kommissare anordneten, selbst wenn
sie in Uniform auf dem Schlachtfeld gefangen genommen wurden. Trotz einigem
Widerstand gegen diese Befehle wurden sie in vielen Fällen ausgeführt, der
Kommandobefehl meistens an der Westfront und der Kommissarbefehl an der
Ostfront. Das Verhalten der deutschen Armee gegenüber Zivilisten in den
besetzten Gebieten war nicht besser. Die Armeen hatten an der Deportierung von
Hunderten und Tausenden von Zivilisten aus ihren Heimatländern zur
Zwangsarbeit teilgenommen; die berüchtigten SS-Einsatzgruppen, die über eine
Million Juden an der Ostfront ermordet hatten, hatten diese Mordtaten in
Zusammenarbeit mit der deutschen Armee ausgeführt, die sie ernährte,
transportierte und unterbrachte. Mindestens drei der Angeklagten hatten persönlich
an den Entwürfen solcher verbrecherischen Befehle wie des Kommissarbefehls
und des Kommandobefehls teilgenommen; die meisten anderen Angeklagten hatten
direkt mit deren Ausführung zu tun. Wilhelm Leeb wurde nur unter einem Punkt
schuldig gesprochen, erhielt drei Jahre und wurde unter Anrechnung der
Untersuchungshaft entlassen.
Minister und hohe Beamte
Der Prozeß gegen Erhard MilchMilch hatte den Rang eines
Generalfeldmarschalls der Luftwaffe und war Görings Vertreter im
Luftfahrtministerium. Der Hauptanklagepunkt beruhte jedoch auf seiner Tätigkeit
als Mitglied des "Amtes Zentrale Planung", das durch eine Verordnung
Hitlers vom 29. Oktober 1943 errichtet worden war. Das führende Mitglied der
"Zentralen Planung" war Albert Speer, der vom Internationalen Militärgerichtshof
(IMG) verurteilt worden war. Letzterer hatte festgestellt, daß besagtes Amt
"die oberste Autorität für die Aufstellung der deutschen Produktionspläne
und für die Zuteilung und Fertigstellung von Rohmaterialien hatte",
ferner daß dieses Amt Anweisungen an den vom IMG verurteilten Sauckel zur
Beschaffung von Arbeitskräften für solche Industrien geben konnte, die unter
der Aufsicht des Amtes standen. Sauckel und Speer wurden beide hauptsächlich
deshalb verurteilt, weil sie am "Zwangsarbeitsprogramm" teilgenommen
hatten, und dies war auch der Hauptanklagepunkt gegen Milch. Er wurde ferner
wegen Mittäterschaft an medizinischen Experimenten angeklagt, zum Beispiel Höhen-
und Kühlversuchen, die im Konzentrationslager Dachau für die deutsche
Luftwaffe durchgeführt worden waren. (68) Das Gericht war der Auffassung, daß
Milchs Beteiligung an den medizinischen Experimenten nicht über jeden vernünftigen
Zweifel hinaus erwiesen war, und sprach ihn von diesem Anklagepunkt frei.
Seine Mitverantwortlichkeit für das Zwangsarbeitsprogramm zusammen mit Speer
und Sauckel wurde als hinreichend erwiesen angesehen. Er wurde daher für
schuldig befunden und zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt (69).Der
Prozeß gegen die WilhelmstraßeDer größte und letzte der Nürnberger
Nachfolgeprozesse betraf fast ausschließlich höchste Regierungsbeamte und
wurde daher als der "Ministerien" - oder Prozeß gegen die
"Wilhelmstraße" bekannt; amtlich war es der "Prozeß der
Vereinigten Staaten gegen Ernst von Weizsäcker und Genossen". Von den 21
Angeklagten waren 18 Minister und hohe Beamte in der Zivilverwaltung des
"Dritten Reiches". Die drei weiteren Angeklagten waren die
SS-Generale Gottlob Berger und Walter Schellenberg sowie der Bankier Karl
Rasche. Die Zusammensetzung der Anklagebank war der des
Hauptkriegsverbrecherprozesses ähnlich, nur daß im Prozeß gegen die
Wilhelmstraße der Anteil der Diplomaten und Wirtschaftsbeamten größer war,
jedoch keine Militärs mitangeklagt waren. Die Anklageschrift beschuldigte 16
Angeklagte der Begehung von Verbrechen gegen den Frieden. Sieben Angeklagte
waren wegen Kriegsverbrechen, einschließlich der Mitschuld am Lynchen von
abgesprungenen Fliegern und der Mißhandlung und Ermordung von
Kriegsgefangenen angeklagt. Sämtliche Angeklagten waren wegen
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt, begangen
gegen die Zivilbevölkerung nach Ausbruch des Krieges, einschließlich der
Verfolgung und Ausrottung von rassischen und religiösen Gruppen,
wirtschaftliche Ausraubung und Plünderung in besetzten Ländern und
Deportierung zur Zwangsarbeit. 15 Angeklagte waren auch als Mitglieder
verbrecherischer Organisationen, wie der SS oder des Führerkorps der NSDAP,
angeklagt. Der Chef der Auslandsorganisation der NSDAP wurde nur wegen
Mitgliedschaft in der SS und dem Führerkorps der NSDAP verurteilt. Er selbst
hatte sich der Mitgliedschaft in der SS und dem Führerkorps unter Kenntnis
ihrer kriminellen Handlungen für schuldig erklärt. Dies war die einzige
Schuldigerklärung, die jemals in einem der Nürnberger Prozesse abgegeben
worden ist. Alle anderen Angeklagten im Wilhelmstraßen-Prozeß wurden auf
Grund von einem oder mehreren Anklagepunkten wegen Verbrechen gegen den
Frieden, wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit
verurteilt. Im Hinblick auf die Schwere der Verbrechen waren, so Telford
Taylor, die Strafen zu milde. (70)Vom Urteil des Internationalen Militärgerichtshofs
in Nürnberg vom 1.10.1946 bis zum Urteil im Wilhelmstraßenprozeß am
11.4.1949 war eine lange Zeit vergangen. Es gab nicht mehr die "alliance"
mit der Sowjetunion, die im ersten Urteil mitgewirkt hatte. Die amerikanische
Politik ging inzwischen dahin, die Deutschen zu ihren Verbündeten zu machen.
Je weiter weg von den Untaten und dem Mai 1945, um so milder wurden die
Anschauungen - insbesondere über die Strafhöhe. "Die Klarheit über die
Taten und das Beweismaterial war unerhört angewachsen - und sagen wir ruhig -
der Mut zur Bestrafung war gesunken." (71)Übersicht über die Nürnberger
Nachfolgeprozesse- zusammengestellt von Robert Kempner (72) (Stand vom 31.
Januar 1951)Die nachstehende Tabelle gibt die Namen der Angeklagten und in der
zweiten Spalte die Kategorie der Straftaten an, deretwegen sie verurteilt
wurden.A bedeutet Angriffskrieg V bedeutet Verschwörung zur Planung eines
Angriffskrieges K bedeutet Kriegsverbrechen im engeren Sinne, insbesondere
gegen Kriegsgefangene und Kombattanten M bedeutet Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, insbesondere Massenmorde wie die Ausrottung von Minderheiten.
S bedeutet Sklavenarbeit P bedeutet Plünderung; S und P sind spezielle
Verbrechen gegen die Menschlichkeit O bedeutet Organisationsverbrechen, d.h.
die Mitgliedschaft in einer der vom Internationalen Militärgerichtshof für
verbrecherisch erklärten Organisationen, vor allem der SS
Tabelle der Strafaussprüche
Fall 1: Ärzte
Urteil vom 20. August 1947
Brandt Karl K,M,O Todesstrafe, hingerichtetHandloser
Siegfried K,M Lebenslänglich (20)
Rostock Pau - Freispruch
Schröder Oskar K,M Lebenslänglich (15)
Genzken Karle K,M,O Lebenslänglich (20)
Gebhardt Karl K,M,O Todesstrafe, hingerichtet
Blome Kurt - Freispruch
Mrugowsky Joachim K,M,O Todesstrafe, hingerichtet
Brandt Rudolf K,M,O Todesstrafe, hingerichtet
Poppendick Helmut O 10 Jahre (5 3/4)
Sievers Wolfram K,M,O Todesstrafe, hingerichtet
Rose Gerhard K,M Lebenslänglich (15)
Ruff Siegfried - Freispruch
Brack Viktor K,M,O Todesstrafe, hingerichtet
Romberg Hans-Wolfgang - Freispruch
Becker-Freysing Hermann K,M 20 Jahre (10)
Weltz August - Freispruch
Schäfer Konrad - Freispruch
Hoven Waldemar K,M,O Todesstrafe, hingerichtet
Beigelböck Wilhelm K,M 15 Jahre (10)
Pokorny Adolf - Freispruch
Oberhauser Herta K,M 20 Jahre (10)
Fischer Fritz K,M,O Lebenslänglich (15)
Fall 2: Milch
Urteil vom 17. April 1947
Milch Erhard
S,M Lebenslänglich (15)
Fall 3: JuristenUrteil vom 4. Dezember 1947
Altstötter Josef O 5 Jahre (verbüßt)
von Ammon Wilhelm K,M 10 Jahre (5 3/4)
Barnickel Paul - Freispruch
Cuhorst Hermann - Freispruch
Joel Günther K,M,O 10 Jahre (5 3/4)
Klemm Herbert K,M Lebenslänglich (20)
Lautz Ernst K,M 10 Jahre (5 3/4)
Mettgenberg Wolfgang K,M 10 Jahre (†)
Nebelung Günther - Freispruch
Öschey Rudolf M,O Lebenslänglich (20)
Petersen Hans - Freispruch
Rothaug Oswald M Lebenslänglich (20)
Rothenberger Curt K,M 7 Jahre (verbüßt)
Schlegelberger Franz K,M Lebenslänglich ( wegen Krankheit entlassen)
Fall 4: Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt der SSUrteil vom 3. November 1947
Baier Hans K,M,O 10 Jahre (5 3/4)
Bobermin Hans K,M,O 15 Jahre (5 3/4)
Eirenschmalz Franz K,M,O Todesstrafe (9)
Fanslau Heinz K,M,O 20 Jahre (15)
Frank August K,M,O Lebenslänglich (15)
Hohberg Hans K,M 10 Jahre (5 3/4)
Kiefer Max K,M,O 15 Jahre (5 3/4)
Klein Horst - Freispruch
Lörner Georg K,M,O Lebenslänglich (15)
Lörner Hans K,M,O 10 Jahre (5 3/4)
Mummenthey Karl K,M,O Lebenslänglich (20)
Pohl Oswald K,M,O Todesstrafe
Pook Hermann K,M,O 10 Jahre (5 3/4)
Scheide Rudolf - Freispruch
Sommer Karl K,M,O Todesstrafe (20)
Tschentscher Erwin K,M,O 10 Jahre (5 3/4)
Vogt Joseph - Freispruch
Volk Leo K,M 10 Jahre (8)
Fall 5: Flick-Urteil vom 22. Dezember 1947
Flick Friedrich S,P,O 7 Jahre
Steinbrink Otto O 5 Jahre
Kaletsch Konrad - Freispruch
Weiß Bernhard S 2 ½ Jahre
Terberger Hermann - Freispruch
Burkhard Odilio - Freispruch
Fall 6: IG-FarbenUrteil vom 30. Juli 1948
Krauch Carl S 6 Jahre
Schmitz Hermann P 4 Jahre
von Schnitzler Georg P 5 Jahre
Gajewski Fritz - Freispruch
Hörlein Heinrich - Freispruch sämtlich verbüßt
von Knieriem August - Freispruch > oder wegen guterter
Meer Fritz P,S 7 Jahre Führung vorzeitig
Schneider Christian - Freispruch entlassen
Ambros Otto S 8 Jahre
Bürgin Ernst P 2 Jahre
Bütefisch Heinrich S 6 Jahre
Häflinger Paul P 2 Jahre
Ilgner Max P 3 Jahre
Jähne Friedrich P 1 ½ Jahre
Kühne Hans - Freispruch
Lautenschläger Carl - Freispruch
Mann Wilhelm - FreispruchOster
Heinrich P 2 Jahre
Wurster Karl - Freispruch
Dürrfeld Walter S 8 Jahre
Gattineau Heinrich - Freispruch
von der Heyde Erich - Freispruch
Kugler Hans - 1 ½ Jahre
Fall 7: Südost-GeneraleUrteil vom 19. Februar 1948
Dehner Ernst M 7 Jahre (5 3/4)
Felmy Helmuth M,P 15 Jahre (10)
Förtsch Hermann - Freispruch
von Geitner Kurt M,K,S Freispruch
Kuntze Walter - Lebenslänglich
Lanz Hubert M,K 12 Jahre (5 3/4)
von Leyser Ernst K,S 10 Jahre (5 3/4)
List Wilhelm M,K Lebenslänglich
Rendulic Lothar M,K,S 20 Jahre (10)
Speidel Wilhelm M 20 Jahre (5 3/4)
Fall 8: Rasse- und Siedlungshauptamt der SSUrteil vom 10. März 1948
Greifelt Ulrich M,K,O Lebenslänglich (†)
Creutz Rudolf M,K,O 15 Jahre (10)
Meyer-Hetling Konrad O 2 Jahre, 10 Monate ver-
Schwarzenberger Otto O 2 Jahre, 10 Monate büßt
Hübner Herbert M,K,O 15 Jahre (5 3/4)
Lorenz Werner M,K,O 20 Jahre (15)
Brückner Heinz M,K,O 15 Jahre (5 3/4)
Hofmann Otto M,K,O 25 Jahre (15)
Hildebrandt Richard M,K,O 25 Jahre (an Polen rücküberstellt)
Schwalm Fritz M,K,O 10 Jahre (5 3/4)
Sollmann Max O 2 Jahre, 8 Monate ver-
Ebner Georg O 2 Jahre, 8 Monate > büßt
Tesch Günther O 2 Jahre, 10 Monate
Viermetz Inge - Freispruch
Fall 9: EinsatzgruppenUrteil vom 10. April 1948
Ohlendorf Otto M,K,O Todesstrafe
Naumann Erich M,K,O Todesstrafe
Schulz Erwin M,K,O 20 Jahre (15)
Six Franz M,K,O 20 Jahre (10)
Blobel Paul M,K,O Todesstrafe
Blume Walter M,K,O Todesstrafe (25)
Sandberger Martin M,K,O Todesstrafe (lebensl.)
Seibert Willy M,K,O Todesstrafe (15)
Steimle Eugen M,K,O Todesstrafe (20)
Biberstein Ernst M,K,O Todesstrafe (lebensl.)
Braune Werner M,K,O Todesstrafe
Hänsch Walter M,K,O Todesstrafe (15)
Noßke Gustav M,K,O Lebenslänglich (10)
Ott Adolf M,K,O Todesstrafe (lebensl.)
Strauch Edward M,K,O Todesstrafe (an Belgien ausgel.)
Klingelhöfer Waldemar M,K,O Todesstrafe (lebensl.)
Fendler Lothar M,K,O 10 Jahre (8)
von Radetzky Waldemar M,K,O 20 Jahre (5 3/4)
Rühl Felix O 10 Jahre (5 3/4)
Schubert Heinz M,K,O Todesstrafe (10)
Graf Mathias O 3 Jahre (verbüßt)
Jost Heinz M,K,O Lebenslänglich (10)
Fall 10: KruppUrteil vom 31. Juli 1948
Krupp von Bohlen P,S 12 Jahre Einziehung des Vermögens
und Halbach Alfried diejenigen, die nicht
Löser Ewald P,S 7 Jahre bereits verbüßt,
Houdremont Eduard P,S 10 Jahre durch Ent-
Müller Erich P,S 12 Jahre scheid vom
Janssen Friedrich P,S 10 Jahre 31. Januar
Pfirsch Karl - Freispruch 1951 be-
Ihn Max S 9 Jahre gnadigt.
Eberhardt Karl P,S 9 Jahre Vermögens-
Korschan Heinrich S 6 Jahre einziehung
von Bülow Friedrich S 12 Jahre aufgehoben.
Lehmann Heinrich S 6 Jahre
Kupke Hans S 2 Jahre, 10 Mon.
Fall 11: WilhelmstraßeUrteil vom 11. April 1949
von Weizsäcker Ernst M 5 Jahre * teilweise
Steengracht von Moyland verbüßt
Adolf M 5 Jahre*
Keppler Wilhelm A,M,P,O 10 Jahre (5 3/4)
Bohle Ernst Wilhelm O 5 Jahre
Wörmann Ernst M 5 Jahre* teilweise
Ritter Karl K 4 Jahre verbüßt
von Erdmannsdorff Otto - Freispruch
Veesenmayer Edmund M,S,O 20 Jahre (10)
Lammers Hans Heinrich A,K,M,S,O 20 Jahre (10)
Stuckart Wilhelm M,P,O 3 Jahre, 10 M. > teilweise
Darré Richard Walther M,P,O 7 Jahre verbüßt
Meißner Otto - Freispruch
Dietrich Otto M,O 7 Jahre (teilw. verbüßt)
Berger Gottlob K,M,S,O 25 Jahre (10)
Schellenberg Walter M,O 6 Jahre (teilw. verbüßt)
Schwerin von Krosigk LutzM,P 10 Jahre (5 3/4)
Puhl Emil M 5 Jahre (teilw. verbüßt)
Körner Paul A,P,S,O 15 Jahre (10)
Pleiger Paul P,S 15 Jahre (9)
Kehrl Hans M,P,S,O 15 Jahre (5 3/4)
Rasche Karl P,O 7 Jahre (teilw. verbüßt)
Fall 12: Oberkommando der WehrmachtUrteil vom 27. Oktober 1948
von Leeb Wilhelm M 3 Jahre (verbüßt)
Sperrle Hugo - Freispruch
von Küchler Georg K,M 20 Jahre (12)
Hoth Hermann K,M 15 Jahre
Reinhardt Hans Georg K,M 15 Jahre
von Salmuth Hans K,M 20 Jahre (12)
Hollidt Karl K,M 5 Jahre (teilw. verbüßt)
Schniewind Otto - Freispruch
von Roques Karl K,M 20 Jahre (†)
Reinecke Hermann K,M Lebenslänglich
Warlimont Walter K,M Lebenslänglich (18)
Wöhler Otto K,M 8 Jahre > teilweise
Lehmann Rudolf K,M 7 Jahre verbüßt
Die mehrfach in Klammer erscheinende Zahl 5 ¾ bringt zum Ausdruck, daß
die Verurteilten am 1. Februar 1951 entlassen wurden, nachdem sie
durchschnittlich 5 ¾ Jahre verbüßt hatten und durch den Gnadenerweis des
Hochkommissars die Strafe "auf die verbüßte Zeit herabgesetzt” war.
* Ursprünglich sieben Jahre. Durch Berichtigungsbeschluß vom 12. Dezember
1949 wurden jedoch die Strafen auf fünf Jahre herabgesetzt, nachdem die
Verurteilung von Weizsäcker und Wörmann wegen Verbrechen gegen den Frieden
und von Steengracht wegen Kriegsverbrechen durch den Beschluß weggefallen
war.
ZEITTAFEL
8. 8.1920 Gründung der NSDAP
8.11.1923 Hitler proklamiert "deutsche Nationalregierung" in München unter seiner Führung
9.11.1923 Zusammenbruch des Hitler-Putsches
1. 4.1924 Hitler zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt, vorzeitige Entlassung bereits am 20.12 1924; in der Haft entstand Bd. 1 von "Mein Kampf", der im Juli 1925 in München erschien
9.11 1925 Gründung der SS (Schutzstaffel)
27. 8.1928 Unterzeichnung des Briand-Kellog Paktes in Paris durch 15 Nationen, denen sich später 45 weitere, darunter die UdSSR, anschließen. Demnach sollte künftig der Angriffskrieg geächtet sein. Streitigkeiten sollten intern im Wege der Schiedsgerichts- barkeit beigelegt werden. Beitritt Deutschlands am 25.7.29
1. 6.1932 Ernennung von Papens zum Reichskanzler
3.12.1932 General Schleicher wird Reichskanzler
28. 1.1933 Rücktritt Schleichers
30. 1.1933 Hindenburg beruft Hitler zum Reichskanzler
1. 2.1933 Auflösung des Reichstages
27. 2.1933 Brand des Reichstagsgebäudes
28. 2.1933 "Verordnung zum Schutze von Volk und Staat", Aufhebung der Freiheits- und Grund- rechte
13. 3.1933 Goebbels wird Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda
16. 3.1933 Schacht wird Reichsbankpräsident
20. 3.1933 Himmler läßt in Dachau das erste Konzentrationslager errichten
24. 3.1933 Ermächtigungsgesetz, Ende der parlamentarischen Demokratie
1. 4.1933 Boykott jüdischer Geschäfte
27. 4.1933 Heß wird stellv. Vorsitzender der NSDAP
2. 5.1933 Auflösung der Gewerkschaften, Besetzung der Gewerkschaftshäuser, zahlreiche Ver- haftungen von Gewerkschaftern und Internierung in Kzs
10. 5.1933 Bücherverbrennung
22. 6.1933 Verbot der SPD, die KPD war schon vorher verboten worden
20. 1.1934 Gesetz "Zur Ordnung der nationalen Arbeit"
20. 4.1934 Himmler wird Chef der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Preußen
24.10.1934 Verordnung über die "Deutsche Arbeitsfront" als "Organisation der schaffenden Deut- schen der Stirn und der Faust", R. Ley wird ihr Vorsitzender
16. 3.1935 Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht
15. 9.1935 Verkündung der antisemitischen "Nürnberger Gesetze"
7. 3.1936 Hitler läßt die Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland einmarschieren
18.10.1936 Göring wird mit der Durchführung des Vierjahresplans betraut:
1. Die deutsche Armee muß in 4 Jahren einsatzfähig sein.
2. Die deutsche Wirtschaft muß in 4 Jahren kriegsfähig sein
1.12.1936 Gesetz über die Hitlerjugend, Reichsjugendführer wird Baldur v. Schirach
5.11.1937 Hitler enthüllt vor den Oberbefehlshabern und dem Reichsaußenminister seine Kriegspläne (Hoßbach-Dokument)
4. 2.1938 Bildung des Oberkommandos der Wehrmacht, Hitler ist oberster Führer, Ribbentrop löst von Neurath als Reichsaußenminister ab
13. 3.1938 Besetzung und Anschluß Österreichs
9.11.1938 Reichspogromnacht
20. 1.1939 Funk wird Reichsbankpräsident
15. 3.1939 Einmarsch deutscher Truppen in Böhmen und Mähren; Bildung des Protektorats
1. 9.1939 Beginn des deutschen Angriffs auf Polen, der 2. Weltkrieg beginnt
12.10.1939 Frank wird Generalgouverneur des besetzten Polen
9. 4.1940 Deutscher Überfall auf Dänemark und Norwegen
10. 5.1940 Deutscher Angriff auf Holland, Belgien, Luxemburg und Frankreich
18.12.1940 Hitler erteilt die Weisung Nr. 21 ("Fall Barbarossa") betreffend den Angriff auf die Sowjetunion
6. 4.1941 Deutscher Angriff auf Jugoslawien und Griechenland
14. 5.19041 Bormann wird Nachfolger von Heß
4. 6.1941 Das Oberkommando der Wehrmacht erläßt den "Kommissarbefehl", nach dem die politischen Kommissare der Roten Armee als Trägerin der bolschewistischen Welt- anschauung im demnächst beginnenden Rußlandfeldzug "grundsätzlich sofort mit der Waffe zu erledigen" sind
22. 6.1941 Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion
17. 7.1941 Rosenberg wird Reichsminister für die besetzten Ostgbiete
31. 7.1941 Göring beauftragt Heydrich mit der völligen "Evakuierung" der europäischen Juden
23. 9.1941 erste Versuchsvergasungen im KZ Auschwitz
28. 9.1941 Judenmassaker in Kiew (ca. 34.000 Tote)
20.10.1941 erste Deportierungen von Juden aus dem deutschen Reich
11.12.1941 Deutschland erklärt den Krieg an die USA
13. 1.1942 Londoner Konferenz ( zur Behandlung der Kriegsverbrecher)
20. 1.1942 Wannsee-Konferenz über die "Endlösung der Judenfrage"
9. 2.1942 Speer wird Rüstungsminister
28. 3.1942 Sauckel wird "Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz"
10. 6.1942 Vernichtung von Lidice
24. 1.1943 Roosevelt bezeichnet in Casablanca als Kriegsziel die "bedingungslose Kapitulation Deutschlands"
30. 1.1943 Kaltenbrunner wird Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA); Dönitz wird Ober- befehlshaber der Kriegsmarine
31. 1.1943 Ende der Schlacht um Stalingrad
22. 2.1943 Hinrichtung der Geschwister Scholl (" Weiße Rose")
11. 6.1943 Himmler ordnet die Liquidierung der polnischen Ghettos an
10. 7.1943 Landung der Alliierten auf Sizilien
6. 6.1944 Invasion der Alliierten in Frankreich
20. 7.1944 Hiler-Attentat
4.-11.2.1945 Konferenz von Jalta. Roosevelt, Churchill und Stalin legen das endgültige militäri- sche Vorgehen fest, sowie die Bedingungen für Besetzung, Kontrolle und Reparatio- nen des besiegten Deutschland
8. 3.1945 Die Alliierten setzen bei Dormagen über den Rhein
25. 4.1945 Westalliierte und Rote Armee treffen sich bei Torgau
30. 4.1945 Selbstmord Hitlers in Berlin. Dönitz wird neues Staatsoberhaupt
8. 5.1945 bedingungslose Kapitulation Deutschlands
5. 6.1945 Deutschland wird in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Besatzungsmächte über- nehmen die oberste Regierungsgewalt
17. 7.-2.8.1945 Potsdamer Konferenz
6. 8.1945 Abwurf der ersten Atombombe auf Hiroshima, am 9.8. folgt Nagasaki
20.11.1945 Beginn des Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg
Anmerkungen
1) zit. nach Taylor 1, S.12; 2) ebd.; 3) Taylor 2, S. 74 f.; 4)
Heydecker/Leeb, S. 99; 5) Taylor 2, S.746; 6) Anklageschrift im Wortlaut gekürzt,
nach Heydecker/Leeb, S.530-33; 7) zusammengestellt nach Münning, S. 49 ff.,
8) Taylor 2, S.149; 9) zit. nach Heydecker/Leeb, S.101-103; 10) ebd. S.106;
11) zit. nach Taylor 2, S.206; 12) Heydecker/Leeb, S.167/68; 13) ebd. S.229;
14) Taylor 2, S.349; 15) ebd.; 16) Taylor 2 S. 351; 17) ebd. S.353; 18) ebd.,
S.354; 19) ebd., S.355; 20) Heydecker/Leeb, S. 387; 21) Taylor 2, S. 367; 22)
Heydecker/Leeb, S. 282/83; 23) ebd., S. 367/68; 24) ebd., S.293; 25) Taylor 2,
S.369; 26) ebd.; 27) Taylor 2, S.371; 28) ebd., S. 374; 29) Zentner, S.18; 30)
Gilbert, S.424; 31) Heydecker/Leeb, S.413; 32) Taylor 2, S.425; 33) ebd.,
S.570/71; 34) ebd., S.580; 35) ebd., S.587; 36) ebd., S.609; 37) eine
Zusammenfassung findet sich bei Heydecker/Leeb, S.454; 38) Taylor 2, S.250 f.;
39) ebd., S.263; 40) Heydecker/Leeb, S.476; 41) Taylor 1, S.32; 42) ebd.; 43)
Taylor 1, S.34; 44) ebd.; 45) Taylor 1, S.35; 46) ebd., S.38; 47) Der Nürnberger
Prozeß ..., Protokoll Bd.1, S.414; 48) ebd., S.324-28; 49) ebd, S.340-43; 50)
ebd., S.343-46); 51) ebd., S.346-50; 52) Kempner, Vorwort zu Heydecker/Leeb,
S.11; 53) aus Jacksons Eröffnungsrede, zit. nach Heydecker/Leeb S.15; 54)
Zentner, S.12; 55) nach Taylor 1, S.50-116; 56) Taylor 1, S.54-56; 57) ebd.,
S.57; 58) ebd., S.58; 59) ebd., S.71, 60) ebd., S.73; 61) aus der
Verhandlungsniederschrift, zit. nach Taylor 1, S.75; 62) Taylor 1, S.80; 63)
ebd., S.85; 64) ebd., S.92; 65) ebd., S.99; 66) ebd., S.106; 67) ebd.; 68)
Taylor 1, S.108; 69) ebd., S.109; 70) ebd.,S.114; 71) Kempner; S.346; 72)
abgedruckt in: Taylor 1, S.160-66.
Literaturnachweis
Gustave M. Gilbert, Nürnberger Tagebuch, Gespräche der Angeklagten mit
dem Gerichtspsychologen, Frankfurt/Main 1993
Joe J. Heydecker/Johannes Leeb, Der Nürnberger Prozeß, Köln 1979
Robert M.W. Kempner, Ankläger einer Epoche, Frankfurt/Main, Berlin, 1986
Kamilla Münning, Der Nürnberger Prozeß, Materialien zu einem Film von
Tore Sjöberg, Duisburg 1989
Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse, Zürich 1951 (Taylor 1)
Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse, Hintergründe, Analysen und
Erkenntnisse aus heutiger Sicht, München 1994 (Taylor 2)
Christian Zentner, Der Nürnberger Prozeß, Stuttgart 1994
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof,
Nürnberg 1947, Protokolle, Nachdruck Reichenbach Verlag Stuttgart 1994, Bd.1
(Anklageschrift und Urteil)
Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof,
Urkunden und anderes Beweismaterial, Nürnberg 1947, Nachdruck Delphin Verlag
München 1989, Bd. 1, Bd.11
Umfangreiches Bildmaterial enthält Ray D'Addario, Klaus Kastner, Der Nürnberger
Prozeß, 1994
Dokumente im Wortlaut
(Abschrift ohne Fehlerkorrektur)
A) Das Hoßbach-Protokoll
B) Fritz Sauckel, Das Programm des Arbeitseinsatzes
C) Entwurf einer Rede Krupps
D) Schuldsprüche gegen Keitel, Streicher, Funk und Schacht
A) Das Hoßbach-Protokoll
DOKUMENT 386-PS
NIEDERSCHRIFT DES OBERSTEN HOSSBACH VOM 10. NOVEMBER 1937 ÜBER DIE
BESPRECHUNG VOM 5. NOVEMBER 1937 IN DER REICHSKANZLEI, AN DER HITLER, VON
BLOMBERG, VON FRITSCH, RAEDER, GÖRING UND VON NEURATH TEILNAHMEN, MIT
WIEDERGABE VON HITLERS REDE ÜBER DIE ZIELE DER DEUTSCHEN POLITIK, DIE HITLER
ALS SEINE "TESTAMENTARISCHE HINTERLASSENSCHAFT" BEZEICHNET UND IN
DER ER ERKLÄRT, DASS ES "ZUR LÖSUNG DER DEUTSCHEN FRAGE NUR DEN WEG DER
GEWALT GEBEN KÖNNE" (BEWEISSTÜCK US-25)
BESCHREIBUNG DER HIER ZUGRUNDEGELEGTEN URK:
Phot bgl durch Schreiben des Department of State (Washington D.C.) vom 17.
Oktober 1945 U (Ti) James J Byrnes
Berlin, den 10. November 1937
Niederschrift
über die Besprechung in der Reichskanzlei
am 5. 11. 37 von 16,15 - 20,30 Uhr.
Anwesend: Der Führer und Reichskanzler,
der Reichskriegsminister Generalfeldmarschall v. Blomberg,
der Oberbefehlshaber des Heeres Generaloberst Freiherr von Fritsch,
der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine Generaladmiral Dr.h.c. Raeder,
der Oberbefehlshaber der Luftwaffe Generaloberst Göring,
der Reichsminister des Auswärtigen Freiherr von Neurath,
Oberst Hoßbach.
Der Führer stellte einleitend fest, daß der Gegenstand der heutigen
Besprechung von derartiger Bedeutung sei, daß dessen Erörterung in anderen
Staaten wohl vor das Forum des Regierungskabinetts gehörte, er - der Führer
- sähe aber gerade im Hinblick auf die Bedeutung der Materie davon ab, diese
in dem großen Kreise des Reichskabinetts zum Gegenstand der Besprechung zu
machen. Seine nachfolgenden Ausführungen seien das Ergebnis eingehender Überlegungen
und der Erfahrungen seiner 4 1/2 jährigen Regierungszeit; er wolle den
anwesenden Herren seine grundlegenden Gedanken über die Entwicklungsmöglichkeiten
und -notwendigkeiten unserer außenpolitischen Lage auseinandersetzen, wobei
er im Interesse einer auf weite Sicht eingestellten deutschen Politik seine
Ausführungen als seine testamentarische Hinterlassenschaft für den Fall
seines Ablebens anzusehen bitte.
Der Führer führte sodann aus:
Das Ziel der deutschen Politik sei die Sicherung und die Erhaltung der
Volksmasse und deren Vermehrung. Somit handele es sich um das Problem des
Raumes.
Die deutsche Volksmasse verfüge über 85 Millionen Menschen, die nach der
Anzahl der Menschen und der Geschlossenheit des Siedlungsraumes in Europa
einen in sich so fest geschlossenen Rassekern darstelle, wie er in keinem
anderen Land wiederanzutreffen sei
- Seite 2 -
wie er andererseits das Anrecht auf größeren Lebensraum mehr als bei
anderen Völkern in sich schlösse. Wenn kein dem deutschen Rassekern
entsprechendes politisches Ergebnis auf dem Gebiet des Raumes vorläge, so sei
das eine Folge mehrhundertjähriger historischer Entwicklung und bei Fortdauer
dieses politischen Zustandes die größte Gefahr für die Erhaltung des
deutschen Volkstums auf seiner jetzigen Höhe. Ein Aufhalten des Rückganges
des Deutschtums in Österreich und in der Tschechoslowakei sei ebenso wenig möglich
als die Erhaltung des augenblicklichen Standes in Deutschland selbst. Statt
Wachstum setze Sterilisation ein, in deren Folge Spannungen sozialer Art nach
einer Reihe von Jahren einsetzen müßten, weil politische und
weltanschauliche Ideen nur solange von Bestand seien, als sie die Grundlage
zur Verwirklichung der realen Lebensansprüche eines Volkes abzugeben vermöchten.
Die deutsche Zukunft sei daher ausschließlich durch die Lösung der Raumnot
bedingt, eine solche Lösung könne naturgemäß nur für eine absehbare, etwa
1 - 3 Generationen umfassende Zeit gesucht werden.
Bevor er sich der Frage der Behebung der Raumnot zuwende, sei die Überlegung
anzustellen, ob im Wege der Autarkie oder einer gesteigerten Beteiligung an
der Weltwirtschaft eine zukunftsreiche Lösung der deutschen Lage zu erreichen
sei.
Autarkie: Durchführung nur möglich bei straffer
nationalsozialistischer Staatsführung, welche die Voraussetzung sei, als
Resultat der Verwirklichungsmöglichkeit sei festzustellen:
A. Auf dem Gebiet der Rohstoffe nur bedingte, nicht aber totale Autarkie.
l.) soweit Kohle zur Gewinnung von Rohprodukten in Betracht komme, sei
Autarkie durch- führbar.
2.) Schon auf dem Gebiet der Erze Lage viel schwieriger.
Eisenbedarf = Selbstdeckung möglich und Leichtmetall, bei anderen
Rohstoffen
- Kupfer, Zinn dagegen nicht.
3.) Faserstoffe - Selbstdeckung, soweit Holzvorkommen reicht.
Eine Dauerlösung nicht möglich.
4.) Ernährungsfette möglich.
B. Auf dem Gebiet der Lebensmittel sei die Frage der Autarkie mit einem
glatten "Nein" zu beantworten.
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Mit der allgemeinen Steigerung des Lebensstandartes sei gegenüber den
Zeiten vor 30-40 Jahren eine Steigerung des Bedarfs und ein gesteigerter
Eigenkonsum auch der Produzenten, der Bauern, Hand in Hand gegangen. Die Erlöse
der landwirtschaftlichen Produktionssteigerung seien in die Deckung der
Bedarfssteigerung übergegangen, stellten daher keine absolute
Erzeugungssteigerung dar. Eine weitere Steigerung der Produktion unter
Anspannung des Bodens, der infolge der Kunstdüngung bereits Ermüdungserscheinungen
aufweise, sei kaum noch möglich und daher sicher, daß selbst bei höchster
Produktionssteigerung eine Beteiligung am Weltmarkt nicht zu umgehen sei. Der
schon bei guten Ernten nicht unerhebliche Ansatz von Devisen zur
Sicherstellung der Ernährung durch Einfuhr steigere sich bei Mißernten zu
katastrophalem Ausmaß. Die Möglichkeit der Katastrophe wachse in dem Maße
der Bevölkerungszunahme, wobei der Geburtenüberschuß von jährlich 560 000
auch insofern einen erhöhten Brotkonsum im Gefolge habe, da das Kind ein stärkerer
Brotesser als der Erwachsene sei.
Den Ernährungsschwierigkeiten durch Senkung des Lebensstandartes und durch
Rationalisierung auf die Dauer zu begegnen, sei in einem Erdteil annähernd
gleicher Lebenshaltung unmöglich. Seitdem mit Lösung des
Arbeitslosenproblems die volle Konsumkraft in Wirkung getreten sei, wären
wohl noch kleine Korrekturen unserer landwirtschaftlichen Eigenproduktion,
nicht aber eine tatsächliche Änderung der Ernährungsgrundlage möglich.
Damit sei die Autarkie sowohl auf dem Ernährungsgebiet als auch in der
Totalität hinfällig.
Beteiligung an der Weltwirtschaft: Ihr seien Grenzen gezogen, die
wir nicht zu beheben vermöchten. Einer sicheren Fundierung der deutschen Lage
ständen die Konjunkturschwankungen entgegen, die Handelsverträge böten
keine Gewähr für die praktische Durchführung. Insbesondere sei grundsätzlich
zu bedenken, daß seit dem Weltkriege eine Industrialisierung gerade früherer
Ernährungsausfuhrländer stattgefunden habe. Wir lebten im Zeitalter
wirtschaftlicher Imperien, in welchem der Trieb zur Kolonisierung sich wieder
dem Urzustand nähere; bei Japan und Italien lägen dem Ausdehnungsdrang
wirtschaftliche Motive zu Grunde ebenso wie auch für Deutschland die
wirtschaftliche Not den Antrieb bilden würde. Für Länder außerhalb der großen
Wirtschaftsreiche sei die Möglichkeit wirtschaftlicher Expansion besonders
erschwert.
Der durch die Rüstungskonjunkturen verursachte Auftrieb in
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der Weltwirtschaft könne niemals die Grundlage zu einer wirtschaftlichen
Regelung für einen längeren Zeitraum bilden, welch letzterer vor allem auch
die vom Bolschewismus ausgehenden Wirtschaftszerstörungen im Wege stünden.
Es sei eine ausgesprochene militärische Schwäche derjenigen Staaten, die
ihre Existenz auf dem Außenhandel aufbauten. Da unser Außenhandel über die
durch England beherrschten Seegebiete führe, sei es mehr eine Frage der
Sicherheit des Transportes als eine solche der Devisen, woraus die große Schwäche
unserer Ernährungssituation im Kriege erhelle. Die einzige, uns vielleicht
traumhaft erscheinende Abhilfe läge in der Gewinnung eines größeren
Lebensraumes, ein Streben, das zu allen Zeiten die Ursache der
Staatenbildungen und Völkerbewegungen gewesen sei. Daß dieses Streben in
Genf und bei den gesättigten Staaten keinem Interesse begegne, sei erklärlich.
Wenn die Sicherheit unserer Ernährungslage im Vordergrunde stände, so könne
der hierfür notwendige Raum nur in Europa gesucht werden, nicht aber
ausgehend von liberalistisch-kapitalistischen Auffassungen in der Ausbeutung
von Kolonien. Es handele sich nicht um die Gewinnung von Menschen, sondern von
landwirtschaftlich nutzbarem Raum. Auch die Rohstoffgebiete seien zweckmäßiger
im unmittelbaren Anschluß an das Reich in Europa und nicht in Übersee zu
suchen, wobei die Lösung sich für ein bis zwei Generationen auswirken müsse.
Was darüber hinaus in späteren Zeiten notwendig werden sollte, müsse
nachfolgenden Geschlechtern überlassen bleiben. Die Entwicklung großer
Weltgebilde gehe nun einmal langsam vor sich, das deutsche Volk mit seinem
starken Rassekern finde hierfür die günstigsten Voraussetzungen inmitten des
europäischen Kontinents. Daß jede Raumerweiterung nur durch Brechen von
Widerstand und unter Risiko vor sich gehen könne, habe die Geschichte aller
Zeiten - Römisches Weltreich, Englisches Empire - bewiesen. Auch Rückschläge
seien unvermeidbar. Weder früher noch heute habe es herrenlosen Raum gegeben,
der Angreifer stoße stets auf den Besitzer.
Für Deutschland laute die Frage, wo größter Gewinn unter geringstem
Einsatz zu erreichen sei.
Die deutsche Politik habe mit den beiden Haßgegnern England und Frankreich
zu rechnen, denen ein starker deutscher Koloß inmitten Europas ein Dorn im
Auge sei, wobei beide Staaten eine weitere deutsche Erstarkung sowohl in
Europa als auch in Übersee ablehnten und sich in dieser Ablehnung auf die
Zustimmung aller Parteien stützen könnten. In der Errichtung deutscher militärischer
Stützpunkte
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in Übersee sähen beide Länder eine Bedrohung ihrer Überseeverbindungen,
eine Sicherung des deutschen Handels und rückwirkend eine Stärkung der
deutschen Position in Europa.
England könne aus seinem Kolonialbesitz infolge des Widerstandes der
Dominien keine Abtretungen an uns vornehmen. Nach dem durch Übergang
Abessiniens in italienischen Besitz eingetretenen Prestigeverlusts Englands
sei mit einer Rückgabe Ostafrikas nicht zu rechnen. Das Entgegenkommen
Englands werde sich bestenfalls in dem Anheimstellen äußern, unsere
kolonialen Wünsche durch Wegnahme solcher Kolonien zu befriedigen, die sich
z.Zt. in nicht englischem Besitz befänden - z.B. Angola - . In der gleichen
Linie werde sich das französische Entgegenkommen bewegen.
Eine ernsthafte Diskussion wegen der Rückgabe von Kolonien an uns käme
nur zu einem Zeitpunkt in Betracht, in dem England sich in einer Notlage befände
und das deutsche Reich stark und gerüstet sei. Die Auffassung, daß das
Empire unerschütterlich sei, teile der Führer nicht. Die Widerstände gegen
das Empire lägen weniger in den eroberten Ländern als bei den Konkurrenten.
Das Empire und das Römische Weltreich seien hinsichtlich der Dauerhaftigkeit
nicht vergleichbar; dem letzteren habe seit den punischen Kriegen kein
machtpolitischer Gegner ernsthafteren Charakters gegenüber gestanden. Erst
die vom Christentum ausgehende auflösende Wirkung und die sich bei jedem
Staat einstellenden Alterserscheinungen hätten das alte Rom dem Ansturm der
Germanen erliegen lassen.
Neben dem englischen Empire ständen schon heute eine Anzahl ihm überlegener
Staaten. Das englische Mutterland sei nur im Bunde mit anderen Staaten, nicht
aus eigener Kraft in der Lage, seinen Kolonialbesitz zu verteidigen. Wie solle
England allein z.B. Kanada gegen einen Angriff Amerikas, seine ostasiatischen
Interessen gegen einen solchen Japans verteidigen!
Das Herausstellen der englischen Krone als Träger des Zusammenhaltes des
Empire sei bereits das Eingeständnis, daß das Weltreich machtpolitisch auf
die Dauer nicht zu halten sei. Bedeutungsvolle Hinweise in dieser Richtung
seien:
a) Das Streben Irlands nach Selbständigkeit.
b) Die Verfassungskämpfe in Indien, wo England durch seine halben Maßnahmen
den Indern die Möglichkeit eröffnet habe, späterhin die Nichterfüllung der
verfassungsrechtlichen Versprechungen als Kampfmittel gegen England zu
benutzen
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c) Die Schwächung der englischen Position in Ostasien durch Japan.
d) Der Gegensatz im Mittelmeer zu Italien, welches - unter Berufung auf
seine Geschichte, getrieben aus Not und geführt durch ein Genie - seine
Machtstellung ausbaue und sich hierdurch in zunehmendem Maße gegen englische
Interessen wenden müsse. Der Ausgang des abessinischen Krieges sei ein
Prestigeverlust Englands, den Italien durch Schüren in der mohammedanischen
Welt zu vergrößern bestrebt sei.
In summa sei festzustellen, daß trotz aller ideeller Festigkeit das Empire
machtpolitisch auf die Dauer nicht mit 45 Millionen Engländern zu halten sei.
Das Verhältnis der Bevölkerungszahl des Empire's zu der des Mutterlandes von
9 : 1 sei eine Warnung für uns, bei Raumerweiterungen nicht die in der
eigenen Volkszahl liegende Plattform zu gering werden zu lassen.
Die Stellung Frankreichs sei günstiger als die Englands. Das französische
Reich sei territorial besser gelagert, die Einwohner seines Kolonialbesitzes
stellten einen militärischen Mitzuwachs dar. Aber Frankreich gehe
innenpolitischen Schwierigkeiten entgegen.
Im Leben der Völker nehmen die parlamentarische Regierungsform etwa 10 %,
die autoritäre etwa 90 % der Zeit ein. Immerhin seien heute in unsere
politischen Berechnungen als Machtfaktoren einzusetzen : England, Frankreich,
Rußland und die angrenzenden kleineren Staaten.
Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben,
dieser niemals risikolos sein. Die Kämpfe Friedrichs d.Gr. um Schlesien und
die Kriege Bismarcks gegen Österreich und Frankreich seien von unerhörtem
Risiko gewesen und die Schnelligkeit des preußischen Handelns 1870 habe Österreich
vom Eintritt in den Krieg ferngehalten. Stelle man an die Spitze der
nachfolgenden Ausführungen den Entschluß zur Anwendung von Gewalt unter
Risiko, dann bleibt noch die Beantwortung der Fragen "wann" und
"wie". Hierbei seien drei Fälle zu entscheiden:
Fall l: Zeitpunkt 1943 - 1945.
Nach dieser Zeit sei nur noch eine Veränderung zu unseren Ungunsten zu
erwarten.
Die Aufrüstung der Armee, Kriegsmarine, Luftwaffe sowie die Bildung des
Offizierskorps seien annähernd beendet. Die materielle Ausstattung und
Bewaffnung seien modern, bei weiterem Zuwarten läge die Gefahr ihrer
Veraltung vor. Besonders der Geheimhaltungsschutz der "Sonderwaffen"
ließe sich nicht immer aufrecht erhalten.
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Die Gewinnung von Reserven beschränke sich auf die laufenden Rekrutenjahrgänge,
ein Zusatz aus älteren unausgebildeten Jahrgängen sei nicht mehr verfügbar.
Im Verhältnis zu der bis dahin durchgeführten Aufrüstung der Umwelt nähmen
wir an relativer Stärke ab. Wenn wir bis 1943/45 nicht handelten, könne
infolge des Fehlens von Reserven jedes Jahr die Ernährungskrise bringen, zu
deren Behebung ausreichende Devisen nicht verfügbar seien. Hierin sei ein
"Schwächungsmoment des Regimes" zu erblicken. Zudem erwarte die
Welt unseren Schlag und treffe ihre Gegenmaßnahmen von Jahr zu Jahr mehr. Während
die Umwelt sich abriegele, seien wir zur Offensive gezwungen.
Wie die Lage in den Jahren 1943/45 tatsächlich sein würde, wisse heute
niemand. Sicher sei nur, daß wir nicht länger warten können.
Auf der einen Seite die große Wehrmacht mit der Notwendigkeit der
Sicherstellung ihrer Unterhaltung, das Älterwerden der Bewegung und ihrer Führer,
auf der anderen Seite die Aussicht auf Senkung des Lebensstandartes und auf
Geburteneinschränkung ließen keine andere Wahl als zu handeln. Sollte der Führer
noch am Leben sein, so sei es sein unabänderlicher Entschluß, spätestens
1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen. Die Notwendigkeit zum Handeln vor
1943/45 käme im Fall 2 und 3 in Betracht.
Fall 2:
Wenn die sozialen Spannungen in Frankreich sich zu einer derartigen
innenpolitischen Krise auswachsen sollten, daß durch letztere die französische
Armee absorbiert und für eine Kriegsverwendung gegen Deutschland
ausgeschaltet würde, sei der Zeitpunkt zum Handeln gegen die Tschechei
gekommen.
Fall 3 :
Wenn Frankreich durch einen Krieg mit einem anderen Staat so gefesselt ist,
daß es gegen Deutschland nicht "vorgehen" kann.
Zur Verbesserung unserer militär-politischen Lage müsse in jedem Fall
einer kriegerischen Verwicklung unser l. Ziel sein, die Tschechei und
gleichzeitig Osterreich niederzuwerfen, um die Flankenbedrohung eines etwaigen
Vorgehens nach Westen auszuschalten. Bei einem Konflikt mit Frankreich sei
wohl nicht damit zu rechnen, daß die Tschechei am gleichen Tage wie
Frankreich uns den Krieg erklären würde. In dem Maße unserer Schwächung würde
jedoch der Wille zur Beteiligung am Kriege in der Tschechei zunehmen, wobei
ihr Ein-
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greifen sich durch einen Angriff nach Schlesien, nach Norden oder nach
Westen bemerkbar machen könne.
Sei die Tschechei niedergeworfen, eine gemeinsame Grenze Deutschland -
Ungarn gewonnen, so könne eher mit einem neutralen Verhalten Polens in einem
deutsch-französischen Konflikt gerechnet werden. Unsere Abmachungen mit Polen
behielten nur solange Geltung als Deutschlands Stärke unerschüttert sei, bei
deutschen Rückschlägen müsse ein Vorgehen Polens gegen Ostpreußen,
vielleicht auch gegen P
ommern und Schlesien in Rechnung gestellt werden.
Bei Annahme einer Entwicklung der Situation, die zu einem planmäßigen
Vorgehen unsererseits in den Jahren 1943/45 führe, sei das Verhalten
Frankreichs, Englands, Italiens, Polens, Rußlands voraussichtlich folgendermaßen
zu beurteilen:
An sich glaube der Führer, daß mit hoher Wahrscheinlichkeit England,
voraussichtlich aber auch Frankreich die Tschechei bereits im Stillen
abgeschrieben und sich damit abgefunden hätten, daß diese Frage eines Tages
durch Deutschland bereinigt würde. Die Schwierigkeiten des Empire und die
Aussicht in einen lang währenden europäischen Krieg erneut verwickelt zu
werden, seien bestimmend für eine Nichtbeteiligung Englands an einem Kriege
gegen Deutschland. Die englische Haltung werde gewiß nicht ohne Einfluß auf
die Frankreichs sein. Ein Vorgehen Frankreichs ohne die englische Unterstützung
und in der Voraussicht, daß seine Offensive an unseren Westbefestigungen sich
festlaufe, sei wenig wahrscheinlich. Ohne die Hilfe Englands sei auch nicht
mit einem Durchmarsch Frankreichs durch Belgien und Holland zu rechnen, der
auch bei einem Konflikt mit Frankreich für uns außer Betracht bleiben müsse,
da es in jedem Fall die Feindschaft Englands zur Folge haben müßte. Naturgemäß
sei eine Abriegelung im Westen in jedem Fall während der Durchführung
unseres Angriffs gegen die Tschechei und Österreich notwendig. Hierbei sei zu
berücksichtigen, daß die Verteidigungsmaßnahmen der Tschechei von Jahr zu
Jahr an Stärke zunähmen und daß auch eine Konsolidierung der inneren Werte
der österreichischen Armee im Laufe der Jahre stattfände. Wenn auch die
Besiedlung insbesondere der Tschechei keine dünne sei, so könne die
Einverleibung der Tschechei und Österreichs den Gewinn von Nahrungsmitteln für
5 - 6 Millionen Menschen bedeuten unter Zugrundelegung, daß eine zwangsweise
Emigration aus der Tschechei von zwei, aus Österreich von einer Million
Menschen zur Durchführung gelange. Die Angliederung der beiden Staaten an
Deutschland bedeute militär-politisch eine wesentliche
- Seite 9 -
Entlastung infolge kürzerer, besserer Grenzziehung, Freiwerdens von
Streitkräften für andere Zwecke und der Möglichkeit der Neuaufstellung von
Truppen bis in Höhe von etwa 12 Divisionen, wobei auf 1 Million Einwohner
eine neue Division entfalle.
Von der Seite Italiens sei gegen die Beseitigung der Tschechei keine
Einwendungen zu erwarten, wie dagegen seine Haltung in der österreichischen
Frage zu bewerten sei, entziehe sich der heutigen Beurteilung und sei
wesentlich davon abhängig, ob der Duce noch am Leben sei.
Das Maß der Überraschung und der Schnelligkeit unseres Handelns sei für
die Stellungnahme Polens entscheidend. Gegen ein siegreiches Deutschland wird
Polen - mit Rußland im Rücken - wenig Neigung haben, in den Krieg
einzutreten.
Einem militärischen Eingreifen Rußlands müsse durch die Schnelligkeit
unserer Operationen begegnet werden; ob ein solches überhaupt in Betracht
kommen werde, sei angesichts der Haltung Japans mehr als fraglich.
Trete der Fall 2 - Lahmlegung Frankreichs durch einen Bürgerkrieg - ein,
so sei infolge Ausfall des gefährlichsten Gegners die Lage jederzeit zum
Schlag gegen die Tschechei auszunutzen.
In gewissere Nähe sähe der Führer den Fall 3 gerückt, der sich aus den
derzeitigen Spannungen im Mittelmeer entwickeln könne und den er
eintretendenfalls zu jedem Zeitpunkt, auch bereits im Jahre 1938, auszunutzen
entschlossen sei.
Nach den bisherigen Erfahrungen beim Verlauf der kriegerischen Ereignisse
in Spanien sähe der Führer deren baldige Beendigung noch nicht bevorstehend.
Berücksichtige man den Zeitaufwand der bisherigen Offensiven Franco's, so könne
eine Kriegsdauer von etwa noch drei Jahren im Bereich der Möglichkeit liegen.
Andererseits sei vom deutschen Standpunkt ein 100 %iger Sieg Francos auch
nicht erwünscht; wir seien vielmehr an einer Fortdauer des Krieges und der
Erhaltung der Spannungen im Mittelmeer interessiert. Franco im ungeteilten
Besitz der spanischen Halbinsel, schalte die Möglichkeit weiterer
italienischer Einmischung und den Verbleib Italiens auf den Balearen aus. Da
unser Interesse auf die Fortdauer des Krieges in Spanien gerichtet sei, müsse
es Aufgabe unserer Politik in nächster Zeit sein, Italien den Rücken für
weiteren Verbleib auf den Balearen zu stärken. Ein Festsetzen der Italiener
auf den Balearen sei aber weder für Frankreich noch für England tragbar und
könne zu einem Krieg Frankreichs und Englands gegen
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Italien führen, wobei Spanien - falls völlig in weißer Hand - an der
Seite der Gegner Italiens auf den Plan treten könne. In einem solchen Krieg
sei ein Unterliegen Italiens wenig wahrscheinlich. Zur Ergänzung seiner
Rohstoffe stehe der Weg über Deutschland offen. Die militärische Kriegführung
seitens Italiens stelle der Führer sich derart vor, daß es an seiner
Westgrenze gegen Frankreich defensiv bleibe und den Kampf gegen Frankreich aus
Lybien heraus gegen die nordafrikanischen französischen Kolonialbesitzungen führe.
Da eine Landung französisch-englischer Truppen an den Küsten Italiens
ausscheide und eine französische Offensive über die Alpen nach Oberitalien
sehr schwierig sein dürfte und sich voraussichtlich an den starken
italienischen Befestigungen festlaufen würde, läge der Schwerpunkt der
Handlungen in Nordafrika. Die Bedrohung der französischen Transportwege durch
die italienische Flotte werde in starkem Umfang den Transport von Streitkräften
aus Nordafrika nach Frankreich lahm legen, so daß Frankreich an den Grenzen
gegen Italien und Deutschland nur über die Streitkräfte des Heimatlandes
verfüge.
Wenn Deutschland diesen Krieg zur Erledigung der tschechischen und österreichischen
Frage ausnutze, so sei mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß England - im
Kriege mit Italien liegend - sich nicht zu einem Vorgehen gegen Deutschland
entschließen würde. Ohne die englische Unterstützung sei eine kriegerische
Handlung Frankreichs gegen Deutschland nicht zu erwarten.
Der Zeitpunkt unseres Angriffs auf die Tschechei und Österreich müsse abhängig
von dem Verlauf des italienisch-englisch-französischen Krieges gemacht werden
und läge nicht etwa gleichzeitig mit der Eröffnung der kriegerischen
Handlungen dieser drei Staaten. Der Führer denke auch nicht an militärische
Abmachungen mit Italien, sondern wolle in eigener Selbständigkeit und unter
Ausnutzung dieser sich nur einmal bietenden günstigen Gelegenheit den Feldzug
gegen die Tschechei beginnen und durchführen, wobei der Überfall auf die
Tschechei "blitzartig schnell" erfolgen müsse.
Feldmarschall von Blomberg und Generaloberst von Fritsch wiesen bei der
Beurteilung der Lage wiederholt auf die Notwendigkeit hin, daß England und
Frankreich nicht als unsere Gegner auftreten dürften, und stellten fest, daß
durch den Krieg gegen Italien das französische Heer nicht in dem Umfange
gebunden sei, daß es nicht noch mit Überlegenheit an unserer Westgrenze auf
den Plan treten könne. Die mutmaßlich an der Alpengrenze gegenüber Italien
zum
- Seile 11 -
Einsatz gelangenden französischen Kräfte veranschlagte Generaloberst von
Fritsch auf etwa 20 Divisionen, so daß immer noch eine starke französische
Überlegenheit an unserer Westgrenze bliebe, der als Aufgabe nach deutschem
Denken der Einmarsch in das Rheinland zu unterstellen sei, wobei noch
besonders der Vorsprung Frankreichs in der Mobilmachung in Rechnung zu stellen
und zu berücksichtigen sei, daß abgesehen von dem ganz geringen Wert unseres
derzeitigen Standes der Befestigungsanlagen - worauf Feldmarschall von
Blomberg besonders hinwies - die für den Westen vorgesehenen vier
mot.Divisionen mehr oder weniger bewegungsunfähig seien. Hinsichtlich unserer
Offensive nach Südosten machte Feldmarschall von Blomberg nachdrücklich auf
die Stärke der tschechischen Befestigungen aufmerksam, deren Ausbau den
Charakter einer Maginot-Linie angenommen hätte und unseren Angriff aufs Äußerste
erschwere.
Generaloberst von Fritsch erwähnte, daß es gerade Zweck einer durch ihn
angeordneten Studie dieses Winters sei, die Möglichkeiten der Führung der
Operationen gegen die Tschechei unter besonderer Berücksichtigung der Überwindung
des tschechischen Festungssystems zu untersuchen; der Generaloberst brachte
ferner zum Ausdruck, daß er unter den obwaltenden Verhältnissen davon
absehen müsse, seinen am 10.11. beginnenden Auslandsurlaub durchzuführen.
Diese Absicht lehnte der Führer mit der Begründung ab, daß die Möglichkeit
des Konfliktes noch nicht als so nahe bevorstehend anzusehen sei. Gegenüber
dem Einwand des Außenministers, daß ein italienisch-englisch-französischer
Konflikt noch nicht in so greifbarer Nähe sei, als es der Führer anzunehmen
schiene, stellte der Führer als den ihm hierfür möglich erscheinenden
Zeitpunkt den Sommer 1938 hin. Zu den seitens des Feldmarschalls von Blomberg
und des Generalobersten von Fritsch hinsichtlich des Verhaltens Englands und
Frankreichs angestellten Überlegungen äußerte der Führer in Wiederholung
seiner bisherigen Ausführungen, daß er von der Nichtbeteiligung Englands überzeugt
sei und daher an eine kriegerische Aktion Frankreichs gegen Deutschland nicht
glaube. Sollte der in Rede stehende Mittelmeerkonflikt zu einer allgemeinen
Mobilmachung in Europa führen, so sei unsererseits sofort gegen die Tschechei
anzutreten, sollten dagegen die am Kriege nicht beteiligten Mächte ihr
Desinteressement erklären, so habe sich Deutschland diesem Verhalten zunächst
anzuschließen.
Generaloberst Göring hielt angesichts der Ausführungen des Führers es für
geboten, an einen Abbau unseres militärischen Spanienunternehmens zu denken.
Der Führer stimmt dem insoweit zu, als
- Seite 12 -
er den Entschluß einem geeigneten Zeitpunkt vorbehalten zu glauben solle.
Der zweite Teil der Besprechungen befaßte sich mit materiellen Rüstungsfragen.
Für die Richtigkeit:
gez. Hoßbach.
Oberst d.G.
.
B) Fritz Sauckel, Das Programm des
Arbeitseinsatzes
Dokument 016-PS
SAUCKELS PROGRAMM VOM 20. APRIL 1942 FÜR DEN EINSATZ AUSLÄNDISCHER
ARBEITER UND KRIEGSGEFANGENER IN DIE DEUTSCHE KRIEGSINDUSTRIE; ERKLÄRUNG
SEINER ABSICHT, EINE HALBE MILLION GESUNDER MÄDCHEN GEMÄSS HITLERS ANORDNUNG
AUS DEM AUSLAND NACH DEUTSCHLAND EINZUFÜHREN (BEWEISSTÜCK US -168)
BESCHREIBUNG DER HIER ZUGRUNDEGELEGTEN URK:
zweiteilig
Erstes S: U Ti I unter Datum Eing Stp rot: Ministerbüro Eing. Am 27. April
1942
Nr. 0881 (Ti) Min 28 V vorg. P unl (Kop) (Ti) I unter Stp: Dr. Kp hat
Kenntnis (Kop) I u r Stp lila: Kanzlei 01. Mai 1942 Herr/Fr. Mischke. (Blei)
Gef......... Gel Hfl/Ks. 4.5.42 (Blei) Abges. 5.5. (durchstrichen) 4 (Ti) 1 -
5 5/5. 42 Pg (?) (Kop) 1 über diesem Kanzlei-Stp: Abschr. f. H. Wittenberger
(Blei) Wachs (Blei) 70x (Kop) | r über Adr (Blei): Abdruck an Büro 1.)
Hauptabteilungen 2.) Chefgruppen 3.) Abteilungen 4.) Büro Minister
5.) Büro Vert.
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz
GBA . . . . .. Berlin W 8, den . . 24. April .. 1942
Mohrenstraße 65
(Thüringenhaus)
Fernruf: 12 65 71
Sehr verehrter und lieber Parteigenosse Rosenberg!
In der Anlage erlaube ich mir, Ihnen mein Programm für den Arbeitseinsatz
zu überreichen. Ich bitte zu entschuldigen, daß in diesem Exemplar noch
einige Korrekturen enthalten sind.
Heil Hitler!
Ihr
Fritz Sauckel.
An
den Herrn Reichsminister für die besetzten Ostgebiete,
Pg. Rosenberg
Berlin.
Zweites S: Bk Stp graublau | Datum Stp tiefviolett | Verv. (lila) mit
hs-Korrekturen Ti auf Seiten 2,9,10,18, die in der dann ausgegebenen Verv
(schwarz), die dem IMT auch vorgelegen hat, ms durchgeführt sind; diese
zweite Verv ist für die W des T hier verwendet, während Kopf und U der
ersten entnommen sind | l n U Stp: Der Beauftragte für den Vierjahresplan Der
Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz
Der Beauftragte für den Vierjahresplan
- Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz -
Sckl./We. 20.4.42
Das Programm des Arbeitseinsatzes.
Am Heldengedenktag 1942 hat der Führer dem deutschen Volk den in der
Geschichte gewaltigsten und härtesten Einsatz deutschen Soldatentums
offenbart. Neben der heldenhaften und siegreichen Bewährung gegenüber einem
an Zahl und Material unerhört überlegenen und mit dem Mute der höchsten
Verzweiflung und bestialischer Brutalität kämpfenden Gegner steht das
Ertragen von in der Geschichte beispiellosen Härten eines seit 140 Jahren
nicht mehr dagewesenen, an Kälte, Eis, Schnee und Sturm unübertroffenen
schweren Winters. Das Überwinden der mit einem solchen Klima und so außergewöhnlich
schlechten Wetterbedingungen verbundenen unerhörten Schwierigkeiten erhob
unsere Soldaten an der Ostfront, gemessen an den bisherigen menschlichen und
soldatischen Leistungen aller Zeiten - man darf es ohne Übertreibung sagen -
zu Übermenschen.
Diese Soldaten haben es nun verdient, daß die Heimat sich zu einer ähnlichen
gewaltigen Konzentration ihrer Kräfte emporreißt, um den endgültigen,
vollständigen und schnellsten Sieg zu ermöglichen.
Alle damit verbundenen Belastungen und nötigen weiteren Einschränkungen,
selbst in der Ernährung, müssen gerade in Berücksichtigung des Vorbildes
der Soldaten mit stolzer Entschlossenheit ertragen werden.
Unsere Großdeutsche Wehrmacht hat ein Übermaß an Heldentum, Durchhalten
und Überwinden an der Ostfront, in Afrika, in der Luft und auf den Meeren
- Seite 2 -
bewiesen. Um ihren Sieg auf alle Fälle zu gewährleisten, gilt es nun, ihr
noch immer mehr und bessere Waffen, Material und Munition durch eine nochmals
gesteigerte Anstrengung und Leistung des ganzen deutschen Volkes, d.h. aller
schaffenden Arbeiter der Stirn und der Faust, der Frauen und der ganzen
deutschen Jugend, sicherzustellen.
Auf diese Weise wird die deutsche Heimat entscheidend dazu beitragen, damit
alle Hoffnungen unserer Gegner, ihre vollkommene und endgültige Niederlage
noch einmal abzuwenden, zuschanden gemacht werden.
Der Zweck des gigantischen neuen Arbeitseinsatzes ist nun, alle jene
reichen und gewaltigen Hilfsquellen, die uns das kämpfende Heer unter der Führung
Adolf Hitlers in so überwältigend reichem Ausmaß errungen und gesichert
hat, für die Rüstung der Wehrmacht und ebenso für die Ernährung der Heimat
auszuwerten. Die Rohstoffe wie die Fruchtbarkeit der eroberten Gebiete und
ebenso deren menschliche Arbeitskraft sollen durch den Arbeitseinsatz
vollkommen und gewissenhaft zum Segen Deutschlands und seiner Verbündeten
ausgenutzt werden.
Trotz der Tatsache, daß die meisten deutschen arbeitsfähigen Menschen in
der anerkennenswertesten Weise ihre Kräfte für die Kriegswirtschaft bereits
eingesetzt haben, müssen unter allen Umständen noch erhebliche Reserven
gefunden und freigemacht werden.
Die entscheidende Maßnahme, dies zu verwirklichen, ist der einheitlich
geregelte und gesteuerte Arbeitseinsatz der Nation im Kriege.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen folgende Grundsätze aufgestellt und
durchgeführt werden:
A. Alle zur Zeit laufenden wichtigen Fertigungsprogramme dürfen durch neue
Maßnahmen unter keinen Umständen gestört, sondern sollen vielmehr noch
gesteigert werden.
- Seite 3 -
B. Alle Forderungen des Führers, des Herrn Reichsmarschalls des Großdeutschen
Reiches und des Ministers für Munition und Bewaffnung sind schnellstens zu
erfüllen. Die hierfür fehlenden Arbeitskräfte müssen in Deutschland selbst
und in den besetzten Gebieten freigemacht und zur Verfügung gestellt werden.
C. Ebenso unaufschiebbar ist die Aufgabe, Saat und Ernte des deutschen
Bauerntums und aller unter deutscher Kontrolle stehender europäischen Gebiete
mit dem Ziel höchster Erträge zu sichern. Die fehlenden Landarbeiter müssen
schnellstens bereitgestellt werden.
D. Ein Versorgungsprogramm für die lebensnotwendigsten Bedarfsgüter für
das deutsche Volk soll gewährleistet bleiben.
Die Verwirklichung dieser Grundsätze für den Arbeitseinsatz erfordert :
l. das Zusammenspiel aller Kräfte der Partei, der Wirtschaft und des
Staates unter einheitlicher Lenkung;
2. den besten Willen aller deutschen Menschen;
3. die umfassendsten Maßnahmen, um allen eingesetzten deutschen Arbeitern
und Arbeiterinnen das höchste Vertrauen zur Gerechtigkeit in der Behandlung
ihres persönlichen Schicksals und ihrer Entlohnung, ebenso wie die im Kriege
bestmögliche Fürsorge für ihre Gesundheit und Unterbringung zu geben;
4. die schnellste und bestmögliche Lösung der Frage des Frauen- und
Jugendeinsatzes.
Soll das vom Führer gesteckte Ziel erreicht werden, so ist dies nur möglich
durch die gleichzeitige und schnellste Anwendung zahlreicher verschiedener,
aber dem gleichen Zweck anstrebender Maßnahmen. Da aber jede derselben die
andere nicht stören, sondern sie sinnvoll ergänzen muß, ist es unumgänglich
notwendig,
- Seite 4 -
daß alle irgendwie an dieser entscheidenden Aufgabe beteiligten
Dienststellen im Reich, seinen Gebieten und Gemeinden, in Partei, Staat und
Wirtschaft nach einheitlichen Richtlinien verfahren.
So trägt der Arbeitseinsatz der Nation zur schnellsten und siegreichen
Beendigung des Krieges außerordentlich bei. Er erfordert die letzte Kraft
auch des deutschen Menschen in der Heimat. Für diesen deutschen Menschen,
seine Erhaltung, seine Freiheit, sein Glück und die Verbesserung seiner Ernährung
und Lebenshaltung wird dieser Krieg geführt.
Grundsätzliches.
I. In den Gauen ist die Propaganda und Aufklärung des deutschen Volkes über
die Notwendigkeit des Arbeitseinsatzes und die Durchführung wichtiger Maßnahmen
zur Betreuung der eingesetzten Jugend und Frauen, ebenso die Obsorge für den
Zustand von Lagern und Unterkünften, Aufgabe der Gauleiter der NSDAP.
Sie sichern ferner die engste und kameradschaftlichste Zusammenarbeit aller
beteiligten Institutionen.
II. Vornehmste Pflicht des Generalbevollmächtigten, ja die einzige
Voraussetzung für das Gelingen seines Auftrages ist, daß er sich der
vorbehaltlosen Mitarbeit und des Einvernehmens aller obersten Reichsstellen -
besonders auch der Dienststellen der Wehrmacht - deren Aufgabengebiete in
diesen Auftrag hineinreichen, versichert.
III. Ebenso unerläßlich ist das Einverständnis aller Reichsleiter der
Partei und ihrer Organisationen, besonders auch die Mitarbeit der Deutschen
Arbeitsfront und der Einrichtungen der Wirtschaft
- Seite 5 -
IV. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz wird daher mit
einem allerkleinsten persönlichen Mitarbeiterkreis seiner Auswahl sich
ausschließlich der vorhandenen Partei-, Staats- und Wirtschaftseinrichtungen
bedienen und durch den guten Willen und die Mitarbeit aller den schnellsten
Erfolg seiner Maßnahmen gewährleisten.
V. Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz hat daher mit
Zustimmung des Führers und im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsmarschall des
Großdeutschen Reiches und dem Leiter der Partei-Kanzlei alle Gauleiter des
Großdeutschen Reiches als seine Bevollmächtigten in den deutschen Gauen der
NSDAP. eingesetzt.
VI. Die Bevollmächtigten für den Arbeitseinsatz bedienen sich in ihren
Gauen ihrer zuständigen Dienststellen der Partei. Die Leiter der höchsten für
ihren Gau zuständigen Dienststellen des Staates und der Wirtschaft beraten
und unterrichten die Gauleiter hinsichtlich aller wichtigen Fragen des
Arbeitseinsatzes.
Als besonders wichtig hierfür kommen in Frage:
der Präsident des Landesarbeitsamtes,
der Treuhänder der Arbeit,
der Landesbauernführer,
der Gauwirtschaftsberater,
der Gauobmann der Deutschen Arbeitsfront,
die Gaufrauenschaftsleiterin,
der Gebietsführer der Hitler-Jugend,
der höchste Vertreter der Inneren und Allgemeinen Verwaltung bezw. des
Landeswirtschaftsamtes.
(Umfaßt der Bezirk eines Landesarbeitsamtes mehrere Gaue, dann ist es
zweckmäßig, daß der Präsident des betreffenden Landesarbeitsamtes den
Gauleitern, in deren Gauhauptstadt kein Landesarbeitsamt vorhanden ist, seine
nächsten und tüchtigsten Mitarbeiter so zur Verfügung stellt, daß die ständige
Unterrichtung der Gauleiter über alle Maßnahmen der Arbeitseinsatzverwaltung
auch dort gewährleistet bleibt.)
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VII. Die vornehmste und wichtigste Aufgabe der Gauleiter der NSDAP in ihrer
Eigenschaft als Bevollmächtigte in ihren Gauen ist also die Sicherstellung
des besten Einvernehmens aller am Arbeitseinsatz beteiligten Dienststellen
ihres Gaues. Es muß jedoch auf das strengste darauf geachtet werden, daß
Hoheitsträger der Partei bezw. die Dienststellen der NSDAP, ihrer
Organisationen, Gliederungen und angeschlossenen Verbände weder Funktionen übernehmen,
für die nur Behörden des Staates, der Wehrmacht oder Institutionen der
Wirtschaft zuständig sein und die Verantwortung übernehmen können, noch daß
sie willkürlich sich in den Ablauf von Dienstgeschäften einmischen, für die
sie nach dem Willen des Führers nicht zuständig sind.
Gelingt es aber durch die Mithilfe der Partei, in allen Gauen, Kreisen und
Gemeinden alle deutschen Arbeiter der Stirn und der Faust von der hohen
Bedeutung des Arbeitseinsatzes für die Kriegsentscheidung zu überzeugen,
alle Männer, Frauen und die deutsche Jugend, die sich unter äußergewöhnlich
schwierigen Verhältnissen im Arbeitseinsatz befinden, auf das allerbeste
hinsichtlich ihres leiblichen und seelischen Durchhaltevermögens zu betreuen
und zu stärken, und gelingt es ferner durch die Mithilfe der Partei, den
Einsatz der Kriegsgefangenen und der Zivilarbeiter und -arbeiterinnen fremden
Blutes ohne Schaden für unser eigenes Volk, ja sogar zum größten Nutzen für
unsere Kriegs- und Ernährungswirtschaft durchzuführen, dann ist der
schwerste Teil der Aufgabe des Arbeitseinsatzes gelöst.
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Die Aufgabe und ihre Lösung.
(um den Bedingungen der Geheimhaltung zu entsprechen, werden nachfolgend
keine Zahlen genannt. Ich bitte trotzdem, überzeugt zu sein, daß es sich
besonders zahlenmäßig um das größte Arbeiterproblem aller Zeiten handelt.)
A. Die Aufgabe:
l. Die Kriegslage hat die Einziehung neuer Soldaten zu allen
Wehrmachtsteilen in gewaltigem Ausmaß notwendig gemacht.
Das bedeutet
a) die Herausnahme von Arbeitern aus allen gewerblichen Betrieben, vor
allem auch von einer sehr großen Anzahl von Fachkräften aus
kriegswichtigsten Rüstungswerken,
b) ebenso die Herausnahme gerade jetzt unentbehrlicher Kräfte aus der
Kriegs- ernährungswirtschaft
2. Die Kriegslage erfordert aber auch die Durchführung des vom Führer über
den bisherigen Stand hinaus gewaltig vergrößerten und verbesserten Rüstungsprogramms.
3. Die notwendigsten Bedarfsgüter des deutschen Volkes müssen im
allernotwendigsten Umfang auch weiter produziert werden.
4. Die deutsche Hausfrau, insbesondere die Landfrau, darf besonders als
Mutter durch den Krieg in ihrer Gesundheit nicht geschädigt, sie muß daher,
wenn irgend möglich, sogar entlastet werden.
B. Die Lösung:
l. Alle Facharbeiter, die aus kriegswichtigen Betrieben zu den Fahnen
einberufen werden, müssen sofort und unbedingt so ersetzt werden, daß in der
Erzeugung kriegswichtigen Gerätes weder eine Stockung noch eine Minderung
eintritt.
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Alle Arbeitseinsatzbehörden sind dafür verantwortlich, daß dieser
Bedingung in jedem Falle Rechnung getragen wird. Aus den Reserven
stillgelegter weniger kriegswichtiger Betriebe und aus der stillgelegten
Bauwirtschaft müssen daher die geeignetsten Kräfte herausgefunden und den
Betrieben, aus denen Fachkräfte zur Fahne einberufen werden, acht Wochen vor
der Einberufung in der Weise zugeteilt werden, daß ein jeder einberufene
Facharbeiter seinen Ersatzmann gründlich einzuweisen und anzulernen vermag.
Ebenso müssen alle übrigen, durch Stillegungsaktionen freigewordenen
Arbeiter, die nicht zum Ersatz von Fachkräften dienen, den Rüstungsbetrieben,
insbesondere zur Auffüllung der Nachtschichten, ohne Zeitverlust zur Verfügung
gestellt werden.
2. Arbeiter und Arbeiterinnen, die etwa durch Zerstörung oder Beschädigung
ihrer Betriebe durch feindliche Luftangriffe frei werden, müssen genau so
schnell der Rüstungsindustrie wieder zugeführt und eingesetzt werden.
3. Die Rüstungs- und Ernährungsaufgaben machen nun aber neben der totalen
Erfassung aller deutschen Arbeitskräfte die Hereinnahme fremder Arbeitskräfte
zur dringendsten Notwendigkeit.
Ich habe daher das Transportprogramm, das ich bei der Übernahme meines
Auftrags vorgefunden habe, sofort verdreifacht.
Der Schwerpunkt dieses Transportes wurde zeitlich in die Monate Mai/Juni
vorverlegt, so daß die Hereinnahme fremder Arbeitskräfte aus den besetzten
Gebieten für eine vermehrte Produktion im Hinblick auf kommende Operationen
des Heeres, wie
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auch für die landwirtschaftlichen Arbeiten im Sektor der deutschen Ernährungswirtschaft
noch unter allen Umständen wirksam werden kann
Alle schon in Deutschland befindlichen Kriegsgefangenen sowohl aus den
West- wie den Ostgebieten müssen, soweit dies noch nicht geschehen ist,
ebenfalls restlos der deutschen Rüstungs- und Ernährungswirtschaft zugeführt,
ihre Leistung muß auf den denkbar höchsten Stand gebracht werden.
Es ist zu betonen, daß trotzdem noch eine gewaltige Zahl fremder Arbeitskräfte
ins Reich hereingenommen werden muß. Das größte Reservoir hierfür sind die
besetzten Gebiete des Ostens.
Es ist daher unumgänglich notwendig, die in den eroberten sowjetischen
Gebieten vorhandenen Menschenreserven voll auszuschöpfen. Gelingt es nicht,
die benötigten Arbeitskräfte auf freiwilliger Grundlage zu gewinnen, so muß
unverzüglich zur Aushebung derselben bezw. zur Zwangsverpflichtung
geschritten werden.
Neben den schon vorhandenen, noch in den besetzten Gebieten befindlichen
Kriegsgefangenen gilt es also vor allem, Zivil- und Facharbeiter und
-arbeiterinnen aus den Sowjetgebieten vom 15. Lebensjahr ab für den deutschen
Arbeitseinsatz zu mobilisieren.
Nach den vorhandenen Möglichkeiten kann dagegen aus den im Westen von
Deutschland besetzten Gebieten Europas ein Viertel des Gesamtbedarfs an fremdländischen
Arbeitskräften hereingenommen werden.
Die Hereinnahme von Arbeitskräften aus befreundeten oder auch neutralen Ländern
läßt sich nur zu einem Bruchteil des Gesamtbedarfs ermöglichen. Hier kommen
in erster Linie Fach- und Spezialarbeiter in Frage.
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4. Um der deutschen Hausfrau, vor allem der kinderreichen Mutter sowie der
aufs höchste in Anspruch genommenen deutschen Bauersfrau eine fühlbare
Entlastung zuteil werden zu lassen und ihre Gesundheit nicht weiter zu gefährden,
hat mich der Führer auch beauftragt, aus den östlichen Gebieten etwa 4 - 500
000 ausgesuchte gesunde und kräftige Mädchen ins Reich hereinzunehmen.
5. Für die Sicherung der Frühjahrsbestellung ist auf Grund einer
Vereinbarung mit dem Reichsjugendführer und den zuständigen Obersten
Reichsbehörden der Einsatz der deutschen Jugend schulklassenweise gemeinsam
mit Lehrern und Lehrerinnen vorgesehen. Die notwendigen Erlasse und Ausführungsbestimmungen
sind bereits ergangen.
6. Von sehr großer Bedeutung ist der Arbeitseinsatz der deutschen Frau.
Nachdem ich die grundsätzliche Meinung sowohl des Führers als auch des
Herrn Reichsmarschalls des Großdeutschen Reiches gründlich kennengelernt und
durch eigene sorgfältigste Erkundigungen und Feststellungen dieses sehr
schwere Problem gewissenhaft überprüft habe, muß ich grundsätzlich auf
eine von staatswegen vorgenommene Dienstverpflichtung aller deutschen Frauen
und Mädchen für die deutsche Kriegs- und Ernährungswirtschaft verzichten.
Wenn ich auch selbst anfänglich und mit mir wohl der größte Teil der führenden
Männer der Partei und der Frauenschaft aus bestimmten Gründen glaubte, eine
Dienstverpflichtung der Frauen durchführen zu müssen, so sollten sich hier
doch alle verantwortlichen Männer und Frauen aus Partei, Staat und Wirtschaft
mit der größten Ehrfurcht, aber auch in tiefster Dankbarkeit der Einsicht
unseres Führers
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Adolf Hitler beugen, dessen größte Sorge der Gesundheit der deutschen
Frauen und Mädchen und damit der jetzigen und zukünftigen Mütter unseres
Volkes gilt.
Alle die Gründe, die für meinen Entschluß ausschlaggebend gewesen sind,
vermag ich hier nicht anzuführen. Ich bitte aber, mir als altem und
fanatischem nationalsozialistischen Gauleiter zu vertrauen, daß eben letzten
Endes die Entscheidung nicht anders ausfallen konnte.
Darüber, daß diese Entscheidung aber gegenüber den Millionen Frauen, die
täglich unter sehr schweren Bedingungen sich im Kriegseinsatz in der Rüstungs-
und Ernährungswirtschaft befinden, eine scheinbar sehr große Ungerechtigkeit
und Härte bedeutet, sind wir uns alle vollkommen einig, wohl aber auch darüber,
daß man ein Übel nicht dadurch verbessert, daß man es bis zur letzten
Konsequenz verallgemeinert und über alle heraufbeschwört.
Die einzige Möglichkeit, die derzeitigen Härten und Ungerechtigkeiten zu
beseitigen, besteht darin, daß wir den Krieg gewinnen und daß wir alsdann in
die Lage kommen, alle deutschen Frauen und Mädchen aus allen Berufen, die wir
dann als unfraulich und für unsere Frauen gesundheitsschädlich, die
Geburtenzahl unseres Volkes gefährdend, das Familien- und Volksleben schädigend,
betrachten müssen, herausnehmen.
Es gilt weiter zu überlegen, daß es eben ein ungeheurer Unterschied ist,
ob eine Frau oder ein Mädchen schon frühzeitig an bestimmte Arbeiten in der
Fabrik oder in der Landwirtschaft gewöhnt war und ob sie diese Arbeiten auch
schon durchgehalten hat oder nicht.
Neben körperlichen Schädigungen müssen aber deutsche Frauen und Mädchen
auch vor Schädigungen ihres
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Seelen- und Gemütslebens nach dem Willen des Führers unter allen Umständen
bewahrt bleiben. Insbesondere bei Massenverpflichtungen und -einsätzen könnte
diese Bedingung des Führers wohl kaum erfüllt werden. Hier ist die deutsche
Frau nicht ohne weiteres mit dem deutschen Soldaten vergleichbar. Hier ergeben
sich innere Unterschiede zwischen Mann und Frau, die natur- und rassebedingt
sind.
Im Hinblick auf unzählige Männer unseres Volkes, die als tapfere Soldaten
an der Front stehen, und insbesondere auf die Gefallenen könnte eine solche
Schädigung unseres gesamten Volkslebens durch hier drohende Gefahren auf dem
Gebiet des Fraueneinsatzes nicht verantwortet werden.
Alle die vielen Millionen Frauen aber, die treu und fleißig innerhalb der
deutschen Volkswirtschaft und besonders jetzt im Kriege eine wertvolle Arbeit
leisten, verdienen die beste Fürsorge und Betreuung, die überhaupt denkbar
ist. Ihnen gebührt ebenso wie unseren Soldaten und Arbeitern der größte
Dank unserer Nation. Sie müssen durch die Arbeitsämter und Behörden bestens
behandelt und ihre wirtschaftlichen und gesundheitlichen Belange möglichst
großzügig berücksichtigt werden. Darauf legen sowohl der Führer als auch
der Herr Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches den größten Wert. Es wäre
vollkommen falsch, Frauen, d. z.B. einer Niederkunft entgegensehen, mit
Strafen oder gar dem Gericht zu drohen - wie es leider schon geschehen ist -,
wenn sie aus Beschwerden hieraus vor der üblichen Schonungsperiode einmal der
Arbeit fernbleiben müssen. Trotzdem muß und wird es möglich sein, die
unentbehrliche Arbeitsdisziplin aufrecht zu erhalten.
7. Eine letzte, aber nicht unerhebliche Reserve ergibt sich aus der Möglichkeit
der persönlichen
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Leistungssteigerung eines jeden deutschen Arbeiters. Es wird die vornehmste
Aufgabe der Partei und der Deutschen Arbeitsfront mit sein, diese
Leistungssteigerung zu erreichen. Es besteht kein Zweifel darüber, daß der
deutsche Arbeiter der Stirn und der Faust, wo er nur immer schaffen mag, unter
den schwierigen Verhältnissen unserer heutigen Ernährung sich trotzdem dazu
emporreißen wird.
Darin wird am überwältigendsten der Dank der deutschen Arbeiter in der
Heimat gegenüber dem Soldaten an der Front zum Ausdruck kommen können, der
in diesem harten Winter die allergrößten Strapazen und die furchtbarsten
Entbehrungen und Härten auf sich genommen hat und über den Gegner deshalb
siegreich geblieben ist.
In diesem Zusammenhang bleibt es auch dem Zusammenwirken von Partei, Staat
und Wirtschaft vorbehalten, dafür zu sorgen, daß die gesundheitliche
Betreuung in den Betrieben und das verständnisvolle Zusammenwirken von
Krankenkassen und Vertrauensärzten es ermöglicht, den Krankheitsstand um 1 %
zu verbessern. Es ist dies im Gau Thüringen möglich gewesen. Für das ganze
Reich würde eine solche allgemeine Verbesserung des Krankheitsstandes 200 000
neue Arbeitskräfte bedeuten.
Gegen das Bummelanten-Unwesen muß an und für sich mit scharfen Mitteln
eingeschritten werden, denn es kann nicht geduldet werden, daß sich Faulenzer
auf Kosten der Anständigen und Fleißigen ihren Pflichten in diesem
Schicksalskampf unseres Volkes entziehen.
Unter Punkt B, 1 - 7, habe ich versucht, die äußere Lösung der Aufgabe
des deutschen Arbeitseinsatzes gemäß der derzeitigen Kriegslage festzulegen.
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Es ist selbstverständlich, daß die in diesen Punkten aufgezeigten Möglichkeiten
alle vollkommen ausgeschöpft werden. Der Verzicht auf eine generelle
Dienstverpflichtung aller Frauen und Mädchen bedeutet daher keinesfalls, daß
ich überhaupt davon absehe, Frauen und Mädchen, die sich für einen
geeigneten Einsatz zur Verfügung zu stellen in der Lage sind, überall dort
einzusetzen, wo sie, ohne daß es gegen die Grundsätze des Führers verstößt,
zum Nutzen unserer Kriegswirtschaft eingesetzt werden können. Es wird dies in
engster Zusammenarbeit mit den hierfür in Frage kommenden Dienststellen der
Partei, des Staates, der Wehrmacht und der Wirtschaft gestehen.
Das in Punkt 1 - 7 festgelegte Arbeitseinsatzprogramm bedeutet wohl den
gewaltigsten Arbeitseinsatz, der je in einem Volk und überhaupt in der
Geschichte durchgeführt worden ist.
Gerade Adolf Hitler aber hat durch die Idee des Nationalsozialismus uns
offenbart, daß im Völkerleben die Zahl nicht das Entscheidende ist. Neben
die ungeheure Zahl der eingesetzten Arbeitskräfte tritt deren Leistungsvermögen.
Dieses Leistungsvermögen ist wiederum abhängig nicht allein von den
Kalorien, die ich in Form von Nahrung ihnen zur Verfügung stelle, sondern
auch von der inneren Verfassung, dem Willen als auch dem Gemüts- und
Seelenleben der eingesetzten Menschen.
Zu den gewaltigen organisatorischen Fragen, die beim Arbeitseinsatz in
diesem Kriege gelöst werden müssen, kommen daher ferner die Fragen der Ernährung,
der Unterbringung, der Aufklärung, Propaganda und auch der seelischen
Betreuung.
Die Betreuung der deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen.
Für keinen deutschen Menschen und Nationalsozialisten darf ein Zweifel darüber
bestehen, daß der schaf-
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fende deutsche Mensch, wenn er politisch richtig geführt und
weltanschaulich betreut wird, in seiner Gewissenhaftigkeit bei der Arbeit, in
seiner Bereitschaft die größten Anstrengungen auf sich zu nehmen, in seinem
Können und in seiner Leistung turmhoch über allen anderen Arbeitern dieser
Erde steht.
Die Gauleiter Adolf Hitlers bieten in den ihnen anvertrauten deutschen
Gauen der NSDAP. dafür die Gewähr, daß sie mit Hilfe aller Einrichtungen
und Organisationen der Partei in dem jetzt entscheidenden Stadium des Krieges
dem deutschen schaffenden Menschen die größte politische und
weltanschauliche Fürsorge angedeihen lassen, die es je in der
Arbeitsgeschichte der Menschheit und in Kriegszeiten gegeben hat.
Als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz habe ich die Gewißheit,
daß in dieser Hinsicht durch die Partei außerhalb und innerhalb der
Betriebe, durch den Einsatz aller Propaganda- und Aufklärungsmittel, durch
die Versammlungswellen und durch die Betriebsappelle alles geschehen wird, um
die Haltung und Stimmung der deutschen Arbeiterschaft auf der Höhe zu halten,
wie sie allein in dieser schicksalsentscheidenden Zeit der Würde der Heimat
gegenüber der Front entspricht, und aber auch die alleinige Voraussetzung dafür
ist, daß die gigantische Aufgabe gelöst und der Krieg gewonnen werden kann.
Es wird meine ständige Sorge sein, daß die Arbeitseinsatzbehörden ebenso
wie alle Betriebsführer die Partei und vor allem die Deutsche Arbeitsfront,
der hier eine entscheidende und große Aufgabe zukommt, in jeder Weise unterstützen.
Auch wenn die Arbeiter und die Arbeiterinnen in den Rüstungsbetrieben im
Heimatort angesetzt sind und in der eigenen Wohnung bei der Familie schlafen
und essen können, müssen sie auf das sorgfältigste betreut werden. Ich
nenne nur: Sicherung der Kohlen- und Kartoffelversorgung, Berücksichtigung
der Anmarsch- und Anfahrtswege.
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Mangel an Frühgemüse und sonstige Beschwernisse der Kriegszeit, die an
den Nerven und an der Gesundheit unserer Menschen zehren, müssen dadurch
ausgeglichen werden, daß alle anständigen Männer und Frauen desto mehr
Kraft aus der Verwirklichung der nationalsozialistischen Grundsätze der
Volksgemeinschaft, der sozialen Gerechtigkeit und der Notwendigkeit des
gemeinsamen Durchhaltens, des Glaubens und des Vertrauens auf den Führer zu
schöpfen vermögen.
Viel schwerer aber wird diese Aufgabe, wenn es sich um die Betreuung von
jenen Millionen Arbeitern und Arbeiterinnen handelt, die fern von ihrem
Heimatort dienstverpflichtet ungewohnte Arbeiten verrichten müssen. Es ist
dies kriegsnotwendig.
Ein solcher Einsatz kann weder eingeschränkt, noch können ihm die ihm
anhaftenden Härten genommen werden.
Hier gilt es, alles zu tun, um diesen Volksgenossen und Volksgenossinnen
ihr Leben nach Möglichkeit zu verschönern und den Einsatz zu erleichtern.
Alle diese deutschen Menschen muß man unterstützen, daß sie, soweit möglich,
in anständigen möblierten Zimmern unter ebenso anständigen Bedingungen
untergebracht werden, daß sie in ihrer Freizeit durch die Partei und durch
die Arbeitsfront Anschluß finden, daß sie ihre Marken und dergleichen
rechtzeitig erhalten.
Hier wird insbesondere die Aktion "Höflichkeit" des
Reichsleiters Pg. Dr. Goebbels für alle Arbeitsämter, für alle Wirtschafts-
und Ernährungsämter aufs höchste verpflichtend sein.
Dort, wo deutsche schaffende Menschen, Männer oder Frauen, in Lagern
untergebracht werden, müssen diese Lager vollendete Beispiele deutscher
Sauberkeit, Ordnung und Gesundheitspflege darstellen. Die deutschen Betriebe
und die deutsche Wirtschaft darf hier kein Opfer scheuen, um allen auf Grund
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von Dienstverpflichtungen in Lagern unterzubringenden Volksgenossen und
Volksgenossinnen das Leben fern vom eigenen Heim und der Familie erträglich
zu machen. So wie in der deutschen Wehrmacht der deutsche Soldat in seiner
Kompanie eine vollkommene Ordnung sowohl für seine äußeren Bedürfnisse als
auch für seinen Charakter als deutscher Soldat in einer Weise garantiert erhält,
die ihn in seinem Soldatentum über die Soldaten aller anderen Völker
hinaushebt, so muß dies auch in zweckentsprechend übertragener Form beim
Arbeitseinsatz für den schaffenden deutschen Menschen möglich sein
Die Betreuung des schaffenden deutschen Menschen im Rüstungs- und
Kriegswirtschaftsbetrieb und in den Lagern soll daher grundsätzlich von der
Deutschen Arbeitsfront im vollendetsten Maße wahrgenommen werden.
Bei größeren Einsätzen von Frauen und Mädchen außerhalb ihrer
Heimatorte und Familien muß grundsätzlich nach dem Vorbild des weiblichen
Arbeitsdienstes für Unterbringung und Betreuung verfahren werden.
Kriegsgefangene und fremdländische Arbeiter
Die restlose Beschäftigung aller Kriegsgefangenen sowie die Hereinnahme
einer Riesenzahl neuer ausländischer Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen ist
zur undiskutierbaren Notwendigkeit für die Lösung der Aufgaben des
Arbeitseinsatzes in diesem Kriege geworden.
Alle diese Menschen müssen so ernährt, untergebracht und behandelt
werden, daß sie bei denkbar sparsamstem Einsatz die größtmöglichste
Leistung hervorbringen.
Es ist für uns Deutsche von jeher selbstverständlich, daß wir gegenüber
dem besiegten Feind, selbst wenn er unser grausamster und unversöhnlichster
Gegner gewesen ist, uns jeder Grausamkeit und jeder kleinlichen Schikane
enthalten, ihn korrekt und menschlich behandeln, auch dann, wenn wir eine nützliche
Leistung von ihm erwarten.
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Solange die deutsche Rüstungswirtschaft es nicht unbedingt erforderlich
machte, war unter allen Umständen auf die Hereinnahme sowohl von sowjetischen
Kriegsgefangenen, als auch von Zivilarbeitern und -arbeiterinnen aus den
Sowjetgebieten zu verzichten. Allein, dies ist jetzt nicht mehr möglich. Die
Arbeitskraft dieser Leute muß in größtem Maße ausgenutzt werden.
Ich habe daher als meine ersten Maßnahmen die Ernährung, Unterbringung
und Behandlung dieser eingesetzten fremden Menschen mit den zuständigen
Obersten Reichsbehörden und im Einverständnis mit dem Führer und dem Herrn
Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches so geregelt, daß auch von ihnen
eine optimale Arbeitsleistung verlangt werden kann und auch herausgeholt
werden wird.
Ich bitte, dabei zu bedenken, daß auch eine Maschine nur das zu leisten
vermag, was ich ihr an Treibstoff, Schmieröl und Pflege zur Verfügung
stelle. Wieviel Voraussetzungen mehr aber muß ich beim Menschen, auch wenn er
primitiver Art und Rasse ist, gegenüber einer Maschine berücksichtigen.
Ich könnte es gegenüber dem deutschen Volke nicht verantworten, nach
Deutschland eine ungeheure Anzahl solcher Menschen hereinzubringen, wenn diese
anstatt einer sehr notwendigen und nützlichen Leistung eines Tages wegen
Fehlern in der Ernährung, Unterbringung und Behandlung das deutsche Volk auf
das schwerste belasten oder gar gesundheitlich gefährden würden.
Auch für die Russenlager müssen daher auf das allersorgfältigste die
Grundsätze deutscher Sauberkeit, Ordnung und Hygiene Geltung haben.
Nur so wird es möglich sein, ohne alle falsche Sentimentalität auch aus
diesem Einsatz den höchsten Nutzen für die Rüstung der kämpfenden Front
und für die Kriegsernährungswirtschaft zu gewährleisten.
- Selte 19 -
Die notwendigen Anweisungen für Ernährung, Unterbringung und Behandlung
der Leute aus dem Osten sind an die zuständigen Behörden der Polizei,
Kriegswirtschafts- und Ernährungsämter ergangen; darüber hinaus ergeht
hiermit meine Bitte an die Gaue der NSDAP., mich auch auf diesem Gebiet
weitgehendst darin zu unterstützen, daß alles vermieden wird, wodurch dem
deutschen Volk aus diesem Einsatz ein Schaden entstehen könnte.
Die in Deutschland arbeitenden Angehörigen von Völkern artverwandten
Blutes und von verbündeten und befreundeten Völkern sollen ganz besonders
sorgfältig behandelt und betreut werden.
Es ist alles zu vermeiden, was über die kriegsbedingten Einschränkungen
und Härten hinaus fremden Arbeitern und Arbeiterinnen den Aufenthalt und die
Arbeit in Deutschland erschweren oder gar unnötig verleiden könnte. Wir sind
in starkem Maße auf ihren guten Willen und ihre Arbeitskraft angewiesen.
Es entspricht daher dem Gebot der Vernunft, ihnen Aufenthalt und Arbeit in
Deutschland, ohne uns selbst etwas zu vergeben, so erträglich wie möglich zu
machen.
Dies ist z.B. dadurch zu verwirklichen, daß man ihnen hinsichtlich ihrer
nationalen oder volkstumsmäßigen Gewohnheiten in der Ernährung,
Unterbringung, Ausgestaltung ihres Feierabends usw., soweit es die Verhältnisse
unter Berücksichtigung der Lage unseres eigenen Volkes zulassen,
entgegenkommt.
Es ist durchaus möglich, daß wenn die Arbeitseinsatzbehörden, die
Allgemeine und Innere Verwaltung, Partei und Arbeitsfront beim Einsatz fremder
Arbeiter und Arbeiterinnen verständnisvoll und eng zusammenarbeiten, außer
dem gewaltigen Nutzen, den dieser Masseneinsatz von Millionen von
Kriegsgefangenen und fremden Zivilarbeitern und -arbeiterinnen für die
deutsche Kriegsindustrie und Ernährungswirtschaft einbringt, ein ebenso
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großer Vorteil für die Propaganda für das nationalsozialistische Großdeutsche
Reich und für sein Ansehen in der Welt erwachsen kann.
Umgekehrt kann selbstverständlich, ist die Zusammenarbeit aller Kräfte
nicht gewährleistet und werden alle diese Probleme nicht von allen Instanzen
auf das peinlichste geklärt, für unsere Kriegswirtschaft der größte
Schaden entstehen.
Ich bitte daher zum Schluß, folgende Grundsätze genau beachten zu wollen:
l.) Alle technischen und verwaltungsmäßigen Vorgänge des
Arbeitseinsatzes obliegen ausschließlich der Zuständigkeit und
Verantwortlichkeit des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, den
Landesarbeitsämtern und den Arbeitsämtern.
2.) Alle Fragen und Aufgaben der Propaganda, der Aufklärung, der
Beobachtung der politischen Auswirkungen, der Betreuung obliegen der Zuständigkeit
a) außerhalb der Betriebe der Partei,
b) innerhalb aller gewerblichen Betriebe der Deutschen Arbeitsfront,
der landwirtschaftlichen Betriebe dem Amt für Agrarpolitik.
3.) Die Versorgung mit Lebensmittelmarken, Kleiderkarten, der finanziellen
Ausgleichs- und Unterstützungszahlung sind ausschließlich Aufgaben der hierfür
zuständigen Behörden oder Institutionen der Wirtschaft.
Die Gauleiter der NSDAP. als meine Bevollmächtigten bitte ich, zwischen
diesen Stellen einen reibungslosen Geschäftsgang, das denkbar beste
gegenseitige Einvernehmen und die lückenlose gegenseitige Information zu gewährleisten.
4.) Die Lösung der Aufgaben für den Kriegseinsatz ist von so
kriegsentscheidender Bedeutung, daß auch auf wichtigste orts- oder
gebietsbedingte Interessen und
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auf hervorragendste Friedensaufgaben keine Rücksicht genommen werden kann.
Wer dagegen verstoßen würde, müßte die Verantwortung dafür übernehmen,
wenn deutschen Soldaten beim Kampf um die Entscheidung des Lebensschicksals
unseres Volkes es an Waffen oder Munition, an synthetischem Benzin oder Gummi,
an Fahrzeugen oder Flugzeugen fehlen sollte.
Ich möchte daher alle deutschen Männer und Frauen, die beim
Arbeitseinsatz im Kriege entscheidend mitzuwirken haben, aufs herzlichste aber
auch auf das nachdrücklichste verpflichten, allen diesen Notwendigkeiten,
Entscheidungen und Maßnahmen Rechnung zu tragen, und zwar nach dem alten
nationalsozialistischen Grundsatz :
Nichts für uns, alles für den Führer und sein Werk, d.h. für die
Zukunft unseres Volkes !
Fritz Sauckel.
C) Entwurf einer Rede Krupps
DOKUMENT 317-D
ENTWURF EINER REDE KRUPPS, "GEDANKEN ÜBER DEN GROSSINDUSTRIELLEN
UNTERNEHMER", DIE ER ENDE 1943 ODER JANUAR 1944 VOR DER DEUTSCHEN
AKADEMIE HALTEN WOLLTE; U. A. LOB DER RÜSTUNGSINDUSTRIE; HINWEIS AUF DIE
VERSCHWIEGENE TÄTIGKEIT DEUTSCHER UNTERNEHMER IN DEN JAHREN 1919 BIS 1933, UM
ZU GEGEBENER STUNDE WIEDER FÜR DIE RÜSTUNG BEREIT ZU STEHEN; BEGEISTERTE
DANKBARKEIT GEGEN HITLER FÜR DIE BESTELLUNG DES UNTERNEHMERS ZUM FÜHRER
SEINER GEFOLGSCHAFT SEIT 1933 (BEWEISSTÜCK US-770)
BESCHREIBUNG:
Verv (Offsetdruck), 20 Seiten", nur teilw wdgb l auf der ersten Seite
über Üb:
"Dieser Vortrag des Herrn Dr. Krupp von Bohlen und Halbach s o 11 t e
in der Universität - Berlin gehalten werden, kam aber nicht zustande.";
unter der Üb: ,,(Original im persönlichen Verwahr von Herrn K.B.H.)"; l
davon am Rd: "l Ex. an Dr. Fuss, 1 Ex. an Dr. Winschuh. 14/I.44
Kraft." (alles Ti)
- Seite 11 -
.......
Ich sehe also nicht ein - dieser Gedanke spukt noch gelegentlich in einigen
Köpfen -, wieso die Fabrikation von Kriegsmaterial ein finsteres Gewerbe sein
soll! Nein: Kriegsmaterial ist lebensparend für das eigene Volk, und s t o1 z
darf sein, wer auch immer in dieser Sphäre werkt und wirkt; das
Unternehmertum zumal findet hier seine höchste Bewährung. Diese Bewährung -
ich darf das hier einflechten - erhärtete sich besonders auch in jener Zeit
des "Interregnums", in den Jahren zwischen 1919 und 1933, als
Deutschland entwaffnet darniederlag. Ich habe es schon oft mündlich und
schriftlich wiederholt und möchte auch heute in diesem Kreise daran erinnern,
daß nach den Bestimmungen des Versailler Diktates allein auf der Kruppschen
Fabrik Maschinen und Geräte aller Art in größtem Umfange vernichtet und
zerstört werden mußten. Es ist ein einmaliges Verdienst der gesamten
deutschen Wehrwirtschaft, daß sie in diesen bösen Jahren nicht untätig
gewesen ist, mochte ihre Wirksamkeit auch aus erklärlichen Gründen dem
Lichte der Öffentlichkeit entzogen sein. In jahrelanger stiller Arbeit wurden
die wissenschaftlichen und sachlichen Voraussetzungen geschaffen, um zu
gegebener Stunde ohne Zeit- und Erfahrungsverlust wieder zur Arbeit für des
Reiches Wehrmacht bereitzustehen. Das bedingte
- Seite 12 -
Vielerlei und Mancherlei, das verlangte auch die Aufnahme ganz bestimmter
Fabrikationen, die die Fertigkeiten der alten Konstrukteure und Rüstungsarbeiter
aufrechtzuerhalten geeignet waren, diesen ungeheuren Fundus an Wissen und
Erfahrung; das erforderte weiterhin die Einrichtung und Unterhaltung
wissenschaftlicher Laboratorien und Versuchsanstalten usw. usw. So wie damals
ein 100 000-Mann-Heer die Tradition der alten ruhmreichen Armee wahrte, so gab
es, bildlich gesprochen, auch ein 100 000-Mann-Heer der Wirtschaft, das die Überlieferung
der Rüstungsindustrie aufrechterhielt. Die Umstände lagen umso schwieriger,
als ja die durch den militärischen Zusammenbruch gebotene Umstellung der
alten Rüstungsbetriebe auf Friedensproduktion in politisch so verworrener
Zeit schon an und für sich Sorgen über Sorgen bereitete. Es kam
beispielsweise darauf an, die Kruppwerke zu einem lebens- und wettbewerbsfähigen
Gebilde auszubauen, sie aber gleichzeitig auch als Wehrbetrieb für kommende
Zeiten bereit zu halten. Nur durch diese verschwiegene Tätigkeit deutschen
Unternehmertums, aber auch auf Grund der mit dem Friedensmaterial inzwischen
gewonnenen Erfahrungen, konnte nach 1933 unmittelbar der Anschluß an die
neuen Aufgaben der Wiederwehrhaftmachung erreicht, konnten dann auch die ganz
neuen vielfältigen Probleme gemeistert werden, die durch die Vierjahrespläne
des Führers für die deutsche Unternehmerschaft aufgeworfen wurden. Da galt
es, neue Rohstoffe zu erschliessen, zu forschen und zu experimentieren,
Kapitalien zu investieren, um die deutsche Wirtschaft unabhängig und stark,
kurz gesagt: kriegsstark zu machen. Und das darf ich auf Grund vielfacher Äusserungen
von Aussenstehenden, die von hoher Warte aus die
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Gesamtlage zu übersehen vermögen, wohl hier sagen, wiederum bewährte
sich hier deutsches Unternehmertum, das die neuen Probleme mit jenem Schwung,
jener - ich möchte sagen: Begeisterung aufgriff und bewältigte, mit der es
je und je an geschichtliche Aufgaben herangetreten war.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf eines aufmerksam machen, was
wohl bisher noch kaum in weiteren Kreisen Beachtung gefunden hat: das ist die
Tatsache, daß der äussere Erfolg des Vierjahresplans, die Schaffung neuer
Rohstoffe zum Austausch knapp gewordener, die anfänglich nur still und
bescheiden erhoffte weitere Folgewirkung gezeigt hat, daß nunmehr nicht nur
die altbekannten Stoffe in ihrem bisherigen Verbrauchsbereich voll ersetzt
wurden, sondern daß diese neuen Rohstoffe vielfach weit über das Ziel eines
Ersatzes hinaus für neue Verwendungszwecke, fast möchte ich sagen, ganz nach
Wunsch geformt werden konnten. Das trifft auf den künstlichen Gummi, auf
synthetischen Brennstoff und mancherlei dergleichen zu und eröffnet für die
Zukunft noch weitere heute noch unübersehbare Aussichten.
Solche historischen Aufgaben größten Umfangs und größter Bedeutung
hatte der deutsche Unternehmer nach 1933 aber nicht nur in organisatorischer,
technischer und kaufmännischer Beziehung übernommen. Die
nationalsozialistische Umwälzung stellte kaum einen anderen Berufsstand vor
eine so vielfach neue, mitunter glückhaft bestürzend neue Lage, wie den
Unternehmer. Er wurde nun der F ü h r e r seiner Gefolgschaft.
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Es wäre natürlich höchst ungerecht zu behaupten, vor 1933 hätten die
Unternehmer keinen Sinn gehabt auch für diese Seite ihres Berufes, die
Menschenführung und -Betreuung - wie hätten sie denn sonst auch überhaupt
wirtschaftliche Erfolge auf die Dauer erzielen können? Ist es doch gerade der
Stolz vieler grosser Unternehmungen, daß sie auf eine reiche und alte
sozialpolitische Tradition zurückblicken können. Aber man hat es weiß Gott
doch manches Mal vor 1933 dem Unternehmer recht schwer gemacht, sich als tief
innerlich verantwortlich bewußten Leiter seines Betriebs zu zeigen und zu
geben. Diese seit 1933 geradezu mit elementarer Plötzlichkeit eingetretene
Wandlung in der Auffassung über die innerlich begründete Gemeinschaft
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer - ich benutze hier noch einmal bewußt
diese alte Formel - ist nur dem einzigartigen Genie des Führers und seiner
revolutionären Bewegung zu danken, des Führers, der durch die Wucht seiner
Persönlichkeit und seiner Lehre die Gesamtheit des deutschen Volkes für die
von ihm vertretenen Ideen, für die nationalsozialistische Weltanschauung
gewann. Es ist klar, daß durch sie, daß durch die gesetzliche Bestellung des
Unternehmers zum Gefolgschaftsführer, diesem ein viel breiteres und schöneres
wirklich vollen Erfolg verheißenderes Wirkungsfeld, gerade auch nach der
menschlichen Seite hin, abgesteckt wurde als bisher, und ich darf wohl
feststellen, daß die deutschen Unternehmer aus vollem Herzen die neuen Wege
gingen, daß sie in edlem Wettstreit und in bewußter Dankbarkeit sich die
grossen Intentionen des Führers zu eigen machten und seine treuen
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Gefolgsmänner wurden. Wie hätten auch anders die Aufgaben zwischen 1933
und 1939 und erst recht die nach 1939 bewältigt werden können?! Nicht unter
Zwang, sondern nur aus gutem Willen - ja mehr: nur aus Hingabe und
Begeisterung konnten und können Aufgaben so weltgeschichtlichen Umfangs erfüllt
werden. Fragen Sie einmal unsere Arbeiter, ob sie es nicht verspürt haben:
wie ihre Gefolgschaftsführer sich ehrlich um sie und ihr Wohlergehen bemüht
haben, wie man sie betreute in ihren grossen und kleinen, ihren betrieblichen
und häuslichen Sorgen, wie ihre Welt heller und schöner wurde, wie die
Betriebs- und Volksgemeinschaft auch in den Werkstätten und Siedlungen wuchs!
Der deutsche Unternehmer darf mit Stolz auch auf diese Arbeit zurückschauen.
.............
D) Schuldsprüche im Wortlaut
Keitel
Keitel ist nach allen 4 Punkten angeklagt. Von 1935 bis zum 4. Februar 1938
war er Stabschef des damaligen Kriegsministers von Blomberg; am genannten Tage
übernahm Hitler den Oberbefehl über die Wehrmacht und ernannte Keitel zum
Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Keitel besaß jedoch keine Befehlsgewalt
über die drei Wehrmachtsteile, diese waren dem Obersten Befehlshaber direkt
unterstellt. Das OKW war in Wirklichkeit militärischer Stab.
Verbrechen gegen den Frieden
Keitel und zwei andere Generale nahmen an der Besprechung mit Schuschnigg
im Februar 1938 teil. Er gab zu, daß ihre Anwesenheit eine "militärische
Demonstration” darstellte; da er aber erst gerade eine Woche vorher zum Chef
des OKW ernannt worden war, hätte er nicht gewußt, warum er zur Unterredung
zugezogen worden sei. Hitler und Keitel fuhren daraufhin fort, einen Druck auf
Österreich auszuüben und zwar durch falsche Gerüchte, Rundfunksendungen und
Truppenübungen. Keitel sorgte für die militärischen und anderen Maßnahmen;
Jodl vermerkte hierzu in seinem Tagebuch: "Die Wirkung ist schnell und
stark.” Als Schuschnigg zur Volksabstimmung aufrief, erstattete Keitel in
jener Nacht Hitler und seinen Generalen Bericht, und Hitler gab den von Keitel
abgezeichneten Befehl für den "Fall Otto” heraus.
Am 21. April 1938 erwogen Hitler und Keitel die Ausnutzung eines etwaigen
"Zwischenfalles”, wie z.B. die Ermordung des deutschen Gesandten in
Prag, zur Einleitung des Angriffs auf die Tschechoslowakei. Keitel
unterzeichnete viele Anordnungen und Denkschriften über den "Fall Grün”,
einschließlich der Anordnung vom 30. Mai, Die Hitlers Erklärung enthielt:
"Es ist mein unabänderlicher Entschluß, die Tschechoslowakei in naher
Zukunft durch eine militärische Aktion zu zerschlagen.” - Nach München
zeichnete Keitel Hitlers Befehl zum Angriff auf die Tschechoslowakei und gab
zwei Ergänzungen dazu.
Die zweite Ergänzung besagte, daß der Angriff nach außen als "eine
reine Befreiungsaktion und nicht als eine kriegerische Unternehmung erscheinen
solle”. Der Chef des OKW war bei den Unterhandlungen zwischen Hitler und
Hacha zugegen, die mit Hachas Unterwerfung endete.
Keitel war am 23. Mai 1939 dabei, als Hitler seinen Entschluß, "Polen
bei der ersten geeigneten Gelegenheit anzugreifen”, bekanntgab. Damals hatte
er bereits die Weisung an die Wehrmacht unterzeichnet, die Aufmarschtabelle für
den "Fall Weiß” dem OKW bis zum 1. Mai zu unterbreiten.
Am 12. Dezember 1939 besprach er mit Hitler, Jodl und Raeder die Invasion
Norwegens und Dänemarks. Durch Befehl vom 27. Januar 1940 wurden die Pläne
über Norwegen unter Keitels "unmittelbare und persönliche Leitung"
gestellt. Hitler hatte am 23. Mai 1939 erklärt, die Neutralität Belgiens und
der Niederlande nicht zu achten; Keitel unterzeichnete die Befehle für die
entsprechenden Angriffe am 15. Oktober, 20. und 28. November 1939. Befehle,
die den Angriff 17 mal, bis zum Frühjahr 1940, verschoben, waren alle von
Keitel oder von Jodl unterzeichnet.
Die greifbare Planung für einen Angriff auf Griechenland und Jugoslawien
war im November 1940 begonnen worden. Am 18. März 1941 war Keitel anwesend,
als Hitler zu Raeder sagte, die vollständige Besetzung Griechenlands sei
Vorbedingung für eine militärische Endlösung, und ebenso hörte er am 27. März,
wie Hitler die Vernichtung Jugoslawiens "mit unbarmherziger Härte"
befahl.
Keitel hat ausgesagt, daß er sich der Invasion der Sowjetunion aus militärischen
Gründen, und auch weil dies eine Verletzung des Nichtangriffspaktes
darstellte, widersetzt hätte. Trotzdem signierte er den von Hitler am 18.
Dezember 1940 unterzeichneten "Fall Barbarossa" und wohnte der
Besprechung im OKW mit Hitler am 3. Februar 1941 bei. Keitels Ergänzungen vom
13. März regelten das Verhältnis zwischen den militärischen und politischen
Funktionären.
Am 6. Juni 1941 gab er seine Aufmarschtabelle für die Invasion heraus und
war bei der Besprechung vom 14. Juni, bei der die Generale ihre endgültigen
Berichte vor dem Angriff erstatteten, anwesend. Er ernannte Jodl und Warlimont
zu Vertretern des OKW bei Rosenberg für alle Ostgebiete betreffenden
Angelegenheiten. Am 16. Juni befahl er allen Einheiten des Heeres, die von Göring
in der sogenannten "Grünen Mappe" herausgegebenen wirtschaftlichen
Richtlinien für die Ausbeutung von russischen Gebieten, Nahrungsmitteln und
Rohprodukten durchzuführen.
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Am 4. August 1942 erließ Keitel einen Befehl, daß Fallschirmspringer dem
SD überantwortet werden sollten. Am 18. Oktober erließ Hitler den in
mehreren Fällen ausgeführten Kommandobefehl. Nach der alliierten Landung in
der Normandie bestätigte Keitel diesen Befehl und dehnte ihn späterhin auf
die mit den Partisanen kämpfenden alliierten Verbände aus. Er gibt zu, nicht
an die Rechtmäßigkeit des Befehls geglaubt zu haben, behauptet jedoch, er hätte
Hitler von der Herausgabe nicht zurückhalten können.
Als das OKW am 8. September 1941 seine unbarmherzigen Richtlinien für
sowjetische Kriegsgefangene erließ, schrieb Canaris an Keitel, daß auf Grund
des Völkerrechts der SD nichts damit zu tun haben dürfe. Auf dieser
Denkschrift findet sich - in Keitels Handschrift mit dem Datum des 23.
September und von ihm signiert - folgende Anmerkung: "Die Bedenken
entspringen den soldatischen Auffassungen von ritterlichem Krieg. Hier handelt
es sich um die Vernichtung einer Weltanschauung. Deshalb billige ich die Maßnahme
und decke sie." Keitel hat ausgesagt, daß er in Wirklichkeit Canaris'
Auffassung teilte, mit Hitler jedoch erfolglos gestritten habe. Der Chef des
OKW befahl den Militärbehörden, mit dem Einsatzstab Rosenberg zwecks Plünderung
von Kulturgütern in den besetzten Gebieten zusammenzuarbeiten.
Lahousen hat bekundet, Keitel habe ihm am 12. September 1939 in Hitlers
Hauptquartier - Führerzug - erklärt, die polnische Intelligenz, der
polnische Adel und die Juden sollten ausgerottet werden. Am 20. Oktober sagte
Hitler zu Keitel, die polnische Intelligenz müsse daran gehindert werden,
eine beherrschende Klasse zu bilden, der Lebensstandard müsse niedrig bleiben
und Polen könne nur als Quelle für Arbeitskräfte gebraucht werden. Keitel
erinnert sich nicht an dieses Gespräch mit Lahousen, gibt jedoch zu, daß
eine solche Politik tatsächlich getrieben worden sei und er habe in dieser
Hinsicht ohne Erfolg bei Hitler protestiert.
Am 16. September 1941 befahl Keitel, um Überfällen auf Soldaten im Osten
zu begegnen, daß für einen deutschen Soldaten 50 bis 100 Kommunisten
umzubringen seien, er fügte hinzu, im Osten gelte ein Menschenleben nichts.
Am 1. Oktober befahl er den militärischen Kommandeuren, stets Geiseln in
Bereitschaft zu halten, damit sie bei Überfällen auf Soldaten hingerichtet
werden könnten. Als Terboven, der Reichskommisar für Norwegen, an Hitler
schrieb, Keitels Vorschlag, die Angehörigen von Arbeitern für
Sabotagehandlungen verantwortlich zu machen, könne nur dann Erfolg haben,
wenn Erschießungskommandos zugelassen würden, schrieb Keitel auf dieses
Schreiben: " Ja, das ist das beste."
Am 12. Mai 1941, fünf Wochen vor der Invasion der Sowjetunion, drängte
das OKW bei Hitler darauf, einen Befehl an das OKH zu geben, wonach politische
Kommissare durch das Heer zu erledigen seien. Keitel gab zu, diesen Befehl an
die Befehlshaber im Felde weitergeleitet zu haben. Am 13. Mai unterzeichnete
Keitel einen Befehl, daß Zivilpersonen, welche Vergehen gegenüber der Truppe
verdächtig seien, ohne Gerichtsverfahren erschossen werden sollten, und eine
Strafverfolgung deutscher Soldaten wegen gegen Zivilisten begangener Vergehen
unnötig sei. Am 27. Juli wurden alle Exemplare dieser Anordnung auf Befehl
vernichtet, ohne daß die Anordnung ihre Gültigkeit verlor. Vier Tage zuvor
hatte er einen Befehl unterzeichnet, eine gesetzliche Bestrafung sei unzulänglich
und die Truppe habe Terrormethoden anzuwenden.
Am 7. Dezember 1941 bestimmte - wie bereits in diesem Urteil besprochen -
der sogenannte "Nacht- und Nebel-Erlaß", der Keitels Unterschrift
trug, daß in besetzten Gebieten gegen Zivilpersonen, die eines Verbrechens
des Widerstands gegen die Besatzungsmacht beschuldigt waren, nur dann
verhandelt werden sollte, falls ein Todesurteil zu erwarten sei; im anderen
Falle sollten sie der Gestapo zur Verschickung nach Deutschland ausgeliefert
werden.
Keitel hat angeordnet, russische Kriegsgefangene in der deutschen
Kriegsindustrie einzusetzen. Am 8. September 1942 befahl er, daß französische,
niederländische und belgische Staatsbürger beim Bau des Atlantikwalls zu
arbeiten hätten. Als Hitler am 4. Januar 1944 Sauckel befahl, aus den
besetzten Gebieten 4 Millionen neue Arbeitskräfte herauszupressen, war Keitel
anwesend.
Angesichts dieser Urkunden leugnet Keitel seine Beziehungen zu diesen
Handlungen nicht. Seine Verteidigung stützt sich vielmehr auf die Tatsache,
er sei Soldat, und auf den Grundsatz des "Befehls von oben", welcher
aber auf Grund von Artikel 8 des Statuts nicht als Entschuldigung zugelassen
ist.
Mildernde Umstände liegen nicht vor. Befehle von oben, auch wenn einer
Militärperson erteilt, können nicht als mildernder Umstand betrachtet
werden, wenn derart empörende und weitverbreitete Verbrechen bewußt, rücksichtslos
und ohne militärische Notwendigkeit oder Rechtfertigung begangen worden sind.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof findet Keitel nach allen 4 Anklagepunkten schuldig.
Streicher
Streicher ist unter Punkt 1 und 4 angeklagt. Als eines der frühesten
Mitglieder trat er im Jahre 1921 der Nazi-Partei bei und nahm am Münchner
Putsch teil. Er war Gauleiter von Franken von 1925 bis 1940. 1933 wurde er in
den Reichstag gewählt; er hatte den Ehrenrang eines Generals der SA. Er war
berüchtigt für seine Verfolgung der Juden. Von 1923 bis 1945 war er der
Herausgeber einer judenfeindlichen Wochenschrift " Der Stürmer",
dessen Schriftleiter er bis 1933 war.
Verbrechen gegen den Frieden
Streicher war ein unerschütterlicher Nazi und Anhänger Hitlers und seiner
wesentlichen politischen Ziele. Es liegt kein Beweis dafür vor, daß er je
zum inneren Kreis der Ratgeber Hitlers gehört hat. Auch war er während
seiner Laufbahn nicht eng mit der Planung der Politik verbunden, die zum Krieg
geführt hatte. Zum Beispiel war er niemals bei einer der wichtigen
Besprechungen zugegen, wenn Hitler seinen Führen seine Entschlüsse erklärte.
Obwohl er Gauleiter war, liegen keine Beweise dafür vor, daß er von diesen
politischen Plänen Kenntnis hatte. Nach Ansicht des Gerichtshofs wird die
Verbindung mit der Verschwörung, so wie diese Verschwörung an einer anderen
Stelle des Urteils umrissen ist, oder mit dem gemeinsamen Plan zum Betreiben
des Angriffskrieges, durch das Beweismaterial nicht belegt.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Auf Grund der 25 Jahre des Redens, Schreibens und Predigens des Judenhasses
war Streicher als "Judenhetzer Nummer Eins" weithin bekannt. In
seinen Woche um Woche, Monat um Monat erscheinenden Reden und Artikeln
verseuchte er die Gedankengänge der Deutschen mit dem Giftstoff des
Antisemitismus, und hetzte das deutsche Volk zur aktiven Verfolgung auf. Jede
Ausgabe des Stürmers, der 1935 eine Auflage von 600 000 erreichte, war mit
solchen oft pornographischen und widerlichen Artikeln angefüllt.
Streicher war der Leiter des Judenboykotts vom 1. April 1933. Er befürwortete
die Nürnberger Gesetze des Jahres 1935. Er war für die Zerstörung der
Synagoge in Nürnberg am 10. August 1938 verantwortlich, und am 10. November
setzte er sich öffentlich für den Judenpogrom, der zu diesem Zeitpunkt
stattfand, ein.
Jedoch nicht nur in Deutschland allein vertrat dieser Angeklagte seine
Lehren. Schon 1938 begann er, die Ausrottung der jüdischen Rasse zu fordern.
23 verschiedene Artikel aus Ausgaben des "Stürmers" aus den Jahren
1938 bis 1941, die die Ausrottung "mit Stumpf und Stiel" predigen,
sind als Beweismittel vorgelegt worden. Ein Leitartikel im September 1938 war
typisch für seine Lehren, in denen der Jude als Bazillus und Pest bezeichnet
wird, und nicht als menschliches Wesen, sondern als "ein Schmarotzer, ein
Feind, ein Übeltäter, ein Krankheitsverbreiter, der im Interesse der
Menschheit vernichtet werden muß". Andere Artikel heben hervor, daß
erst nach Vernichtung des Weltjudentums das jüdische Problem als gelöst zu
betrachten sei und sagten voraus, daß in 50 Jahren die Judengräber
"beweisen werden, daß endlich dieses Volk der Mörder und Verbrecher
sein verdientes Schicksal erfahren hat". Im Februar 1940 veröffentlichte
Streicher einen Brief eines Lesers des "Stürmers", der Juden mit
Heuschreckenschwärmen verglich, die völlig ausgerottet werden müßten. Das
war die Art, wie Streicher die Gedankengänge Tausender von Deutschen
vergiftete, und dies war der Anlaß dafür, daß die Deutschen der
nationalsozialistischen Politik der Verfolgung und Vernichtung der Juden Folge
leisteten. Ein Leitartikel der Zeitung "Stürmer" vom Mai 1939
beweist klar sein Ziel:
"Ein Strafgericht muß über die Juden in Rußland kommen, ein
Strafgericht, das ihnen das gleiche Schicksal bereitet, das jeder Mörder und
Verbrecher erwarten muß: Todesstrafe und Hinrichtung. Die Juden in Rußland müssen
getötet werden. Sie müssen mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden."
Als der Krieg in seinen erfolgreichen Anfangsphasen dem Reich immer mehr
und mehr Gebiete zuführte, verstärkte Streicher noch seine Anstrengungen,
das deutsche Volk zum Hass gegen die Juden aufzureizen. Die Akten enthalten 26
Artikel aus dem "Stürmer" aus der Zeit vom August 1941 bis
September 1944; 12 von diesen sind von Streicher selbst verfaßt und verlangen
in unmißverständlichen Ausdrücken die Vernichtung und Ausrottung. Am 25.
Dezember 1941 schrieb und veröffentlichte er folgendes:
"Wenn die Gefahr der Fortpflanzung dieses Fluches Gottes im jüdischen
Blut endlich zu einem Ende kommen soll, dann gibt es nur einen Weg: die
Ausrottung dieses Volkes, dessen Vater der Teufel ist."
Und im Februar 1944 erklärte sein eigener Artikel:
"Wer immer tut, was ein Jude tut, ist ein Lump, ein Verbrecher. Und
der, der ihm nachspricht oder ihm nachmachen will, verdient das gleiche
Schicksal, Vernichtung, Tod."
In Kenntnis der Ausrottung der Juden in den besetzten Ostgebieten fuhr der
Angeklagte fort, seine Mordpropaganda zu schreiben und zu veröffentlichen. In
seiner Aussage in diesem Prozeß leugnete er aufs energischste jegliche
Kenntnis von den Massenhinrichtungen der Juden ab. Das Beweismaterial ergibt
jedoch klar, daß er unausgesetzt laufend Kenntnis von den Fortschritten der
"Endlösung" erhielt. Sein Photograph wurde im Frühjahr 1943, dem
Zeitpunkt der Zerstörung des Warschauer Ghettos, zum Besuch der Ghettos nach
Osten geschickt. Die jüdische Zeitung "Israelitisches Wochenblatt",
die Streicher erhielt und las, brachte in jeder ihrer Ausgaben Berichte über
die Greueltaten gegen die Juden im Osten und Angaben über die Zahl der Juden,
die deportiert und getötet wurden. Zum Beispiel berichteten die im Sommer und
Herbst 1942 erschienenen Ausgaben über den Tod von 72 729 Juden in Warschau,
17 542 in Lodz, 18 000 in Kroatien, 125 000 in Rumänien, 14 000 in Litauen,
85 000 in Jugoslawien, 700 000 in ganz Polen. Im November 1943 zitierte
Streicher wörtlich einen Artikel aus dem "Israelitischen
Wochenblatt", in dem es hieß, daß die Juden tatsächlich aus Europa
verschwunden seien, und bemerkte hierzu: "Das ist keine jüdische Lüge".
Im Dezember 1942 sagte Streicher mit Bezug auf einen Artikel in der Londoner
"Times" über die die Ausrottung bezweckenden Greueltaten, daß
Hitler davor gewarnt hätte, daß der zweite Weltkrieg zur Vernichtung des
Judentums führen werde. Im Januar 1943 schrieb und veröffentlichte er einen
Artikel, in dem es hieß, daß Hitlers Prophezeiung nun in Erfüllung gegangen
sei und daß das Judentum der Welt nun ausgerottet würde und daß es herrlich
sei, zu wissen, daß Hitler die Welt von ihren jüdischen Quälern befreie.
Angesichts der dem Gerichtshof vorliegenden Beweise ist es für Streicher
nutzlos zu behaupten, daß die von ihm begünstigte Lösung des jüdischen
Problems strengstens auf die Kennzeichnung der Juden als Fremde und den Erlaß
einer Ausnahmegesetzgebung, wie die Nürnberger Gesetze, beschränkt gewesen
sei, wenn möglich ergänzt durch die im Wege internationaler Abkommen
erreichte Schaffung eines jüdischen Staates irgendwo in der Welt, wohin alle
Juden auswandern sollten.
Streichers Aufreizung zum Mord und zur Ausrottung, die zu einem Zeitpunkt
erging, als die Juden im Osten unter den fürchterlichsten Bedingungen
umgebracht wurden, stellt eine klare Verfolgung aus politischen und rassischen
Gründen in Verbindung mit solchen Kriegsverbrechen, wie sie im Statut
festgelegt sind und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof stellt daher fest, daß Streicher unter Anklagepunkt 1
nicht schuldig, jedoch unter Punkt 4 schuldig ist.
Funk
Funk ist unter allen 4 Punkten angeklagt. Funk, der früher
Wirtschaftsjournalist gewesen war, trat 1931 in die Nazi-Partei ein, und wurde
bald darauf einer von Hitlers persönlichen Wirtschaftsberatern. Am 30. Januar
1933 wurde er Pressechef der Reichsregierung, am 11. März 1933
Unterstaatssekretär im Propagandaministerium und bald darauf eine führende
Persönlichkeit in den verschiedenen Nazi-Organisationen, die zur Kontrolle
der Presse, des Films, der Musik und der Verlage benutzt wurden. Zu Beginn des
Jahres 1938 übernahm er die Ämter des Reichswirtschaftsministers und
Generalbevollmächtigten für Kriegswirtschaft und im Januar 1939 das des
Reichsbankpräsidenten. In diesen drei Stellungen war er Schachts Nachfolger.
Er wurde zum Mitglied des Ministerrats für die Reichsverteidigung im August
1939 und im September 1943 zum Mitglied des zentralen Planungsrates ernannt.
Verbrechen gegen den Frieden
Nachdem der Nazi-Plan, Angriffskriege zu führen, klar festgelegt worden
war, wurde Funk auf dem Gebiete der Wirtschaft aktiv. Einer seiner Vertreter
wohnte in einer Sitzung am 14. Oktober 1938 bei. Auf dieser Sitzung kündigte
Göring eine ungeheure Rüstungssteigerung an und wies den Wirtschaftsminister
an, die Ausfuhr zu steigern, um die notwendigen Devisen zu erlangen. Am 28.
Januar 1939 sandte einer der Untergebenen Funks an das OKW ein Memorandum über
die Verwendung von Kriegsgefangenen zum Ausgleich des Arbeitermangels, der im
Falle einer Mobilisierung entstehen würde. Am 30. Mai 1939 war der
Unterstaatssekretär des Wirtschaftsministeriums bei einer Sitzung anwesend,
auf der genaue Pläne für die Finanzierung des Krieges entworfen wurden.
Funk schrieb am 25. August 1939 einen Brief an Hitler, in welchem er seine
Dankbarkeit dafür zum Ausdruck brachte, daß er an solch welterschütternden
Ereignissen teilnehmen dürfe, und worin er berichtete, daß seine Pläne zur
"Kriegsfinanzierung", für die Lohn- und Preiskontrolle und für die
Stärkung der Reichsbank fertiggestellt seien und daß er unauffällig alle in
Deutschland verfügbaren Devisenguthaben in Gold verwandelt habe. Nach
Kriegsbeginn, am 14. Oktober 1939, hielt er eine Rede, in welcher er
feststellte, daß diejenigen deutschen Wirtschafts- und Finanzbehörden, die
dem Vierjahresplan unterstanden, schon über ein Jahr geheime wirtschaftliche
Vorbereitungen für den Krieg getroffen hätten.
Funk nahm an der dem Angriff auf die Sowjetunion vorausgehenden
wirtschaftlichen Planung teil. Sein Stellvertreter hielt täglich
Besprechungen mit Rosenberg über die wirtschaftlichen Probleme ab, die sich
aus der Besetzung sowjetrussischen Gebietes ergeben würden. Funk selbst nahm
an dem Plan des Druckens von Rubelscheinen in Deutschland vor dem Angriff
teil, die als Besatzungswährung in der Sowjetunion dienen sollten. Nach dem
Angriff hielt er eine Rede, in welcher er die Pläne darlegte, die er für die
wirtschaftliche Ausnutzung der "riesigen Gebiete der Sowjetunion"
gemacht hatte, welche als Rohmaterialquellen für Europa dienen sollten.
Funk war keine der Hauptpersonen bei der Nazi-Planung des Angriffskrieges.
Seine Tätigkeit im Wirtschaftsleben unterstand Göring in dessen Eigenschaft
als Generalbevollmächtigter für den Vierjahresplan. Er wirkte jedoch an den
wirtschaftlichen Vorbereitungen gewisser Angriffskriege mit, vor allem an
jenen gegen Polen und die Sowjetunion. Aber seine Schuld kann in ausreichender
Weise unter Punkt 2 der Anklage dargetan werden.
Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
In seiner Eigenschaft als Unterstaatssekretär im Propagandaministerium und
als zweiter Vorsitzender der Reichskulturkammer spielte Funk eine Rolle in dem
frühen Nazi-Programm der wirtschaftlichen Entrechtung der Juden. Am 12.
November 1938, nach den Novemberpogromen, war er bei einer Besprechung
zugegen, die unter dem Vorsitz Görings die Lösung der Judenfrage zu erörtern
hatte, und er schlug eine Verordnung vor, welche alle Juden aus dem gesamten
Geschäftsleben entfernen sollte, eine Verordnung, die am gleichen Tag von Göring
als Bevollmächtigten des Vierjahresplanes erlassen wurde. Zwar hat Funk
ausgesagt, daß er von den Ausbrüchen des 10. November erschüttert gewesen
sei. Aber am 15. November hat er eine Ansprache gehalten, in welcher er diese
Ausbrüche als eine "Gewaltige Explosion des Abscheus des deutschen
Volkes über den verbrecherischen jüdischen Anschlag auf das deutsche
Volk" erklärte. Er behauptete, daß die Ausschaltung der Juden aus dem
Wirtschaftsleben logisch ihrer Ausschaltung aus dem politischen Leben folge.
Im Jahre 1942 traf Funk mit Himmler ein Abkommen, auf Grund dessen die
Reichsbank gewisses Geld, Juwelen und Barmittel von der SS erhalten sollte,
und gab seinen Untergebenen, die die Einzelheiten auszuarbeiten hatten,
Anweisung, keine unnötigen Fragen zu stellen. Als Ergebnis dieses Abkommens
lieferte die SS an die Reichsbank die persönliche Habe und Wertgegenstände,
die den Opfern, welche in Konzentrationslagern umgebracht worden waren,
abgenommen ware, ab. Die Reichsbank behielt die Münzen und Banknoten zurück
und schickte die Juwelen, Uhren und persönlichen Gegenstände an die städtischen
Pfandleihämter in Berlin. Das von Brillen stammende Gold, sowie Goldzähne
und Plomben wurden in den Gewölben der Reichsbank aufbewahrt. Funk hat den
Einwand gemacht, daß er nicht gewußt habe, daß die Reichsbank Gegenstände
dieser Art erhalten habe. Der Gerichtshof ist der Ansicht, daß er entweder wußte,
welche Gegenstände eingingen, oder daß er bewußt seine Augen demgegenüber
verschloß. Als Wirtschaftsminister und Reichstagspräsident nahm Funk an der
wirtschaftlichen Ausbeutung der besetzten Gebiete teil. Er war für die
Beschlagnahme der Goldreserven der Tschechoslowakischen National-Bank und für
die Liquidierung der Jugoslawischen National-Bank verantwortlich. Sein
Stellvertreter sandte am 6. Juni 1942 ein Schreiben an das OKW mit der Bitte,
Gelder des französischen Besatzungskosten-Fonds für Schwarz-Markt-Käufe zur
Verfügung zu stellen. Durch seine Anwesenheit bei einer Sitzung am 8. August
1942 ist bewiesen, daß er mit den deutschen Besatzungsmethoden vertraut war;
Göring wandte sich damals an eine Anzahl deutscher Besatzungsbeamten, gab
ihnen zu verstehen, welche Erzeugnisse aus ihren Gebieten benötigt würden
und fügte hinzu: "Es ist mir völlig gleichgültig, ob sie mir daraufhin
sagen, daß ihre Leute hungern werden."
Im Herbst 1943 war Funk Mitglied des Ministerrats für Zentrale Planung,
der über die Gesamtzahl der von der deutschen Industrie benötigten Arbeiter
entschied und von Sauckel verlangte, sie zu liefern, meist mittels Deportation
aus besetzten Gebieten. Funk schien sich nicht besonders für diesen Teil des
Zwangsarbeiterprogramms zu interessieren, und schickte meistens einen
Stellvertreter zu diesen Besprechungen, oft den SS-General Ohlendorf, den früheren
Chef des SD innerhalb Deutschlands und früheren Befehlshaber der
Einsatzgruppe D. Aber Funk war sich doch der Tatsache bewußt, daß der
Ministerrat, dessen Mitglied er war, die Einfuhr von Sklavenarbeitern
verlangte und dieselben verschiedenen seiner Kontrolle unterstehenden
Industrien zuwies.
Als Präsident der Reichsbank war Funk auch mittelbar verantwortlich für
die Verwendung von KZ-Arbeitern. Unter seiner Führung hat die Reichsbank ein
Bankkonto von 12 Millionen Reichsmark eröffnet für die SS, zur Erstellung
von Fabriken, die KZ-Arbeiter verwenden sollten. Trotz der Tatsache, daß Funk
hohe Posten innehatte, war er doch nie eine dominierende Figur in den
verschiedenen Programmen, an denen er mitwirkte. Dies ist ein Milderungsgrund,
den der Gerichtshof in Erwägung zieht.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof erkennt, daß Funk nicht schuldig ist unter Anklagepunkt 1,
daß er aber unter Punkten 2, 3 und 4 schuldig ist.
Schacht
Schacht ist angeklagt nach Punkt ,1 und Punkt 2 der Anklage. Schacht diente
in den Jahren 1923 bis 1930 als Währungskommissar und Präsident der
Reichsbank; am 17. März 1933 wurde er von neuem zum Präsidenten der
Reichsbank ernannt, im August 1934 zum Wirtschaftsminister und im Mai 1935 zum
Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft. Im November 1937 trat er
von diesen zwei Ämtern zurück und wurde zum Minister ohne Geschäftsbereich
gemacht. Am 16. März 1937 wurde er wiederum zum Reichsbankpräsidenten auf
ein Jahr bestellt, und am 9. März 1938 für einen Zeitraum von vier Jahren;
er ist jedoch am 20. Januar 1939 entlassen worden. Als Minister ohne Geschäftsbereich
wurde er am 22. Januar 1943 entlassen.
Verbrechen gegen den Frieden
Schacht hat die Nazi-Partei, bevor sie am 30. Januar 1933 zur Macht
gelangte, aktiv unterstützt und befürwortete die Ernennung Hitlers zum
Kanzler. Danach spielte er eine wichtige Rolle bei dem energisch durchgeführten
Aufrüstungsprogramm, das aufgestellt wurde, wobei er die Hilfsquellen der
Reichsbank für die deutschen Aufrüstungsanstrengungen weitestgehend
einsetzte. Die Reichsbank, in ihrer traditionellen Eigenschaft als
Finanzvertretung der deutschen Regierung, legte langfristige
Regierungsanleihen auf, deren Ertrag für die Aufrüstung benutzt wurde. Er
erfand ein System, bei dem fünfjährige Schuldverschreibungen, bekannt als
MEFO-Wechsel, die von der Reichsbank garantiert, aber in Wahrheit durch nichts
weiter gedeckt waren, als deren Stellung als Ausgabebank, und die dazu benutzt
wurden, um vom kurzfristigen Geldmarkt große Summen für die Aufrüstung zu
erhalten. Als Wirtschaftsminister und Generalbevollmächtigter für die
Kriegswirtschaft war er bei der Organisierung der deutschen Wirtschaft für
den Krieg tätig. Er entwarf ins einzelne gehende Pläne zur industriellen
Mobilisierung und für das Zusammenwirken der Wehrmacht mit der Industrie im
Kriegsfalle. Er hat sich besonders mit der Knappheit an Rohstoffen befaßt und
leitete einen Plan zur Ansammlung von Vorräten ein, sowie ein System der
Devisenkontrolle, um zu verhüten, daß Deutschlands schwache Devisenlage den
Erwerb von ausländischen für die Aufrüstung benötigten Rohmaterialien
verhindere. Am 3. Mai 1935 sandte er an Hitler eine Denkschrift des Inhaltes:
"Daß die Durchführung des Aufrüstungsprogrammes mit Schnelligkeit und
in großem Umfange das Ziel der deutschen Politik sei, dem alles andere
untergeordnet werden sollte".
Im April 1936 begann Schacht, seinen Einfluß als Zentralfigur bei den
deutschen Aufrüstungsanstrengungen zu verlieren, nachdem Göring die
Kontrolle der Rohstoffe und Devisen übertragen worden war. Göring befürwortete
ein stark erweitertes Programm zur Produktion von synthetischen Rohstoffen,
dem sich Schacht mit der Begründung widersetzte, daß die daraus erwachsende
finanzielle Überspannung eine Inflation zur Folge haben könnte. Schachts
Einfluß verminderte sich weiter, als Göring am 16. Oktober 1936 zum
Generalbevollmächtigten für den Vierjahresplan ernannt wurde mit der
Aufgabe, "die Gesamtwirtschaft innerhalb vier Jahren in einen Zustand der
Kriegsbereitschaft zu versetzen". Schacht hatte sich der Ankündigung
dieses Planes und der Ernennung Görings zum Leiter desselben widersetzt, und
offensichtlich bedeutete Hitlers Vorgehen die Entscheidung, daß Schachts
Wirtschaftspolitik für die drastische Aufrüstungspolitik, die Hitler
einschlagen wollte, zu konservativ war.
Nach Görings Ernennung wurden Schacht und Göring bald in eine Reihe von
Auseinandersetzungen verwickelt. Obgleich eine gewisse persönliche
Gegnerschaft bei diesen Zwistigkeiten mit im Spiel war, so wich doch Schacht
auch in seiner Auffassung von gewissen, grundsätzlichen politischen Fragen
von Göring ab. Aus finanziellen Gründen befürwortete Schacht eine
Ausdehnung des Aufrüstungsprogrammes und widersetzte sich einem großen Teil
der vorgeschlagenen Ausdehnung der Produktionsmöglichkeiten, besonders in
Bezug auf synthetische Stoffe, weil sie unwirtschaftlich seien und drängte
auf eine drastische Einschränkung des Regierungskredites und eine zurückhaltende
Politik hinsichtlich der deutschen Devisenreserven. Als Folge dieser
Auseinandersetzungen und eines bitteren Streites, bei dem Hitler Schacht
beschuldigte, daß er mit seinen finanziellen Methoden seine Pläne störe,
nahm Schacht am 5. September 1937 Urlaub vom Wirtschaftsministerium und trat
am 16. November 1937 von seinem Posten als Wirtschaftsminister und
Generalbevollmächtigter für die Kriegswirtschaft zurück.
Als Reichsbankpräsident wurde Schacht noch in Streitigkeiten verwickelt. Während
des Jahres 1938 fuhr die Reichsbank fort, bei der Auflegung von langfristigen
Regierungsanleihen zur Finanzierung der Aufrüstung als Finanzvertretung der
deutschen Regierung zu wirken. Aber am 31. März 1938 hörte Schacht auf,
kurzfristige, von der Reichsbank garantierte Wechsel für die Rüstungsaufgaben
aufzulegen. In einem Versuch durch die Reichsbank, die Kontrolle über die
Finanzpolitik wieder zu gewinnen, verweigerte Schacht Ende 1938 die Gewährung
eines vom Reichsfinanzminister dringend geforderten Sonderkredites zur
Bezahlung von Beamtengehältern, die aus den vorhandenen Mitteln nicht gedeckt
werden konnten. Am 2. Januar 1939 hatte Schacht eine Konferenz mit Hitler, in
der er ihn dringend bat, die Ausgaben für Rüstungen herabzusetzen. Am 7.
Januar 1939 legte Schacht Hitler einen von den Direktoren der Reichsbank
unterzeichneten Bericht vor, der eine drastische Beschränkung der Rüstungsausgaben
und ein ausgeglichenes Budget als das einzige Mittel zur Verhütung einer
Inflation forderte. Am 19 Januar entließ Hitler Schacht als Präsidenten der
Reichsbank und am 22. Januar 1943 als Reichsminister ohne Geschäftsbereich
wegen seiner "ganzen Einstellung während des augenblicklichen
Schicksalskampfes des deutschen Volkes". Am 23. Juli 1944 wurde Schacht
von der Gestapo verhaftet und bis zum Ende des Krieges in einem
Konzentrationslager eingesperrt.
Es ist klar, daß Schacht eine Zentralfigur bei Deutschlands Wiederaufrüstungsprogramm
darstellte und die Maßnahmen, die er ergriff, besonders in den ersten Tagen
des Nazi-Regimes, waren für Nazi-Deutschlands schnellen Aufstieg als Militärmacht
verantwortlich.
Aber die Aufrüstung an sich ist nach dem Statut nicht verbrecherisch. Wenn
sie ein Verbrechen gegen den Frieden laut Artikel 6 des Statuts darstellen
sollte, so müßte gezeigt werden, daß Schacht diese Aufrüstung als einen
Teil des Nazi-Plans zur Führung von Angriffskriegen durchführte.
Schacht hat behauptet, daß er nur deshalb an dem Aufrüstungsprogramm
teilnahm, weil er ein starkes und unabhängiges Deutschland aufbauen wollte,
das eine Außenpolitik führen würde, die auf der Basis der
Gleichberechtigung mit anderen europäischen Ländern Achtung genießen würde;
daß er, als er entdeckte, daß die Nazis für Angriffszwecke aufrüsteten,
versuchte, das Tempo der Aufrüstung herabzusetzen, und daß er nach der
Verabschiedung von von Fritsch und von Blomberg an Plänen zur Entfernung
Hitlers, zuerst durch seine Absetzung und später durch Ermordung, teilnahm.
Schon im Jahre 1936 begann Schacht eine Begrenzung des Aufrüstungsprogramms
aus finanziellen Gründen zu befürworten. Wenn die von ihm befürwortete
Politik in die Tat umgesetzt worden wäre, so wäre Deutschland auf einen
allgemeinen europäischen Krieg nicht vorbereitet gewesen. Das beharren auf
seiner Politik führte schließlich zu seiner Entlassung aus allen Stellen von
wirtschaftlicher Bedeutung in Deutschland. Auf der anderen Seite war Schacht
mit seiner gründlichen Kenntnis der deutschen Finanzen in einer besonders günstigen
Lage, um die wahre Bedeutung Hitlers wahnsinniger Aufrüstung zu verstehen,
und um zu erkennen, daß die Wirtschaftspolitik, wie sie verfolgt wurde, nur
mit dem Krieg als Ziel vereinbar war.
Außerdem fuhr Schacht fort, am deutschen Wirtschaftsleben teilzunehmen und
selbst, wenn auch in geringerem Maße, an einigen der anfänglichen
Nazi-Angriffe. Vor der Besetzung Österreichs legte er einen Wechselkurs für
die Mark und den Schilling fest. Nach der Besetzung Österreichs hat er die
Einverleibung der österreichischen Nationalbank in die Reichsbank durchgeführt
und eine stark nazifreundliche Rede gehalten, in der er ausführte, daß die
Reichsbank, solange er mit ihr zusammenhänge, immer nazistisch sein würde,
Hitler rühmte, die Besetzung Österreichs verteidigte, die Einwände gegen
die Art und Weise ihrer Durchführung verspottete und die dann mit
"unserem Führer ein dreifaches Sieg-Heil" endete. Er hat nicht
behauptet, daß diese Rede seine damalige Meinung nicht wiedergebe. Nach der
Besetzung des Sudetenlandes hat er die Währungsumwandlung durchgeführt und für
die Einverleibung der örtlichen tschechischen Notenbanken in die Reichsbank
gesorgt. Am 29. November 1938 hielt er eine Rede, in der er mit Stolz auf
seine Wirtschaftspolitik hinwies, die den hohen Grad der deutschen Rüstung
ermöglicht habe und fügte hinzu, daß diese Aufrüstung die deutsche Außenpolitik
ermöglicht habe.
Schacht war bei der Planung der nach Anklagepunkt 2 besonders aufgeführten
Angriffskriege nicht beteiligt. Seine Beteiligung an der Besetzung Österreichs
und des Sudetenlandes (die nicht in der Anklage als Angriffskriege aufgeführt
werden) war derartig beschränkt, daß sie nicht als Teilnahme an dem unter
Anklagepunkt 1 genannten gemeinsamen Plan zu bezeichnen ist. Es ist klar
geworden, daß er nicht zu dem inneren Kreis um Hitler gehörte, der am
engsten an diesem gemeinsamen Plan beteiligt war. Er wurde von dieser Gruppe
sogar mit unverhüllter Feindseligkeit betrachtet. Die Aussage Speers zeigt,
daß Schachts Verhaftung am 23. Juli 1944 ebenso sehr auf Hitlers
Feindseligkeit gegenüber Schacht beruhte, die auf dessen Haltung vor dem
Kriege zurückzuführen war, wie auf dem Verdacht seiner Teilnahme an dem
Bombenattentat. Der Tatbestand gegen Schacht hängt demnach von der Annahme
ab, daß Schacht tatsächlich von den Angriffsplänen wußte.
Mit Bezug auf diese außerordentlich wichtige Frage ist Beweismaterial für
die Anklagebehörde vorgelegt worden, sowie eine beträchtliche Menge von
Beweismaterial für die Verteidigung. Der Gerichtshof hat die Gesamtheit
dieses Beweismaterials aufs sorgfältigste erwogen und kommt zu dem Schluß,
daß diese oben erwähnte Annahme nicht über einen vernünftigen Zweifel
hinaus erwiesen worden ist.
Schlußfolgerung
Der Gerichtshof entscheidet, daß Schacht nach dieser Anklage nicht
schuldig ist und ordnet an, ihn durch den Gerichtsmarschall zu entlassen,
sobald der Gerichtshof sich jetzt vertagt.