Aufgabe 3

Verfassungen von Weimar und Bonn

  • “Die Verfassung von Weimar ist nicht im Sonnenglanz des Glücks geboren, sondern im tiefsten Schatten der nationalen Niederlage, des nationalen Unglücks...” (Hugo Preuß)
    Erläutern Sie die historischen Gegebenheiten, die die Aussage des Verfassungsrechtlers rechtfertigen!
  • Entwickeln Sie aus dem Text (Material 7) ein Schema der Weimarer Verfassung und erklären Sie die Kompetenzen der einzelnen Verfassungsorgane!
    Tragen Sie auch im Text nicht genannte Bestandteile der föderativen Ordnung ein!
  • Weisen Sie nach, dass das Verfassungsmodell „strukturelle Schwächen“ aufwies, die einen Anteil am Scheitern der Weimarer Republik hatten!
  • “Es war nicht zuletzt die Erfahrung der Weimarer Republik, die bei den Vätern und Müttern des Grundgesetzes Pate für die neue deutsche Verfassung gestanden hat. Die Konsequenz, die sie aus Weimar gezogen haben, war es, die Demokratie wehrhaft und wertgebunden zu machen.”
    (Ministerpräsident Bernhard Vogel, 31.7.1999)
    Erörtern Sie an Hand von Verfassungsorganen der Bundesrepublik Deutschland diese Feststellung!

Material 7

Das Regierungssystem des Reichs

Nach Artikel I war das Deutsche Reich nunmehr eine »Republik«. Damit hat der Verfassunggeber aus den Ereignissen des Novembers 1918 die Konsequenz gezogen und einer jahrhundertelangen monarchischen Tradition die Absage erteilt. Die Staatsgewalt ging, wie es in dem Artikel ebenfalls heißt, »vom Volke« aus. Dementsprechend waren in der Verfassung auch Volksentscheide aus unterschiedlichem Anlass und in verschiedener Form vorgesehen. Die Einführung des Volksentscheides - auch des Volksbegehrens - zum ersten Mal in einem Großstaat trug der Verfassung den Ruf ein, die »demokratischste« der Welt zu sein. [...]

Sieht man von diesen Bestimmungen ab, die vornehmlich den Konservativen zur Mobilisierung der Massen dienten, so weist die Weimarer Verfassung die Züge eines strikt repräsentativen Regierungssystems auf, in dem das Volk vor allem als Wählerschaft in Erscheinung tritt. Laut Artikel 22 hatte das Volk in »allgemeinen und gleichen« Wahlen den Reichstag zu wählen. Das entsprach der Reichstradition. Anstelle des bisher geltenden Mehrheitswahlrechts hatten aber schon die Volksbeauftragten im November 1918 die Verhältniswahl gesetzt, die allgemein als das »gerechtere«, da die Stimmverteilung unter den Wählern im Parlament genauer widerspiegelnde Wahlrecht galt. Wahlberechtigt waren alle Bürger über 20 Jahre (also noch vor Erreichung der Mündigkeit) inklusive - und das war ebenfalls revolutionär - der Frauen.

Der Reichstag wurde auf vier Jahre gewählt. Die Abgeordneten besaßen ein freies Mandat und genossen Immunität. [...]

Auch die Funktionen des Reichstags entsprachen den üblichen parlamentarischen. Nach wie vor stand die Gesetzgebung im Mittelpunkt (Art. 68 Abs. 2). Im Gegensatz zum Kaiserreich besaß das föderative Organ des Reichs, der Reichsrat, der an die Stelle des alten Bundesrats getreten war, gegenüber den Gesetzgebungsbeschlüssen der Volksvertretung nur noch ein suspensives Veto (Art. 74). Beachtlich war außerdem der Versuch, die parlamentarische Kontrolle zu stärken: Anders als sein Vorgänger in der alten Reichsverfassung hatte nunmehr der Reichstag über Krieg und Frieden zu beschließen (Art. 85 Abs. 1), und er konnte Untersuchungsausschüsse einsetzen (Artikel 34). [...]

Nach Artikel 54 war die Reichsregierung vom Vertrauen des Reichstags abhängig - eine Neuerung, die schon die Reform der alten Reichsverfassung noch vor dem Kriegsende im Oktober 1918 eingeführt und die die Nationalversammlung auch für die vorläufige Regierung im Februar 1918 übernommen hatte. Welche Bedeutung man ihr zumaß, zeigt, dass die Verfassung in Artikel 18 eine entsprechende Regelung ausdrücklich auch für die Länder vorschrieb.

Überblickt man die den Reichstag betreffenden Bestimmungen, so erhält man den Eindruck, dass er das zentrale, die grundsätzlichen Entscheidungen im Reich fällende Organ sein sollte - im Gegensatz zur alten Reichsverfassung, die die Funktion des Bundesrats betont hatte. Um so merkwürdiger mutet es daher aus heutiger Sicht an, dass die Verfassung dem Reichstag im folgenden dritten Abschnitt einen Reichspräsidenten gegenüberstellte, welcher - anders als der Bundespräsident nach dem Grundgesetz - nicht nur repräsentative Aufgaben zugeteilt erhielt, sondern von Anfang an bewusst als »Gegengewicht« zum Parlament konstruiert war. Auch er wurde vom Volk gewählt ( Art. 41), und zwar auf sieben Jahre. Außer den mehr repräsentativen Aufgaben eines Staatsoberhauptes besaß er eine starke Position dadurch, dass ihn die Verfassung zum Herrn der Exekutive gemacht hatte: Ihm oblag die Ernennung und Entlassung der Reichsregierung (Art. 53) ebenso wie die der Reichsbeamten und der Offiziere (Art. 46). Er übte den militärischen Oberbefehl über die Wehrmacht aus (Art. 47) und vertrat das Reich nach außen (Art. 45). Schließlich war der Reichspräsident auch der Herr über den Ausnahmezustand: Bei einer erheblichen Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hatte er die zu ihrer Wiederherstellung nötigen Maßnahmen zu treffen; so konnte er bestimmte Grundrechte außer Kraft setzen, Notverordnungen mit Gesetzescharakter erlassen und mit militärischer Gewalt einschreiten (vgl. Art. 48 Abs. 2 - sogenannte Diktaturgewalt). Gegenüber dem Reichstag stand dem Reichspräsidenten das Recht zur Parlamentsauflösung zu (Art. 25 - wenn auch nur »einmal aus dem gleichen Anlass«); Gesetze des Reichstags konnte er sistieren und dem Volk zur Entscheidung vorlegen (Art. 73 Abs. 1).

Das war eine erstaunliche Fülle von Befugnissen, die aber wiederum in eigenartiger Weise mit den Rechten anderer Verfassungsorgane verschränkt waren. [...]

Man hat den Reichspräsidenten zwar oft geringer eingestuft als den Präsidenten der USA, weil er nicht frei über seine Mitarbeiter verfügen konnte, doch gilt es zu bedenken, dass - anders als der US-Präsident - der Reichspräsident das Recht zur Parlamentsauflösung und die Diktaturgewalt des Artikels 48 besaß - zwei wichtige Befugnisse, die dem amerikanischen Präsidenten fehlen. Mit dem Recht, die Regierung zu ernennen und zu entlassen (Art. 53), mit der Diktaturgewalt (Art. 48) und der Befugnis zur Parlamentsauflösung (Art. 25), mit der er dem Misstrauensvotum des Reichstags gegen eine Regierung zuvorkommen und das parlamentarische Verlangen nach einer Aufhebung seiner Diktaturmaßnahmen (vgl. Art. 48 Abs. 3) parieren konnte, verfügte er über eine Kombination von Befugnissen, die sich zu einer Präsidialregierung eigener Art ausbauen ließ, wie die Zukunft lehren sollte.

[...] - am Ende standen sich in der Verfassung Reichspräsident und Reichstag gegenüber, beide vom Volk gewählt und damit von gleicher demokratischer Dignität(1). Zwischen ihnen stand die Reichsregierung als »Bindeglied«, wie Preuß sagte, abhängig von beiden Seiten, ein kollegiales Organ mit einem Reichskanzler an der Spitze, der insofern die Bismarcksche Tradition fortsetzte, als er die »Richtlinien der Politik« bestimmen sollte, in deren Rahmen die Reichsminister ihre Ressorts jetzt aber unter eigener Verantwortung verwalteten (Art. 56). Das Ganze war ein duales System, in dem bewusst Präsident und Parlament, aber auch Präsident und Kanzler in eigenartiger Weise aufeinander bezogen und zugleich gegenübergesetzt waren, vergleichbar am ehesten der Konstruktion des Regierungssystems in der V. Französischen Republik.

(1) Amtswürde

Aus: Boldt, H., Die Weimarer Reichsverfassung, In: Bracher/Funke/Jacobsen, Die Weimarer Republik 1918 - 1933, Droste Verlag, Bonn 1987, S. 51ff.