Erklärungen des Zentrums und der SPD zu dem
Vorschlag des Reichstagspräsidiums, den Fürsten Bismarck zum 80.
Geburtstag zu beglückwünschen, vom 23. März 1895
Material A: Zentrum (Abg. Graf Hompesch)
"Die beantragte Beglückwünschung des Fürsten
Bismarck seitens des Reichstags gilt der politischen Persönlichkeit, ist
ein politischer Akt, um so mehr, als schon seit Wochen einen
desfallsigen Schritt des Reichstags die Eigenschaft ganz besonderer
Ehrung des Staatsmannes als solchem beigemessen wurde. Das Zentrum kann
sich an einer unterschiedslosen Billigung der Grundsätze, nach denen
Fürst Bismarck die deutsche und preußische Politik geleitet hat und
heute noch zu beeinflussen bestrebt scheint, und einer unterschiedslosen
Billigung zahlreicher einstigen Angelegenheiten und Handlungen, in denen
diese Grundsätze Ausdruck fanden, nicht beteiligen. Das Zentrum könnte
ebensowenig dem Verdienst1
einer solchen Billigung entgehen, wenn es den Vorschlag eines
Reichsglückwunsches ohne alle Widerspruch ließe, denn Fürst Bismarck ist
ein untrennbares Ganzes. Die Rücksichten und Möglichkeiten, die vor zehn
Jahren walteten, fallen augenblicklich, da Fürst Bismarck nicht mehr im
Amte ist, gänzlich fort. Nicht minder können Ehrenbezeugungen, die
aktiven Reichstagsmitgliedern erwiesen wurden, hier wieder in Betracht
kommen. So sind wir zu unserem Bedaueren außer stande, einem Glückwunsch
von seiten des Reichstags zuzustimmen; wir verzichten jedoch auf die
Ausführung derjenigen Gründe, die es uns im einzelnen unmöglich machen,
in die vielseitigen Kundgebungen einzustimmen, um nicht durch Streiten
über Persönlichkeiten die großen Schwierigkeiten der allgemeinen Lage zu
erhöhen."
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1Gemeint ist: dem Vorwurf
einer solchen Billigung. |
Material B: Sozialdemokratische Partei
(Abg. Singer)
"Wir haben keine Veranlassung, uns an einer
Kundgebung zu beteiligen, die [...] zum ausschließlichen Vorteil der
besitzenden Klasse erfolgt. Zoll- und Steuerpolitik hat schwere
Schädigungen über das deutsche Volk gebracht und in ihren unheilvollen
Wirkungen der Arbeiterklasse die notwendigsten Lebensmittel verteuert.
Fürst Bismarck hat stets nur die Politik der Sonderinteressen und der
nationalen und internationalen Gegensätzlichkeiten betrieben; er hat
seine Gegner, insbesondere die sozialdemokratische Partei, bis zur
Ächtung mit Ausnahmegesetzen verfolgt und vergewaltigt. Er besitzt daher
keinen Anspruch auf den Dank und die Anerkennung des gerade von ihm so
oft mit Hohn behandelten Reichstages. Als Vertreter der stärksten
politischen Partei Deutschlands lehnen wir den Vorschlag des Herrn
Präsidenten ab."
Zitiert nach: Hohlfeld, Johannes
(Hrsg.): Deutsche Reichsgeschichte in Dokumenten
1849-1926. 1. Halbband. Berlin 1927. S. 293 - 295
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