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Geschichte

als Grundkursfach

Arbeitszeit: 180 Minuten, Einlesezeit: 30 Minuten

Hilfsmittel: keine

Der Prüfungsteilnehmer wählt von den Aufgaben 1, 2 und 3 eine zur Bearbeitung aus.

Aufgabe 1

Die Soziale Frage im 19. Jahrhundert - Lösungsversuche

  • Beschreiben Sie den Verlauf der Industriellen Revolution in Europa!
  • Ermitteln Sie aus Material 1 die Auffassungen des Autors über gesellschaftliche Auswirkungen der Industriellen Revolution! Beurteilen Sie die Berechtigung seiner Aussagen!
  • Stellen Sie in einer Übersicht Versuche zur Lösung der Sozialen Frage dar, und ermitteln Sie deren Zielstellung! Verwenden Sie auch die Materialien 2 bis 5!
  • Erörtern Sie Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Sozialmaßnahmen im 19. und 20. Jahrhundert!

Material 1

Heinrich Herkner: Die Auflösung der Familie
Wenn infolge langer Arbeitszeit der Vater die Wohnung verläßt, ehe die Kinder aufwachen, und er sie erst wieder betritt, nachdem die Kleinen bereits zur Ruhe gegangen sind; wenn sogar die Mutter in derselben Weise von der Fabrik in Anspruch genommen wird; wenn wegen der weiten Entfernung der Arbeitsstätte auch die Mahlzeiten der Eltern in der Fabrik, oder einer ihr nahe gelegenen Wirtschaft stattfinden; wenn die unerschwingliche Höhe der Miete dazu verleitet, fremde Personen als Schlafgänger aufzunehmen; wenn Kinder von 9 - 12 Jahren bereits ihren Unterhalt verdienen, vielleicht sogar mehr, als sie selbst brauchen, ihren Eltern einbringen; wenn sie sich deshalb - und in vielen Fällen gewiß nicht mit Unrecht - für Ausbeutungsobjekte ihrer Eltern ansehen, diese verlassen und bei Fremden ein ungebundenes Leben führen wollen: dann ist die Grundlage unseres gesamten gesellschaftlichen Daseins, die Familie, von einer Zerrüttung und Zerstörung bedroht, der gegenüber alle anderen Schädigungen des Fabriksystems in den Schatten gestellt werden. Und die genannten Voraussetzungen traten, wenigstens in den Fabrikstädten, fast überall in Kraft. Es hätte Übermenschliches leisten heißen, wenn Frauen, die sich als Mädchen lediglich mit Fabrikarbeit beschäftigt und deshalb in Haushaltungsgeschäften keine Erfahrung gewonnen hatten, später als Gattinnen und Mütter, ungeachtet der eigenen Arbeit in der Fabrik, auch noch imstande gewesen wären, ein leidlich geordnetes Hauswesen aufrecht zu erhalten.

Aus: Quellen und Arbeitshefte für den Geschichtsunterricht, "Industrielle Revolution", Ernst Klett Verlag Stuttgart 1958, S. 25

Material 2

Ernst Abbe: Aus dem Statut der Carl-Zeiss-Stiftung zu Jena (1896)
Die Zwecke der Stiftung sind:

§ 56
Bei Anstellung der Beamten der Stiftung und der Stiftungsbetriebe, der Geschäftsgehilfen und Arbeiter muß jederzeit ohne Ansehen der Abstammung, des Bekenntnisses und der Parteistellung verfahren werden.
Die Fortsetzung der eingegangenen Anstellungs- und Arbeitsverträge , sowie die Beförderung der Angestellten und Arbeiter in Hinsicht auf Funktion und Entlohnung darf nur von ihren Fähigkeiten und Leistungen, der Pflichtmäßigkeit ihres dienstlichen Verhaltens und von Rücksichten auf andere wesentliche Interessen des Betriebes abhängig gemacht werden, vom außerdienstlichen Verhalten aber nur insoweit, als dasselbe die Erfüllung ihrer Dienstpflicht oder ihr persönliches Ansehen in Rücksicht auf bürgerliche Ehre und gute Sitte berührt.
§ 63
Die Krankenkasse der Stiftungsbetriebe soll auch in Zukunft der Selbstverwaltung der Versicherten [...] unterstellt bleiben.
§ 64
Arbeitervertretungen in den Stiftungsbetrieben, welchen Befugnisse zustehen sollen gegenüber der Gesamtheit einer Arbeiterschaft oder einem nicht nur auf Lehrlinge und unter achtzehn Jahre alte Personen beschränkten Kreis derselben oder gegenüber der Geschäftsleitung des Betriebes, müssen gänzlich aus direkter geheimer Wahl seitens der sämtlichen über achtzehn Jahre alte Betriebsangehörigen hervorgehen, von Jahr zu Jahr gänzlicher Erneuerung unterliegen und aus nicht weniger als zwölf Mitgliedern bestehen.
Sie sind befugt, auch ohne Einberufung durch die Geschäftsleitung ihres Betriebes zusammenzutreten und haben das Recht, in allen Angelegenheiten ihres Betriebes auf ihren Antrag von dieser Geschäftsleitung gehört zu werden.
§ 70
Arbeiter und Geschäftsgehilfen, welche über einundzwanzig Jahre alt und seit mindestens einem Jahr im Dienst von Stiftungsbetrieben gewesen sind, ist für jährlich sechs Arbeitstage vereinbarungsgemäß nach § 62 Abs. 1 erteilten Urlaubs der feste Zeitlohn fortzugewähren.
§ 71
Die Krankenkasse der Stiftungsbetriebe darf auch in Zukunft den Versicherten nicht weniger bieten, als volle Kassenleistung für ein halbes Jahr;
drei Viertel des versicherungsfähigen Lohnes als Krankengeld;
Mitversicherung der nächsten Familienmitglieder;
freie Wahl des Arztes unter den approbierten Ärzten des Wohnortes;
Beitragsleistungen der Betriebsinhaber gleich dem Gesamtbeitrag aller Versicherten im Jahr.

Aus: Geschichte ganz groß!, Akademiebericht 257, Akademie für Lehrerfortbildung Dillingen/Donau 1994, S. 106 f.

Material 3

Der Mainzer Bischof Wilhelm von Ketteler in seiner Schrift
"Die Arbeiterfrage und das Christentum" (1864)

Die Arbeiterfrage ist in ihrem Wesen eine Arbeiterernährungsfrage. Die Arbeiterfrage hat daher eine ganz andere Bedeutung als alle sogenannten politischen Fragen. Das, was diese Massen des Volkes, was diese Arbeiter und Arbeiterfamilien vom Morgen bis zum Abend denken, sagen und empfinden, was sie und ihr Leben wahrhaft angeht, was ihre wesentlichsten Lebensbedürfnisse verbessert und verschlechtert, wird in Wahrheit in allen politischen Tagesfragen kaum berührt. Eine Ausnahme findet nur statt, wenn die Arbeiter von den politischen Parteien als Mittel für ihre Zwecke in die politischen Bewegungen hineingezogen werden.

Nach: Schulz, U. (Hrsg.), Die deutsche Arbeiterbewegung 1848 - 1919 in Augenzeugenberichten, München 1976, S. 130

Material 4

Marx und Engels im "Manifest der Kommunistischen Partei"
Die Kommunisten erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch einen gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer Kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!

Aus: Marx, K., Das Manifest der Kommunistischen Partei, MEW Band 4, Berlin 1994, S. 493

Material 5

Lasalle am 1. März 1863 in seinem "Offenen Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses"
Den Arbeiterstand zu seinem eigenen Unternehmer machen - das ist das Mittel, durch welches jenes eherne und grausame Gesetz beseitigt sein würde, das den Arbeitslohn bestimmt. Die Aufhebung des Unternehmergewinns in der friedlichsten, legalsten und einfachsten Weise, indem sich der Arbeiterstand durch freiwillige Assoziationen als sein eigener Unternehmer organisiert, das ist die einzige nicht illusionäre Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes. Es ist deshalb Aufgabe des Staates, die Assoziation des Arbeiterstandes fördernd in seine Hand zu nehmen. Wie aber den Staat zu dieser Intervention bewegen? Das wird nur durch das allgemeine und direkte Wahlrecht möglich sein.

Aus: Lassalle, F., Reden und Schriften, Bd. 3, hrsg. v. Bernstein, E., Berlin 1919, S. 70 f.