Abituraufgabe Thüringen

Von der Demokratie zur Diktatur

  • Erläutern Sie wirtschaftliche und politische Probleme, die zum Scheitern der Weimarer Republik führten!
  • Legen Sie dar, welche Ursachen für die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten in den Materialien 8 bis 11 genannt werden! Beurteilen Sie diese Darstellungen!
  • Beschreiben Sie die Etablierung des nationalsozialisten Regimes bis zum August 1934!
  • "Die deutsche Regierung wünscht, sich über alle schwierigen Fragen politischer und wirtschaftlicher Natur mit den anderen Nationen friedlich und vertraglich auseinanderzusetzen". (Hitler, Reichstagsrede, 17. Mai 1933) Diskutieren Sie den Realitätsgehalt dieser Aussage im Hinblick auf die praktische Politik Hitlers in der Folgezeit!

Material 8

Fest (1973):
Als "Wunder", auch als "Märchen", ist die sogenannte Machtergreifung von den Nationalsozialisten alsbald lautstark gefeiert worden, und Wortgebilde aus der magischen Sphäre haben den Propagandaspezialisten des Regimes mit Vorliebe dazu gedient, dem Vorgang die Aura übernatürlicher Weihe zu verschaffen. Hitler selber hat am 30. Januar einem Anhänger anvertraut, er sei nur durch göttliche Fügung gerettet worden, "als ich im Angesicht des Hafens zu scheitern schien, erstickt unter den Intrigen, den finanziellen Schwierigkeiten, unter dem Gewicht von zwölf Millionen Menschen, die hin und her wogten". Solche Formeln konnten um so eher auf Widerhall rechnen, als dem Geschehen unstreitig etwas eigentümlich Versetztes, kaum Glaubliches anhaftete: auf der politischen Ebene als der plötzliche Schritt von der nahezu parteisprengenden Krise ins Zimmer des Präsidenten, und im individuellen Bereich der Sprung aus trübseligen Anfängen, aus Lethargie und Heruntergekommenheit, an die Macht - in der Tat: "Märchenzüge sind darin erkenntlich, wenn auch verhunzt".

Aus: Zeiten und Menschen, Ausgabe G/2, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1983, S. 322 f.

Material 9

Dahrendorf (1966):
Der Grund für diesen Erfolg läßt sich negativ durch die fehlende Resistenz der Menschen fast aller Gruppen und Schichten gegen antidemokratische Formen beschreiben. Nahezu jeder Vorschlag einer andersartigen Verfassung mußte den verworfenen Strukturen der Gesellschaft besser entsprechen als die politische Demokratie. Weil also der neue illiberale Radikalismus der Nationalsozialisten nicht auf den Boden einer liberalen, sondern auf den einer selbst illiberalen, nämlich autoritären Tradition fiel, fand er in Deutschland den Weg zur Macht, der ihm in liberalen Ländern verwehrt blieb. Wenden wir uns von den Patienten zu den Akteuren dieser Entwicklung, so zeichnet sich dasselbe Bild ab. In Deutschland konnte die nationalsozialistische Führungsclique sich mit einer anderen antidemokratischen und aktivistischen Elite, nämlich den autoritären Traditionsgruppen verbinden und durch die Verbindung jene Macht gewinnen, die die Beseitigung der Weimarer Verfassung erlaubte. Eine liberale Elite, die solche Entwicklungen hätte aufhalten können, gab es nicht.

Aus: ebenda, S. 323

Material 10

Bracher (1969):
Unsere einleitende Betrachtung ist damit bei der Frage angelangt, welche besonderen Umstände erst den Aufstieg des Nationalsozialismus ermöglicht haben. Zu den Entartungserscheinungen deutscher Politik seit dem 19. Jahrhundert mußten noch die fatale Ausgangssituation der Weimarer Republik und ihre krisenreiche Entwicklung kommen. Die Demokratie von 1918 wurde für die Erbschaft des verlorenen Krieges verantwortlich gemacht, die sie dem Kaiserreich dankte. Sie erschien als willkommener Sündenbock und Haßobjekt sowohl für die restaurativen und reaktionären Kräfte in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft wie für die in militanten Freikorps, völkisch antisemitischen Sekten und paramilitärischen Gruppen formierten revolutionären Diktaturbewegungen. Das "rote Gespenst" eines bolschewistischen Umsturzes tat ein übriges, um Armee und Bürokratie, Bürgertum und Wirtschaft anfällig für solche Bestrebungen zu machen. Die demokratischen Kräfte ließen ihre Gegner mit der Toleranz des liberalen Rechtsstaates gewähren. Sie mußten überdies mit einem vom obrigkeitlichen Verwaltungsrat geprägten Autoritätsbedürfnis rechnen, das sich in schweren Strukturproblemen der Republik manifestierte.

Aus: ebenda, S. 323 f.

Material 11

Haffner (1978):
Hitler ist keineswegs so leicht als extrem rechts im politischen Spektrum einzuordnen, wie es viele Leute heute zu tun gewohnt sind. Er war natürlich kein Demokrat, aber er war ein Populist: ein Mann, der seine Macht auf Massen stützte, nicht auf Elite; in gewissem Sinne ein zu absoluter Macht gelangter Volkstribun. Sein wichtigstes Herrschaftsmittel war Demagogie, und sein Herrschaftsinstrument war keine gegliederte Hierarchie, sondern ein chaotisches Bündel unkoordinierter nur durch seine Person an der Spitze zusammengehaltener Massenorganisationen. Alles eher "linke" als "rechte" Züge.
Offensichtlich steht Hitler in der Reihe der Diktatoren des zwanzigsten Jahrhunderts irgendwo zwischen Mussolini und Stalin - und zwar, bei genauerem Hinsehen, näher bei Stalin als bei Mussolini. Nichts ist irreführender, als Hitler einen Faschisten zu nennen. Faschismus ist Oberklassenherrschaft, abgestützt durch künstlich erzeugte Massenbegeisterung. Hitler hat wohl Massen begeistert, aber nie, um dadurch eine Oberklasse abzustützen. Er war kein Klassenpolitiker, und sein Nationalsozialismus war alles andere als ein Faschismus.

Aus: ebenda, S. 324