Abitur Thüringen Beispiel

Aufgabe 2

Persönlichkeiten in der Geschichte

  • Fassen Sie die Hauptaussagen zum Wirken Bismarcks aus den Materialien 3 bis 5 zusammen und vergleichen Sie die Standpunkte der Autoren!
  • In Material 5 wird für die Zeit nach 1871 von einer „maßvollen Außenpolitik“ (Zeile 5) und von „diplomatischer Kunstfertigkeit“ (Zeile 9/10) Bismarcks gesprochen. Überprüfen Sie, inwieweit diese Feststellungen gerechtfertigt sind!
  • Wählen Sie zwei weitere Persönlichkeiten aus der Geschichte und erörtern Sie, wie diese ihre Zeit prägten!
  • Formulieren Sie die Erkenntnis, zu der Brecht in Material 6 gelangt und setzen Sie sich mit der Auffassung des Dichters auseinander!

Material 3

Aus einem Geschichtslehrbuch 1922

Die Gründung und der Aufbau des neuen Deutschen Reichs werden das Werk Bismarcks genannt. Man kann und darf so sagen. Wir haben nun im Verlaufe unserer Unterredungen erfahren, wie außer diesem großen Staatsmanne auch andere Kräfte wirksam waren, ohne deren Hilfe es Bismarck nicht möglich gewesen wäre, das Große zu vollbringen. Der Gedanke des Zusammenschlusses der deutschen Staaten zum Reich kam tief aus der Volksseele her. Bismarck hat die deutsche Sehnsucht, wie sie in der Zeit von 1815 bis 1849 die Gemüter so mächtig ergriffen hatte, wieder lebendig gemacht. Und der Ausbau und die Entfaltung des Reichs wurden in Wirklichkeit doch durchgeführt von Männern, die in ihrem besonderen Berufe Größen waren. Bismarcks Bedeutung liegt darin, für die einzelnen Arbeiten immer die richtigen Bahnbrecher erkannt und in den Dienst gestellt zu haben. Er war der große Anreger, der Leiter der Entwicklung in seiner Zeit. Zu manchen Maßnahmen empfing er selbst erst die Anregung von außen her, von Bewegungen und Kräften, die im Volk lebendig geworden waren. [...]

Aber doch sammelt sich alles, was zur Durchführung der Reichseinigung und zum Ausbau der inneren Einheit geschah, um seine große Persönlichkeit, um seinen zielstrebigen, unbeugsamen, eisernen Willen. Was er einmal als gut und richtig erkannt hatte, führte er selbst gegen größte Widerstände durch (Verfassungskrise in Preußen). Er kannte nur einen Willen, seinen eigenen. Man nennt ihn darum den eisernen Kanzler.

Aus: Reiniger, M., Der Geschichtsunterricht. Methodisches Handbuch zur deutschen Volks- und Kulturgeschichte, Dritter Teil, Verlag Julius Beltz, Langensalza 1922, S. 135

Material 4 Lenin über die Einigung Deutschlands von 1871

Die Arbeiter Deutschlands waren damals zu schwach. Daher konnten Bismarck und die preußischen Liberalen zur Hälfte siegen. Wären die Arbeiter Deutschlands stärker gewesen, hätte Bismarck zu einem Viertel gesiegt. Wären sie noch stärker gewesen, hätte Bismarck überhaupt nicht gesiegt. Deutschland hat Freiheiten erhalten, trotz Bismarck, trotz der Liberalen, nur dank dem nachdrücklichen und hartnäckigen Streben der Arbeiter (teilweise, aber zu sehr geringem Teil, auch in der kleinbürgerlichen Demokratie) nach vollständiger Demokratisierung.

Aus: Geschichte. Lehrbuch für die Abiturstufe, Teil 1, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1990, S. 112

Material 5

Aus einem Geschichtslehrbuch von 1995

Im Gegensatz zur Innenpolitik konnte Bismarck hinsichtlich der Außenpolitik des Deutschen Reiches als erfolgreicher Politiker gelten. Nach der äußerst riskanten Außenpolitik, die in der Reichsgründung gemündet hatte, konsolidierte er nach 1871 das Reich im europäischen Großmachtsystem. Durch eine maßvolle Außenpolitik vermittelte er die Überzeugung, daß Deutschland nunmehr, d. h. nach den sogenannten Einigungskriegen, "saturiert" (= gesättigt) sei. Es gelang Bismarck, eine Zweifronten-Bedrohung Deutschlands zu vermeiden, Krisen zu bewältigen und somit Kriege zu verhindern.

Die Bilanz der Politik Bismarcks ist durchaus zwiespältig. Seine diplomatische Kunstfertigkeit wird heute weitgehend gewürdigt. In bezug auf die Innenpolitik erkennt man den Ausbau des Reiches zu einer Wirtschafts- und Rechtseinheit an. Aber der Aufstieg des Deutschen Reiches zu einer Wirtschaftsmacht ging nicht einher mit einer angemessenen politischen Modernisierung. Dies zeigte sich z.B. dadurch, daß Bismarck die Arbeiterbewegung unterdrücken ließ. Sein Staatsverständnis war letztlich auch gegen Liberalismus und Demokratie gerichtet. Zwar setzte er das gleiche Wahlrecht (für Männer) bei Reichstagswahlen durch, aber das war ein strategischer Schachzug und geschah lediglich zur Festigung der Reichseinheit. Der Parlamentarismus blieb ihm immer nur ein notwendiges Übel.

Bismarck repräsentiert heute den deutschen Obrigkeitsstaat. Historische Größe wird man ihm kaum absprechen können, aber im Hinblick auf die Bildung einer demokratischen Tradition in Deutschland ist sein Wirken eher ein Unglück gewesen.

Aus: Bahr/Zapf/Rumpf, Grundkurs Geschichte, Band 2, Winklers Verlag Gebrüder Grimm, Darmstadt 1995, S. 265

Material 6

Bertolt Brecht

Fragen eines lesenden Arbeiters

Wer baute das siebentorige Theben?
In den Büchern stehen die Namen von Königen.
Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?
Und das mehrmals zerstörte Babylon -
Wer baute es so viele Male auf? In welchen Häusern
Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?
Wohin gingen an dem Abend, wo die Chinesische Mauer fertig war,
Die Maurer? Das große Rom
Ist voll von Triumphbögen. Wer errichtete Sie? Über wen
Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz
Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis
Brüllten in der Nacht, wo das Meer es verschlang,
Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.
Der junge Alexander eroberte Indien.
Er allein?
Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?
Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte
Untergegangen war. Weinte sonst niemand?
Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg.
Wer siegte außer ihm?
Jede Seite ein Sieg.
Wer kochte den Siegesschmauß?
Alle zehn Jahre ein großer Mann.
Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte.
So viele Fragen.

Aus: Engelmann, B., Wir Untertanen. Ein deutsches Geschichtsbuch, Steidl Verlag, Göttingen 1993, S. 9´