1803

Saekularisation

 

Säkularisation - Was ist das?

Unter dem Begriff "Säkularisation" versteht man allgemein die Überführung kirchlichen Besitzes in weltliche Hände. Solche Eingriffe gab es seit dem Mittelalter, vor allem in der Reformationszeit. Die umfassendste Säkularisation - der sich auch die Ausstellung widmet - fand jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts statt, als beinahe alle geistlichen Reichsstände ausgelöscht wurden. Damals wechselten annähernd 95.000km2 Land und über 3 Millionen Bewohner ihren Besitzer; ein Vorgang, der das Deutsche Reich in seinen Grundfesten erschütterte.
Die Säkularisation ist ein Kind der Französischen Revolution. Frankreich hatte die französische Ostgrenze in den Revolutionskriegen bis an den Rhein vorgeschoben und damit zahlreiche deutsche Fürsten um ihre linksrheinischen Besitztümer gebracht. Als "Entschädigung" für diese Verluste erhielten sie geistliche Länder und Reichsstädte. Für die bedeutenderen Fürstentümer war diese Entwicklung ein Segen: In Baden vervierfachte sich die Fläche des Herrschaftsgebietes während sich die Einwohnerzahl verfünffachte. Württemberg konnte seine Fläche und Einwohnerzahl immerhin verdoppeln.
Die Entwicklungen im Gefolge der Säkularisation krempelten das deutsche Reich völlig um. Durch die Säkularisation und die nachfolgende "Mediatisierung" (Unterstellung und Einverleibung ehemals reichsunmittelbarer Gebiete durch die weiter bestehenden Landesfürstentümer) erfuhr die deutsche Landkarte eine deutliche Bereinigung. Schließlich führten diese Vorgänge auch zum Zusammenbruch der in fast tausend Jahren gewachsenen Staatsordnung: Mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. fand das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation" 1806 sein Ende.

 

 


Südwestdeutschland vor und nach der Säkularisation - 1803 stellt eine Flurbereinigung der mittelalterlichen Landkarte dar
Baden und Württemberg vor 1796 und nach 1806
Abbildung: W. Alber, E. Frahm u. M. Waßner, Baden-Württemberg. Kultur und Geschichte in Bildern, Theiss-Verlag Stuttgart 1999

Ignaz Speckle
(1754-1824)

zur Praxis der Säkularisation und der Mediatisierung

Beispielhafte Schicksale


 

 

“Wir konnten nichts tun. Wir überließen die Sache der Vorsehung (vielleicht doch zu untätig). Viele verzweifelten und wollten nirgends eine Hoffnung sehen. Ich war für mich selbst rat- und hilflos. Ich wusste nichts mehr zu versuchen, keine Wege, keine Patrone, welche tätig hätten sein können oder wollen“. Der Tagebucheintrag des letzten Abtes der Benediktinerabtei St. Peter im Schwarzwald, Ignaz Speckles, am 19. November 1806 spiegelt deutlich die Ohnmacht der Ordensleute gegenüber den Vorgängen der Säkularisation. Bereits einen Tag später wird das Kloster für aufgehoben erklärt.

Ignaz Speckle führte von 1795, dem Jahr seiner Abtswahl, bis 1819 ein Tagebuch, in dem er sich als umsichtiger Vorsteher seines Klosters und kritischer Beobachter der politischen Ereignisse erweist. Bereits 1797 rechnet er mit dem Schlimmsten, und spätestens 1802 ist er sicher: „Bald werden keine Klöster mehr sein“. Dennoch kann er nichts gegen die Aufhebung unternehmen. Da sowohl der Herzog von Modena, als auch der Malteserorden, Württemberg und Baden Besitzansprüche auf den Breisgau bzw. dessen Klöster erheben, verzögert sich die Säkularisation der Abtei bis zur Besitznahme durch Baden 1806. Bis 1813 wird dem Abt gestattet, in der Abtei zu wohnen. Als dort ein Militärlazarett eingerichtet wird, übersiedelt Speckle nach Freiburg. Bis zu seinem Tod am 15. April 1824 versucht er in Bittgesuchen, unter anderem an den Papst und an den badischen Großherzog, die Wiederherstellung der Klöster im Breisgau zu erreichen – ohne Erfolg.

Amalie Zephyrine von Hohenzollern
(1760-1841)

Unmittelbar mit Säkularisation und Mediatisierung konfrontiert waren auch die deutschen Fürstenhäuser. Während zahlreiche Kleinterritorien von der politischen Landkarte gefegt wurden, profitierten die Häuser Baden, Württemberg und Hohenzollern von den territorialen Umwälzungen.

Am Überleben Hohenzollern-Hechingens und Hohenzollern-Sigmarigens war eine politisch geschickte, unkonventionelle Adlige maßgeblich beteiligt: Amalie Zephyrine von Hohenzollern rettete das Fürstenhaus durch ihre guten Verbindungen zur napoleonischen Führungsschicht vor der Flurbereinigung und sicherte sein Überleben als souveräner Staat.

Am Anfang dieser „Erfolgsgeschichte“ steht allerdings eine (räumliche) Trennung: 1782 wird die geborene Fürstin von Salm-Kyrburg Amalie Zephyrine mit dem Sigmaringer Erbprinz Anton Aloys vermählt. Eine Liebeshochzeit ist es nicht, die Vermählung stabilisiert die seit einem Jahr bestehende dynastische Verbindung der beiden süddeutschen Fürstenhäuser Hohenzollern-Sigmaringen und Salm-Kyrburg. Die an ein luxuriöses Leben gewöhnte Amalie Zephyrine kommt im - von provinzieller Bescheidenheit geprägten - Hause ihres Mannes nicht zurecht. Nach der Geburt des sigmaringschen Stammhalters Karl „flieht“ sie zu ihrem Bruder nach Paris. Dort beginnt sie eine Liäson mit dem Vicomte de Beauharnais, aber auch mit dessen Frau und Kindern verbindet sie in den Wirren der Revolution ein enger Kontakt. Während Liebhaber und Bruder Opfer der Guillotine werden, hat die Bekanntschaft mit Josephine, der späteren Frau Napoleons, Bestand.

1798 nimmt Amalie Zephyrine erneut Kontakt zu ihrer hohenzollerischen Familie auf. Ihr Sohn rückt ins Zentrum des Interesses. Um ihn wiedersehen und selbst nach Deutschland zurückkehren zu können, wird sie politisch aktiv. Die Frau, deren Bruder von ihr behauptet hat, sie wisse „keinen Unterschied zwischen der Pfalz und Westfalen zu machen, sie weiß nicht, was ein Land ist, wo Stände sind, sie kennt den Charakter von den Preußen nicht“, diese politisch unerfahrene Frau nutzt den Kontakt zur französischen Staatsführung gezielt für die eigenen Interessen. Amalie Zephyrine interveniert bei hochrangigen Vertretern des napoleonischen Kaiserreichs - wie Außenminister Talleyrand oder Napoleon selbst - und tritt selbstbewusst auf den Friedenskongressen auf. So bleiben Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmarinen von der Flurbereinigung verschont oder Annexionen werden – wie im Falle der 1806 bereits Württemberg zugesprochenen Stadt Sigmaringen – rückgängig gemacht.

 

Ludwig Aurbacher (1784 -1847)

Unmittelbar von den Auswirkungen der Säkularisation betroffen war der bekannte Volksschriftsteller Ludwig Aurbacher, Autor der "Sieben Schwaben". 1784 als Sohn eines Nagelschmieds im schwäbischen Türkheim geboren, wuchs er zusammen mit vielen Geschwistern in einem armen, streng religiösen Elternhaus auf. In seinen Lebenserinnerungen berichtet Ludwig Aurbacher ausführlich von seiner Zeit als "Klosterkinde" in Dießen (1793-1796), in München (1796-1797) und in Ottobeuren (1797-1801). Als er 1801 als Novize in das Stift Ottobeuren aufgenommen wurde, schien seiner klösterlichen Laufbahn nichts mehr im Wege zu stehen : "Von Jugend an mit dem Klosterleben als meinem künftigen Berufe vertraut, durch den Wunsch und Willen meiner Eltern (...) dazu bestimmt, von meiner eigenen Neigung (...) darauf angewiesen: konnte ich es nur für das größte Glück schätzen, dass sich mir ein solches fürstlich-ähnliches Stift eröffnete (...)."

Da zerstörte die Säkularisation 1803 den Lebensplan Ludwig Aurbachers: "ehe das Noviziatsjahr verflossen war, ward dem Stifte angekündigt, dass es vermöge des Lüneviller Friedens und des Regensburger Kongresses (1801) an Bayern abgetreten sei (...). So waren wir denn noch bis zum nächsten Frühjahr in Ungewissheit hingehalten, als eines Morgens der Abt uns zu sich beschied und uns einen fürstlichen Befehl vorwies, dass wir gegen Entgelt von 150 Gulden Reisegeld zu entlassen seien. So war denn meines Lebens Plan zerstört, den meine Eltern mit so viel Sorgfalt angelegt und fortgeführt, nach dem meine Neigung und Befähigung sich ausschließlich gerichtet. Ohne alles Vermögen, ohne Empfehlung und Konnexion, ohne alle Welterfahrung bei angeborener Schüchternheit und Bescheidenheit, was sollte ich wählen, wohin mich wenden, was tun?"

Zwar fand er Aufnahme im vorderösterreichischen Kloster Wiblingen bei Ulm, das erst später säkularisiert wurde, aber hier brach er schließlich körperlich und seelisch zusammen. 1804 verließ er das Kloster auf eigenen Wunsch und ging nach Ulm: "Wie ich nun aber überlegte, was ich beginnen, wohin ich mich wenden, welchen Beruf ich wählen, wie ich mich kleiden, ernähren, erhalten sollte, da fiel die Nacht mit ihren schrecklichen Gespenstern neuerdings in mein Herz, und wo ich hinsah, war es dunkel und wüste um mich." Durch die Barmherzigkeit einer Wirtin konnte er sich so lange über Wasser halten, bis er eine Anstellung als Hofmeister und Erzieher fand, die den Grundstein legte für seine spätere Laufbahn als Gelehrter und Schriftsteller.