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Gestern brannten die
Synagogen. Sie brannten in Deutschland. Sie brannten in Österreich. Sie
brannten in der Tschechoslowakei. Bestand Gefahr der Ausdehnung des Feuers,
wurden sie durch Sprengungen zerstört. Die meisten jüdischen Geschäfte
wurden demoliert.
"Meine" Synagoge wurde geplündert.
Feuer oder Sprengung wären wegen des schräg gegenüberliegenden Gaskessels
gefährlich gewesen. Gebetbücher, Thorarollen und Gebetschals lagen zerfetzt
auf der Straße. Das Buch, das die Juden zwei Jahrtausende in der Zerstreuung
zusammenhielt, wurde mit Stiefeln getreten. Die Orgel wird nicht mehr unsere
Lieder am Shabath und an den Feiertagen begleiten. Es wird auch keinen Sabbath,
keine Feiertage und keine Lieder mehr geben. Nur zu Hause, so lange es noch
ein Haus gibt, wird Mutter Freitag abends die Sabbath-Lichter anzünden und
Vater den Segensspruch über das Brot und über den Wein sprechen. "Lechem
min haArez. Bore P'ri haGofen". Und dann wird meine Mutter, wie vorher
auch, das in deutsch gedruckte Gebetbuch zur Hand nehmen und die Kapitel
"Begrüßung des Sabbath" und "Gebet der jüdischen Frau"
still für sich lesen.
Die Gebetbücher, Thorarollen und
Schals aus der Synagoge wurden auf die Straße geworfen. Morgen werden sie
vielleicht aus den Häusern auf die Straße geworfen. Nichts würde sich bei
meiner Mutter ändern. Sie hätte ihre Gebete auch ohne Buch gesprochen.
Offiziell wird die Zerstörungsaktion
der Nazis als spontaner Vergeltungsakt der "kochenden Volksseele"
bezeichnet, als Antwort auf die Ermordung des Botschaftsrates vom Rath durch
den siebzehnjährigen Herschel Grynszpan in Paris. Daß die Volksseele so
gleichmäßig in drei Ländern kochte, war der meisterhaften Organisation der
Verantwortlichen zuzuschreiben.
Ein offener Polizeiwagen fährt vor
unserem Hause vor. Jüdische Männer sitzen auf dem Wagen, bewacht von Schupos
in grüner Uniform. Zwei Schupos kommen die Treppe hoch. Meinem Vater wird
erklärt, er werde in Schutzhaft genommen, damit ihm nichts passiere.
Vermutlich wegen der "kochenden Volksseele". Ich stehe neben der Tür.
"Wie alt ist der Bengel?", ftagt der Schupo. Mein Herz klopft ganz
laut. Hätte Mutter mein Alter genannt, wäre ich ins Gefängnis mitgenommen
worden. Der Schutz kam von der Mutter, nicht von der Schutzpolizei.
Dezember 1938
Die jüdischen Männer sind aus dem
Gefängnis entlassen worden. Sie hatten eine Erklärung zu unterschreiben, daß
sie das deutsche "Reichsgebiet" innerhalb von acht Tagen verlassen
und nie mehr betreten würden. Sie tun es. Mein Vater fährt von Neutitschein
nach Ungarisch-Brod, dem Geburtsort meiner Mutter. Er liegt in Südmähren und
ist durch Comenius bekannt. Der Gestapo müssen wir eine Liste des Umzugsguts
zur Genehmigung vorlegen. Der Möbelwagen ist gepackt. Die Zollbeamten, die
das Packen überwachen, verhalten sich korrekt. Es sind alte Beamte aus dem
Reich, die vermutlich bereits während der Weimarer Republik ihren Dienst
versehen hatten. Marie, unser tschechisches Hausmädchen, weint, als sie von
uns Abschied nimmt. "Man weint doch Juden nicht nach", sagt
Tischlermeister Jirgal, der in unserem Naus wohnt und den Auszug nicht ganz
ohne Schadenfreude beobachtet. In den vergangenen Jahren ist er immer so
freundlich zu uns gewesen, seine Töchter Minna und Hildegard haben mit uns im
Hof gespielt. Vielleicht weint man Juden wirklich nicht nach.
Am 27.Januar 1939 verlassen wir unser
Haus in Neutitschein in der Hoffnung, in dem nicht besetzten Teil der CSR ein
Leben ohne Angst führen zu können. Vater hatte inzwischen in Ungarisch-Brod,
Masarykplatz 165, eine sehr alte Wohnung mit zwei Zimmern und Wohnküche
besorgt. Sie ist für sechs Personen nicht gerade groß, doch wir sind froh,
entkommen zu sein. In der Gewürz und Samenhandlung Rudolf Holz beginne ich
wiederzu arbeiten. Wenige Wochen später erlebe ich zum zweiten Male den
Einmarsch der deutschen Truppen. Es ist genau das gleiche Bild wie vier Monate
früher in Neutitschein. Die öffentlichen Gebäude sind mit Hakenkreuzfahnen
beflaggt. Die Motorräder mit und ohne Beiwagen, stellen sich in einer Reihe
auf dem Stadtplatz auf, die Autos daneben. Aus dem Masarykplatz, auf dem wir
wohnen, wird über Nacht der Adolf-Hitler-Platz. Nur die Begeisterung von
Neutitschein fehlt. Ungarisch-Brod hat nur wenige deutsche Familien.
Vielleicht sind die Truppen etwas enttäuscht, doch sie erkennen den
Unterschied: Während sich die deutschen Randgebiete "befreit" fühlten,
fühlt sich die tschechische Bevölkerung "besetzt". Mit Ausnahme
der vereinzelten tschechischen Faschisten. Da es den Juden nur erlaubt ist,
manuelle Arbeiten zu verrichten, nehme ich im Sommer 1939 eine Arbeit beim
Straßenbau an. Am 7.September rollt auf "meiner" Straße eine unübersehbare
Kolonne von Militärfahrzeugen - es ist der Anfang des deutschen Feldzuges
gegen Polen.
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