Ende Oktober 1998 hat die
Geschichtswerkstatt Bayreuth eine Veröffentlichung herausgegeben, in der Helmut
Paulus, ein Justizhistoriker und pensionierter Rechtspfleger, die Geschehnisse
anhand der Prozessakten darstellt. Bei diesen handelt es sich vor allem um die
Akten vom Pogromstrafverfahren am Landgericht Bayreuth 1947-49 sowie um solche
von Spruchkammerverfahren.
Aus der genannten Veröffentlichung
seinen folgende Passagen zitiert:
"Der Leiter der
Bayreuther Polizei, Major der Schutzpolizei Kesselring, machte gegen 22.45 Uhr
dem Oberbürgermeister Dr. Kempfler telefonisch Meldung, daß auch im Gau
Bayer. Ostmark schon Judenaktionen durchgeführt würden, in Bamberg die
Synagoge bereits in Brand gesetzt worden sei und daß auch die Bayreuther SA
und SS die Inbrandsetzung der Synagoge beabsichtigen. Er habe deshalb sofort
einige Polizeibeamte und ein Löschfahrzeug der Feuerwehr zur Sicherung der
Synagoge dorthin beordert, was die Billigung des Oberbürgermeisters Kempflers
fand.
...
Weiter erfuhr der OB, daß man die Bayreuther Juden aus ihren Wohnungen holen
und in das Rathaus verbringen werde. Dr.Kempfler versuchte mäßigend
einzuwirken und es gelang ihm, die beabsichtigte Inbrandsetzung der Synagoge
wegen der unmittelbaren Nähe des Opernhauses zu verhindern.
...
Nachdem man die Inneneinrichtung der Synagoge, die jüdischen Geschäfte und
eine Anzahl von Judenwohnungen demoliert und ca. 60 Juden festgesetzte hatte,
ebbte mit fortschreitender Nacht die Aktion ab. Die Leute verliefen sich. Die
Polizei sicherte die zerstörten Geschäfte und teilweise auch die
demolierten, offenen Judenwohnungen. Gegen 4.00 Uhr herrschte wieder Ruhe in
Bayreuth. Zwischen sechs und sieben Uhr morgens versuchten SS-Angehörige, die
mit Brechwerkzeugen oben auf der Synagoge standen, Quadersteine aus dem
Mauerwerk auszubrechen. Sie wurden von der Polizei daran gehindert, die die
Synagoge daraufhin bewachte. Nicht verhindert wurde der Abtransport der zertrümmerten
Holzteile der Synagoge durch Teile der Bevölkerung. Es herrschte ein reger
"Handwagenverkehr", vor allem in Richtung Mainkaserne."
Aus: PAULUS, Helmut / HÜBSCHMANN, Ekkehard
1998 Die "Reichskristallnacht" 1938 in
Bayreuth
Hg. von der Geschichtswerkstatt Bayreuth
Bumerang-Verlag, Bayreuth. 48 S. ISBN 3-929268-05-1
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass OB
Kempfler zwar gegen die Ausschreitungen während jener Nacht gewesen war, dass
er aber ein Bürgermeister in SS-Uniform war. U.a. war er beteiligt an dem
Ankauf und Abriß eines Wohn- und Geschäftshauses, das Eigentum zweier jüdischer
Familien war und das die Nazis als "eine beispiellose jüdische
Frechheit" ansahen. Den Abriß hatte Hitler verlangt, der zu jeder
Festspielaufführung zweimal an ihm vorbei fahren mußte. Um das Haus
abreissen zu können, mußte es die Stadt erst ankaufen - freilich für einen
weit unter dem tatsächlichen Wert liegenden Betrag. Die Eigentümer wurden
bedroht und unter Druck gesetzt bis sie schließlich unterschrieben. Auf
Initiative Kempflers wurde am 16.5.1939 mit dem Abbruch begonnen. Trotz
Material- und Arbeitskräftemangel organisierte er den Umzug des Kaufhauses
Loher - wie das Geschäft nach der Arisierung des Kaufhauses Erwege hieß - in
das Gebäude Kanalstraße 17 sowie den eigentlichen Abbruch des Hauses
Opernstr. 11.
Genauer ist die Geschichte des Kaufhauses Josef
Friedmann / Erwege nachzulesen in:
GESCHICHTSWERKSTATT BAYREUTH
Umgeguckt und hinterfragt
Ein kritischer Spaziergang durch die Geschichte der Stadt Bayreuth
Bumerang-Verlag, Bayreuth 1992.
Kempfler will andrerseits die vom Gauleiter Wächtler
und einigen Stadträten verlangte Einebnung und Beseitigung des jüdischen
Friedhofes in Bayreuth mit dem Hinweis verhindert haben, dass die Stadt nicht
Eigentümer und deshalb nicht verfügungsberechtigt sei. Erst als 1944
Behelfsheime gebaut wurden und der Gauleiter die Verwendung der Mauersteine
vom Friedhof verlangte, hätte Kempfler nach eigener Aussage, wenigstens ein
bis zwei Reihen der Mauer abtragen lassen.
Dr. Fritz Kempfler blieb im April 1945 zunächst im Amt,
wurde dann aber doch interniert und bleib mehrere Jahre in Haft. Er wurde von
der Berufungskammer Regensburg am 5.3.1948 als Minderbelasteter mit 6 Monaten
Bewährungsfrist eingestuft. In Eggenfelden wurde er später
CSU-Kreisvorsitzender und ab 1957 saß er für zwei Jahrzehnte im Bundestag.
In den Erinnerungen von Karl
Wieninger, einem Parteifreund Kempflers liest sich die Darstellung der
Ereignisse etwas anders ('In
München erlebte Geschichte'):
Auch das Anzünden von Häusern, vor allem von
Synagogen, wurde mancherorts durch die Ortspolizeibehörden unterbunden, wobei
sich zuständige Bürgermeister und Polizei auf die Gefahr für benachbarte Häuser
hinausredeten. Besonders bekannt wurde der Fall Bayreuth. Der Oberbürgermeister
wies entschieden auf die Gefahr für die ganze Altstadt hin. Als die SS-Leute
nun den Versuch machten, die altehrwürdige Synagoge einfach einzureißen,
verhinderte der OB Dr. Kempfler auch dies, mit der Begründung, daß durch
unsachgemäße Abbrucharbeiten sich Unfälle ereignen könnten. Schließlich
wollten die Rechtsbrecher Einrichtungsgegenstände demolieren oder
verschleppen. Auch dies konnte er durch einen verstärkten Polizeieinsatz
verhindern.
|