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(Die Große Politik, Bd. III, Nr. 446, S.
14 ff; übers. nach: Schwertfeger, I, S. 249; aus: Dokumente der Deutschen
Politik und Geschichte, Bd.1, Berlin o.J., S. 378 ff).
Lieber Oheim und Freund!
Es liegt mir am Herzen, Ihnen auch noch schriftlich
für Ihren lieben Brief vom 27. Juli sowie Augusta für die in Ihrer beider
Namen übersandte reizende Denkmünze zur Erinnerung an Ihre goldene Hochzeit
zu danken, an der teilzunehmen, wie ich es mit der größten Freude getan
hätte, die Umstände mir leider nicht erlaubten.
Ich war glücklich zu hören, daß Sie die Anstrengungen
der Festlichkeiten alle gut überstanden haben, und ich hoffe, daß die
Gasteiner Kur Ihnen neue Kraft gegeben hat, um die vor Ihnen liegenden
militärischen Besichtigungen auf sich zu nehmen.
Der Tod meines Adjutanten, des Generals von Reutern,
der in diesen letzten Jahren die Ehre hatte, Ihrer Person zugeteilt zu sein,
und dem Sie so viel Güte erwiesen haben, wird Ihnen, wie mir, gewiß
schmerzlich gewesen sein. Ich will versuchen, einen Ersatz für ihn zu
finden, der Ihnen zusagt, und werde nicht verfehlen, vorher Ihre Zustimmung
einzuholen, sobald ich eine Wahl getroffen habe.
Ermutigt durch die Freundschaft, die Sie nie aufgehört
haben, mir zu bezeigen, bitte ich um die Erlaubnis, in aller Offenheit mit
Ihnen übel einen heiklen Gegenstand sprechen zu dürfen, der mich
unaufhörlich beschäftigt. Es handelt sich um die Haltung der verschiedenen
deutschen diplomatischen Vertreter in der Türkei, die sich seit einiger Zeit
leider in einer für Rußland feindlichen Weise kundgibt, was in vollem
Widerspruch mit den Überlieferung en freundschaftlicher Beziehungen steht,
die seit mehr als einem Jahrhundert die Politik unserer beiden Regierungen
geleitet hatten, und die durchaus mit ihren gemeinsamen Interessen
übereinstimmten. - Diese Ueberzeugung hat sich in mir nicht verändert; ich
hege sie noch ganz unversehrt und schmeichele mir mit der Hoffnung, daß es
auch die Ihrige ist. - Aber die Welt urteilt nach den Tatsachen. Wie soll
man also diese Haltung der deutschen Vertreter erklären, die im Orient eine
uns immer feindlichere wird, wo nach den Worten des Fürsten Bismarck selbst
Deutschland keine eigenen Interessen zu schützen hat, während wir dort sehr
ernste zu verteidigen haben.
Wir haben soeben einen ruhmreichen Krieg beendet, der
keine Eroberungen bezweckte, sondern einzig und allein die Verbesserung des
Loses der Christen in der Türkei. Wir haben dies gerade jetzt durch Räumung
der nach dem Kriege von uns besetzten Provinzen bewiesen, aber wir halten
daran fest, daß die um den Preis unseres Blutes und unseres Geldes
errungenen Erfolge keine toten Buchstaben bleiben sollen. Es handelt sich
nur noch um die Ausführung der auf dem Berliner Kongreß getroffenen
Vereinbarungen, aber diese muß auf gewissenhafte Weise erfolgen.
Nun aber machen die Türken, unterstützt von ihren
Freunden, den Engländern und Oesterreichern, welch letztere inzwischen
festen Fußes zwei türkische Provinzen besetzt halten, in die sie in
Friedenszeit eingedrungen sind, um sie niemals ihrem rechtmäßigen Herrscher
zurückzugeben, unausgesetzt Schwierigkeiten in Einzelheiten, die sowohl für
die Bulgaren wie für die tapferen Montenegriner von der allergrößten
Bedeutung sind. - Das gleiche tun die Rumänen Bulgarien gegenüber. - Die
Mehrheit der Bevollmächtigten Europas hat darüber zu entscheiden. Die
Bevollmächtigten Frankreichs und Italiens treten fast in allen Fragen den
unsrigen bei, wogegen diejenigen Deutschlands das Losungswort erhalten zu
haben scheinen, stets die Ansicht der Oesterreicher, die uns planmäßig
feindlich ist, zu unterstützen und das bei Fragen, die Deutschland in keiner
Weise angehen, für uns aber von sehr großer Bedeutung sind.
Verzeihen Sie, mein lieber Oheim, die Freiheit meiner
Sprache, die auf Tatsachen beruht, aber ich halte es für meine Pflicht, Ihre
Aufmerksamkeit auf die traurigen Folgen zu lenken, die dies für unsere
Beziehungen guter Nachbarschaft haben könnte, indem unsere beiden Völker
dadurch gegeneinander aufgereizt werden, wie es bei der Presse beider Länder
bereits der Fall zu sein beginnt. - Ich sehe darin das Werk unserer
gemeinsamen Feinde, derselben, die das Drei-Kaiser-Bündnis nicht verwinden
konnten. - Sie werden sich entsinnen, daß wir mehr als einmal mit Ihnen
davon gesprochen haben, und wie glücklich ich in der Ueberzeugung war, daß
unsere Anschauungen in diesem Punkte die gleichen waren. Ich verstehe
vollkommen, daß Sie Ihre guten Beziehungen zu erhalten wünschen, aber ich
sehe nicht ein, welches Interesse Deutschland haben könnte, das Rußlands zu
opfern. - Ist es eines wahren Staatsmannes würdig, einen persönlichen Zwist
mit auf die Wagschale zu legen, wenn es sich um das Wohl zweier großer
Staaten handelt, die dazu geschaffen sind, in gutem Einvernehmen miteinander
zu leben und von denen der eine dem andern im Jahre 1870 einen Dienst
geleistet hat, den Sie nach Ihren eigenen Worten niemals zu vergessen
erklärten? 2 Ich würde mir nicht erlaubt haben, Sie daran zu erinnern, aber
die Dinge nehmen eine zu ernste Wendung, als daß ich Ihnen die Befürchtungen
verhehlen dürfte, die mich erfüllen und deren Folgen für unsere beiden
Länder unheilvoll werden könnten. Möge Gott uns davor bewahren und Sie
erleuchten!
Die Gesundheit meiner Frau hat uns diese ganze letzte
Zeit über zu ernsten Sorgen Veranlassung gegeben. Gebe Gott, daß die
Heimatluft ihr helfen möge.
Seien Sie mir nicht böse, mein lieber Oheim, wegend es
Inhalts dieses Briefes und bleiben Sie überzeugt von den Gefühlen
unwandelbarer Anhänglichkeit und aufrichtiger Zuneigung
Ihres ganz ergebenen
Neffen und Freundes
Alexander. |