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Aufzeichnung des Unterstaatssekretärs im
Auswärtigen Amt Grafen von Berchem
Reinschrift, am 25. März dem
Reichskanzier von Caprivi eingehändigt, von diesem am 28. zu den Akten
gegeben
Berlin, den 25. März 1890
Der Vertrag, um dessen Erneuerung es sich
handelt, hat den Zweck, kriegerische Ereignisse hervorzurufen, deren
Lokalisierung äußerst unwahrscheinlich ist; wir können demnach leicht auf
diesem Wege den allgemeinen Krieg herbeiführen, den wir sonst vielleicht
heute vermeiden können und vermeiden sollen, auch nach der Meinung des
Fürsten Bismarck; selbst im Falle unserer Neutralität würden wir am Ende
immer in die undankbare Situation des Jahres 1878 geraten.
Durch den zu erneuernden Vertrag würde
jedenfalls eine Macht von uns getäuscht, wahrscheinlich aber würden beide in
Frage stehenden östlichen Nachbarn dadurch mystifiziert werden; denn
zunächst verweigern wir den Österreichern die Bundeshilfe in der ersten
entscheidenden Zeit der Entwicklung der bulgarischen Sache; sobald dieselbe
einen weiteren Umfang genommen, müssen wir jedoch nach der oft
ausgesprochenen Meinung des früheren Reichskanzlers dennoch für
Osterreich-Ungarn fechten, wenn dasselbe in Bedrängnis geratet, wodurch wir
den Russen die Treue verletzen. Ein guter Friede kann daraus nicht
erwachsen, wohl aber eine dauernde Verstimmung zweier großer Nationen, wie
sie sich aus der Haltung Österreichs gegen Rußland im Krimkriege ergeben
hat.
Der Vertrag liefert uns schon in
Friedenszeiten in die Hand der Russen; sie erhalten eine Urkunde, womit sie
jeden Augenblick unsere Beziehungen zu Österreich, Italien, England und der
Pforte trüben können.
Der Vertrag gewährt keine
Gegenseitigkeit. Aller Vorteil daraus kommt Rußland zugute. Frankreich wird
uns nicht angreifen, ohne Rußlands Mitwirkung sicher zu sein. Eröffnet aber
Rußland den orientalischen Krieg, was die Absicht des Vertrags ist, und
schlägt, wie voraussichtlich, Frankreich gleichzeitig gegen uns los, so ist
die Neutralität Rußlands gegen uns ohnedies in den Verhältnissen gegeben,
sie liegt auch ohne Vertrag in diesem Falle im russischen Interesse. Der
Vertrag sichert uns demnach nicht gegen einen französischen Angriff, gewährt
hingegen Rußland das Recht der Offensive gegen Österreich an der unteren
Donau und verhindert uns an der Offensive gegen Frankreich, abgesehen davon,
daß er in seiner Tendenz mit dem deutschösterreichischen Bündnis schwer
vereinbar ist.
Die Bestimmung des Zeitpunktes des
europäischen Krieges der Zukunft wird durch den Vertrag demnach in Rußlands
Hände gelegt, und es erscheint nach den vorliegenden Anzeichen nicht ganz
unwahrscheinlich, daß Rußland, gedeckt durch Deutschland, ein Interesse hat,
bald loszuschlagen. Es darf dahingestellt bleiben, ob unser und unserer
Verbündeten militärisches Interesse sich hiermit deckt.
Die Vereinbarung steht, wenn nicht dem
Buchstaben, so jedenfalls dem Geiste der Tripelallianz direkt entgegen und
wird uns, wenn die Russen im Süden losbrechen, voraussichtlich in Gegensatz
zu befreundeten Mächten bringen. Der Vertrag ist aber auch praktisch
undurchführbar.
Die große Politik der europäischen
Kabinette 18711914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes,
im Auftrage des Auswärtigen Amtes hrsg. v. J. Lepsius, A.
MendelssohnBartholdy, Fr. Thimme, Bd. 7, Berlin 1923, S. 411.
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