|
"Seine Majestät der Selbstherrscher aller Reußen und Seine Majestät der
König des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Irland... beseelt
von dem aufrichtigen Wunsch zu einer Verständigung über verschiedene Fragen
zu gelangen, die die Interessen ihrer Länder auf dem asiatischen Kontinent
berühren, haben beschlossen, Bedingungen zu vereinbaren, um jedweden
Möglichkeiten von Mißverständnissen zwischen Rußland und England
vorzubeugen...
Das Einvernehmen, Persien betreffend
Indem die Regierungen Rußlands und Großbritanniens gegenseitig
übereingekommen sind, die Unabhängigkeit Persiens zu achten, und den
aufrichtigen Wunsch haben, die Ordnung auf dem ganzen Gebiet dieses Landes
zu wahren und seine friedliche Entwicklung zu fördern, sowie ferner gleiche
Bedingungen für Handel und Industrie in diesem Lande für alle anderen
Nationen zu schaffen, indem sie in Betracht ziehen, daß jeder von ihnen nach
geographischen und ökonomischen Prinzipien sein besonderes Interesse an der
Aufrechterhaltung des Friedens und der Ordnung in einigen Provinzen Persiens
hat, die an der russischen Grenze einerseits und an den Grenzen Afghanistans
und Belutschistans andererseits liegen, und indem sie sich von dem Wunsche
leiten lassen, alles zu vermeiden, was zu einem Konflikt ihrer persönlichen
Interessen in den Provinzen Persiens führen könnte, haben sie sich auf das
Nachfolgende geeinigt:
I. Großbritannien verpflichtet sich, erstens keine Konzessionen politischen
oder kommerziellen Charakters – als da sind Konzessionen, die den Bau von
Eisenbahnen, Banken, Telegraphen, Wege, Transport- und Versicherungswesen
usw. betreffen – weder für sich zu fordern, noch zum Nutzen von
großbritannischen Untertanen zu erstreben, und zwar nördlich einer Linie,
die von Kasri-Schirir durch Ispahan, Jezd, Kakch verläuft und am Punkt des
Zusammentreffens der russischen und afghanischen Grenze endet, und zweitens
Konzessionsforderungen, die in diesem Rayon von Rußland unterstützt werden,
keine Hindernisse in den Weg zu legen...
II. Rußland seinerseits verpflichtet sich, erstens keinerlei Konzessionen
politischen oder kommerziellen Charakters... weder für sich zu fordern, noch
diesbezügliche Gesuche russischer Untertanen oder Untertanen anderer Länder
zu unterstützen, und zwar südlich einer Linie, die von der afghanischen
Grenze über Gazik, Birdshan, Kerman verläuft und bei Bender-Abbas endet, und
zweitens Gesuchen, die derartige Konzessionen in diesen Gebieten betreffen
und von der großbritannischen Regierung unterstützt werden, kein Hindernis
in den Weg zu legen...
III. Rußland verpflichtet sich, der Erteilung von Konzessionen an britische
Untertanen in den Gebieten Persiens, die zwischen den in Punkt I und II
erwähnten Linien liegen, keine Hindernisse in den Weg zu legen, ohne vorher
in Verhandlungen mit England zu treten. Großbritannien übernimmt eine
gleiche Verpflichtung bezüglich der Erteilung jeglicher Art Konzessionen an
russische Untertanen in denselben Gebieten Persiens.
Alle Konzessionen, die gegenwärtig in den bezeichneten Gebieten bestehen,
bleiben erhalten...
Konvention, betreffend Afghanistan
Die Hohen Vertragschließenden Parteien, vom Wunsche getragen, völlige
Ordnung an ihren betreffenden Grenzen in Zentralasien herzustellen und einen
langen, dauernden Frieden aufrechtzuerhalten, sind zu folgender Konvention
gelangt.
I. Die Regierung Seiner Britischen Majestät erklärt, daß sie nicht die
Absicht hat, die politische Lage Afghanistans zu ändern. Die Regierung
Seiner Britischen Majestät verpflichtet sich, ihren Einfluß in Afghanistan
anzuwenden und auch Afghanistan nicht zur Ergreifung von Maßnahmen
anzuregen, die Rußland bedrohen könnten. Seinerseits erklärt die Kaiserlich
russische Regierung, daß sie Afghanistan für außerhalb der russischen
Einflußsphäre gelegen erachtet, und sie verpflichtet sich, in dem gesamten
politischen Verkehr mit Afghanistan die Vermittlung der Regierung Seiner
Britischen Majestät anzurufen; sie verpflichtet sich ferner, keinerlei
Agenten nach Afghanistan zu senden.
II. ... Großbritannien verpflichtet sich, ... Teile von Afghanistan nicht zu
annektieren oder zu okkupieren und sich in die inneren Angelegenheiten
dieses Landes nicht einzumischen...
IV. Die Regierungen Rußlands und Großbritanniens erklären, daß sie bezüglich
des Handels in Afghanistan den Grundsatz der vertraglichen
Gleichberechtigung anerkennen...
Verfügungen, Tibet betreffend
Indem die Regierungen Rußlands und Großbritanniens die Hoheitsrechte Chinas
in Tibet anerkennen, stellen sie in Anbetracht seiner geographischen Lage
fest, daß Großbritannien besonders daran interessiert ist, daß das
bestehende Regime der auswärtigen Beziehungen Tibets unbedingt bewahrt
werde; sie haben daher folgenden Vertrag abgeschlossen.
I. Beide Hohen Vertragschließenden Parteien verpflichten sich, die
Integrität des tibetanischen Territoriums zu wahren und sich jeder
Einmischung in die innere Verwaltung Tibets zu enthalten.
II. Sich dem anerkannten Prinzip des Hoheitsrechts Chinas über Tibet
anpassend, verpflichten sich sowohl Rußland als Großbritannien, mit Tibet
nicht anders als durch die Vermittlung Chinas in Beziehung zu treten...
Natürlich können die Buddhisten, sowohl russischer als englischer
Staatsangehörigkeit, auf ausschließlich religiösem Gebiet in unmittelbare
Beziehungen zum Dalai-Lama und anderen Vertretern des Buddhismus in Tibet
treten. Die Regierungen Rußlands und Großbritanniens verpflichten sich,
soweit es von ihnen abhängen wird, nicht zuzulassen, daß durch diese
Beziehungen die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages verletzt werden.
III. Die Regierungen Rußlands und Großbritanniens übernehmen die
gegenseitige Verpflichtung, keine Vertreter nach Lhasa zu senden.
IV. Beide Hohen Parteien verpflichten sich, weder für sich selbst, noch
zugunsten ihrer Untertanen, Konzessionen für den Bau von Eisenbahnen,
Straßen, Telegraphen, für Bergwerke oder andere Rechte in Tibet zu erwerben.
..."
nach Retrospect 2002; Spiegel-Verlag |