1908
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Das Daily-Telegraph-Interview
Stewart Wortley interviewt Kaiser Wilhelm II; dieses
Gespräch wird im Daily Telegraph am 28. Oktober 1908 veröffentlicht
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"Wie gesagt, Seine Majestät beehrte mich mit einer langen Unterhaltung und
sprach mit impulsivem und ungewöhnlichen Freimut. ‘Ihr Engländer’, sagte er,
‘seid verrückt, verrückt, verrückt wie die Märzhasen. Was ist über euch
gekommen, daß ihr euch so völlig einem Argwohn überlassen habt, der einer
großen Nation ganz unwürdig ist? Was kann ich mehr tun, als ich schon getan
habe? Ich habe mit allem Nachdruck, der mir zu Gebote steht, in meiner Rede
in der Guildhall erklärt, daß das Ziel meines Herzens der Friede ist und
einer der mir teuersten Wünsche, in den besten Beziehungen zu England zu
leben. Habe ich jemals mein Wort nicht gehalten? Falschheit und Ränke sind
meiner Natur immer fremd gewesen. Meine Taten sollten für sich sprechen,
aber Sie hören nicht auf sie, sondern auf diejenigen, die sie mißverstehen
und entstellen. Das ist eine persönliche Kränkung, die ich fühle und die mir
nachgeht. Immer mißverstanden zu werden, zu sehen, wie meine wiederholten
Freundschaftsangebote mit argwöhnischen, mißtrauischen Augen gewogen und
nachgeprüft werden, stellt meine Geduld auf eine harte Probe. Ich habe immer
wieder gesagt, daß ich Englands Freund bin, und Ihre Presse – oder
wenigstens ein beträchtlicher Teil – fordert das englische Volk auf, meine
ausgestreckte Hand zurückzuweisen, und insinuiert, daß in der andren ein
Dolch verborgen sei. Wie kann ich eine Nation gegen ihren Willen
überzeugen?’ ‘Ich wiederhole’, fuhr Seine Majestät fort, ‘daß ich Englands
Freund bin, aber Sie erschweren mir die Dinge. Meine Aufgabe ist keine von
den leichtesten. Die vorherrschende Empfindung in großen Teilen der
mittleren und unteren Klassen meines Volkes ist England nicht freundlich.
... Ich bin unaufhörlich bestrebt, die Beziehungen zu verbessern, und Sie
erwidern, da8 ich Ihr Erzfeind bin. Sie machen es für mich sehr schwer.
Warum?’ ... ‘Ich habe mich’, sagte er, ‘auf die Reden bezogen, in denen ich,
wie es ein Souverän irgend kann, meinen guten Willen verkündet habe. Aber da
Handlungen lauter sprechen als Worte, lassen Sie mich auch mich auf meine
Handlungen beziehen. Im allgemeinen glaubt man in England, während der Dauer
des Südafrikanischen Krieges sei Deutschland feindlich gesinnt gewesen.
Zweifellos war die öffentliche Meinung in Deutschland den Engländern
feindlich-bitter feindlich. Die Presse war feindlich; die private Meinung
war es. Aber wie ist es mit dem offiziellen Deutschland? Lassen Sie meine
Kritiker sich fragen, was die europäische Reise der Burendelegierten, die
eine Intervention Europas zu erreichen strebten, zu einem plötzlichen
Stillstand und dann zu völligem Zusammenbruch gebracht hat? Sie wurden in
Holland gefeiert; Frankreich bewillkommnete sie mit Begeisterung. Sie
wollten nach Berlin kommen, wo das deutsche Volk sie mit Blumen bekränzt
haben würde. Aber als sie baten, von mir empfangen zu werden, habe ich das
abgelehnt. Die Agitation war unmittelbar darauf tot, und die Delegierten
kehrten mit leeren Händen zurück. Handelt, frage ich, so ein heimlicher
Feind?
Und ferner: Als der Kampf auf der Höhe war, wurde die deutsche Regierung von
denen Frankreichs und Rußlands eingeladen, sich mit ihnen zu verbinden und
England aufzufordern, dem Krieg ein Ende zu machen. Der Moment, so sagten
sie, sei da, nicht nur die Burenrepubliken zu retten, sondern England bis in
den Staub zu demütigen. Was war meine Antwort? Ich sagte, daß Deutschland,
weit entfernt davon, an irgendeinem verabredeten Vorgehen Europas zum Druck
auf England und zu dessen Erniedrigung teilzunehmen, immer eine Politik
vermeiden müsse, die es in Verwicklungen mit einer Seemacht wie England
bringen könne. Die Nachwelt wird eines Tages den genauen Wortlaut des
Telegramms – es liegt jetzt in den Archiven des Windsor-Schlosses – lesen
können, worin ich den Souverän Englands von meiner Antwort an die Mächte,
die damals es zu stürzen suchten, unterrichtet habe. Engländer, die jetzt
mich beleidigen, indem sie mein Wort anzweifeln, sollten wissen, wie ich in
der Stunde ihres Mißgeschicks gehandelt habe. Und das war nicht alles.
Gerade während Ihrer schwarzen Woche, im Dezember 1899, als ein Unglück nach
dem andern in rascher Folge kam, empfing ich einen Brief von der Königin
Victoria, meiner verehrten Großmutter, der in Sorge und Kummer geschrieben
war und deutliche Spuren der Angst trug, die an ihrem Geist und an ihrer
Gesundheit zehrte. Ich schickte ihr sofort eine mitfühlende Antwort. Ich tat
mehr. Ich ließ mir durch einen meiner Offiziere einen möglichst genauen
Bericht über die Zahl der Kämpfer auf beiden Seiten in Südafrika und über
die momentane Stellung der einander gegenüberstehenden Streitkräfte
beschaffen. Mit den Zeichnungen von mir, arbeitete ich den Plan aus, der mir
unter diesen Umständen der beste schien, und legte ihn meinem Generalstab
zur Kritik vor. Dann sandte ich ihn eiligst nach England, und auch dieses
Dokument liegt in Windsor unter den Staatspapieren und erwartet den ruhigen
und unparteiischen Spruch der Geschichte. Als merkwürdiges Zusammentreffen
lassen Sie mich hinzufügen, daß der von mir aufgestellte Plan dem sehr
nahekam, der wirklich von Lord Roberts angenommen und von ihm erfolgreich
ausgeführt wurde. War das, wiederhole ich, die Handlungsweise eines, der
England übelwollte? Lassen Sie die Engländer gerecht sein und es sagen!
Aber, werden Sie fragen, was ist mit der deutschen Flotte? Sicherlich ist
sie eine Drohung gegen England! Gegen wen anders als gegen England werden
meine Geschwader gerüstet? Wenn die Deutschen, die sich anstrengen, eine
mächtige Flotte zu schaffen, nicht an England denken, warum wird von
Deutschland verlangt, daß es in solche neue und schwere Steuerlasten
willigt? Meine Antwort ist klar. Deutschland ist ein junges, wachsendes
Reich. Es hat einen weltweiten, schnell sich ausdehnenden Handel, und der
berechtigte Ehrgeiz der patriotischen Deutschen weigert sich, diesem
irgendwelche Grenzen zu setzen. Deutschland muß eine mächtige Flotte haben,
um diesen Handel und seine mannigfaltigen Interessen auch in den
entferntesten Meeren zu schützen. Es erwartet, daß diese Interessen sich
noch ausbreiten, und muß fähig sein, sie in jedem Teil des Erdballs männlich
zu verteidigen. Deutschland schaut vorwärts. Seine Horizonte erstrecken sich
in die Weite. Es muß für alle Eventualitäten im Fernen Osten gerüstet sein.
Wer kann voraussehen, was in kommenden Tagen im Stillen Ozean geschehen
kann, in Tagen, die nicht so fern sind, wie manche glauben, Tagen jedoch,
auf die jedenfalls alle europäischen Mächte mit Interessen im Fernen Osten
ständig sich vorbereiten sollten? Blicken Sie auf den vollzogenen Aufstieg
Japans; denken Sie an die Möglichkeit des nationalen Erwachens von China;
und dann erwägen Sie die ungeheuren Probleme des Stillen Ozeans. Nur die
Stimme derjenigen Mächte, die große Flotten haben, wird mit Achtung gehört
werden, wenn die Frage der Zukunft des Stillen Ozeans zu lösen sein wird;
und deshalb allein muß Deutschland eine starke Flotte haben. Vielleicht wird
England sogar froh sein, daß Deutschland eine Flotte hat, wenn sie gemeinsam
auf derselben Seite in den großen Debatten der Zukunft ihre Stimme erheben.’
Dies war der Inhalt des Gesprächs mit dem Kaiser."
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