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Kronprinzenbrief Auszug
Schreiben des ehemaligen deutschen
Kronprinzen an den Reichsaußenminister Dr. Stresemann vom 28. August
1925:
(Der Kronprinz möchte zum Ausdruck bringen),
welch schwere Besorgnisse ich hege für den Fall, daß wir uns dazu
herbeiließen, ohne günstige Garantien in den Völkerbund einzutreten.
Es mag ja sein, daß wir hier und da durch unseren Sitz im Völkerbunde
kleine politische Vorteile erzielen können; aber ich fürchte, daß in
den großen, unser Vaterland berührenden Fragen wir noch immer von der
Gegenseite überstimmt werden dürften, und daß wir dann unsere
Handelsfreiheit einbüßen. Augenblicklich sind wir immer noch in der glücklichen
Lage, uns den Anschluß nach Westen oder Osten offen halten zu können.
Wir sind sozusagen in dieser Beziehung das Zünglein an der Waage ...
Diese günstige Situation würde mit einem Schlage in ihr Gegenteil
verwandelt, wenn wir jetzt eine feste Bindung mit den Westmächten
eingingen ...
Aus der Antwort Dr. Stresemanns vorn 7. September
1925:
... Zu der Frage des Eintritts in den Völkerbund
möchte ich folgendes bemerken: die deutsche Außenpolitik hat nach
meiner Auffassung für die nächste, absehbare Zeit drei große
Aufgaben:
Einmal die Lösung der Reparationsfrage in einem für Deutschland erträglichen
Sinne und die Sicherung des Friedens, die die Voraussetzung für eine
Wiedererstarkung Deutschlands ist.
Zweitens rechne ich dazu den Schutz der Auslandsdeutschen, jener zehn
bis zwölf Millionen Stammesgenossen, die jetzt unter fremdem Joch in
fremden Ländern leben.
Die dritte große Aufgabe ist die Korrektur der Ostgrenzen: die
Wiedergewinnung von Danzig, vom polnischen Korridor und eine Korrektur
der Grenze in Oberschlesien.
Im Hintergrund steht der Anschluß von Deutsch-Osterreich.. .
Wollen wir diese Ziele erreichen, so müssen wir uns aber auch auf diese
Aufgaben konzentrieren. Daher der Sicherheitspakt, der uns einmal den
Frieden garantieren und England, sowie ... Italien als Garanten der
deutschen Westgrenze festlegen soll. Der Sicherheitspakt birgt
andererseits in sich den Verzicht auf eine kriegerische
Auseinandersetzung mit Frankreich wegen der Rückgewinnung Elsaß-Lothringens...
Die Sorge für die Auslandsdeutschen spricht für den Eintritt in den Völkerbund
... Die Bedenken, daß wir im Völkerbund überstimmt werden, gehen von
der falschen Voraussetzung aus, daß es in diesem Völkerbundsrat, der
die Entscheidung hat, eine Überstimmung gibt. Die Beschlüsse des Völkerbundsrats
müssen einstimmig gefaßt werden ...
Die Frage des Optierens zwischen Osten und Westen erfolgt durch unseren
Eintritt in den Völkerbund nicht. Optieren kann man ja übrigens nur,
wenn man eine militärische Macht hinter sich hat. Das fehlt uns leider.
Wir können weder zum Kontinentaldegen für England werden, wie einige
glauben, noch können wir uns auf ein deutsch-russisches Bündnis
einlassen.
Ich warne vor einer Utopie, mit dem Bolschewismus zu kokettieren. Wenn
die Russen in Berlin sind, weht zunächst die Rote Fahne vom Schloß,
und man wird in Rußland, wo man die Weltrevolution wünscht, sehr
zufrieden sein, Europa bis zur Elbe bolschewisiert zu haben, und wird
das übrige Deutschland den Franzosen zum Fraß geben. Daß wir im übrigen
durchaus bereit sind, mit dem russischen Staat, an dessen evolutionäre
Entwicklung ich glaube, uns auf anderer Basis zu verständigen, und uns
durch unseren Eintritt in den Völkerbund durchaus nicht nach dem Westen
verkaufen, ist eine Tatsache, über die ich E. K. H. gern gelegentlich mündlich
Näheres sagen würde ... Das Wichtigste ist für die unter 1) berührte
Frage der deutschen Politik, das Freiwerden deutschen Landes von fremder
Besatzung. Wir müssen den Würger erst vom Halse haben. Deshalb wird
die deutsche Politik ... in dieser Beziehung zunächst darin bestehen müssen,
zu finassieren und den großen Entscheidungen auszuweichen ...
aus: Michalka, W./Niedhart, G.: Die ungeliebte
Republik. [dtv-Dokumente 2918], München 1980, S. 162 ff
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