Abschaffung des Feudalismus

Erklärung der Volksversammlung/Nationalversammlung    8. August 1789

 

Art. 1. Die Nationalversammlung vernichtet das Feudalwesen völlig. Sie dekretiert, dass von den Feudal- wie Grundzinsrechten und -pflichten sowohl jene, die sich aus unveräußerlichem Besitz an Sachen und Menschen und aus persönlicher Leibeigenschaft herleiten, als auch jene, die an ihre Stelle getreten sind, entschädigungslos aufgehoben werden; alle übrigen Lasten werden für ablösbar erklärt, die Summe sowie die Art und Weise der Ablösung wird die Nationalversammlung festlegen. Die durch dieses Dekret nicht aufgehobenen Abgaben sollen dessen ungeachtet bis zu ihrer Rückzahlung weiter erhoben werden.

Art. 2. Das Sonderrecht, Taubenschläge und Taubenhäuser zu halten, wird abgeschafft. Die Tauben werden zu von den Gemeinderäten festgesetzten Zeiten eingesperrt; während dieses Zeitraumes gelten sie als jagdbares Wild, und jeder hat das Recht sie auf seinem Grund und Boden zu töten.

Art. 3. Ebenso wird das Sonderrecht der Jagd und offenen Wildgehege abgeschafft. Jeder Eigentümer hat, jedoch nur auf seinem Grund und Boden, das Recht, jede Art von Wild zu töten oder töten zu lassen, solange dies im Einklang mit etwaigen zur öffentlichen Sicherheit erlassenen Polizeigesetzen geschieht.
Ebenso werden alle Jägermeistereien, auch die königlichen, und alle Jagdreservate, gleichgültig, unter welchem Titel sie bestehen, aufgelöst. Soweit es sich mit der schuldigen Achtung vor Eigentum und Freiheit vereinbaren lässt, wird für die Erhaltung der privaten Vergnügungen des Königs gesorgt werden.
Der Präsident wird beauftragt, den König um Begnadigung der wegen einfachen Jagdfrevels zur Galeere oder Deportation Verurteilten, Freilassung der aus solchen Gründen gegenwärtig in Haft Gehaltenen und Einstellung der dieserhalb anhängigen Prozesse zu ersuchen.

Art. 4. Jede grundherrliche Rechtsprechung wird entschädigungslos abgeschafft. Dessen ungeachtet sollen die Beamten dieser Gerichte bis zur Einführung einer neuen Justizordnung durch die Nationalversammlung ihre Funktionen weiter ausüben.

Art. 5. Alle - gleichgültig, unter welchem Rechtstitel festgesetzten und erhobenen, auch durch Vorauszahlung abgegoltenen - Zehnten oder dafür eintretenden Grundzinsabgaben, in deren Genuss weltliche oder geistliche Körperschaften, Pfründeninhaber, Kirchenvorstände und alle Einrichtungen der toten Hand, einschließlich des Malteserordens und anderer religiöser und militärischer Orden, kommen, wie auch die auf dem Ersatzweg oder für ein Jahrgehalt käuflich in Laienhand übergegangenen, werden abgeschafft, mit dem Vorbehalt, dass für die Mittel zur Bestreitung der Kosten für Gottesdienst, Unterhalt der Priester, Armenpflege, Reparatur und Wiederaufbau von Kirchen und Pfarrhäusern sowie für alle Einrichtungen, Seminare, Schulen, Kollegiengebäude, Spitäler, Klöster und andere Gebäude zu deren Unterhaltung diese Mittel gegenwärtig bestimmt sind, anderweitig gesorgt wird.
Die Nationalversammlung befiehlt jedoch, dass in der Zwischenzeit, bis dies geregelt ist und die alten Eigentümer in den Genuss einer Entschädigung kommen, die obengenannten Zehnten nach den Gesetzen und in der hergebrachten Weise weiter erhoben werden sollen.
Die übrigen Abgaben, gleichgültig welcher Natur, sind ablösbar; die Modalitäten wird die Nationalversammlung festlegen. Bis zu dieser Regelung ordnet die Nationalversammlung ebenfalls ihre Weiterzahlung an.

Art. 6. Alle Formen ewigen Grundzinses, sei es in Naturalien oder Geld, gleichgültig, welcher Art er ist, woher er seinen Ursprung hat, wer sein Nutznießer ist: die Kirche, Gutsherren, sonstige Privilegierte, der Malteserorden, sollen ablösbar sein; desgleichen, zu einer von der Nationalversammlung zu bestimmenden Taxe, die Getreideabgaben (Champarts) jeder Art und jedes Titels. Es wird in Zukunft verboten sein, irgendeinen nicht rückzahlbaren Grundzins festzulegen.

Art. 7. Die Käuflichkeit der Gerichts- und Magistratssämter ist ab sofort aufgehoben. Die Rechtsprechung soll kostenlos erfolgen. Dessen ungeachtet sollen die jetzigen Amtsinhaber weiter ihre Funktionen ausüben und ihr Gehalt beziehen, bis die Nationalversammlung die Mittel zu ihrer Abfindung beschafft hat.

Art. 8. Die Nebeneinkünfte der Pfarrgeistlichen auf dem Lande werden abgeschafft und ihre Zahlung wird eingestellt sobald für die Erhöhung des Jahresgehaltes und die Pension der Pfarrverweser gesorgt ist. Entsprechend wird eine Regelung für die finanzielle Sicherstellung der Pfarrgeistlichen in den Städten getroffen werden.

Art. 9. Die finanziellen, persönlichen und materiellen Privilegien in Gestalt von Subsidien werden für immer abgeschafft. Der Besteuerung sollen alle Bürger und alle Vermögen, nach den gleichen Grundsätzen und in der gleichen Weise, unterliegen. Es werden Maßnahmen getroffen werden, um eine gerechte Verteilung sämtlicher Steuerlasten bereits für die zweite Hälfte des laufenden Steuerjahres durchzuführen.

Art. 10. Da eine nationale Verfassung und die öffentliche Freiheit den Provinzen mehr Vorteile bringt als die Privilegien, die einige bisher genossen, und da deren Opfer zu einer engen Verbindung aller Teile des Staates unumgänglich ist, werden alle besonderen Privilegien von Provinzen, Fürstentümern, Ländern, Bezirken, Städten und Siedlungen, seien sie finanzieller oder sonstiger Art, für unwiderruflich abgeschafft und in dem für alle Franzosen gleichen gemeinsamen Recht aufgegangen erklärt.

Art. 11. Alle Bürger sollen, ohne Unterschied ihrer Geburt, freien Zugang zu allen kirchlichen, zivilen und militärischen Ämtern und Würden haben; niemand, der einem Erwerbsberuf nachgeht, soll dadurch seines Adelsprädikates verlustig gehen.

Art. 12. In Zukunft soll an die römische Kurie, die Vizelegation von Avignon und die Nuntiatur (=päpstliche Botschaft) von Luzern kein Heller für Annaten (=Jahrgelder) oder irgendeinen anderen Zweck abgeführt werden, sondern die Gläubigen einer Diözese sollen sich wegen jeder Gewährung von Pfründen und Dispensen an ihre Bischöfe wenden; die Gewährung soll, ungeachtet aller Vorbehalte, päpstlicher Anwartschaftsbriefe und Gemeinschaftspfründen, umsonst erfolgen, da alle Kirchen Frankreichs die gleiche Freiheit genießen müssen.

Art. 13. Verfügungsrechte, Erbrechte beim Tod von Geistlichen, Nachlassstiftungen, Vacat, Pachtzinsrechte, Peterspfennig und andere derartige Einrichtungen, wie sie auch heißen mögen, zugunsten von Bischöfen, Archidiakonen, Erzpriestern, Domkapiteln, Pröpsten und allen anderen Geistlichen werden abgeschafft, mit der Einschränkung, dass für eine angemessene Dotation der mit Einkünften nicht genügend ausgestatteten Archidiakonate und Erzpriesterstellen gesorgt wird.

Art. 14. Eine Häufung von Pfründen wird in Zukunft nicht erlaubt sein, wenn die Einnahmen der Rechtsinhaber von einer oder mehreren Pfründen die Summe von dreitausend Livres übersteigen. Ebenso wenig wird es gestattet sein, mehrere Pfründenrenten oder eine Rente und eine Pfründe zugleich zu besitzen, falls die Einkünfte aus derartigem Besitz ebenfalls die Summe von dreitausend Livres übersteigen.

Art. 15. Anhand der ihr vorzulegenden Liste über die Höhe der Pensionen, Gnadengeschenke und festen Gehälter wird die Nationalversammlung, im Einvernehmen mit dem König, darangehen, diejenigen von ihnen, die auf keinem Verdienst beruhen, aufzuheben und die übrigen, soweit sie das gewöhnliche Maß übersteigen, zu reduzieren, vorbehaltlich einer für die Zukunft festzusetzenden Summe, über die der König für derartige Zwecke frei verfügen kann.

Art. 16. Die Nationalversammlung ordnet an, dass zum Gedächtnis dieser zum Wohle Frankreichs gefassten Beschlüsse eine Medaille geprägt und in allen Pfarrgemeinden und Kirchen des Königreiches zum Dank ein Tedeum gesungen werden soll.

Art. 17. Die Nationalversammlung erklärt König Ludwig XVI. feierlich zum Wiederhersteller der französischen Freiheit.

Art. 18. Die Nationalversammlung wird sich in corpore zum König begeben, um Seiner Majestät den eben gefassten Beschluss vorzulegen, ihr ihre ehrerbietigste Dankbarkeit zu bezeugen und sie um die Erlaubnis zu bitten, das Tedeum in der Königlichen Kapelle singen zu lassen und selbst an ihm teilzunehmen.

Art. 19. Die Nationalversammlung wird unmittelbar nach Errichtung der Verfassung die nötigen Gesetze für die Entwicklung der in vorliegendem Beschluss verankerten Prinzipien erlassen. Den Beschluss sollen die Abgeordneten, zusammen mit dem Dekret vom 10. dieses Monats, in alle Provinzen schicken, um ihn dort drucken, veröffentlichen, auch von der Kanzel predigen und überall, wo es nötig ist, anschlagen zu lassen.

aus: Grab, W. (Hg.), die Französische Revolution. Eine Dokumentation, München 1973, S. 33-36