Das Ahlener Programm der CDU vom 3. Februar 1947

 

Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen.

Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfasssung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht, dem geistigen und materiellen Aufbau unseres Volkes dient und den inneren und äußeren Frieden sichert.

In dieser Erkenntnis hat das Parteiprogramm der CDU vom März 1946 folgende Grundsätze aufgestellt:

 

Ziel aller Wirtschaft ist die Bedarfsdeckung des Volkes.

Die Wirtschaft hat der Entfaltung der schaffenden Kräfte des Volkes des Menschen und der Gemeinschaft zu dienen. Ausgangspunkt aller Wirtschaft ist die Anerkennung der Persönlichkeit. Freiheit der Person auf wirtschaftlichem und Freiheit auf politischem Gebiet hängen eng zusammen. Die Gestaltung und Führung der Wirtschaft darf dem Einzelnen nicht die Freiheit seiner Person nehmen. Daher ist notwendig:

Stärkung der wirtschaftlichen Stellung und Freiheit des Einzelnen, Verhinderung der Zusammenballung wirtschaftlicher Kräfte in der Hand von Einzelpersonen, von Gesellschaften, privaten oder öffentlichen Organisationen, durch die die wirtschaftliche oder politische Freiheit gefährdet werden könnte. Kohle ist das entscheidende Produkt der gesamten deutschen Volkswirtschaft. Wir fordern die Vergesellschaftung der Bergwerke.

Im Verfolg dieser Grundsätze ist nunmehr von der CDU folgendes Programm für die Neuordnung der Wirtschaft beschlossen worden (...)

 

II. Neue Struktur der deutschen industriellen Wirtschaft.

 

Die neue Struktur der deutschen Wirtschaft muss davon ausgehen, dass die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist. Es muss aber ebenso vermieden werden, dass der private Kapitalismus durch den Staatskapitalismus ersetzt wird, der noch gefährlicher für die politische und wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen sein würde. Es muss eine neue Struktur der Wirtschaft gesucht werden, die die Mängel der Vergangenheit vermeidet und die Möglichkeit zu technischem Fortschritt und zur schöpferischen Initiative des Einzelnen lässt.

 

1. Konzerne und ähnliche wirtschaftliche Gebilde, die nicht technisch, sozial oder wirtschaftlich absolut notwendig sind, sind zu entflechten und in selbstständige Einzelunternehmungen zu überführen. Die technische Entwicklung verlangt bei gewissen Unternehmungen eine bestimmte Mindestgröße, namentlich auch, um gegenüber dem Auslande konkurrenzfähig zu sein. Diese Mindestgröße muss derartigen Unternehmungen unbedingt belassen werden.

 

2. Unternehmungen monopolartigen Charakters, Unternehmungen, die eine bestimmte Größe überschreiten müssen, verleihen eine wirtschaftliche und damit eine politische Macht, die die Freiheit im Staate gefährden kann. Dieser Gefahr muss dadurch vorgebeugt werden, dass entsprechende Kartellgesetze erlassen werden. Darüber hinaus soll bei diesen Unternehmungen das machtverteilende Prinzip eingeführt werden, damit jede mit dem Gemeinwohl unverträgliche Beherrschung wesentlicher Wirtschaftszweige durch den Staat, Privatpersonen oder Gruppen ausgeschlossen wird.

a) Zu diesem Zweck sollen öffentliche Körperschaften wie Staat, Land, Gemeinde, Gemeindeverbände, ferner Genossenschaften und die im Betrieb tätigen Arbeitnehmer an diesen Unternehmungen beteiligt werden, der dringend notwendigen Unternehmerinitiative ist der erforderliche Spielraum zu belassen.

b) Weiter soll bei solchen Unternehmungen der private Aktienbesitz, der in einer Hand dem Eigentum oder dem Stimmrecht nach vereinigt ist, in der Höhe gesetzlich begrenzt werden.

3. Bergbau. Monopolartigen Charakter haben Kohlenbergwerke schlechthin wegen des von ihnen geförderten, für das gesamte Volk lebenswichtigen Urprodukts. Daher ist die Anwendung der in Ziffer II/2 aufgestellten Grundsätze auf sie vordringlich, sie sind somit zu vergesellschaften. Wenn in besonderen Fällen die Form des Staatsbetriebes zweckmäßiger erscheint, so sollen die vorstehenden Grundsätze der Anwendung dieser Form nicht entgegenstehen. (...)

 

III. Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Betriebe.

In den Betrieben, in denen wegen ihrer Größe das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer nicht mehr auf einer persönlichen Grundlage beruht, ist ein Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer an den grundlegenden Fragen der wirtschaftlichen Planung und sozialen Gestaltung sicherzustellen. Dies muss zunächst dadurch geschehen, dass die Arbeitnehmer des Betriebes in den Aufsichtsorganen, z.B. im Aufsichtsrat des Unternehmens, die ihnen zustehende Vertretung haben. Zu diesem Zwecke bedarf es einer Reform des Gesellschaftsrechts. Insbesondere ist dem Aufsichtsrat eine stärkere Stellung gegenüber der Verwaltung zu verleihen.

Bei Großbetrieben mit mehrköpfigem Vorstand sollte Betriebsangehörigen, die in langjähriger Betriebszugehörigkeit sich um den Betrieb verdient gemacht haben, Mitwirkung in der Leitung des Unternehmens durch Berufung in den Vorstand gewährt werden. Die Berufung erfolgt auf Vorschlag der Betriebsangehörigen, die dem Aufsichtsrat mindestens drei Vorschläge zu unterbreiten haben.

Dem von der Belegschaft gewählten Vorsitzenden des Betriebsrates ist Gelegenheit zur Mitwirkung in allen Fragen zu geben, welche die sozialen Interessen der Betriebsangehörigen berühren. Darüber hinaus hat die Betriebsleitung in jedem Fall dem Betriebsrat einmal monatlich Bericht über die Lage des Unternehmens zu erstatten, und den Betriebsangehörigen ist ein Anspruch auf Auskunftserteilung in diesen Besprechungen zuzubilligen.

Durch geeignete Maßnahmen soll den Arbeitnehmern eine Beteiligung am Ertrage gesichert werden. Die Formen dieser Beteiligung können verschiedenartig sein und unterliegen besonderer Vereinbarung.

 

IV. Planung und Lenkung der Wirtschaft

wird auf lange Zeit hinaus in erheblichem Umfange notwendig sein, es ist aber ein Unterschied, ob die Planung und Lenkung im Hinblick auf die Schwierigkeiten der wirtschaftlichen Lage erfolgt oder von Fall zu Fall als notwendig betrachtet wird. Planung und Lenkung wird auch in normalen Zeiten der Wirtschaft in gewissem Umfange notwendig sein, was sich aus unserer Auffassung ergibt, dass die Wirtschaft der Bedarfsdeckung des Volkes zu dienen hat.

Diese Planungs- und Lenkungsaufgaben sollen von Selbstverwaltungskörperschaften der Wirtschaft in Wirtschaftskammern vorgenommen werden. Ob diese Wirtschaftskammern identisch sein werden mit den Industrie- und Handelskammern, ist eine Frage von sekundärer Bedeutung. Notwendig ist auf jeden Fall, dass die breiten Massen der Arbeitnehmer und Konsumenten an dieser Planung und Lenkung innerhalb der wirtschaftlichen Selbstverwaltung neben den Unternehmern gleichberechtigt teilnehmen. In ihren letzten Entscheidungen unterliegen auch die Selbstverwaltungskörperschaften der parlamentarische Kontrolle.

 

(in: Geschichte in Quellen - Die Welt seit 1945 -, bearbeitet von Helmut Krause und Karlheinz Reif, Bayerischer Schulbuch-Verlag, München 1980, S. 211/212)

 

 

Demonstrierende Arbeiter im Ruhrgebiet 1947