Bülow zur Hunnenrede

   

Die schlimmste Rede jener Zeit und vielleicht die schädlichste, die Wilhelm II. je gehalten hat, war die Rede in Bremerhaven am 27. Juni 1900. Als Hohenlohe und ich dort eintrafen, erblickten wir am Hafen, wo die für Ostasien bestimmten Truppen aufgestellt waren, ein hölzernes Gerüst. Es wurde darüber hin und her geredet, welchem Zweck es dienen sollte. Die einen meinten, daß sich die Feuerwehr von Bremerhaven an diesem Turm für Feuersbrünste einexerziere, andere glaubten, die Matrosen sollten hier Turnübungen anstellen. Plötzlich erschien der Kaiser und erkletterte die, wie sich jetzt herausstellte, für ihn errichtete Redekanzel. In der Rede, die er von diesem Podium mit scharfer, weithin reichender Stimme hielt, befand sich der Satz: "Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter König Etzel sich einen Namen gemacht haben, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen." Noch während der Kaiser sprach, setzte ich mich mit dem Direktor des Bremer Lloyd, dem verständigen Herrn Wiegand, in Verbindung, um alle anwesenden Journalisten darauf zu verpflichten, daß sie diese Rede nicht ohne vorherige Korrektur durch mich veröffentlichen würden. Diese Zusage wurde auch von allen gegeben und loyal gehalten.

Als ich auf die "Hohenzollern" zurückkehrte, meldete sich ein Berliner Publizist bei mir, der die Rede wörtlich nachstenographiert hatte und glücklich war, sie als erster seinem Blatt telegraphieren zu können. Auf mein Zureden erklärte er sich in anständiger Weise bereit, auf diese Primeur zu verzichten und die Kraftstellen der kaiserlichen Ansprache zu unterdrücken. Während der Kaiser gesprochen hatte, war das Gesicht des einundachtzigjährigen Fürsten Hohenlohe immer länger geworden. Er hatte mir kaum drei Monate vorher telegraphiert: "Seien Sie versichert, daß ich, solange ich noch fähig bin, mein Amt zu verwalten, glücklich sein werde, auf Ihre Mitarbeit rechnen zu dürfen." Jetzt meinte er, indem er sich nüt resigniertem Gesicht mir zuwandte: "Das kann ich unmöglich im Reichstag vertreten, das müssen Sie versuchen." Bei der Abendtafel wurden die Zeitungen gebracht. Der Kaiser griff nach ihnen und wahr sehr verwundert, seine Rede nur in der ihr von mir gegebenen Fassung, d. h. unter Weglassung der bedenklichen Wendungen, zu finden. "Sie haben ja gerade das Schönste weggestrichen", meinte er zu mir, der ich ihm gegenübersaß, weniger erzürnt als enttäuscht und betrübt. Da wurde ein kleines, in Wilhelmshaven erscheinendes Blatt gebracht, das die kaiserliche Rede in extenso veröffentlicht hatte. Ein Mitarbeiter dieses Blättchens hatte, auf einem Dache sitzend, die Rede nachstenographiert und sofort publiziert, ohne daß Wiegand oder ich es hatten hindern können. Er hatte auch schon die betreffende Nummer seines Blattes nach Bremen, Hamburg, Hannover, Emden und Berlin in Tausenden von Exemplaren expediert, froh über das gute Geschäft, das er machen würde. Der Kaiser war entzückt, als er nun seine Rede in ihrem vollen Wortlaut las, aber weniger erfreut, als ich, während er nachher seine Zigarre rauchte, ihn über seine Auslassungen zur Rede stellte ...

B. Fürst v. Bülow: Denkwürdigkeiten, hrsg. v. F. v. Stockhammer, Bd. 1, Berlin 1930, S. 359 f.