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Über das Scheitern der Haldane
Mission (F. Fischer)
In der Dreiheit von Flottenfrage,
politischem Abkommen und Kolonialverständigung legten die Deutschen von
vornherein das größte Gewicht auf den politischen Ausgleich, während
für Haldane die Flottenerörterungen der entscheidende Ausgangspunkt
der Verhandlungen waren. Jedoch noch am Abend vor der Ankunft Haldanes
hatte der Kaiser in einer Thronrede die neue Flottennovelle angekündigt
und damit die Gespräche, bevor überhaupt mit ihnen begonnen worden
war, erheblich belastet. Dazu kam, daß die Frage der Flottenvermehrung
von ihm und Tirpitz allein, ohne Hinzuziehung des Kanzlers, mit Haldane
besprochen wurde und beide hier grundsätzlich zu einem Nachgeben nicht
bereit waren, ja, in den nächsten Wochen sich über englische Kritik
und englische Gegenmaßnahmen sogar aufs höchste verstimmt zeigten.
("Meine und des deutschen Volkes Geduld ist zu Ende." 5. März.)
Obwohl also die Deutschen in der
Frage des maritimen Wettrüstens zu einem Entgegenkommen nicht bereit
waren, forderten sie in der Diskussion über einen politischen Ausgleich
eine sehr weitgehende Bindung Englands. Bethmann Hollweg, als der
formell verantwortliche Leiter der Reichspolitik, wie der Kaiser lehnten
das englische Angebot einer Neutralität im Falle eines unprovozierten
Angriffs auf Deutschland beharrlich ab, forderten vielmehr von
England neben einem Deutschland adäquaten Kolonialreich eine
Neutralitätszusage, die nach einer von KiderlenWächter ausgearbeiteten
Formel dahin lautete, daß jeder der Vertragspartner, wenn er in einen
Krieg mit einer oder mehreren Mächten verwickelt werden sollte,
sich verpflichtete, zumindestens eine wohlwollende Neutralität zu
beobachten und für die Lokalisierung des Konflikts bemüht zu
sein."
Diese von Deutschland verlangte
vertragsmäßige Zusage hätte Deutschland freie Hand gegenüber
Frankreich gegeben, da England sich auch aus einem von Deutschland
provozierten Kontinentalkrieg hätte heraushalten müssen, ganz
abgesehen davon, daß es durch ein so weitgehendes Versprechen seine
eigenen Ententen, die in ihren Abmachungen weniger strikt waren, gefährdet
hätte. Für England war aber gerade wie Haldane bereits im ersten
Gespräch am 8. Februar gegenüber Bethmann Hollweg betonte und Nicolson
in einer scharfsinnigen Stellungnahme wiederholte wichtig, zu
verhindern, daß Frankreich durch Deutschlands Macht erdrückt würde.
Obwohl Haldane den Belgischen Kongo und Angola es war die Rede von einem
"Gürtel" deutschen Besitzes quer durch Afrika , ferner
Sansibar und Pemba sowie ein Entgegenkommen bei der Bagdadbahn anbot,
ging Bethmann Hollweg nicht von der Forderung seiner Neutralitätsformel
ab.
Das beharrliche Festhalten an einer
Politik, die die freie Hand auf dem Kontinent bei gleichzeitiger
Neutralisierung Englands intendierte, unterstreicht erneut, wie sehr die
deutsche Führung um diese Zeit bereits die kriegerische
Auseinandersetzung mit Frankreich und Rußland für wahrscheinlich, wenn
nicht nahe bevorstehend oder gar unvermeidlich hielt. So erscheint es
nicht als eine isolierte Äußerung, wenn am Ende des Jahres 1912 in den
Reichstagsdebatten der nationalliberale Führer Bassermann formulierte:
"Wir müssen doch alle damit rechnen, daß eines Tages die große
Weltabrechnung kommt." Und es klingt fast
biologistischdeterministisch, wenn er, auf diese Weise die
unvermeidliche Auseinandersetzung rechtfertigend, fortfährt:
"Weltreiche wachsen durch Druck empor."
F. Fischer: Griff nach der Weltmacht,
Düsseldorf 1961, S. 43f.
Über die wirtschaftlichen und
politischen Gründe des Scheiterns (W. Näf)
Imperialistische Politik ist ihrem
Wesen nach staatsindividualistisch; lange standen und handelten die
Westmächte einzeln, nur lose und für momentane Zwecke zu zweien oder
dreien miteinander verbunden. Die Ereignisse des Kulminationsjahres 1898
und ihre Auswirkungen änderten diesen Zustand, nicht durch Überwindung
der imperialistischegoistischen Gesinnung, aber innerhalb des
imperialistischen Getriebes durch eine entschiedene und dauerhafte
weltpolitische Gruppierung. Diese Gruppenbildung wurde dadurch
eingeleitet, daß um die Jahrhundertwende Großbritannien bündniswillig
wurde; die Art, wie sie zustande kam, wurde dadurch bedingt, daß das
Deutsche Reich gleichzeitig aufhörte, bündniswillig zu sein. Nichts
kennzeichnet schärfer die Verschiedenheit des britischen und des
deutschen Imperialismus in diesem entscheidenden Zeitpunkt als die
gegensätzliche Konsequenz, die die britische und die deutsche Politik
jetzt aus ihrer Weltstellung und aus ihren Weltinteressen zogen
Die Bündnisbereitschaft Großbritanniens
ergab sich unmittelbar wohl aus jener Belastung, ja Gefährdung, welche
die Staatsmänner des britischen Weltreiches seit der Mitte der
achtziger Jahre empfanden; die tiefere Ursache aber ist in der Tatsache
zu erblicken, daß der imperiale Machtbau hier nach unvergleichlichen
Erfolgen durch das 19. Jahrhundert vor seiner Vollendung stand. Ihn zu
sichern wird wichtiger, als ihn noch mehr zu erweitern und zu erhöhen.
Im britischen Imperialismus werden konservative Züge überwiegend; er
setzt sich Schranken, er bestimmt die Objekte, die er für sich außer
Betracht lassen will. Er geht damit vom eigentlichen Begriff der
imperialistischen Politik, der unaufhaltsam weiterstrebenden Bewegung
ab. Nun sollen die Risiken vermindert werden. Es ist ein so mächtiges
und allgegenwärtiges, ein so reiches Reich entstanden, daß ihm die
Wege zu kompensierendem Ausgleich nach den verschiedenen Richtungen
offenstehen. Immerhin berührten Rußland und Frankreich es an wichtigen
Punkten feindlich; so suchte Großbritannien zunächst mit dem Deutschen
Reich und den Dreibundmächten zu sichernden Abmachungen zu gelangen.
Das Deutsche Reich stand indessen auf
anderer europäischer Basis und auf anderer Stufe der imperialistischen
Entwicklung. Sein "Weltreich" war im wesentlichen erst
Programm und Anspruch, und notwendigerweise mußte es einen andern
Charakter haben. Spät angelegt, hatte es Schwierigkeiten, aus
Kolonialland einen Reichskörper aufzubauen; die deutsche Weltgeltung
hing daher sozusagen ausschließlich von der Stärke des europäischen
Mutterlandes ab und von den beweglichen Machtmitteln, die dieses
auszusenden vermochte. Dies, nicht der Schutz der Kolonien, nicht der
Schutz und die Förderung der Handelsinteressen, war das eigentliche
Motiv zur Schaffung einer starken Schlachtflotte. Solange sie fehlte,
war das Reich als Weltmacht schwach. Aus dieser Schwäche aber konnte
der imperialistisch gesinnte Staat keinen Bündnisentschluß ableiten; Bündnis
mit einem Stärkeren bedingte Rücksicht, bedeutete Unterordnung: Eben
dies erschien unleidlich. Auch das Reich war weltpolitisch isoliert und
spürte dies; Bismarcks Zweibund und Dreibund waren europäische
Kombinationen und ertrugen keine imperialistische Belastung. Aber
Deutschland wollte erst Weltmacht werden durch seine Flotte. Verfügte
es einst über eine Flottenmacht, den meisten überlegen, der stärksten
selbst Respekt gebietend, dann würde das Reich auch dies wird zum
Glaubenssatz als ebenbürtiger Partner bündnisfähig. Bis dahin müsse
es sich von jeder Bindung freihalten.
Die Initiative zu weltpolitischer
Gruppierung ging unter solchen Umständen von Großbritannien aus, und
England suchte das Deutsche Reich zu gewinnen. Dreimal, im Frühling
1898, im November 1899 und zu Beginn des Jahres 190 11 stellten
britische Staatsmänner die Leitung des Deutschen Reiches sondierend und
fragend vor die Möglichkeit, Besprechungen mit dem Ausblick auf eine
englischdeutsche Allianz aufzunehmen; dreimal versagte sich Berlin und
ließ die kaum angesponnenen Fäden wieder abreißen.
W. Näf: Die Epochen der Neueren
Geschichte, Bd. 2, München 21970, S. 380382
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