|
Otto von Bismarck zur Revolution von 1848/49
Aus seiner Autobiographie |
|
Diese Hoffnung oder Erwartung [daß Preußen ohne Krieg und in einer mit
legitimistischen Vorstellungen verträglichen Weise das Vorgewicht in
Deutschland zufallen würde], die bis in die 'Neue Ära' hinein in Phrasen von
dem deutschen Berufe Preußens und von moralischen Eroberungen einen
schüchternen Ausdruck fand, beruhte auf dem doppelten Irrtum, der vom März
1848 bis zum Frühjahr des folgenden Jahres in Sanssouci wie in der
Paulskirche bestimmend war: einer Unterschätzung der Lebenskraft der
deutschen Dynastien und ihrer Staaten, und einer Überschätzung der Kräfte,
die man unter dem Wort Barrikade zusammenfassen kann, so daß darunter alle
die Barrikade vorbereitenden Momente, Agitation und Drohung mit dem
Straßenkampfe, begriffen sind. Nicht in diesem selbst lag die Gefahr des
Umsturzes, sondern in der Furcht davor. Die mehr oder weniger phäakischen(1)
Regierungen waren im März, ehe sie den Degen gezogen hatten, geschlagen,
teils durch die Furcht vor dem Feinde, teils durch die innere Sympathie
ihrer Beamten mit demselben. Immerhin wäre es für den König von Preußen an
der Spitze der Fürsten leichter gewesen, durch Ausnutzung des Sieges der
Truppen in Berlin ein deutsches Einheitsgebilde herzustellen, als es nachher
in der Paulskirche geworden ist [...].
Die Frankfurter Versammlung, in demselben doppelten Irrthum befangen,
behandelte die dynastischen Fragen als überwundenen Standpunkt, und mit der
theoretischen Energie, welche dem Deutschen eigen ist, auch in Betreff
Preußens und Österreichs; [...] die Versammlung täuschte sich [...] über die
Tatsache, daß im Falle eines Widerspruchs zwischen einem Frankfurter
Reichstagsbeschluss und einem preußischen Königsbefehl der erstere bei
sieben Achtel der preußischen Bevölkerung leichter oder gar nicht ins
Gewicht fiel. [...]
Und nicht nur in Preußen, sondern auch in den großen Mittelstaaten hätte
damals ein monarchischer Befehl, der die Masse der Fäuste dem Fürsten zu
Hülfe aufrief, falls er erfolgte eine ausreichende Wirkung gehabt; nicht
überall in dem Maße, wie es in Preußen der Fall war, aber doch in einem
Maße, welches überall dem Bedürfnis materieller Polizeigewalt genügt haben
würde, wenn die Fürsten den Muth gehabt hätten, Minister anzustellen, die
ihre Sache fest und offen vertraten.
(1) Phäake: Angehöriger eines glücklichen, Genuss liebenden Seefahrervolkes
der griechischen Sage, übertragen: sorgloser Genießer
Aus: Bismarck, O. von, Gedanken und Erinnerungen, Wissenschaftliche
Buchgesellschaft Darmstadt, Darmstadt 1998, S. 59 f. |
|