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Um deutlich zu verstehen, wie die Entwicklung von
Kolonien anzufassen ist, muß man immer im Auge behalten, zu welchen
Zwecken ein Staat neue Landgebiete in Besitz nimmt. Stets waren es
wirtschaftliche Bedürfnisse, die die Völker zur Kolonialpolitik
getrieben haben. Entweder mußte neues Land für die anschwellende Bevölkerung
erworben werden, oder aber es war nötig, Gebiete in anderen Zonen sich
anzueignen, in denen Artikel gebaut werden konnten, die der
Volkshaushalt nötig hatte, die aber in der Heimat nicht fortkamen. In
beiden Fällen wurden auf diese Weise sichere Absatzgebiete für den
heimischen Handel gewonnen. Dies ist die Grundlage für jede gesunde
kolonialpolitische Unternehmung gewesen, von den Tagen der Phönizier
und Karthager, der Griechen und Römer bis zu den Siedlungsarbeiten der
Deutschen in den Ländern zwischen Elbe und Weichsel und an der
mittleren Donau, sowie den überseeischen Eroberungen der Portugiesen
und Spanier, der Holländer, Franzosen und
Engländer, der großen russischen Ausbreitung in
Mittel- und Ostasien und der letzten Aufteilung tropischer Gebiete im
letzten Vierteljahrhundert, an denen Deutschland zum ersten Male wieder
teilgenommen hat. Immer galt es die Gründung entweder von Ackerbau-
oder von Plantagenkolonien; und jedes mal zog der nationale Handel aus
einer gesunden wirtschaftlichen Ausdehnung unmittelbaren Vorteil.
Es sind also Koloniegründungen ihrer
allgemeinsten Klassifizierung nach Bodenspekulationen, und zwar
Bodenspekulationen ganzer Völker. Deshalb können sie weiter
ausschauend sein als die Spekulationen eines einzelnen, eben weil ein
ganzes Volk länger auf Gewinne warten kann als ein einzelner. Im übrigen
aber müssen sie genau nach den Gesichtspunkten jeder gewöhnlichen
Bodenunternehmung behandelt werden. Im Einzelgeschäft nun macht jemand,
der sich Grund und Boden auf Spekulation kauft, seinen Gewinn dadurch,
daß er eine Preiserhöhung des Landes bewirkt; solche Preiserhöhung
aber wird geschaffen dadurch, daß man entweder den Grundbesitz durch
geeignete Verkehrsmittel an den Weltmarkt anschließt oder durch
Aufteilung des Ganzen nach den verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten
im einzelnen schmackhaft für einzelne macht.
Wenn wir diesen Grundsatz auf Kolonialpolitik
anwenden, so finden wir, daß der Staat zunächst natürlich die
entsprechenden Ländereien sich zu besorgen hat. Dies kann durch Kauf
oder einfache Besitzergreifung geschehen. Das letztere ist jedenfalls
das billigere Verfahren. Ein kolonisationsbedürftiges Volk kann seine
Hand niemals auf zu große Länderstrecken legen. Je mehr die nationale
Flagge zunächst deckt, um so besser. Das bekannte Wort des Grafen
Caprivi: "man könne Deutschland keinen größeren Schaden antun,
als wenn man ihm ganz Afrika schenke", triff t nur zu auf ein
koloniales Verwaltungssystem, wie es allerdings unter seiner
Reichskanzlerschaft, wenn auch nicht durch seine Schuld, bei uns im
Gange war, und das man kennzeichnen kann als "teuer und
schlecht". Nicht aber findet es seine Anwendung auf eine geschäftliche
Kolonialpolitik, wie sie gleichzeitig zum Beispiel Cecil Rhodes in Südafrika
betrieb, und wie sie die Engländer eigentlich überall auf der Erde
betrieben haben. Für Rhodes war das: "Afrika englisch, vom Kap bis
Kairo! " nicht so sehr ein nationales wie ein riesenhaftes Geschäftsprogramm.
Den ganzen Erdteil nehmen, ihn einteilen von vornherein nach großen
allgemeinen geschäftlichen Gesichtspunkten: Landwirtschaft, Minen,
Forsten usw.; Eisenbahnen von einem Ende zum anderen zu bauen, um an der
"Gründung" Millionen zu machen; Städte anzulegen, um Geld
"dick" zu verdienen am Verkauf von Hausplätzen, wie dies
geschah in Buluwayo, Salisbury, Umtali, Gwelo, Melsetter usw., Länder
urbar zu machen, um Farmen zu Tausenden verkaufen zu können usw., das
ist angelsächsische Kolonialpolitik, und für solche kann man gar nicht
genug Land auf der' Erde in Besitz nehmen. Bei uns war zur Zeit meiner
ostafrikanischen Tätigkeit, wo ich meine Hand auf Afrika von Berbera
bis zu den Komoren und Madagaskar, vom Zanzibar bis zu den großen
mittelafrikanischen Seen legte, immer ein wildes Gekläff im Gange, mit
theoretischen Tüfteleien. Ist das Gebiet auch gut? Wie ist denn das
Klima? usw. Das sind in solchen Fällen doch stets curae posteriores.
Die Hauptsache ist, daß man das Land erst einmal hat, hernach kann man
untersuchen, was es wert ist.
Man kann niemals ohne gründliche Untersuchung
wissen, welche Schätze irgendwo auf oder in der Erde liegen mögen, zum
Beispiel: wer hätte vor einem halben Jahrhundert geahnt, was die Lüneburger
Heide an Salzen und Ölen in sich birgt. Deshalb soll man die graue
Theorie und unfruchtbare Kritik bei Koloniegründungen lassen, bis man
die Rechtstitel besitzt Wertloses Land kann man immer schnell wieder
loswerden; aber sehr schwer kann man verpaßte Gelegenheiten sich von
neuem schaffen.
Neben der politischen Besitzergreifung, die ein
Kolonialgebiet gegen den Wettbewerb anderer Staaten sichert, muß die
Beschlagnahme von Grund und Boden erfolgen, durch welche die
Eingeborenen enteignet werden und der besitzergreifende Staat der
alleinige Eigentümer wird. Erst dadurch wird die rechtliche Grundlage für
die ganze Unternehmung vervollständigt.
C. Peters: Gesammelte Schriften, hrsg. v. W.
Frank, Bd. 1 München/Berlin 1943, S. 441f.
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