Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und den Drei Mächten vom 26. Mai 1952
Die Bundesrepublik Deutschland einerseits
und die Vereinigten Staaten von Amerika,
das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland
und die Französische Republik
andererseits haben in der Erwägung, daß eine friedliche und blühende
europäische Völkergemeinschaft, die durch ihr Bekenntnis zu den Grundsätzen
der Satzung der Vereinigten Nationen mit den anderen freien Völkern der
Welt fest verbunden ist, nur durch vereinte Förderung und Verteidigung
der gemeinsamen Freiheit und des gemeinsamen Erbes verwirklicht werden
kann; daß es das gemeinsame Ziel der Unterzeichnerstaaten ist, die
Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage der Gleichberechtigung in die
europäische Gemeinschaft zu integrieren, die selbst in die sich
entwickelnde atlantische Gemeinschaft eingefügt ist; daß die
Wiederherstellung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands auf
friedlichem Wege und die Herbeiführung einer frei vereinbarten
friedensvertraglichen Regelung - mögen auch gegenwärtig außerhalb ihrer
Macht liegende Maßnahmen entgegenstehen - ein grundlegendes und
gemeinsames Ziel der Unterzeichnerstaaten bleibt;
daß die Aufrechterhaltung des Besatzungsstatuts mit den darin
vorgesehenen Eingriffsbefugnissen in die eigenen Angelegenheiten der
Bundesrepublik mit dem Zweck der Integration der Bundesrepublik in die
europäische Gemeinschaft unvereinbar ist; daß die Vereinigten Staaten
von Amerika, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland
und die Französische Republik (im folgenden als "die Drei Mächte"
bezeichnet) daher entschlossen sind, nur die besonderen Rechte
aufrechtzuerhalten, deren Beibehaltung im Hinblick auf die Besonderheiten
der internationalen Lage Deutschlands im gemeinsamen Interesse der
Unterzeichnerstaaten erforderlich ist;
daß die Bundesrepublik auf Freiheit und Verantwortlichkeit gegründete
politische Einrichtungen geschaffen hat und entschlossen ist, die in ihrem
Grundgesetz verankerte freiheitlich-demokratische und bundesstaatliche
Verfassung aufrechtzuerhalten, welche die Menschenrechte gewährleistet;
daß die Bundesrepublik und die Drei Mächte sowohl die neuen Beziehungen,
die durch diesen Vertrag und seine Zusatzverträge geschaffen werden, als
auch die Verträge zur Bildung einer integrierten europäischen
Gemeinschaft, insbesondere den Vertrag über die Gründung der Europäischen
Gemeinschaft für Kohle und Stahl und den Vertrag über die Gründung der
Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, als wesentliche Schritte zur
Verwirklichung ihres gemeinsamen Strebens nach einem wiedervereinigten
Deutschland anerkennen, das in die europäische Gemeinschaft integriert
ist;
zur Festlegung der Grundlagen ihres neuen Verhältnisses den folgenden
Vertrag geschlossen:
Artikel 1
(1) Die Bundesrepublik hat volle Macht über ihre inneren und äußeren
Angelegenheiten, vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrages.
(2) Mit dem Inkrafttreten dieses Vertrages und der in Artikel 8 aufgeführten
Verträge (in diesem Vertrag als "Zusatzverträge" bezeichnet)
werden die Drei Mächte das Besatzungsstatut aufheben und die Alliierte
Hohe Kommission sowie die Dienststellen der Landeskommissare auflösen.
(3) Die Drei Mächte werden künftig ihre Beziehungen mit der
Bundesrepublik durch Botschafter unterhalten, die in Angelegenheiten
gemeinsam tätig werden, welche die Drei Mächte nach diesem Vertrage und
den Zusatzverträgen als sie gemeinsam betreffend ansehen.
Artikel 2
(1) Die Drei Mächte behalten im Hinblick auf die internationale Lage die
bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte in bezug auf (a) die
Stationierung von Streitkräften in Deutschland und den Schutz von deren
Sicherheit, (b) Berlin und (c) Deutschland als Ganzes einschließlich der
Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung.
(2) Die Bundesrepublik wird sich ihrerseits jeder Maßnahme enthalten,
welche diese Rechte beeinträchtigt, und wird mit den Drei Machten
zusammenwirken, um ihnen die Ausübung dieser Rechte zu erleichtern.
Artikel 3
(1) Die Bundesrepublik wird ihre Politik in Einklang mit den Prinzipien
der Satzung der Vereinten Nationen und mit den im Statut des Europarates
aufgestellten Zielen halten.
(2) Die Bundesrepublik bekräftigt ihre Absicht, sich durch ihre
Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, die zur Erreichung der
gemeinsamen Ziele der freien Welt beitragen, mit der Gemeinschaft der
freien Nationen völlig zu verbinden. Die Drei Mächte werden zu gegebener
Zeit Anträge der Bundesrepublik unterstützen, die Mitgliedschaft in
solchen Organisationen zu erlangen.
(3) Bei Verhandlungen mit Staaten, mit denen die Bundesrepublik keine
Beziehungen unterhält, werden die Drei Mächte die Bundesrepublik in
Fragen konsultieren, die deren politische Interessen unmittelbar berühren.
(4) Auf Ersuchen der Bundesregierung werden die Drei Mächte die
erforderlichen Vorkehrungen treffen, die Interessen der Bundesrepublik in
ihren Beziehungen zu anderen Staaten und in gewissen internationalen
Organisationen oder Konferenzen zu vertreten, soweit die Bundesrepublik
dazu nicht selbst in der Lage ist.
Artikel 4
(1) Die Aufgabe der von den Drei Mächten im Bundesgebiet stationierten
Streitkräfte wird die Verteidigung der freien Welt sein, zu der die
Bundesrepublik und Berlin gehören.
(2) In bezug auf die Stationierung dieser Streitkräfte im Bundesgebiet
werden die Drei Mächte die Bundesrepublik konsultieren, soweit es die
militärische Lage erlaubt. Die Bundesrepublik wird, nach Maßgabe dieses
Vertrages und der Zusatzverträge, in vollem Umfang mitwirken, um diesen
Streitkräften ihre Aufgabe zu erleichtern.
(3). Die Drei Mächte werden nur nach vorheriger Einwilligung der
Bundesrepublik Truppen eines Staates, der zur Zeit keine Kontingente
stellt, als Teil ihrer Streitkräfte im Bundesgebiet stationieren. Jedoch
dürfen solche Kontingente im Falle eines Angriffs oder unmittelbar
drohenden Angriffs ohne Einwilligung der Bundesrepublik in das
Bundesgebiet gebracht werden, dürfen dagegen nach Beseitigung der Gefahr
nur mit Einwilligung der Bundesrepublik dort verbleiben.
(4) Die Bundesrepublik wird sich an der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft beteiligen, um zur gemeinsamen Verteidigung der
freien Welt beizutragen.
Artikel 5
(1) Die Drei Mächte werden bei der Ausübung ihres Rechtes, die
Sicherheit der in dem Bundesgebiet stationierten Streitkräfte zu schützen,
die Bestimmungen der folgenden Absätze dieses Artikels einhalten.
(2) Wenn die Bundesrepublik und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft
außer Stande sind, einer Lage Herr zu werden, die entstanden ist
durch einen Angriff auf die Bundesrepublik oder Berlin,
durch eine umstürzlerische Störung der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung,
durch eine schwere Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder
durch den ernstlich drohenden Eintritt eines dieser Ereignisse,
und die nach der Auffassung der Drei Mächte die Sicherheit ihrer Streitkräfte
gefährdet, können die Drei Mächte, nachdem sie die Bundesregierung im
weitestmöglichen Ausmaß konsultiert haben, in der gesamten
Bundesrepublik oder in einem Teil der Bundesrepublik einen Notstand erklären.
(3) Nach Erklärung des Notstandes können die Drei Mächte diejenigen Maßnahmen
ergreifen, die erforderlich sind, um die Ordnung aufrechtzuerhalten oder
wiederherzustellen und die Sicherheit der Streitkräfte zu gewährleisten.
(4) Die Erklärung wird ihr Anwendungsgebiet genau bezeichnen. Die Erklärung
des Notstandes darf nicht länger aufrechterhalten werden, als zur
Behebung der Notlage erforderlich ist.
(5) Während der Dauer eines Notstandes werden die Drei Mächte die
Bundesregierung im weitestmöglichen Ausmaß konsultieren. Sie werden sich
im gleichen Ausmaß der Unterstützung der Bundesregierung und der zuständigen
deutschen Behörden bedienen.
(6) Heben die Drei Mächte die Erklärung des Notstandes nicht innerhalb
von dreißig Tagen auf, nachdem die Bundesregierung darum ersucht hat, so
kann die Bundesregierung den Rat der Nordatlantikpakt-Organisation
ersuchen, die Lage zu überprüfen und zu erwägen, ob der Notstand
beendet werden soll. Gelangt der Rat zu dem Ergebnis, daß die
Aufrechterhaltung des Notstandes nicht länger gerechtfertigt ist, so
werden die Drei Mächte den Normalzustand so schnell wie möglich
wiederherstellen.
(7) Abgesehen vom Falle eines Notstandes ist jeder Militärbefehlshaber
berechtigt, im Falle einer unmittelbaren Bedrohung seiner Streitkräfte
die angemessenen Schutzmaßnahmen (einschließlich des Gebrauchs von
Waffengewalt) unmittelbar zu ergreifen, die erforderlich sind, um die
Gefahr zu beseitigen.
(8) In jeder anderen Hinsicht bestimmt sich der Schutz der Sicherheit
dieser Streitkräfte nach den Vorschriften des in Artikel 8 genannten
Vertrages über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und
ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland.
Artikel 6
(1) Die Drei Mächte werden die Bundesrepublik hinsichtlich der Ausübung
ihrer Rechte in bezug auf Berlin konsultieren.
(2) Die Bundesrepublik ihrerseits wird mit den Drei Mächten
zusammenwirken, um es ihnen zu erleichtern, ihren Verantwortlichkeiten in
bezug auf Berlin zu genügen. Die Bundesrepublik wird ihre Hilfeleistung für
den politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und finanziellen
Wiederaufbau von Berlin fortsetzen; sie wird Berlin insbesondere die
Unterstützung gewähren, die in der anliegenden Erklärung der
Bundesrepublik (Anhang A dieses Vertrages) umschrieben ist.
Artikel 7
(1) Die Bundesrepublik und die Drei Mächte sind darüber einig, daß ein
wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und
seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für
ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden
bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige
Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben
werden muß.
(2) Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die
Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken, um mit friedlichen
Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes
Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie
die Bundesrepublik besitzt und das in die europäische Gemeinschaft
integriert ist.
(3) Im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands werden die Drei Mächte -
vorbehaltlich einer zu vereinbarenden Anpassung - die Rechte, welche der
Bundesrepublik auf Grund dieses Vertrages und der Zusatzverträge
zustehen, auf ein wiedervereinigtes Deutschland erstrecken und werden
ihrerseits darin einwilligen, daß die Rechte auf Grund der Verträge über
die Bildung einer integrierten europäischen Gemeinschaft in gleicher
Weise erstreckt werden, wenn ein wiedervereinigtes Deutschland die
Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber den Drei Mächten oder einer
von ihnen auf Grund der genannten Verträge übernimmt. Soweit nicht alle
Unterzeichnerstaaten ihre gemeinsame Zustimmung erteilen, wird die
Bundesrepublik kein Abkommen abschließen noch eine Abmachung eingehen,
welche die Rechte der Drei Mächte auf Grund der genannten Verträge
beeinträchtigen oder die Verpflichtungen der Bundesrepublik auf Grund
dieser Verträge mindern würden.
(4) Die Drei Mächte werden die Bundesrepublik in allen anderen
Angelegenheiten konsultieren, welche die Ausübung ihrer Rechte in bezug
auf Deutschland als Ganzes berühren.
Artikel 8
(1) Die Bundesrepublik und die Drei Mächte haben die folgenden
Zusatzverträge geschlossen, die gleichzeitig mit diesem Vertrag in Kraft
treten:
Vertrag über die Rechte und Pflichten ausländischer Streitkräfte und
ihrer Mitglieder in der Bundesrepublik Deutschland;
Finanzvertrag;
Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen.
(2) Während der in Absatz (4) des Artikels 6 des Ersten Teiles des
Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen
vorgesehenen Übergangszeit gelten die in jenem Absatz bezeichneten
Befugnisse der Drei Mächte als in den Vorbehalt einbezogen, der in Absatz
(1) des Artikels 1 dieses Vertrages ausgesprochen ist.
Artikel 9
(1) Hiermit wird ein Schiedsgericht errichtet, daß gemäß den
Bestimmungen der beigefügten Satzung (Anhang B dieses Vertrages) tätig
werden wird.
(2) Das Schiedsgericht ist ausschließlich zuständig für alle
Streitigkeiten, die sich zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten
aus den Bestimmungen dieses Vertrages, der Satzung des Schiedsgerichts
oder eines der Zusatzverträge ergeben, und welche die Parteien nicht
durch Verhandlungen beizulegen vermögen, soweit sich nicht aus Absatz (3)
dieses Artikels, der Satzung des Schiedsgerichts oder den Zusatzverträgen
etwas anderes ergibt.
(3) Streitigkeiten, welche die in Artikel 2 angeführten Rechte der Drei Mächte
oder Maßnahmen auf Grund dieser Rechte oder die Bestimmungen der Absätze
(1) bis (7) des Artikels 5 berühren, unterliegen nicht der
Gerichtsbarkeit des Schiedsgerichts oder eines anderen Gerichts.
Artikel 10
Die Bundesrepublik und die Drei Mächte werden die Bestimmungen dieses
Vertrages und der Zusatzverträge überprüfen:
a) auf Ersuchen eines der Unterzeichnerstaaten im Falle der
Wiedervereinigung Deutschlands oder der Bildung einer europäischen Föderation;
oder
b) bei Eintritt irgendeines anderen Ereignisses, das nach Auffassung aller
Unterzeichnerstaaten von ähnlich grundlegendem Charakter ist.
Hierauf werden sie in gegenseitigem Einvernehmen diesen Vertrag und die
Zusatzverträge in dem Umfang ändern, der durch die grundlegende Änderung
der Lage erforderlich oder ratsam geworden ist.
Artikel 11
(1) Dieser Vertrag und die Zusatzverträge sind von den
Unterzeichnerstaaten in Übereinstimmung mit ihren verfassungsmäßigen
Verfahren zu ratifizieren oder zu genehmigen. Die Ratifikationsurkunden
sind von den Unterzeichnerstaaten bei der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland zu hinterlegen.
(2) Dieser Vertrag tritt unmittelbar in Kraft, sobald
a) alle Unterzeichnerstaaten die Ratifikationsurkunden dieses Vertrages
und der in Artikel 8 angeführten Verträge hinterlegt haben; und
b) der Vertrag über die Gründung der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft in Kraft tritt.
(3) Dieser Vertrag und die Zusatzverträge werden in den Archiven der
Regierung der Bundesrepublik Deutschland hinterlegt; diese wird jedem
Unterzeichnerstaat beglaubigte Ausfertigungen übermitteln und jeden
Unterzeichnerstaat vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrages und
der Zusatzverträge in Kenntnis setzen.
Zu Urkund dessen haben die unterzeichneten von ihren Regierungen gehörig
beglaubigten Vertreter diesen Vertrag unterschrieben.
Geschehen zu Bonn am sechsundzwanzigsten Tage des Monats Mai 1952 in
deutscher, englischer und französischer Sprache, wobei alle drei
Fassungen gleichermaßen authentisch sind.
Für die Bundesrepublik Deutschland:
Konrad Adenauer
Für das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland:
Anthony Eden
Für die Vereinigten Staaten von Amerika:
Dean Acheson
Für die Französische Republik:
Robert Schuman
Quelle: BGBl 1954 II S. 59-67
Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Vertragsarchiv