Henri Beyle (Stendhal) über Sitten und Charakter der Deutschen

 

Am 13. November 1806 kam ich in einem Ländchen von 200.000 Einwohnern an, das durch seinen Fürsten berühmt ist [Herzog Carl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig]. Das Herzogtum Braunschweig ist anscheinend das bekannteste aller kleinen deutschen Fürstentümer. Man stelle sich eine große, nach Norden abfallende, lehmige Ebene mit Sandinseln vor, dann hat man ein Bild von diesem sechzig Stunden im Umkreis großen Lande. Indes gibt es ein paar Erhebungen: den Elmwald, wo wir auf die Hirschjagd gegangen sind, und das Rassegebirge, wo ich zwei angenehme Tage verbracht habe. Aber zumeist Schmutz und Kälte, das war mein gewöhnlicher Eindruck seit den sechzehn Monaten meines Hierseins.

Die Landstraßen sind so schlecht, so ganz anders als in Frankreich, dass ich monatelang bei Wagenfahrten in Angst schwebte. Die gewöhnlichen, fast ununterbrochenen Zurufe der Postillone sind die gleichen wie in Frankreich bei großer Gefahr. Immerfort verlassen sie die Straße oder was so bezeichnet wird und fahren querfeldein. Aber das ist noch gar nichts. Auf den Poststationen hat ein etwas lebhafter Mensch zu leiden; stets muss man zwei Stunden warten. Bitten, Schläge, Trinkgeld oder Schlafen, alles ist einerlei. Bei jeder Poststation ist zwei Stunden Aufenthalt. Ein Wagenmeister schmiert den Wagen mit schwarzem Wasser ein und zieht im voraus den Preis für die Pferde ein. Am Ende der Fahrt gibt man den Postillonen ein Trinkgeld. Auch wenn man das dreifache gäbe, ginge es nicht schneller.

Ein großer behäbiger Bauer mit frischen Farben, der im Braunschweigischen einen gelben und im Hannöverschen einen roten Sack und eine Schnur kreuzweise über der Brust trägt und mit schweren Schritten einhergeht, hört ruhig zu, wenn man flucht, und raucht seine Pfeife. Es juckt einem in der Hand, ihn zu prügeln, doch entsinne ich mich nicht, das je getan zu haben. Andere Franzosen haben die Postillone tüchtig geprügelt, die Wirkung war vorzüglich.

Infolge der Scherereien bei der Postfahrt fahren alle Franzosen mit requirierten Pferden. Man kommt an, geht zum Kriegskommissar, zum Ortskommandanten oder Bürgermeister, und nach zwei Stunden sind vier schöne Pferde mit zwei Bauernjungen von frischer Farbe zur Stelle, deren blondes Haar viereckig geschnitten ist wie auf den Bildern Karls des Großen. Sie haben grobe Züge und dumme Mienen. Vor sich her auf den Schenkeln tragen sie einen Sack voll Hafer, mit Häcksel gemischt, binden ihn hinten auf, spannen an und fahren besser als die Post. Ist man sehr freigebig, so gibt man ihnen alle vier bis sechs Meilen zwölf gute Groschen, das Berühren großer Städte mit ihren Militärbehörden ist bei dieser Art des Reisens freilich nachteilig. Man wird schlechter bedient und hängt vom Kriegskommissar ab. Am bequemsten reist man bei Nach mit der Post und am Tage mit den Bauern ...

Man trinkt in Deutschland erstaunlich viel Kaffee. Bei der Ankunft im Gasthof wird einem Milchkaffee mit Butterbrot angeboten, zwei sehr dünne Scheiben Schwarzbrot mit Butter dazwischen. Die braven Deutschen essen vier bis fünf Butterbrote, trinken zwei große Glas Bier und zuletzt einen Schnaps. Diese Lebensweise kann den heftigsten Menschen phlegmatisch machen. Mir raubt sie alles Denken.

Außer dieser kleinen Mahlzeit, die einem in den Gasthöfen angeboten wird, wenn man sehr früh oder sehr spät ankommt, findet man um ein Uhr ein Mittagessen, d.h. eine Wein- oder Biersuppte, gekochtes Fleisch, eine riesige Schüssel Sauerkraut (auch ein verdummendes Gericht), dann einen Braten mit Krautsalat, glaube ich, der abscheulich richt. Zu diesem Mahl, das man wütend verzehrt, gibt es gepanschten Wein, der nach Zucker schmeckt, Burgunder heißt und 35-40 Sous kostet. Besonders scheußlich ist der Wein in Hessen, einem hübschen, aber armen Land; der Kurfürst, geizig wie Harpargnon, besaß alle Güter. [...]

Das Abendessen besteht aus Suppe und Braten; zum Nachtisch etwas Gebäck, sehr wenig Obst, meist Erdbeeren, aber deutsche, d.h. groß, schön und geschmacklos.

Danach muss man zu Bett gehen, und das ist das Schlimmste. Man stelle sich als Matratze ein Federbett vor, in dem man versinkt. Von der Mitte der Bettlänge erhebst sich ein Haufen von Federkissen, die einen zum Sitzen nötigen, so gern man sich ausstrecken möchte. Obendrauf liegt ein Bettuch, das an den Seiten nicht eingesteckt ist; statt einer Decke ein riesiger Federsack ohne Überzug. Da unter dieser Art von Decke jedermann schwitzt, hat man die Annehmlichkeit der Gemeinschaft mit allen Reisenden, die unter der gleichen Decke schon geschwitzt haben. Ich glaube, in den guten Gasthöfen werden die Betten jährlich zweimal gereinigt [...]. Ein Franzose kann also nichts Besseres tun, als sich Stroh bringen zu lassen und darauf, in seinen Mantel gehüllt, zu schlafen. [...]

Die deutschen Soldaten im Dienst sind zum Totlachen; so plump und linkisch sind sie. Sie haben keine Ahnung von dem leichten, eleganten Marsch der kaiserlichen Garde-Infanterie. Bei den Bürgerleuten fand ich zu Anfang und finde ich noch heute etwas Militärisches.

Dazu trägt jeder Mann hohe Stiefel, viele schwarze Halsbinden, riesige Dreispitze, und die Kleider haben einen strengen Schnitt. Nie etwas Leichtes, nichts, das zum Gezierten oder Lächerlichen neigt, sobald es unmodern ist, wie vielfach unsere Kleidung in Frankreich. Dazu einen schweren, langsamen Schritt, nicht ruhig, wie bei den Türken, sondern eckig, wie bei Rekruten.