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In einem
undatierten Entwurf, der zwischen anderen privaten Papieren steckte und allem
Anschein nach aus dem Sommer 1945 stammt, finde ich folgenden Abschnitt:
"Die Idee,
Deutschland gemeinsam mit den Russen regieren zu wollen, ist ein Wahn. Ein
ebensolcher Wahn ist es, zu glauben, die Russen und wir könnten uns eines schönen
Tages höflich zurückziehen und aus dem Vakuum werde ein gesundes und
friedliches, stabiles und freundliches Deutschland steigen. Wir haben keine
andere Wahl, als unseren Teil von Deutschland - den Teil, für den wir und die
Briten die Verantwortung haben - zu einer Form von Unabhängigkeit zu führen,
die so befriedigend, so gesichert, so überlegen ist, dass der Osten sie nicht
gefährden kann. Das ist eine gewaltige Aufgabe für Amerikaner. Aber sie lässt
sich nicht umgehen; und hierüber, nicht über undurchführbare Pläne für eine
gemeinsame Militärregierung, sollten wir uns Gedanken machen.
Zugegeben, dass
das Zerstückelung bedeutet. Aber die Zerstückelung ist bereits Tatsache, wegen
der Oder-Neiße-Linie. Ob das Stück Sowjetzone wieder mit Deutschland verbunden
wird oder nicht, ist jetzt nicht wichtig. Besser ein zerstückeltes Deutschland,
von dem wenigstens der westliche Teil als Prellblock für die Kräfte des
Totalitarismus wirkt, als ein geeintes Deutschland, das diese Kräfte wieder bis
an die Nordsee vorlässt.
[...] Wenn wir
auch unsere bereits übernommenen Verpflichtungen bei der Kontrollkommission
loyal erfüllen sollten, so dürfen wir uns doch über die Möglichkeiten einer
Dreimächtekontrolle keine Illusionen machen [...]. Im Grunde sind wir in
Deutschland Konkurrenten der Russen. Wo es in unserer Zone um wirklich wichtige
Dinge geht, sollten wir in der Kontrollkommission keinerlei Zugeständnis
machen."
Es versteht sich
- bei solchen Überzeugungen -, dass ich die Arbeit der Konferenz von Potsdam
mit Skepsis und Entsetzen verfolgte. Ich kann mich an kein politisches Dokument
erinnern, das mich je so deprimiert hätte wie das von Truman unterzeichnete
Kommuniqué am Ende dieser wirren und verwirrenden Verhandlungen. Nicht nur weil
ich wusste, dass die Idee einer gemeinsamen Viermächtekontrolle, die man jetzt
zur Grundlage für die Regierung Deutschlands gemacht hatte, abwegig und
undurchführbar sei. Auch die unpräzise Ausdrucksweise, die Verwendung so
dehnbarer Begriffe wie "demokratisch", "friedlich",
"gerecht" in einem Abkommen mit den Russen lief allem direkt zuwider,
was siebzehn Jahre Russlanderfahrung mich über die Technik des Verhandelns mit
der sowjetischen Regierung gelehrt hatten. Die Behauptung zum Beispiel, wir würden
zusammen mit den Russen das deutsche Erziehungssystem "nach demokratischen
Richtlinien" umformen, ließ Rückschlüsse zu, die nach allem, was wir von
der Geisteshaltung der sowjetischen Führer und den damaligen russischen
Erziehungsgrundsätzen wussten, völlig ungerechtfertigt waren.
Noch
erschreckender las sich die von uns verkündete Absicht, in Zusammenarbeit mit
den Russen das deutsche Rechtswesen so umzugestalten, dass es "den
Prinzipien der Demokratie, der Urteilsfindung nach Recht und Gesetz und der
gleichen Behandlung aller Bürger ohne Ansehen von Rasse, Nationalität oder
Religion" entspräche. Für die weitere Behauptung, man werde die
politische Tätigkeit "demokratischer Parteien und die dazugehörige
Versammlungsfreiheit und öffentliche Diskussion" nicht nur gestatten,
sondern "ermutigen", würden mildernde Umstände schwer zu finden
sein. Jeder Mensch in Moskau hätte unseren Unterhändlern sagen können, was
die sowjetische Führung unter "demokratischen Parteien" verstand. Die
Irreführung der Öffentlichkeit in Deutschland und im Westen durch die
Verwendung eines solchen Ausdrucks in einem Dokument, das außer von Stalin auch
von den Herren Truman und Attlee unterzeichnet war, ließ sich selbst mit
allergrößter Naivität nicht entschuldigen.
Was die
Reparationen betraf, so schienen mir die Potsdamer Beschlüsse zu diesem Thema
nichts als eine weitere Extrapolation der in Teheran eingeleiteten Politik des
Wunschdenkens, die nicht anders als mit einem völligen Fehlschlag enden
konnten. Ein paar Monate davor hatte ich schon einmal in einem Privatbrief
geschrieben, es wäre albern, sich einzubilden, dass wir ein solches Vorhaben
gemeinsam mit den Russen verwirklichen können. Es würde in den einzelnen Zonen
einfach auf ein "Catch-as-catch-can" hinauslaufen. Wir würden an
Reparationen gerade so viel erhalten, wir wir in unserer Zone nehmen könnten
und wollten, und sonst nichts. Bei den Russen könne man unterstellen, dass sie
in ihrem Besatzungsgebiet ganz nach eigenem Belieben verfahren würden, ohne Rücksicht
auf irgendwelche Abkommen mit uns. Da ich diese Meinung schon seit 1944
vertreten hatte und die Ereignisse der Zwischenzeit mich immer wieder darin bestärkten,
ist leicht zu verstehen, warum ich die hinhaltende Behandlung des
Reparationsproblems in Potsdam ohne Begeisterung registrierte.
Schließlich
ging es in Potsdam noch um die Frage der Aburteilung von Kriegsverbrechern. Auch
hierüber hatte es schon lange vorher Drei-Mächte-Gespräche gegeben; aber nach
dem Potsdamer Kommuniqué, in dem sich die drei Regierungschefs noch einmal mit
dem ganzen Gewicht ihrer Namen für einen baldigen gemeinschaftlichen Prozess
gegen einige der Hauptfiguren verbürgten, war keine Umkehr mehr möglich. Meine
Abneigung gegen eine gemeinsame Aktion mit den Russen in dieser Angelegenheit
habe ich schon erwähnt. Ich möchte aber nicht missverstanden werden. Die Naziführer
haben unermessliche Verbrechen begangen. Sie haben sich in eine Lage gebracht,
wo ihre Weiterexistenz auf Erden weder für sie selbst noch für irgendjemand
anderen eine positive Bedeutung haben kann. Ich persönlich halte es für das
Beste, die alliierten Befehlshaber anzuweisen, jeden dieser Männern, der ihnen
in die Hände fällt, nach zweifelsfreier Identifikation sofort zu exekutieren
[...]
Ein Verfahren
kann ihre Verbrechen weder sühnen noch ungeschehen machen. Es lässt sich nur
rechtfertigen, wenn man damit der Weltöffentlichkeit zeigt, dass die zu Gericht
sitzenden Völker und Regierungen Massenverbrechen jeder Art mit ihrem Gewissen
für unvereinbar halten. An diesem Verfahren aber einen sowjetischen Richter als
Repräsentanten eines Regimes zu beteiligen, das nicht nur für die grenzenlosen
Grausamkeiten der Russischen Revolution, der Kollektivierung und der russischen
Säuberung der dreißiger Jahre verantwortlich ist, sondern darüber hinaus während
des Krieges vielfältige Scheußlichkeiten gegen die Polen und die Bevölkerung
des Baltikums begangen hatte, heißt den einzigen Sinn verhöhnen, den ein
solcher Prozess überhaupt haben kann, und heißt zudem. einen Teil der
Verantwortung für die stalinistischen Verbrechen [...] mitzuübernehmen. Es lässt
sich daraus nur schließen, dass Verbrechen dieser Art gerechtfertigt und
verzeichlich sind, wenn sie von einer bestimmten Regierung unter bestimmten Umständen
begangen würden, jedoch ungerechtfertigt, ja todeswürdig, wenn eine zweite
Regierung sie unter abweichenden Umständen verübe. Eine andere Interpretation
ist kaum möglich. Es war auch nicht möglich, unsere Regierung damit zu
entschuldigen, dass sie bedauerlicherweise in Unkenntnis der im Namen des
Sowjetstaates von der stalinistischen Polizei begangenen Untaten gehandelt habe.
Die Akten waren ziemlich unvollständig. Auch das flüchtigste Studium hätte
genügend Beweise erbracht. Mehr als einer von uns hätte sie aus eigenem Wissen
und Erleben bestätigen können, wäre er dazu aufgefordert worden.
aus: Kennan,
George F. (1971) - Memoiren eines Diplomaten. 3. Aufl. 1982. München, S.264ff
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