George F. Kennan, der zwischen 1931 und 1963 im diplomatischen Dienst der USA stand (zumeist Botschaftsrat in Moskau) schreibt in seinen "Memoiren eines Diplomaten" (1971):

 

In einem undatierten Entwurf, der zwischen anderen privaten Papieren steckte und allem Anschein nach aus dem Sommer 1945 stammt, finde ich folgenden Abschnitt:

"Die Idee, Deutschland gemeinsam mit den Russen regieren zu wollen, ist ein Wahn. Ein ebensolcher Wahn ist es, zu glauben, die Russen und wir könnten uns eines schönen Tages höflich zurückziehen und aus dem Vakuum werde ein gesundes und friedliches, stabiles und freundliches Deutschland steigen. Wir haben keine andere Wahl, als unseren Teil von Deutschland - den Teil, für den wir und die Briten die Verantwortung haben - zu einer Form von Unabhängigkeit zu führen, die so befriedigend, so gesichert, so überlegen ist, dass der Osten sie nicht gefährden kann. Das ist eine gewaltige Aufgabe für Amerikaner. Aber sie lässt sich nicht umgehen; und hierüber, nicht über undurchführbare Pläne für eine gemeinsame Militärregierung, sollten wir uns Gedanken machen.

Zugegeben, dass das Zerstückelung bedeutet. Aber die Zerstückelung ist bereits Tatsache, wegen der Oder-Neiße-Linie. Ob das Stück Sowjetzone wieder mit Deutschland verbunden wird oder nicht, ist jetzt nicht wichtig. Besser ein zerstückeltes Deutschland, von dem wenigstens der westliche Teil als Prellblock für die Kräfte des Totalitarismus wirkt, als ein geeintes Deutschland, das diese Kräfte wieder bis an die Nordsee vorlässt.

[...] Wenn wir auch unsere bereits übernommenen Verpflichtungen bei der Kontrollkommission loyal erfüllen sollten, so dürfen wir uns doch über die Möglichkeiten einer Dreimächtekontrolle keine Illusionen machen [...]. Im Grunde sind wir in Deutschland Konkurrenten der Russen. Wo es in unserer Zone um wirklich wichtige Dinge geht, sollten wir in der Kontrollkommission keinerlei Zugeständnis machen."

Es versteht sich - bei solchen Überzeugungen -, dass ich die Arbeit der Konferenz von Potsdam mit Skepsis und Entsetzen verfolgte. Ich kann mich an kein politisches Dokument erinnern, das mich je so deprimiert hätte wie das von Truman unterzeichnete Kommuniqué am Ende dieser wirren und verwirrenden Verhandlungen. Nicht nur weil ich wusste, dass die Idee einer gemeinsamen Viermächtekontrolle, die man jetzt zur Grundlage für die Regierung Deutschlands gemacht hatte, abwegig und undurchführbar sei. Auch die unpräzise Ausdrucksweise, die Verwendung so dehnbarer Begriffe wie "demokratisch", "friedlich", "gerecht" in einem Abkommen mit den Russen lief allem direkt zuwider, was siebzehn Jahre Russlanderfahrung mich über die Technik des Verhandelns mit der sowjetischen Regierung gelehrt hatten. Die Behauptung zum Beispiel, wir würden zusammen mit den Russen das deutsche Erziehungssystem "nach demokratischen Richtlinien" umformen, ließ Rückschlüsse zu, die nach allem, was wir von der Geisteshaltung der sowjetischen Führer und den damaligen russischen Erziehungsgrundsätzen wussten, völlig ungerechtfertigt waren.

Noch erschreckender las sich die von uns verkündete Absicht, in Zusammenarbeit mit den Russen das deutsche Rechtswesen so umzugestalten, dass es "den Prinzipien der Demokratie, der Urteilsfindung nach Recht und Gesetz und der gleichen Behandlung aller Bürger ohne Ansehen von Rasse, Nationalität oder Religion" entspräche. Für die weitere Behauptung, man werde die politische Tätigkeit "demokratischer Parteien und die dazugehörige Versammlungsfreiheit und öffentliche Diskussion" nicht nur gestatten, sondern "ermutigen", würden mildernde Umstände schwer zu finden sein. Jeder Mensch in Moskau hätte unseren Unterhändlern sagen können, was die sowjetische Führung unter "demokratischen Parteien" verstand. Die Irreführung der Öffentlichkeit in Deutschland und im Westen durch die Verwendung eines solchen Ausdrucks in einem Dokument, das außer von Stalin auch von den Herren Truman und Attlee unterzeichnet war, ließ sich selbst mit allergrößter Naivität nicht entschuldigen.

Was die Reparationen betraf, so schienen mir die Potsdamer Beschlüsse zu diesem Thema nichts als eine weitere Extrapolation der in Teheran eingeleiteten Politik des Wunschdenkens, die nicht anders als mit einem völligen Fehlschlag enden konnten. Ein paar Monate davor hatte ich schon einmal in einem Privatbrief geschrieben, es wäre albern, sich einzubilden, dass wir ein solches Vorhaben gemeinsam mit den Russen verwirklichen können. Es würde in den einzelnen Zonen einfach auf ein "Catch-as-catch-can" hinauslaufen. Wir würden an Reparationen gerade so viel erhalten, wir wir in unserer Zone nehmen könnten und wollten, und sonst nichts. Bei den Russen könne man unterstellen, dass sie in ihrem Besatzungsgebiet ganz nach eigenem Belieben verfahren würden, ohne Rücksicht auf irgendwelche Abkommen mit uns. Da ich diese Meinung schon seit 1944 vertreten hatte und die Ereignisse der Zwischenzeit mich immer wieder darin bestärkten, ist leicht zu verstehen, warum ich die hinhaltende Behandlung des Reparationsproblems in Potsdam ohne Begeisterung registrierte.

Schließlich ging es in Potsdam noch um die Frage der Aburteilung von Kriegsverbrechern. Auch hierüber hatte es schon lange vorher Drei-Mächte-Gespräche gegeben; aber nach dem Potsdamer Kommuniqué, in dem sich die drei Regierungschefs noch einmal mit dem ganzen Gewicht ihrer Namen für einen baldigen gemeinschaftlichen Prozess gegen einige der Hauptfiguren verbürgten, war keine Umkehr mehr möglich. Meine Abneigung gegen eine gemeinsame Aktion mit den Russen in dieser Angelegenheit habe ich schon erwähnt. Ich möchte aber nicht missverstanden werden. Die Naziführer haben unermessliche Verbrechen begangen. Sie haben sich in eine Lage gebracht, wo ihre Weiterexistenz auf Erden weder für sie selbst noch für irgendjemand anderen eine positive Bedeutung haben kann. Ich persönlich halte es für das Beste, die alliierten Befehlshaber anzuweisen, jeden dieser Männern, der ihnen in die Hände fällt, nach zweifelsfreier Identifikation sofort zu exekutieren [...]

Ein Verfahren kann ihre Verbrechen weder sühnen noch ungeschehen machen. Es lässt sich nur rechtfertigen, wenn man damit der Weltöffentlichkeit zeigt, dass die zu Gericht sitzenden Völker und Regierungen Massenverbrechen jeder Art mit ihrem Gewissen für unvereinbar halten. An diesem Verfahren aber einen sowjetischen Richter als Repräsentanten eines Regimes zu beteiligen, das nicht nur für die grenzenlosen Grausamkeiten der Russischen Revolution, der Kollektivierung und der russischen Säuberung der dreißiger Jahre verantwortlich ist, sondern darüber hinaus während des Krieges vielfältige Scheußlichkeiten gegen die Polen und die Bevölkerung des Baltikums begangen hatte, heißt den einzigen Sinn verhöhnen, den ein solcher Prozess überhaupt haben kann, und heißt zudem. einen Teil der Verantwortung für die stalinistischen Verbrechen [...] mitzuübernehmen. Es lässt sich daraus nur schließen, dass Verbrechen dieser Art gerechtfertigt und verzeichlich sind, wenn sie von einer bestimmten Regierung unter bestimmten Umständen begangen würden, jedoch ungerechtfertigt, ja todeswürdig, wenn eine zweite Regierung sie unter abweichenden Umständen verübe. Eine andere Interpretation ist kaum möglich. Es war auch nicht möglich, unsere Regierung damit zu entschuldigen, dass sie bedauerlicherweise in Unkenntnis der im Namen des Sowjetstaates von der stalinistischen Polizei begangenen Untaten gehandelt habe. Die Akten waren ziemlich unvollständig. Auch das flüchtigste Studium hätte genügend Beweise erbracht. Mehr als einer von uns hätte sie aus eigenem Wissen und Erleben bestätigen können, wäre er dazu aufgefordert worden.

aus: Kennan, George F. (1971) - Memoiren eines Diplomaten. 3. Aufl. 1982. München, S.264ff