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Der Schriftsteller und
Historiker Sebastian Haffner berichtet aus seinen Jugenderinnerungen aus
der Zeit nach dem Zusammenbruch des Kapp-Putsches.
„Nach dem Kapp-Putsch erlahmte unter uns Jungen
das Interesse an der Tagespolitik allgemein. Alle Richtungen waren jetzt
gleichermaßen blamiert...Viele von uns suchten neue Interessengebiete:
Markensammeln zum Beispiel, Klavierspielen oder Theater. Nur ein paar
blieben der Politik treu, und zwar fiel es mir zum ersten Mal auf, dass
das komischerweise mehr die Dummen, Rohen und Unsympathischen waren. Sie
traten in „richtige“ Bünde ein, in den Deutschnationalen
Jugendverein zum Beispiel oder in den Bismarckbund (die Hitlerjugend gab
es noch nicht), und bald zeigten sie in der Schule Schlagringe, Gummiknüppel
oder gar „Totschläger“ vor, rühmten sich gefährlicher nächtlicher
Plakatanklebe- und Plakatabreißpartien und begannen, einen bestimmten
Jargon zu sprechen, der sie von allen anderen unterschied. Auch fingen
sie an, sich unkameradschaftlich gegen die Juden unter uns zu benehmen.
Einen von ihnen sah ich damals, bald nach dem Kapp-Putsch, in einer
langweiligen Stunde seltsame Figuren auf sein Heft kritzeln, immer
wieder dasselbe: Ein paar Striche, die sich auf überraschende und
befriedigende Weise zu einem symmetrischen, kästchenartigen Ornament
formten. Ich war gleich in Versuchung, es nachzumachen. „Was ist
das?“ fragte ich, flüsternd, denn es war in einer, wenn auch
langweiligen, Schulstunde. „Antisemitenabzeichen“, flüsterte er im
Telegrammstil zurück. „Haben die Ehrhardt- Truppen am Stahlhelm
getragen. Bedeutet: Juden raus. Muss man kennen.“ Und er kritzelte geläufig
weiter.
Das war meine erste Bekanntschaft mit dem Hakenkreuz. Es war das
einzige, was der Kapp-Putsch Bleibendes hinterließ. Man sah es öfter
in der nächsten Zeit.“
(aus: Sebastian Haffner: Geschichte eines
Deutschen. Die Erinnerungen 1914-1933, Stuttgart/ München 2000, S. 46 f
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