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(...) Das sittlich wirklich Verwerfliche
ist nämlich das Ausruhen auf dem
Besitz, der Genuss des Reichtums mit seiner Konsequenz von Müßigkeit und
Fleischeslust, vor allem von Ablenkung von dem Streben nach "heiligem"
Leben. Und nur weil der Besitz die
Gefahr dieses Ausruhens mit sich bringt, ist er bedenklich. Denn die "ewige
Ruhe der Heiligen" liegt im Jenseits, auf Erden aber muss auch der Mensch,
um seines Gnadenstandes sicher zu werden, "wirken die Werke dessen, der ihn
gesandt hat, solange es Tag ist". Nicht Muße und Genuss, sondern nur
Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung
seines Ruhms. Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller
Sünden. Die Zeitspanne des Lebens ist unendlich kurz und kostbar, um die eigene
Berufung "festzumachen". Zeitverlust durch Geselligkeit, "faules
Gerede", Luxus, selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen Schlaf - 6
bis höchstens 8 Stunden - ist sittlich absolut verwerflich. Es heißt noch
nicht wie bei Benjamin Franklin: "Zeit ist Geld", aber der Satz gilt
gewissermaßen im spirituellen Sinn: sie ist unendlich wertvoll, weil jede
verlorene Stunde der Arbeit im Dienst des Ruhmes Gottes entzogen ist. (...)
Die Arbeit ist zunächst das alterprobte
asketische Mittel, als welches sie in der Kirche des Abendlandes, in
scharfem Gegensatz nicht nur gegen den Orient, sondern gegen fast alle
Mönchsregeln der ganzen Welt, von jeher geschätzt war.(...)
Aber die Arbeit ist darüber hinaus, und
vor allem, von Gott vorgeschriebener Selbstzweck
des Lebens überhaupt. Der paulinische Satz: "Wer nicht arbeitet, soll
nicht essen", gilt bedingungslos und für jedermann. Die Arbeitsunlust ist
Symptom fehlenden Gnadenstandes.
(...) Auch nach der Quäkerethik soll
das Berufsleben des Menschen eine konsequente asketische Tugendübung, eine
Bewährung seines Gnadenstandes an seiner Gewissenhaftigkeit
sein, die in der Sorgfalt und Methode, mit welcher er seinem Beruf nachgeht,
sich auswirkt. Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das
von Gott Verlangte. Auf diesem methodischen Charakter der Berufsaskese liegt bei
der puritanischen Berufsidee stets der Nachdruck, nicht, wie bei Luther, auf dem
Sichbescheiden mit dem einmal von Gott zugemessenen Los. Daher wird nicht nur
die Frage, ob jemand mehrere callings kombinieren dürfe, unbedingt bejaht -
wenn es für das allgemeine Wohl oder das eigene zuträglich und niemandem sonst
abträglich ist und wenn es nicht dazu führt, dass man in einem der
kombinierten Berufe ungewissenhaft ("unfaithful") wird.
Sondern es wird auch der Wechsel
des Berufs als keineswegs an sich verwerflich angesehen, wenn er nicht
leichtfertig, sondern um einen Gott wohlgefälligeren, und das heißt dem
allgemeinen Prinzip entsprechend: nützlicheren Beruf zu ergreifen, erfolgt. Und
vor allem: die Nützlichkeit eines Berufs und seine entsprechende
Gottwohlgefälligkeit richtet sich zwar in erster Linie nach sittlichen und
demnächst nach Maßstäben der Wichtigkeit der darin zu produzierenden Güter
für die "Gesamtheit", aber alsdann folgt als dritter und natürlich
praktisch wichtigster Gesichtspunkt: die privatwirtschaftliche "Profitlichkeit".
Denn wenn jener Gott, den der Puritaner in allen Fügungen des Lebens wirksam
sieht, einem der Seinigen eine Gewinnchance zeigt, so hat er seine Absichten
dabei. Und mithin hat der gläubige Christ diesem Rufe zu folgen, indem er sie
sich zunutze macht. "Wenn Gott Euch einen Weg zeigt, auf dem Ihr ohne
Schaden für Eure Seele oder für andere in gesetzmäßiger Weise mehr
gewinnen könnt als auf einem anderen Wege und Ihr dies zurückweist und den
minder Gewinn bringenden Weg verfolgt, dann kreuzt
Ihr einen der Zwecke Eurer Berufung (calling). Ihr weigert Euch, Gottes Verwalter (steward) zu sein und seine Gaben
anzunehmen, um sie für ihn gebrauchen zu können, wenn er es verlangen sollte.
Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl
aber für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein." Der Reichtum ist
eben nur als Versuchung zu faulem Ausruhen und sündlichem Lebensgenuss
bedenklich und das Streben danach nur dann, wenn es geschieht, um später
sorglos und lustig leben zu können. Als Ausübung der Berufspflicht aber ist es
sittlich nicht nur gestattet, sondern geradezu geboten. Das Gleichnis von jenem
Knecht, der verworfen wurde, weil er mit dem ihn anvertrauten Pfunde nicht
gewuchert hatte, schien das ja auch direkt auszusprechen.
(aus:
Max Weber, Askese und kapitalistischer Geist, in: Gesammelte Aufsätze zur
Religionssoziologie, Bd. I, Die Protestantische Ethik und der Geist des
Kapitalismus, 6. Auflage, Tübingen 1872, S. 166 ff.; zit. nach: Ripper, W.,
Kaier, E., Langenbeck, W., Von der bürgerlichen Revolutionen bis zum
Imperialismus (= Weltgeschichte im Aufriss. Neubearbeitung für den
historisch-gesellschaftlichen Lernbereich der Sekundarstufe II, Bd. 2),
Frankfurt/Main 1974, S. 99 f.)
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