Max Weber über die Bedeutung der calvinistischen Ethik
als wirtschaftliches Antriebsmoment

 

(...) Das sittlich wirklich Verwerfliche ist nämlich das Ausruhen auf dem Besitz, der Genuss des Reichtums mit seiner Konsequenz von Müßigkeit und Fleischeslust, vor allem von Ablenkung von dem Streben nach "heiligem" Leben. Und nur weil der Besitz die Gefahr dieses Ausruhens mit sich bringt, ist er bedenklich. Denn die "ewige Ruhe der Heiligen" liegt im Jenseits, auf Erden aber muss auch der Mensch, um seines Gnadenstandes sicher zu werden, "wirken die Werke dessen, der ihn gesandt hat, solange es Tag ist". Nicht Muße und Genuss, sondern nur Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhms. Zeitvergeudung ist also die erste und prinzipiell schwerste aller Sünden. Die Zeitspanne des Lebens ist unendlich kurz und kostbar, um die eigene Berufung "festzumachen". Zeitverlust durch Geselligkeit, "faules Gerede", Luxus, selbst durch mehr als der Gesundheit nötigen Schlaf - 6 bis höchstens 8 Stunden - ist sittlich absolut verwerflich. Es heißt noch nicht wie bei Benjamin Franklin: "Zeit ist Geld", aber der Satz gilt gewissermaßen im spirituellen Sinn: sie ist unendlich wertvoll, weil jede verlorene Stunde der Arbeit im Dienst des Ruhmes Gottes entzogen ist. (...)

Die Arbeit ist zunächst das alterprobte asketische Mittel, als welches sie in der Kirche des Abendlandes, in scharfem Gegensatz nicht nur gegen den Orient, sondern gegen fast alle Mönchsregeln der ganzen Welt, von jeher geschätzt war.(...)

Aber die Arbeit ist darüber hinaus, und vor allem, von Gott vorgeschriebener Selbstzweck des Lebens überhaupt. Der paulinische Satz: "Wer nicht arbeitet, soll nicht essen", gilt bedingungslos und für jedermann. Die Arbeitsunlust ist Symptom fehlenden Gnadenstandes.

(...) Auch nach der Quäkerethik soll das Berufsleben des Menschen eine konsequente asketische Tugendübung, eine Bewährung seines Gnadenstandes an seiner Gewissenhaftigkeit sein, die in der Sorgfalt und Methode, mit welcher er seinem Beruf nachgeht, sich auswirkt. Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott Verlangte. Auf diesem methodischen Charakter der Berufsaskese liegt bei der puritanischen Berufsidee stets der Nachdruck, nicht, wie bei Luther, auf dem Sichbescheiden mit dem einmal von Gott zugemessenen Los. Daher wird nicht nur die Frage, ob jemand mehrere callings kombinieren dürfe, unbedingt bejaht - wenn es für das allgemeine Wohl oder das eigene zuträglich und niemandem sonst abträglich ist und wenn es nicht dazu führt, dass man in einem der kombinierten Berufe ungewissenhaft ("unfaithful") wird.

Sondern es wird auch der Wechsel des Berufs als keineswegs an sich verwerflich angesehen, wenn er nicht leichtfertig, sondern um einen Gott wohlgefälligeren, und das heißt dem allgemeinen Prinzip entsprechend: nützlicheren Beruf zu ergreifen, erfolgt. Und vor allem: die Nützlichkeit eines Berufs und seine entsprechende Gottwohlgefälligkeit richtet sich zwar in erster Linie nach sittlichen und demnächst nach Maßstäben der Wichtigkeit der darin zu produzierenden Güter für die "Gesamtheit", aber alsdann folgt als dritter und natürlich praktisch wichtigster Gesichtspunkt: die privatwirtschaftliche "Profitlichkeit". Denn wenn jener Gott, den der Puritaner in allen Fügungen des Lebens wirksam sieht, einem der Seinigen eine Gewinnchance zeigt, so hat er seine Absichten dabei. Und mithin hat der gläubige Christ diesem Rufe zu folgen, indem er sie sich zunutze macht. "Wenn Gott Euch einen Weg zeigt, auf dem Ihr ohne Schaden für Eure Seele oder für andere in gesetzmäßiger Weise mehr gewinnen könnt als auf einem anderen Wege und Ihr dies zurückweist und den minder Gewinn bringenden Weg verfolgt, dann kreuzt Ihr einen der Zwecke Eurer Berufung (calling). Ihr weigert Euch, Gottes Verwalter (steward) zu sein und seine Gaben anzunehmen, um sie für ihn gebrauchen zu können, wenn er es verlangen sollte. Nicht freilich für Zwecke der Fleischeslust und Sünde, wohl aber für Gott dürft Ihr arbeiten, um reich zu sein." Der Reichtum ist eben nur als Versuchung zu faulem Ausruhen und sündlichem Lebensgenuss bedenklich und das Streben danach nur dann, wenn es geschieht, um später sorglos und lustig leben zu können. Als Ausübung der Berufspflicht aber ist es sittlich nicht nur gestattet, sondern geradezu geboten. Das Gleichnis von jenem Knecht, der verworfen wurde, weil er mit dem ihn anvertrauten Pfunde nicht gewuchert hatte, schien das ja auch direkt auszusprechen.

 

 (aus: Max Weber, Askese und kapitalistischer Geist, in: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Bd. I, Die Protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 6. Auflage, Tübingen 1872, S. 166 ff.; zit. nach: Ripper, W., Kaier, E., Langenbeck, W., Von der bürgerlichen Revolutionen bis zum Imperialismus (= Weltgeschichte im Aufriss. Neubearbeitung für den historisch-gesellschaftlichen Lernbereich der Sekundarstufe II, Bd. 2), Frankfurt/Main 1974, S. 99 f.)