Verfassungsurkunde für den
Preußischen Staat
31. Januar 1850
Wir Friedrich Wilhelm von
Gottes Gnaden, König von Preußen etc. etc. tun kund und fügen zu
wissen, daß Wir, nachdem die von Uns unterm 5. Dezember 1848
vorbehaltlich der Revision im ordentlichen Wege der Gesetzgebung
verkündigte und von beiden Kammern Unseres Königreichs anerkannte
Verfassung des preußischen Staats der darin angeordneten Revision
unterworfen ist, die Verfassung in Uebereinstimmung mit beiden Kammern
endgültig festgestellt haben.
Wir verkünden demnach dieselbe als Staatsgrundgesetz, wie folgt:
Titel I.
Vom Staatsgebiete.
Artikel 1
Alle Landestheile der Monarchie in ihrem
gegenwärtigen Umfange bilden das preußische Staatsgebiet.
Artikel 2
Die Gränzen dieses Staatsgebiets können
nur durch ein Gesetz verändert werden.
Titel II.
Von den Rechten der Preußen.
Artikel 3
Die Verfassung und das Gesetz
bestimmen, unter welchen Bedingungen die Eigenschaft eines Preußen und
die staatsbürgerlichen Rechte erworben, ausgeübt und verloren werden.
Artikel 4
Alle Preußen sind vor dem
Gesetz gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen
Aemter sind, unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten
Bedingungen, für alle dazu Befähigten gleich zugänglich.
Artikel 5
Die persönliche Freiheit ist
gewährleistet. Die Bedingungen und Formen, unter welchen eine
Beschränkung derselben, insbesondere eine Verhaftung zulässig ist,
werden durch das Gesetz bestimmt.
Artikel 6
Die Wohnung ist
unverletzlich. Das Eindringen in dieselbe und Haussuchungen, so wie die
Beschlagnahme von Briefen und Papieren sind nur in den gesetzlich
bestimmten Fällen und Formen gestattet.
Artikel 7
Niemand darf seinem
gesetzlichen Richter entzogen werden. Ausnahmegerichte und
außerordentliche Kommissionen sind unstatthaft.
Artikel 8
Strafen können nur in Gemäßheit des
Gesetzes angedroht oder verhängt werden.
Artikel 9
Das Eigenthum ist
unverletzlich. Es kann nur aus Gründen des öffentlichen Wohles gegen
vorgängige, in dringenden Fällen wenigstens vorläufig festzustellende
Entschädigung nach Maaßgabe des Gesetzes entzogen oder beschränkt
werden.
Artikel 10
Der bürgerliche Tod und die Strafe der
Vermögenseinziehung finden nicht statt.
Artikel 11
Die Freiheit der Auswanderung
kann von Staatswegen nur in Bezug auf die Wehrpflicht beschränkt
werden.
Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
Artikel 12
Die Freiheit des religiösen
Bekenntnisses, die Vereinigung zu Religionsgesellschaften (Art. 30
und 31) und der gemeinsamen häuslichen und
öffentlichen Religionsübung wird gewährleistet. Der Genuß der
bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte ist unabhängig von dem
religiösen Bekenntnisse. Den bürgerlichen und staatsbürgerlichen
Pflichten darf durch die Ausübung der Religionsfreiheit kein Abbruch
geschehen.
Artikel 13
Die Religionsgesellschaften,
so wie die geistlichen Gesellschaften, welche keine Korporationsrechte
haben, können diese Rechte nur durch besondere Gesetze erlangen.
Artikel 14
Die christliche Religion wird
bei denjenigen Einrichtungen des Staats, welche mit der Religionsübung
im Zusammenhange stehen, unbeschadet der im Art. 12
gewährleisteten Religionsfreiheit zum Grunde gelegt.
Artikel 15
Die evangelische und die
römisch-katholische Kirche, so wie jede andere Religionsgesellschaft,
ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig und bleibt im
Besitz und Genuß der für ihre Kultus-, Unterrichts- und
Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonds.
Artikel 16
Der Verkehr der
Religionsgesellschaften mit ihren Oberen ist ungehindert. Die
Bekanntmachung kirchlicher Anordnungen ist nur denjenigen
Beschränkungen unterworfen, welchen alle übrigen Veröffentlichungen
unterliegen.
Artikel 17
Ueber das Kirchenpatronat und
die Bedingungen, unter welchen dasselbe aufgehoben werden kann, wird ein
besonderes Gesetz ergehen.
Artikel 18
Das Ernennungs-, Vorschlags-,
Wahl- und Bestätigungsrecht bei Besetzung kirchlicher Stellen ist, so
weit es dem Staate zusteht, und nicht auf dem Patronat oder besonderen
Rechtstiteln beruht, aufgehoben.
Auf die Anstellung von Geistlichen beim Militair und an
öffentlichen Anstalten findet diese Bestimmung keine Anwendung.
Artikel 19
Die Einführung der Civilehe
erfolgt nach Maaßgabe eines besonderen Gesetzes, was auch die Führung
der Civilstandsregister regelt.
Artikel 20
Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.
Artikel 21
Für die Bildung der Jugend
soll durch öffentliche Schulen genügend gesorgt werden.
Eltern und deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder
Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die
öffentlichen Volksschulen vorgeschrieben ist.
Artikel 22
Unterricht zu ertheilen und
Unterrichtsanstalten zu gründen und zu leiten, steht Jedem frei, wenn
er seine sittliche, wissenschaftliche und technische Befähigung den
betreffenden Staatsbehörden nachgewiesen hat.
Artikel 23
Alle öffentlichen und
Privat-Unterrichts- und Erziehungsanstalten stehen unter der Aufsicht
vom Staate ernannter Behörden.
Die öffentlichen Lehrer haben die Rechte und Pflichten der
Staatsdiener.
Artikel 24
Bei der Errichtung der
öffentlichen Volksschulen sind die konfessionellen Verhältnisse
möglichst zu berücksichtigen.
Den religiösen Unterricht in der Volksschule leiten die
betreffenden Religionsgesellschaften.
Die Leitung der äußeren Angelegenheiten der Volksschule steht
der Gemeinde zu. Der Staat stellt, unter gesetzlich geordneter
Betheiligung der Gemeinden, aus der Zahl der Befähigten die Lehrer der
öffentlichen Volksschulen an.
Artikel 25
Die Mittel zur Errichtung,
Unterhaltung und Erweiterung der öffentlichen Volksschule werden von
den Gemeinden, und im Falle des nachgewiesenen Unvermögens,
ergänzungsweise vom Staate aufgebracht. Die auf besonderen Rechtstiteln
beruhenden Verpflichtungen Dritter bleiben bestehen.
Der Staat gewährleistet demnach den Volksschullehrern ein
festes, den Lokalverhältnissen angemessenes Einkommen.
In der öffentlichen Volksschule wird der Unterricht
unentgeltlich ertheilt.
Artikel 26
Ein besonderes Gesetz regelt das ganze
Unterrichtswesen.
Artikel 27
Jeder Preuße hat das Recht,
durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei
zu äußern.
Die Censur darf nicht eingeführt werden; jede andere
Beschränkung der Preßfreiheit nur im Wege der Gesetzgebung.
Artikel 28
Vergehen, welche durch Wort,
Schrift, Druck oder bildliche Darstellung begangen werden, sind nach den
allgemeinen Strafgesetzen zu bestrafen.
Artikel 29
Alle Preußen sind
berechtigt, sich ohne vorgängige obrigkeitliche Erlaubniß friedlich
und ohne Waffen in geschlossenen Räumen zu versammeln.
Diese Bestimmung bezieht sich nicht auf Versammlungen unter
freiem Himmel, welche auch in Bezug auf vorgängige obrigkeitliche
Erlaubniß der Verfügung des Gesetzes unterworfen sind.
Artikel 30
Alle Preußen haben das
Recht, sich zu solchen Zwecken, welche den Strafgesetzen nicht
zuwiderlaufen, in Gesellschaften zu vereinigen.
Das Gesetz regelt, insbesondere zur Aufrechthaltung der
öffentlichen Sicherheit, die Ausübung des in diesem und in dem
vorstehenden Artikel (29) gewährleisteten Rechts.
Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden
Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden.
Artikel 31
Die Bedingungen, unter welchen
Korporationsrechte ertheilt oder verweigert werden, bestimmt das Gesetz.
Artikel 32
Das Petitionsrecht steht
allen Preußen zu. Petitionen unter einem Gesammtnamen sind nur
Behörden und Korporationen gestattet.
Artikel 33
Das Briefgeheimniß ist
unverletzlich. Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in
Kriegsfällen nothwendigen Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung
festzustellen.
Artikel 34
Alle Preußen sind wehrpflichtig. Den
Umfang und die Art dieser Pflicht bestimmt das Gesetz.
Artikel 35
Das Heer begreift alle Abtheilungen des
stehenden Heeres und der Landwehr.
Im Falle des Krieges kann der König nach Maaßgabe des Gesetzes
den Landsturm aufbieten.
Artikel 36
Die bewaffnete Macht kann zur
Unterdrückung innerer Unruhen und zur Ausführung der Gesetze nur in
den vom Gesetze bestimmten Fällen und Formen und auf Requisition der
Civilbehörden verwendet werden. In letzterer Beziehung hat das Gesetz
die Ausnahmen zu bestimmen.
Artikel 37
Der Militairgerichtsstand des
Heeres beschränkt sich auf Strafsachen und wird durch das Gesetz
geregelt. Die Bestimmungen über die Militairdisziplin im Heere bleiben
Gegenstand besonderer Verordnungen.
Artikel 38
Die bewaffnete Macht darf
weder in noch außer dem Dienste berathschlagen oder sich anders, als
auf Befehl versammeln. Versammlungen und Vereine der Landwehr zur
Berathung militairischer Einrichtungen, Befehle und Anordnungen sind
auch dann, wenn dieselbe nicht zusammenberufen ist, untersagt.
Artikel 39
Auf das Heer finden die in
den Art. 5, 6, 29, 30
und 32 enthaltenen Bestimmungen nur in soweit
Anwendung, als die militairischen Gesetze und Disziplinarvorschriften
nicht entgegenstehen.
Artikel 40
Die Errichtung von Lehen und
die Stiftung von Familien-Fideikommissen ist untersagt. Die bestehenden
Lehen und Familien-Fideikommisse sollen durch gesetzliche Anordnung in
freies Eigenthum umgestaltet werden. Auf Familien-Stiftungen finden
diese Bestimmungen keine Anwendung.
Artikel 41
Vorstehende Bestimmungen
(Artikel 40) finden auf die Thronlehen, das
Königliche Haus- und Prinzliche Fideikommiß, sowie auf die außerhalb
des Staats belegenen Lehen und die ehemals reichsunmittelbaren
Besitzungen und Fideikommisse, insofern letztere durch das deutsche
Bundesrecht gewährleistet sind, zur Zeit keine Anwendung. Die
Rechtsverhältnisse derselben sollen durch besondere Gesetze geordnet
werden.
Artikel 42
Das Recht der freien Verfügung über das
Grundeigenthum unterliegt keinen anderen Beschränkungen, als denen der
allgemeinen Gesetzgebung. Die Theilbarkeit des Grundeigenthums und die
Ablösbarkeit der Grundlasten wird gewährleistet.
Für die todte Hand sind Beschränkungen des Rechts,
Liegenschaften zu erwerben und über sie zu verfügen, zulässig.
Aufgehoben ohne Entschädigung sind:
1. die Gerichtsherrlichkeit, die gutsherrliche Polizei und
obrigkeitliche Gewalt, sowie die gewissen Grundstücken zustehenden
Hoheitsrechte und Privilegien;
2. die aus diesen Befugnissen, aus der Schutzherrlichkeit, der
früheren Erbunterthänigkeit, der früheren Steuer- und
Gewerbeverfassung herstammenden Verpflichtungen.
Mit den aufgehobenen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und
Lasten weg, welche den bisherigen Berechtigten dafür oblagen.
Bei erblicher Ueberlassung eines Grundstückes ist nur die
Uebertragung des vollen Eigenthums zulässig; jedoch kann auch hier ein
fester ablösbarer Zins vorbehalten werden.
Die weitere Ausführung dieser Bestimmungen bleibt besonderen
Gesetzen vorbehalten.
Titel II.
Vom Könige.
Artikel 43
Die Person des Königs ist unverletzlich.
Artikel 44
Die Minister des Königs sind
verantwortlich. Alle Regierungsakte des Königs bedürfen zu ihrer
Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher dadurch die
Verantwortlichkeit übernimmt.
Artikel 45
Dem Könige allein steht die
vollziehende Gewalt zu. Er ernennt und entläßt die Minister. Er
befiehlt die Verkündigung der Gesetze und erläßt die zu deren
Ausführung nöthigen Verordnungen.
Artikel 46
Der König führt den Oberbefehl über das
Heer.
Artikel 47
Der König besetzt alle
Stellen im Heere, sowie in den übrigen Zweigen des Staatsdienstes,
sofern nicht das Gesetz ein Anderes verordnet.
Artikel 48
Der König hat das Recht,
Krieg zu erklären und Frieden zu schließen, auch andere Verträge mit
fremden Regierungen zu errichten. Letztere bedürfen zu ihrer
Gültigkeit der Zustimmung der Kammern, sofern es Handelsverträge sind,
oder wenn dadurch dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern
Verpflichtungen auferlegt werden.
Artikel 49
Der König hat das Recht der
Begnadigung und Strafmilderung.
Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurtheilten
Ministers kann dieses Recht nur auf Antrag derjenigen Kammer ausgeübt
werden, von welcher die Anklage ausgegangen ist.
Der König kann bereits eingeleitete Untersuchungen nur auf Grund
eines besonderen Gesetzes niederschlagen.
Artikel 50
Dem Könige steht die
Verleihung von Orden und anderen mit Vorrechten nicht verbundenen
Auszeichnungen zu.
Er übt das Münzrecht nach Maaßgabe des Gesetzes.
Artikel 51
Der König beruft die Kammern
und schließt ihre Sitzungen. Er kann sie entweder beide zugleich oder
auch nur eine auflösen. Es müssen aber in einem solchen Falle
innerhalb eines Zeitraums von sechzig Tagen nach der Auflösung die
Wähler und innerhalb eines Zeitraums von neunzig Tagen nach der
Auflösung die Kammern versammelt werden.
Artikel 52
Der König kann die Kammern
vertagen. Ohne deren Zustimmung darf diese Vertagung die Frist von
dreißig Tagen nicht übersteigen und während derselben Session nicht
wiederholt werden.
Artikel 53
Die Krone ist, den
Königlichen Hausgesetzen gemäß, erblich in dem Mannsstamme des
Königlichen Hauses nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatischen
Linealfolge.
Artikel 54
Der König wird mit
Vollendung des achtzehnten Lebensjahres volljährig.
Er leistet in Gegenwart der vereinigten Kammern das eidliche
Gelöbniß, die Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich zu
halten und in Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu
regieren.
Artikel 55
Ohne Einwilligung beider Kammern kann der
König nicht zugleich Herrscher fremder Reiche sein.
Artikel 56
Wenn der König minderjährig
oder sonst dauernd verhindert ist, selbst zu regieren, so übernimmt
derjenige volljährige Agnat (Art. 53), welcher der
Krone am nächsten steht, die Regentschaft. Er hat sofort die Kammern zu
berufen, die in vereinigter Sitzung über die Nothwendigkeit der
Regentschaft beschließen.
Artikel 57
Ist kein volljähriger Agnat
vorhanden und nicht bereits vorher gesetzliche Fürsorge für diesen
Fall getroffen, so hat das Staatsministerium die Kammern zu berufen,
welche in vereinigter Sitzung einen Regenten erwählen. Bis zum Antritt
der Regentschaft von Seiten desselben führt das Staatsministerium die
Regierung.
Artikel 58
Der Regent übt die dem
Könige zustehende Gewalt in dessen Namen aus. Derselbe schwört nach
Einrichtung der Regentschaft vor den vereinigten Kammern einen Eid, die
Verfassung des Königreichs fest und unverbrüchlich zu halten und in
Uebereinstimmung mit derselben und den Gesetzen zu regieren.
Bis zu dieser Eidesleistung bleibt in jedem Falle das bestehende
gesammte Staatsministerium für alle Regierungshandlungen
verantwortlich.
Artikel 59
Dem Kron-Fideikommißfonds
verbleibt die durch das Gesetz vom 17. Januar 1820 auf die Einkünfte
der Domainen und Forsten angewiesene Rente.
Titel IV.
Von den Ministern.
Artikel 60
Die Minister, so wie die zu
ihrer Vertretung abgeordneten Staatsbeamten haben Zutritt zu jeder
Kammer und müssen auf ihr Verlangen zu jeder Zeit gehört werden.
Jede Kammer kann die Gegenwart der Minister verlangen.
Die Minister haben in einer oder der anderen Kammer nur dann
Stimmrecht, wenn sie Mitglieder derselben sind.
Artikel 61
Die Minister können durch
Beschluß einer Kammer wegen des Verbrechens der Verfassungsverletzung,
der Bestechung und des Verrathes angeklagt werden. Ueber solche Anklage
entscheidet der oberste Gerichtshof der Monarchie in vereinigten
Senaten. So lange noch zwei oberste Gerichtshöfe bestehen, treten
dieselben zu obigem Zwecke zusammen.
Die näheren Bestimmungen über die Fälle der
Verantwortlichkeit, über das Verfahren und über die Strafen werden
einem besonderen Gesetz vorbehalten.
Titel V.
Von den Kammern.
Artikel 62
Die gesetzgebende Gewalt wird
gemeinschaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt.
Die Uebereinstimmung des Königs und beider Kammern ist zu jedem
Gesetze erforderlich.
Finanzgesetz-Entwürfe und Staatshaushalts-Etats werden zuerst
der zweiten Kammer vorgelegt; letztere werden von der ersten Kammer im
Ganzen angenommen oder abgelehnt.
Artikel 63
Nur in dem Falle, wenn die
Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit, oder die Beseitigung eines
ungewöhnlichen Nothstandes es dringend erfordert, können, insofern die
Kammern nicht versammelt sind, unter Verantwortlichkeit des gesammten
Staatsministeriums, Verordnungen, die der Verfassung nicht
zuwiderlaufen, mit Gesetzeskraft erlassen werden. Dieselben sind aber
den Kammern bei ihrem nächsten Zusammentritt zur Genehmigung sofort
vorzulegen.
Artikel 64
Dem Könige, so wie jeder
Kammer, steht das Recht zu, Gesetze vorzuschlagen.
Gesetzesvorschläge, welche durch eine der Kammern oder den
König verworfen worden sind, können in derselben Sitzungsperiode nicht
wieder vorgebracht werden.
Artikel 65
Die erste Kammer besteht:
a) aus den großjährigen Königlichen Prinzen;
b) aus den Häuptern der ehemals unmittelbaren reichsständischen
Häuser in Preußen - und aus den Häuptern derjenigen Familien, welchen
durch Königliche Verordnung das nach der Erstgeburt und Linealfolge zu
vererbende Recht auf Sitz und Stimme in der ersten Kammer beigelegt
wird. In dieser Verordnung werden zugleich die Bedingungen festgesetzt,
durch welche dieses Recht an einen bestimmten Grundbesitz geknüpft ist.
Das Recht kann durch Stellvertretung nicht ausgeübt werden und ruht
während der Minderjährigkeit oder während eines Dienstverhältnisses
zu der Regierung eines nichtdeutschen Staats, ferner auch so lange der
Berechtigte seinen Wohnsitz außerhalb Preußen hat;
c) aus solchen Mitgliedern, welche der König auf Lebenszeit
ernennt. Ihre Zahl darf den zehnten Theil der zu a. und b. genannten
Mitglieder nicht übersteigen.
d) aus neunzig Mitgliedern, welche in Wahlbezirken, die das
Gesetz feststellt, durch die dreißigfache Zahl derjenigen Urwähler
(Art. 70), welche die höchsten direkten Staatssteuern
bezahlen, durch direkte Wahl nach Maaßgabe des Gesetzes gewählt
werden;
e) aus dreißig, nach Maaßgabe des Gesetzes von den
Gemeinderäthen gewählten Mitglieder aus den größeren Städten des
Landes.
Die Gesammtzahl der unter a. bis c. genannten Mitglieder darf die
Zahl der unter d. und e. bezeichneten nicht übersteigen.
Eine Auflösung der ersten Kammer bezieht sich nur auf die aus
Wahl hervorgegangenen Mitglieder.
Artikel 66
Die Bildung der ersten Kammer in der Art. 65
bestimmten Weise tritt am 7. August des Jahres 1852. ein.
Bis zu diesem Zeitpunkte verbleibt es bei dem Wahlgesetze für
die erste Kammer vom 6. Dezember 1848.
Artikel 67
Die Legislatur-Periode der ersten Kammer
wird auf sechs Jahre festgesetzt.
Artikel 68
Wählbar zum Mitgliede der
ersten Kammer ist jeder Preuße, der das vierzigste Lebensjahr
vollendet, den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte in Folge
rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht verloren und bereits
fünf Jahre lang dem preußischen Staatsverbande angehört hat.
Die Mitglieder der ersten Kammer erhalten weder Reisekosten, noch
Diäten.
Artikel 69
Die zweite Kammer besteht aus
350 Mitgliedern. Die Wahlbezirke werden durch das Gesetz festgestellt.
Sie können aus einem oder mehreren Kreisen oder aus einer oder mehreren
der größeren Städte bestehen.
Artikel 70
Jeder Preuße, welcher das
fünf und zwanzigste Lebensjahr vollendet hat und in der Gemeinde, in
welcher er seinen Wohnsitz hat, die Befähigung zu den Gemeindewahlen
besitzt, ist stimmberechtigter Urwähler.
Wer in mehreren Gemeinden an den Gemeindewahlen Theil zu nehmen
berechtigt ist, darf das Recht als Urwähler nur in Einer Gemeinde
ausüben.
Artikel 71
Auf jede Vollzahl von zweihundert und
fünfzig Seelen der Bevölkerung ist ein Wahlmann zu wählen. Die
Urwähler werden nach Maaßgabe der von ihnen zu entrichtenden direkten
Staatssteuern in drei Abtheilungen getheilt, und zwar in der Art, daß
auf jede Abtheilung ein Drittheil der Gesammtsumme der Steuerbeträge
aller Urwähler fällt.
Die Gesammtsumme wird berechnet:
a) gemeindeweise, falls die Gemeinde einen Urwahlbezirk für sich
bildet;
b) bezirksweise, falls der Urwahlbezirk aus mehreren Gemeinden
zusammengesetzt ist.
Die erste Abtheilung besteht aus denjenigen Urwählern, auf
welche die höchsten Steuerbeträge bis zum Belaufe eines Drittheils der
Gesammtsteuer fallen.
Die zweite Abtheilung besteht aus denjenigen Urwählern, auf
welche die nächst niedrigeren Steuerbeträge bis zur Gränze des
zweiten Drittheils fallen.
Die dritte Abtheilung besteht aus den am niedrigsten besteuerten
Urwählern, auf welche das dritte Drittheil fällt.
Jede Abtheilung wählt besonders und zwar ein Drittheil der zu
wählenden Wahlmänner.
Die Abtheilungen können in mehrere Wahlverbände eingetheilt
werden, deren keiner mehr als fünfhundert Urwähler in sich schließen
darf.
Die Wahlmänner werden in jeder Abtheilung aus der Zahl der
stimmberechtigten Urwähler des Urwahlbezirks ohne Rücksicht auf die
Abtheilungen gewählt.
Artikel 72
Die Abgeordneten werden durch
die Wahlmänner gewählt.
Das Nähere über die Ausführung der Wahlen bestimmt das
Wahlgesetz, welches auch die Anordnung für diejenigen Städte zu
treffen hat, in denen an Stelle eines Theils der direkten Steuern die
Mahl- und Schlachtsteuer erhoben wird.
Artikel 73
Die Legislatur-Periode der zweiten Kammer
wird auf drei Jahre festgesetzt.
Artikel 74
Zum Abgeordneten der zweiten
Kammer ist jeder Preuße wählbar, der das dreißigste Lebensjahr
vollendet, den Vollbesitz der bürgerlichen Rechte in Folge
rechtskräftigen richterlichen Erkenntnisses nicht verloren und bereits
drei Jahre dem preußischen Staatsverbande angehört hat.
Artikel 75
Die Kammern werden nach
Ablauf ihrer Legislatur-Periode neu gewählt. Ein Gleiches geschieht im
Falle der Auflösung. In beiden Fällen sind die bisherigen Mitglieder
wieder wählbar.
Artikel 76
Die Kammern werden durch den
König regelmäßig im Monat November jeden Jahres, und außerdem, so
oft es die Umstände erheischen, einberufen.
Artikel 77
Die Eröffnung und die
Schließung der Kammern geschieht durch den König in Person oder durch
einen dazu von ihm beauftragten Minister in einer Sitzung der
vereinigten Kammern.
Beide Kammern werden gleichzeitig berufen, eröffnet, vertagt und
geschlossen.
Wird eine Kammer aufgelöst, so wird die andere gleichzeitig
vertagt.
Artikel 78
Jede Kammer prüft die
Legitimation ihrer Mitglieder und entscheidet darüber. Sie regelt ihren
Geschäftsgang und ihre Disziplin durch eine Geschäftsordnung und
erwählt ihren Präsidenten, ihre Vicepräsidenten und Schriftführer.
Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt in die Kammer.
Wenn ein Kammermitglied ein besoldetes Staatsamt annimmt und im
Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder
ein höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in der
Kammer und kann seine Stelle in derselben nur durch neue Wahl wieder
erlangen.
Niemand kann Mitglied beider Kammern sein.
Artikel 79
Die Sitzungen beider Kammern
sind öffentlich. Jede Kammer tritt auf den Antrag ihres Präsidenten
oder von zehn Mitgliedern zu einer geheimen Sitzung zusammen, in welcher
dann zunächst über diesen Antrag zu beschließen ist.
Artikel 80
Keine der beiden Kammern kann
einen Beschluß fassen, wenn nicht die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl
ihrer Mitglieder anwesend ist. Jede Kammer faßt ihre Beschlüsse nach
absoluter Stimmenmehrheit, vorbehaltlich der durch die Geschäftsordnung
für Wahlen etwa zu bestimmenden Ausnahmen.
Artikel 81
Jede Kammer hat für sich das
Recht, Adressen an den König zu richten.
Niemand darf den Kammern oder einer derselben in Person eine
Bittschrift oder Adresse überreichen.
Jede Kammer kann die an sie gerichteten Schriften an die Minister
überweisen und von denselben Auskunft über eingehende Beschwerden
verlangen.
Artikel 82
Eine jede Kammer hat die
Befugniß, Behufs ihrer Information Kommissionen zur Untersuchung von
Thatsachen zu ernennen.
Artikel 83
Die Mitglieder beider Kammern
sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie stimmen nach ihrer freien
Ueberzeugung und sind an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden.
Artikel 84
Sie können für ihre
Abstimmungen in der Kammer niemals, für ihre darin ausgesprochenen
Meinungen nur innerhalb der Kammer auf den Grund der Geschäftsordnung
(Art. 78) zur Rechenschaft gezogen werden.
Kein Mitglied einer Kammer kann ohne deren Genehmigung während
der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur
Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, außer wenn es bei Ausübung
der That oder im Laufe des nächstfolgenden Tages nach derselben
ergriffen wird.
Gleiche Genehmigung ist bei einer Verhaftung wegen Schulden
nothwendig.
Jedes Strafverfahren gegen ein Mitglied der Kammer und eine jede
Untersuchungs- oder Civilhaft wird für die Dauer der Sitzungsperiode
aufgehoben, wenn die betreffende Kammer es verlangt.
Artikel 85
Die Mitglieder der zweiten
Kammer erhalten aus der Staatskasse Reisekosten und Diäten nach
Maaßgabe des Gesetzes; ein Verzicht hierauf ist unstatthaft.
Titel VI.
Von der richterlichen Gewalt.
Artikel 86
Die richterliche Gewalt wird
im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als
der des Gesetzes unterworfene Gerichte ausgeübt.
Die Urtheile werden im Namen des Königs ausgefertigt und
vollstreckt.
Artikel 87
Die Richter werden vom
Könige oder in dessen Namen auf ihre Lebenszeit ernannt.
Sie können nur durch Richterspruch aus Gründen, welche die
Gesetze vorgesehen haben, ihres Amtes entsetzt oder zeitweise enthoben
werden. Die vorläufige Amtssuspension, welche nicht kraft des Gesetzes
eintritt, und die unfreiwillige Versetzung an eine andere Stelle oder in
den Ruhestand können nur aus den Ursachen und unter den Formen, welche
im Gesetze angegeben sind, und nur auf Grund eines richterlichen
Beschlusses erfolgen.
Auf die Versetzungen, welche durch Veränderungen in der
Organisation der Gerichte oder ihrer Bezirke nöthig werden, finden
diese Bestimmungen keine Anwendung.
Artikel 88
Den Richtern dürfen andere
besoldete Staatsämter fortan nicht übertragen werden. Ausnahmen sind
nur auf Grund eines Gesetzes zulässig.
Artikel 89
Die Organisation der Gerichte wird durch
das Gesetz bestimmt.
Artikel 90
Zu einem Richteramte darf nur
der berufen werden, welcher sich zu demselben nach Vorschrift der
Gesetze befähigt hat.
Artikel 91
Gerichte für besondere
Klassen von Angelegenheiten, insbesondere Handels- und Gewerbegerichte
sollen im Wege der Gesetzgebung an den Orten errichtet werden, wo das
Bedürfniß solche erfordert.
Die Organisation und Zuständigkeit solcher Gerichte, das
Verfahren bei denselben, die Ernennung ihrer Mitglieder, die besonderen
Verhältnisse der letzteren und die Dauer ihres Amtes werden durch das
Gesetz festgestellt.
Artikel 92
Es soll in Preußen nur Ein oberster
Gerichtshof bestehen.
Artikel 93
Die Verhandlungen vor dem
erkennenden Gerichte in Civil- und Strafsachen sollen öffentlich sein.
Die Oeffentlichkeit kann jedoch durch einen öffentlich zu verkündenden
Beschluß des Gerichts ausgeschlossen werden, wenn sie der Ordnung oder
den guten Sitten Gefahr droht.
In anderen Fällen kann die Oeffentlichkeit nur durch Gesetze
beschränkt werden.
Artikel 94
Bei den mit schweren Strafen bedrohten
Verbrechen, bei allen politischen Verbrechen und bei allen Preßvergehen,
welche das Gesetz nicht ausdrücklich ausnimmt, erfolgt die Entscheidung
über die Schuld des Angeklagten durch Geschworene.
Die Bildung des Geschworenengerichts regelt das Gesetz.
Artikel 95
Es kann durch ein mit
vorheriger Zustimmung der Kammern zu erlassendes Gesetz ein besonderer
Schwurgerichtshof errichtet werden, dessen Zuständigkeit die Verbrechen
des Hochverraths und diejenigen schweren Verbrechen gegen die innere und
äußere Sicherheit des Staats, welche ihm durch das Gesetz überwiesen
werden, begreift. Die Bildung der Geschworenen bei diesem Gerichte
regelt das Gesetz.
Artikel 96
Die Kompetenz der Gerichte
und Verwaltungsbehörden wird durch das Gesetz bestimmt. Ueber
Kompetenzkonflikte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden
entscheidet ein durch das Gesetz bezeichneter Gerichtshof.
Artikel 97
Die Bedingungen, unter welchen öffentliche
Civil- und Militairbeamte wegen durch Ueberschreitung ihrer
Amtsbefugnisse verübter Rechtsverletzungen gerichtlich in Anspruch
genommen werden können, bestimmt das Gesetz. Eine vorgängige
Genehmigung der vorgesetzten Dienstbehörde darf jedoch nicht verlangt
werden.
Titel VII.
Von den nicht zum Richterstande gehörigen Staatsbeamten.
Artikel 98
Die besonderen
Rechtsverhältnisse der nicht zum Richterstande gehörigen
Staatsbeamten, einschließlich der Staatsanwälte, sollen durch ein
Gesetz geregelt werden, welches, ohne die Regierung in der Wahl der
ausführenden Organe zweckwidrig zu beschränken, den Staatsbeamten
gegen willkürliche Entziehung von Amt und Einkommen angemessenen Schutz
gewährt.
Titel VIII.
Von den Finanzen.
Artikel 99
Alle Einnahmen und Ausgaben
des Staats müssen für jedes Jahr im Voraus veranschlagt und auf den
Staatshaushalts-Etat gebracht werden.
Letzterer wird jährlich durch ein Gesetz festgestellt.
Artikel 100
Steuern und Abgaben für die
Staatskasse dürfen nur, so weit sie in den Staatshaushalts-Etat
aufgenommen oder durch besondere Gesetze angeordnet sind, erhoben
werden.
Artikel 101
In Betreff der Steuern
können Bevorzugungen nicht eingeführt werden.
Die bestehende Steuergesetzgebung wird einer Revision unterworfen
und dabei jede Bevorzugung abgeschafft.
Artikel 102
Gebühren können Staats- oder
Kommunalbeamte nur auf Grund des Gesetzes erheben.
Artikel 103
Die Aufnahme von Anleihen
für die Staatskasse findet nur auf Grund eines Gesetzes statt. Dasselbe
gilt von der Uebernahme von Garantieen zu Lasten des Staats.
Artikel 104
Zu Etats-Ueberschreitungen ist die
nachträgliche Genehmigung der Kammern erforderlich.
Die Rechnungen über den Staatshaushalts-Etat werden von der
Ober-Rechnungskammer geprüft und festgestellt. Die allgemeine Rechnung
über den Staatshaushalt jeden Jahres, einschließlich einer Uebersicht
der Staatsschulden, wird mit den Bemerkungen der Ober-Rechnungskammer
zur Entlastung der Staatsregierung den Kammern vorgelegt.
Ein besonderes Gesetz wird die Einrichtung und die Befugnisse der
Ober-Rechnungskammer bestimmen.
Titel IX.
Von den Gemeinden, Kreis-, Bezirks- und Provinzial-Verbänden.
Artikel 105
Die Vertretung und Verwaltung der
Gemeinden, Kreise, Bezirke und Provinzen des preußischen Staats wird
durch besondere Gesetze unter Festhaltung folgender Grundsätze näher
bestimmt:
1. Ueber die innern und besondern Angelegenheiten der Provinzen,
Bezirke, Kreise und Gemeinden beschließen aus gewählten
Vertretern bestehende Versammlungen, deren Beschlüsse durch die
Vorsteher der Provinzen, Bezirke, Kreise und Gemeinden ausgeführt
werden.
Das Gesetz wird die Fälle bestimmen, in welchen die Beschlüsse
dieser Vertretungen der Genehmigung einer höheren Vertretung oder der
Staatsregierung unterworfen sind.
2. Die Vorsteher der Provinzen, Bezirke und Kreise werden von dem
Könige ernannt.
Ueber die Betheiligung des Staats bei der Anstellung der
Gemeindevorsteher und über die Ausübung des den Gemeinden zustehenden
Wahlrechts wird die Gemeindeordnung das Nähere bestimmen.
3. Den Gemeinden insbesondere steht die selbstständige
Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten unter gesetzlich geordneter
Oberaufsicht des Staats zu.
Ueber die Betheiligung der Gemeinden bei Verwaltung der
Ortspolizei bestimmt das Gesetz.
Zur Aufrechthaltung der Ordnung kann nach näherer Bestimmung des
Gesetzes durch Gemeindebeschluß eine Gemeinde-Schutz- oder Bürgerwehr
errichtet werden.
4. Die Berathungen der Provinzial-, Kreis- und
Gemeindevertretungen sind öffentlich. Die Ausnahmen bestimmt das
Gesetz. Ueber die Einnahmen und Ausgaben muß wenigstens jährlich ein
Bericht veröffentlicht werden.
Allgemeine Bestimmungen.
Artikel 106
Gesetze und Verordnungen sind
verbindlich, wenn sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt
gemacht worden sind.
Die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter
Königlicher Verordnungen steht nicht den Behörden, sondern nur den
Kammern zu.
Artikel 107
Die Verfassung kann auf dem
ordentlichen Wege der Gesetzgebung abgeändert werden, wobei in jeder
Kammer die gewöhnliche absolute Stimmenmehrheit bei zwei Abstimmungen,
zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens ein und zwanzig Tagen
liegen muß, genügt.
Artikel 108
Die Mitglieder der beiden
Kammern und alle Staatsbeamten leisten dem Könige den Eid der Treue und
des Gehorsams und beschwören die gewissenhafte Beobachtung der
Verfassung.
Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung findet nicht
statt.
Artikel 109
Die bestehenden Steuern und
Abgaben werden forterhoben, und alle Bestimmungen der bestehenden
Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und Verordnungen, welche der
gegenwärtigen Verfassung nicht zuwiderlaufen, bleiben in Kraft, bis sie
durch ein Gesetz abgeändert werden.
Artikel 110
Alle durch die bestehenden
Gesetze angeordneten Behörden bleiben bis zur Ausführung der sie
betreffenden organischen Gesetze in Thätigkeit.
Artikel 111
Für den Fall eines Krieges oder Aufruhrs
können bei dringender Gefahr für die öffentliche Sicherheit die
Artikel 5, 6, 7, 27,
28, 29, 30 und 36
der Verfassungs-Urkunde zeit- und distriktweise außer Kraft gesetzt
werden. Das Nähere bestimmt das Gesetz.
Uebergangsbestimmungen.
Artikel 112
Bis zum Erlaß des im Art. 26
vorgesehenen Gesetzes bewendet es hinsichtlich des Schul- und
Unterrichtswesens bei den jetzt geltenden gesetzlichen Bestimmungen.
Artikel 113
Vor der erfolgten Revision
des Strafrechts wird über Vergehen, welche durch Wort, Schrift, Druck
oder bildliche Darstellung begangen werden, ein besonderes Gesetz
ergehen.
Artikel 114
Bis zur Emanirung der neuen
Gemeindeordnung bleibt es bei den bisherigen Bestimmungen hinsichtlich
der Polizeiverwaltung.
Artikel 115
Bis zum Erlaß des im Art. 72
vorgesehenen Wahlgesetzes bleibt die Verordnung vom 30. Mai 1849,
die Wahl der Abgeordneten zur zweiten Kammer betreffend, in Kraft.
Artikel 116
Die noch bestehenden beiden
obersten Gerichtshöfe sollen zu einem Einzigen vereinigt werden. Die
Organisation erfolgt durch ein besonderes Gesetz.
Artikel 117
Auf die Ansprüche der vor
Verkündigung der Verfassungs-Urkunde etatsmäßig angestellten
Staatsbeamten soll im Staatsdienergesetz besondere Rücksicht genommen
werden.
Artikel 118
Sollten durch die für den
deutschen Bundesstaat auf Grund des Entwurfs vom 26. Mai 1849
festzustellende Verfassung Abänderungen der gegenwärtigen Verfassung
nöthig werden, so wird der König dieselben anordnen und diese
Anordnungen den Kammern bei ihrer nächsten Versammlung mittheilen.
Die Kammern werden dann Beschluß darüber fassen, ob die
vorläufig angeordneten Abänderungen mit der Verfassung des deutschen
Bundesstaats in Uebereinstimmung stehen.
Artikel 119
Das im Artikel 54
erwähnte eidliche Gelöbniß des Königs, so wie die vorgeschriebene
Vereidigung der beiden Kammern und aller Staatsbeamten, erfolgen
sogleich nach der auf dem Wege der Gesetzgebung vollendeten
gegenwärtigen Revision dieser Verfassung (Artikel 62
und 108).
Friedrich Wilhelm.
Graf v. Brandenburg. v.
Ladenberg. v. Manteuffel v.
Strotha.
v. d. Heydt. v.
Rabe. Simons. v.
Schleinitz.
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