Telegramm des dt. Botschafter Hatzfeld in London 
an Außenministerium in Berlin - geheim

 


Herr Chamberlain, mit welchem ich heute zusammentraf, setzte mir in ausführlicher ganz vertraulicher Unterhaltung auseinander, daß die politische Situation jetzt eine Wendung genommen habe, welche England nicht länger gestatte, die bisherige traditionelle Politik der Isolierung aufrechtzuerhalten. Die englische Regierung stehe vor der Notwendigkeit, demnächst weittragende Ent

schlüsse zu fassen, und würde jetzt auf die Zustimmung der öffentlichen Meinung rechnen können, wenn sie die Isolierungspolitik aufgebe und sich nach Allianzen umsehe, die ihr die auch von ihr gewünschte Aufrechterhaltung des Friedens erleichtern würde. Die Situation sei nicht nur wegen der chinesischen Frage, bezüglich deren die englische Regierung die in der Kammer für künftigen Dienstag in Aussicht gestellten Entschlüsse in kürzester Frist fassen müsse, eine kritische, sondern es seien auch mit Frankreich wegen Westafrika ernstliche Verwickelungen zu befürchten ...

Der Minister kam dann auf die Beziehungen zwischen England und Deutschland, rekapitulierte kurz die Gründe, welche zu der bisherigen Entfremdung geführt haben, und bemerkte schließlich, daß beide Länder nach seiner Meinung dieselben politischen Interessen hätten, und daß etwa vorhandene kleine koloniale Differenzen sich ausgleichen ließen, wenn man gleichzeitig zu einer Verständigung über die großen politischen Interessen gelangen könnte. Er fügte hinzu, daß man hier die Besetzung von Kiautschou nur deshalb ungern gesehen habe, weil sich voraussehen ließ, daß Rußland und Frankreich in größerem Maßstabe folgen, und daß dadurch ernste Schwierigkeiten entstehen würden. Im übrigen erkenne er vollständig an, daß unser Vorgehen dort keine englischen Interessen bedrohe. Wenn die freundschaftlichen Beziehungen zwischen England und Deutschland hergestellt würden und sich daran eine politische Verständigung knüpfe, wie er sie im Auge habe, würde England uns in China nicht nur keine Opposition machen, sondern uns dort mit seiner ganzen Macht unterstützen.

In dieser ganzen Unterhaltung äußerte sich Chamberlain ruhig und bestimmt und legte mit großer Offenheit den Wunsch nach einer bindenden Abmachung zwischen England und dem Dreibund an den Tag. Er wiederholte dabei mehrmals, daß in der Sache keine Zeit zu verlieren sei, da man sich hier in den nächsten Tagen entscheiden müsse.