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Wenn man behauptet, die Auswanderung der Deutschen nach
Amerika sei für uns ein Vortheil, so ist das eine Thorheit. Was hat Deutschland
davon gehabt, daß Tausende seiner besten Söhne, die in der Heimat ihren
Unterhalt nicht finden konnten, dem Vaterland den Rücken gekehrt haben? Sie
sind ihm für immer verloren gegangen ... Fast ein Drittel der
nordamerikanischen Bevölkerung ist deutschen Ursprungs. Wie viele der köstlichsten
Kräfte haben wir durch die Auswanderung eingebüßt und büßen wir noch täglich
ein, ohne dafür auch nur den geringsten Ersatz zu bekommen. Arbeitskraft wie
Capital der Auswanderer ist für uns verloren. Welche unermeßlichen
finanziellen Vortheile würden diese Leute uns als Kolonialisten bieten. So ist jene Kolonisation, welche das einheitliche
Volksthum erhält, für die Zukunft der Welt ein Factor von ungeheurer Bedeutung
geworden. Von ihr wird abhängen, in welchem Maße jedes Volk an der
Beherrschung der Welt durch die weiße Rasse theilnehmen wird; es ist sehr gut
denkbar, daß einmal ein Land, das keine Kolonien hat, gar nicht mehr zu den
europäischen Großmächten zählen wird, so mächtig es sonst sein mag. Darum dürfen
wir nicht in jenen Zustand der Erstarrung kommen, der die Folge einer rein festländischen
Politik ist, und das Ergebniß unseres nächsten glücklichen Krieges muß womöglich
die Erwerbung irgend einer Kolonie sein.
Aber nicht nur Ackerbaukolonien, auch andere sind für das
Mutterland von großer Bedeutung. So die Pflanzungskolonien, in denen dauernder
Aufenthalt europäischer Völker nicht möglich ist, wo aber Eingeborene im
Dienst des Mutterlandes arbeiten und die kostbaren Pflanzungsproducte liefern.
Wer von Cleve über die holländische Grenze geht und nach Nimwegen kommt, der
kann sich sinnlich vergegenwärtigen, welche wirthschaftlichen Wunder in den
Tropen möglich sind. Cleve ist ein ganz wohlhäbiges Mittelstädtchen, von
Armuth kann dort keine Rede sein; kommt man dann aber nach Nimwegen, so ist man
mit einem mal in einer anderen Welt: überall prächtige Villen mit Säulen und
Freitreppen! Das ist der Reichthum Indiens, Javas und Sumatras; überall ein
Luxus, von dem man in deutschen Mittelstädten gar keinen Begriff hat.
aus: Treitschke, H.v., Politik, Vorlesungen, Bd. 1.
Leipzig 1897, S. 123ff.
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