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Inhalt
Artikel I.
§. 1.
Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen
Bundes.
Die Festsetzung der Verhältnisse des Herzogtums Schleswig bleibt
vorbehalten.
§. 2.
Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe
Staatsoberhaupt, so soll das deutsche Land eine von dem nichtdeutschen
Lande getrennte eigene Verfassung, Regierung und Verwaltung haben. In
die Regierung und Verwaltung des deutschen Landes dürfen nur deutsche
Staatsbürger berufen werden.
Die Reichsverfassung und die Reichsgesetzgebung hat in einem solchen
deutschen Lande dieselbe verbindliche Kraft, wie in den übrigen
deutschen Ländern.
§. 3.
Hat ein deutsches Land mit einem nichtdeutschen Lande dasselbe
Staatsoberhaupt, so muss dieses entweder in seinem deutschen Lande
residieren, oder es muss auf verfassungsmäßigem Wege in demselben eine
Regentschaft niedergesetzt werden, zu welcher nur Deutsche berufen
werden dürfen.
§. 4.
Abgesehen von den bereits bestehenden Verbindungen deutscher und
nichtdeutscher Länder soll kein Staatsoberhaupt eines nichtdeutschen
Landes zugleich zur Regierung eines deutschen Landes gelangen, noch darf
ein in Deutschland regierender Fürst, ohne seine deutsche Regierung
abzutreten, eine fremde Krone annehmen.
§. 5.
Die einzelnen deutschen Staaten behalten ihre Selbstständigkeit, soweit
dieselbe nicht durch die Reichsverfassung beschränkt ist; sie haben
alle staatlichen Hoheiten und Rechte, soweit diese nicht der
Reichsgewalt ausdrücklich übertragen sind.
Artikel I
§. 6.
Die Reichsgewalt ausschließlich übt dem Auslande gegenüber die
völkerrechtliche Vertretung Deutschlands und der einzelnen deutschen
Staaten aus.
Die Reichsgewalt stellt die Reichsgesandten und die Konsuln an. Sie
führt den diplomatischen Verkehr, schließt die Bündnisse und
Verträge mit dem Auslande, namentlich auch die Handels- und
Schifffahrtsverträge, sowie die Auslieferungsverträge ab. Sie ordnet
alle völkerrechtlichen Maßregeln an.
§. 7.
Die einzelnen deutschen Regierungen haben nicht das Recht, ständige
Gesandte zu empfangen oder solche zu halten.
Auch dürfen dieselben keine besonderen Konsuln halten. Die Konsuln
fremder Staaten erhalten ihr Exequatur von der Reichsgewalt.
Die Absendung von Bevollmächtigten an das Reichsoberhaupt ist den
einzelnen Regierungen unbenommen.
§. 8.
Die einzelnen deutschen Regierungen sind befugt, Verträge mit anderen
deutschen Regierungen abzuschließen.
Ihre Befugnis zu Verträgen mit nichtdeutschen Regierungen beschränkt
sich auf Gegenstände des Privatrechts, des nachbarlichen Verkehrs und
der Polizei.
§. 9.
Alle Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche eine
deutsche Regierung mit einer anderen deutschen oder nichtdeutschen
abschließt, sind der Reichsgewalt zur Kenntnisnahme und, insofern das
Reichsinteresse dabei beteiligt ist, zur Bestätigung vorzulegen.
Artikel II.
§. 10.
Der Reichsgewalt ausschließlich steht das Recht des Krieges und
Friedens zu.
Artikel III.
§. 11.
Der Reichsgewalt steht die gesamte bewaffnete Macht Deutschlands zur
Verfügung.
§. 12.
Das Reichsheer besteht aus der gesamten, zum Zwecke des Krieges
bestimmten Landmacht der einzelnen deutschen Staaten. Die Stärke und
Beschaffenheit des Reichsheeres wird durch das Gesetz über die
Wehrverfassung bestimmt.
Diejenigen Staaten, welche weniger als 500,000 Einwohner haben, sind
durch die Reichsgewalt zu größeren militärischen Ganzen, welche dann
unter der unmittelbaren Leitung der Reichsgewalt stehen, zu vereinigen,
oder einem angrenzenden größeren Staate anzuschließen.
Die näheren Bedingungen einer solchen Vereinigung sind in beiden
Fällen durch Vereinbarung der beteiligten Staaten unter Vermittlung und
Genehmigung der Reichsgewalt festzustellen.
§. 13.
Die Reichsgewalt ausschließlich hat in Betreff des Heerwesens die
Gesetzgebung und die Organisation; sie überwacht deren Durchführung in
den einzelnen Staaten durch fortdauernde Kontrolle.
Den einzelnen Staaten steht die Ausbildung ihres Kriegswesens auf Grund
der Reichsgesetze und der Anordnungen der Reichsgewalt und
beziehungsweise in den Grenzen der nach §. 12 getroffenen
Vereinbarungen zu. Sie haben die Verfügung über ihre bewaffnete Macht,
soweit dieselbe nicht für den Dienst des Reiches in Anspruch genommen
wird.
§. 14.
In den Fahneneid ist die Verpflichtung zur Treue gegen das
Reichsoberhaupt und die Reichsverfassung an erster Stelle aufzunehmen.
§. 15.
Alle durch Verwendung von Truppen zu Reichszwecken entstehenden Kosten,
welche den durch das Reich festgesetzten Friedensstand übersteigen,
fallen dem Reiche zur Last.
§. 16.
Über eine allgemeine für ganz Deutschland gleiche Wehrverfassung
ergeht ein besonderes Reichsgesetz.
§. 17.
Den Regierungen der einzelnen Staaten bleibt die Ernennung der
Befehlshaber und Offiziere ihrer Truppen, soweit deren Stärke sie
erheischt, überlassen.
Für die größeren militärischen Ganzen, zu denen Truppen mehrerer
Staaten vereinigt sind, ernennt die Reichsgewalt die gemeinschaftlichen
Befehlshaber.
Für den Krieg ernennt die Reichsgewalt die kommandierenden Generale der
selbstständigen Corps, sowie das Personale der Hauptquartiere.
§. 18.
Der Reichsgewalt steht die Befugnis zu, Reichsfestungen und Küstenverteidigungswerke
anzulegen und, insoweit die Sicherheit des Reiches es erfordert,
vorhandene Festungen gegen billige Ausgleichung, namentlich für das
überlieferte Kriegsmaterial, zu Reichsfestungen zu erklären.
Die Reichsfestungen und Küstenverteidigungswerke des Reiches werden auf
Reichskosten unterhalten.
§. 19.
Die Seemacht ist ausschließliche Sache des Reiches. Es ist keinem
Einzelstaate gestattet, Kriegsschiffe für sich zu halten oder
Kaperbriefe auszugeben.
Die Bemannung der Kriegsflotte bildet einen Teil der deutschen
Wehrmacht. Sie ist unabhängig von der Landmacht.
Die Mannschaft, welche aus einem einzelnen Staate für die Kriegsflotte
gestellt wird, ist von der Zahl der von demselben zu haltenden
Landtruppen abzurechnen. Das Nähere hierüber, sowie über die
Kostenausgleichung zwischen dem Reiche und den Einzelstaaten bestimmt
ein Reichsgesetz.
Die Ernennung der Offiziere und Beamten der Seemacht geht allein vom
Reiche aus.
Der Reichsgewalt liegt die Sorge für die Ausrüstung, Ausbildung und
Unterhaltung der Kriegsflotte und die Anlegung, Ausrüstung und
Unterhaltung von Kriegshäfen und See-Arsenalen ob.
Ueber die zur Errichtung von Kriegshäfen und Marine-Etablissements
nöthigen Enteignungen, so wie über die Befugnisse der dabei
anzustellenden Reichsbehörden, bestimmen die zu erlassenden
Reichsgesetze.
Artikel IV.
§. 20.
Die Schifffahrtsanstalten am Meere und in den Mündungen der deutschen
Flüsse (Häfen, Seetonnen, Leuchtschiffe, das Lotsenwesen, das
Fahrwasser usw.) bleiben der Fürsorge der einzelnen Uferstaaten
überlassen. Die Uferstaaten unterhalten dieselben aus eigenen Mitteln.
Ein Reichsgesetz wird bestimmen, wie weit die Mündungen der einzelnen
Flüsse zu rechnen sind.
§. 21.
Die Reichsgewalt hat die Oberaufsicht über die Anstalten und
Einrichtungen.
Es steht ihr zu, die betreffenden Staaten zu gehöriger Unterhaltung
derselben anzuhalten, auch dieselben aus den Mitteln des Reiches zu
vermehren und zu erweitern.
§. 22.
Die Abgaben, welche in den Seeuferstaaten von den Schiffen und deren
Ladungen für die Benutzung der Schifffahrtsanstalten erhoben werden,
dürfen die zur Unterhaltung dieser Anstalten nothwendigen Kosten nicht
übersteigen. Sie unterliegen der Genehmigung der Reichsgewalt.
§. 23.
In Betreff dieser Abgaben sind alle deutschen Schiffe und deren Ladungen
gleichzustellen.
Eine höhere Belegung fremder Schifffahrt kann nur von der Reichsgewalt
ausgehen.
Die Mehrhabgabe von fremder Schifffahrt fließt in die Reichskasse.
Artikel V.
§. 24.
Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die Oberaufsicht
über die in ihrem schiffbaren Lauf mehrerer Staaten durchströmenden
oder begrenzenden Flüsse oder Seen und über die Mündungen der in
dieselben fallenden Nebenflüsse, so wie über den Schifffahrtsbetrieb
und die Flößerei auf denselben.
Auf welche Weise die Schiffbarkeit dieser Flüsse erhalten oder
verbessert werden soll, bestimmt ein Reichsgesetz.
Die übrigen Wasserstraßen bleiben der Fürsorge der Einzelstaaten
überlassen. Doch steht es der Reichsgewalt zu, wenn sie es im Interesse
des allgemeinen Verkehrs für nothwendig erachtet, allgemeine
Bestimmungen über den Schifffahrtsbetrieb und die Flößerei auf
denselben zu erlassen, so wie einzelne Flüsse unter derselben
Voraussetzung den oben erwähnten gemeinsamen Flüssen gleich zu
stellen.
Die Reichsgewalt ist befugt, die Einzelstaaten zu gehöriger Erhaltung
der Schiffbarkeit dieser Wasserstraßen anzuhalten.
§. 25.
Alle deutschen Flüsse sollen für die deutsche Schifffahrt von
Flußzöllen frei sein. Auch die Flößerei soll auf schiffbaren
Flußstrecken solchen Abgaben nicht unterliegen. Das Nähere bestimmt
ein Reichsgesetz.
Bei den mehrere Staaten durchströmenden oder begrenzenden Flüssen
tritt für die Aufhebung dieser Flusszölle eine billige Ausgleichung
ein.
§. 26.
Die Hafen-, Kran-, Waag-, Lager-, Schleusen- und dergleichen Gebühren,
welche an den gemeinschaftlichen Flüssen und den Mündungen der in
dieselben sich ergießenden Nebenflüsse erhoben werden, dürfen die zur
Unterhaltung derartiger Anstalten nötigen Kosten nicht übersteigen.
Sie unterliegen der Genehmigung der Reichsgewalt.
Es darf in Betreff dieser Gebühren keinerlei Begünstigungen der
Angehörigen eines deutschen Staates vor denen anderer deutscher Staaten
stattfinden.
§. 27.
Flusszölle und Schifffahrtsabgaben dürfen auf fremde Schiffe und deren
Ladungen nur durch die Reichsgewalt gelegt werden.
Artikel VI.
§. 28.
Die Reichsgewalt hat über die Eisenbahnen und deren Betrieb, soweit es
der Schutz des Reiches oder das Interesse des allgemeinen Verkehrs
erheischt, die Oberaufsicht und das Recht der Gesetzgebung. Ein
Reichsgesetz wird bestimmen, welche Gegenstände dahin zu rechnen sind.
§. 29.
Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des Reiches
oder im Interesse des allgemeinen Verkehrs für notwendig erachtet, die
Anlage von Eisenbahnen zu bewilligen, so wie selbst Eisenbahnen
anzulegen, wenn der Einzelstaat, in dessen Gebiet die Anlage erfolgen
soll, deren Ausführung ablehnt. Die Benutzung der Eisenbahnen für
Reichszwecke steht der Reichsgewalt jederzeit gegen Entschädigung frei.
§. 30.
Bei der Anlage oder Bewilligung von Eisenbahnen durch die einzelnen
Staaten ist die Reichsgewalt befugt, den Schutze des Reiches und das
Interesse des allgemeinen Verkehrs wahrzunehmen.
§. 31.
Die Reichsgewalt hat über die Landstraßen die Oberaufsicht und das
Recht der Gesetzgebung, soweit es der Schutz des Reiches oder das
Interesse des allgemeinen Verkehrs erheischt. Ein Reichsgesetz wird
bestimmen, welche Gegenstände dahin zu rechnen sind.
§. 32.
Die Reichsgewalt hat das Recht, soweit sie es zum Schutze des Reiches
oder im Interesse des allgemeinen Verkehrs für notwendig erachtet, zu
verfügen, dass Landstraßen und Kanäle angelegt, Flüsse schiffbar
gemacht oder deren Schiffbarkeit erweitert werde.
Die Anordnung der dazu erforderlichen baulichen Werke erfolgt nach
vorgängigem Benehmen mit den beteiligten Einzelstaaten durch die
Reichsgewalt.
Die Ausführung und Unterhaltung der neuen Anlagen geschieht von
Reichswegen und auf Reichskosten, wenn eine Verständigung mit den
Einzelstaaten nicht erzielt wird.
Artikel VII.
§. 33.
Das deutsche Reich soll Ein Zoll- und Handelsgebiet bilden, umgeben von
gemeinschaftlicher Zollgrenze, mit Wegfall aller Binnengrenzzölle.
Die Aussonderung einzelner Orte und Gebietstheile aus der Zolllinie
bleibt der Reichsgewalt vorbehalten.
Der Reichsgewalt bliebt es ferner vorbehalten, auch nicht zum Reiche
gehörige Länder und Landestheile mittelst besonderer Verträge dem
deutschen Zollgebiete anzuschließen.
§. 34.
Die Reichsgewalt ausschließlich hat die Gesetzgebung über das gesammte
Zollwesen, so wie über gemeinschaftliche Produktions- und
Verbrauchs-Steuern. Welche Produktions- und Verbrauchs-Steuern
gemeinschaftlich sein sollen, bestimmt die Reichsgesetzgebung.
§. 35.
Die Erhebung und Verwaltung der Zölle, so wie der gemeinschaftlichen
Produktions- und Verbrauchs-Steuern, geschieht nach Anordnung und unter
Oberaufsicht der Reichsgewalt.
Aus dem Ertrage wird ein bestimmter Theil nach Maaßgabe des
ordentlichen Budgets für die Ausgaben des Reiches vorweggenommen, das
Uebrige wird an die einzelnen Staaten vertheilt.
Ein besonderes Reichsgesetz wird hierüber Näheres feststellen.
§. 36.
Auf welche Gegenstände die einzelnen Staaten Produktions- und
Verbrauchs-Steuern für Rechnung des Staates oder einzelner Gemeinden
legen dürfen, und welche Bedingungen und Beschränkungen dabei
eintreten sollen, wird durch die Reichsgesetzgebung bestimmt.
§. 37.
Die einzelnen deutschen Staaten sind nicht befugt, auf Güter, welche
über die Reichsgrenze ein- oder ausgehen, Zölle zu legen.
§. 38.
Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung über den Handel und die
Schifffahrt und überwacht die Ausführung der darüber erlassenen
Reichsgesetze.
§. 39.
Der Reichsgewalt steht es zu, über das Gewerbewesen Reichsgesetze zu
erlassen und die Ausführung derselben zu überwachen.
§. 40.
Erfindungs-Patente werden ausschließlich von Reichswegen auf Grundlage
eines Reichsgesetzes erteilt; auch steht der Reichsgewalt
ausschließlich die Gesetzgebung gegen den Nachdruck von Büchern, jedes
unbefugte Nachahmen von Kunstwerken, Fabrikzeichen, Mustern und Formen
und gegen andere Beeinträchtigungen des geistigen Eigentums zu.
Artikel VIII.
§. 41.
Die Reichsgewalt hat das Recht der Gesetzgebung und die Oberaufsicht
über das Postwesen, namentlich die Organisation, Tarife, Transit, Portoteilung
und die Verhältnisse zwischen den einzelnen Postverwaltungen.
Dieselbe sorgt für gleichmäßige Anwendung der Gesetze durch
Vollzugsverordnungen, und überwacht deren Durchführung in den
einzelnen Staaten durch fortdauernde Kontrolle.
Der Reichsgewalt steht es zu, die innerhalb mehrerer Postgebiete sich
bewegenden Course im Interesse des allgemeinen Verkehrs zu ordnen.
§. 42.
Postverträge mit ausländischen Postverwaltungen dürfen nur von der
Reichsgewalt oder mit deren Genehmigung geschlossen werden.
§. 43.
Die Reichsgewalt hat die Befugnis, insofern es ihr nötig scheint, das
deutsche Postwesen für Rechnung des Reiches in Gemäßheit eines
Reichsgesetzes zu übernehmen, vorbehaltlich billiger Entschädigung der
Berechtigten.
§. 44.
Die Reichsgewalt ist befugt, Telegraphenlinien anzulegen, und die
vorhandenen gegen Entschädigung zu benutzen, oder auf dem Wege der
Enteignung zu erwerben.
Weitere Bestimmungen hierüber, so wie die Benutzung der Telegraphen
für den Privatverkehr, sind einem Reichsgesetz vorbehalten.
Artikel IX. Zölle
§. 45.
Die Reichsgewalt ausschließlich hat die Gesetzgebung und die
Oberaufsicht über das Münzwesen. Es liegt ihr ob, für ganz
Deutschland dasselbe Münzsystem einzuführen.
Sie hat das Recht, Reichsmünzen zu prägen.
§. 46.
Der Reichsgewalt liegt es ob, in ganz Deutschland dasselbe System für Maas
und Gewicht, so wie für den Feingehalt der Gold- und Silberwaren zu
begründen.
§. 47.
Die Reichsgewalt hat das Recht, das Bankwesen und das Ausgeben von
Papiergeld durch die Reichsgesetzgebung zu regeln. Sie überwacht die
Ausführung der darüber erlassenen Reichsgesetze.
Artikel X.
§. 48.
Die Ausgaben für alle Maßregeln und Einrichtungen, welche von
Reichswegen ausgeführt werden, sind von der Reichsgewalt aus den
Mitteln des Reiches zu bestreiten.
§. 49.
Zur Bestreitung seiner Ausgaben ist das Reich zunächst auf seinen Anteil
an den Einkünften aus den Zöllen und den gemeinsamen Produktions- und
Verbrauchs-Steuern angewiesen.
§. 50.
Die Reichsgewalt hat das Recht, insoweit die sonstigen Einkünfte nicht
ausreichen, Matrikularbeiträge aufzunehmen.
§. 51.
Die Reichsgewalt ist befugt, in außerordentlichen Fällen Reichssteuern
aufzulegen und zu erheben oder erheben zu lassen, so wie Anleihen zu
machen oder sonstige Schulden zu contrahiren.
Artikel XI.
§. 52.
Der Umfang der Gerichtsbarkeit des bestimmt der Abschnitt vom
Reichsgericht.
Artikel XII.
§. 53.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die kraft der Reichsverfassung allen
Deutschen verbürgten Rechte oberaufsehend zu wahren.
§. 54.
Der Reichsgewalt liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob.
Sie hat die für die Aufrechterhaltung der innern Sicherheit und Ordnung
erforderlichen Maßregeln zu treffen:
1. wenn ein deutscher Staat von einem andern deutschen Staate in seinem
Frieden gestört oder gefährdet wird;
2. wenn in einem deutschen Staate die Sicherheit und Ordnung durch
Einheimische oder Fremde gestört oder gefährdet wird. Doch soll in
diesem Falle von der Reichsgewalt nur dann eingeschritten werden, wenn
die betreffende Regierung sie selbst dazu auffordert, es sei denn, dass
dieselbe dazu notorisch außer Stande ist oder der gemeinsame
Reichsfrieden bedroht erscheint;
3. wenn die Verfassung eines deutschen Staates gewaltsam oder einseitig
aufgehoben oder verändert wird, und durch das Anrufen des
Reichsgerichtes unverzügliche Hülfe nicht zu erwirken ist.
§. 55.
Die Maßregeln, welche von der Reichsgewalt zur Wahrung des
Reichsfriedens ergriffen werden können, sind: 1) Erlasse, 2) Absendung
von Commissarien, 3) Anwendung von bewaffneter Macht.
Ein Reichsgesetz wird die Grundsätze bestimmen, nach welchen die durch
solche Maßregeln veranlassten Kosten zu tragen sind.
§. 56.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die Fälle und Formen, in welchen die
bewaffnete Macht gegen Störungen der öffentlichen Ordnung angewendet
werden soll, durch ein Reichsgesetz zu bestimmen.
§. 57.
Der Reichsgewalt liegt es ob, die gesetzlichen Normen über Erwerb und
Verlust der Reichs- und Staatsbürgerrechts festzusetzen.
§. 58.
Der Reichsgewalt steht es zu, über das Heimatrecht Reichsgesetze zu
erlassen und die Ausführung derselben zu überwachen.
§. 59.
Der Reichsgewalt steht es zu, unbeschadet des durch die Grundrechte
gewährleisteten Rechte der freien Vereinigung und Versammlung,
Reichsgesetze über das Associationswesen zu erlassen.
§. 60.
Die Reichsgesetzgebung hat für die Aufnahme öffentlicher Urkunden
diejenigen Erfordernisse festzustellen, welche die Anerkennung ihrer Echtheit
in ganz Deutschland bedingen.
§. 61.
Die Reichsgewalt ist befugt, im Interesse des Gesamtwohls allgemeine
Maaßregeln für die Gesundheitspflege zu treffen.
Artikel XIII.
§. 62.
Die Reichsgewalt hat die Gesetzgebung, soweit es zur Ausführung der ihr
verfassungsmäßig übertragenen Befugnis und zum Schutze der ihr
überlassenen Anstalten erforderlich ist.
§. 63.
Die Reichsgewalt ist befugt, wenn sie im Gesamtinteresse Deutschlands
gemeinsame Einrichtungen und Maßregeln notwendig findet, die zur
Begründung derselben erforderlichen Gesetze in den für die
Veränderung der Verfassung vorgeschriebenen Formen zu erlassen.
§. 64.
Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner
Gesetzbücher über bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht,
Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen
Volke zu begründen.
§. 65.
Alle Gesetze und Verordnungen der Reichsgewalt erhalten verbindliche
Kraft durch ihre Verkündung von Reichswegen.
§. 66.
Reichsgesetze gehen den Gesetzen der Einzelstaaten vor, insofern ihnen
nicht ausdrücklich eine nur subsidiäre Geltung beigelegt ist.
Artikel XIV.
§. 67.
Die Anstellung der Reichsbeamten geht vom Reiche aus.
Die Dienstpragmatik des Reiches wird ein Reichsgesetz feststellen.
Artikel I.
§. 68.
Die Würde des Reichsoberhauptes wird einem der regierenden deutschen
Fürsten übertragen.
§. 69.
Diese Würde ist erblich im Hause des Fürsten, dem sie übertragen
worden. Sie vererbt im Mannesstamme nach dem Rechte der Erstgeburt.
§. 70.
Das Reichsoberhaupt führt den Titel: Kaiser der Deutschen.
§. 71.
Die Residenz des Kaisers ist am Sitze der Reichsregierung. Wenigstens
während der Dauer des Reichstags wird der Kaiser dort bleibend
residiren.
So oft sich der Kaiser nicht am Sitze der Reichsregierung befindet, muß
einer der Reichsminister in seiner unmittelbaren Umgebung sein.
Die Bestimmungen über den Sitz der Reichsregierung bleiben einem
Reichsgesetz vorbehalten.
§. 72.
Der Kaiser bezieht eine Civilliste, welche der Reichstag festsetzt.
Artikel II.
§. 73.
Die Person des Kaisers ist unverletzlich.
Der Kaiser übt die ihm übertragene Gewalt durch verantwortliche, von
ihm ernannte Minister aus.
§. 74.
Alle Regierungshandlungen des Kaisers bedürfen zu ihrer Gültigkeit der
Gegenzeichnung von wenigstens einem der Reichsminister, welcher dadurch
die Verantwortung übernimmt.
Artikel III.
§. 75.
Der Kaiser übt die völkerrechtliche Vertretung des deutschen Reiches
und der einzelnen deutschen Staaten aus. Er stellt die Reichsgesandten
und die Consuln an und führt den diplomatischen Verkehr.
§. 76.
Der Kaiser erklärt Krieg und schließt Frieden.
§. 77.
Der Kaiser schließt die Bündnisse und Verträge mit den auswärtigen
Mächten ab, und zwar unter Mitwirkung des Reichstags, insoweit diese in
der Verfassung vorbehalten ist.
§. 78.
Alle Verträge nicht rein privatrechtlichen Inhalts, welche deutsche
Regierungen unter sich oder mit auswärtigen Regierungen abschließen,
sind dem Kaiser zur Kenntnisnahme, und insofern das Reichsinteresse
dabei beteiligt ist, zur Bestätigung vorzulegen.
§. 79.
Der Kaiser beruft und beschließt den Reichstag; er hat das Recht, das
Volkshaus aufzulösen.
§. 80.
Der Kaiser hat das Recht des Gesetzvorschlages. Er übt die
gesetzgebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den
verfassungsmäßigen Beschränkungen aus. Er verkündet die
Reichsgesetze und erlässt die zur Vollziehung derselben nötigen
Verordnungen.
§. 81.
In Strafsachen, welche zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören,
hat der Kaiser das Recht der Begnadigung und Strafmilderung. Das Verbot
der Einleitung oder Fortsetzung von Untersuchungen kann der Kaiser nur
mit Zustimmung des Reichstages erlassen.
Zu Gunsten eines wegen seiner Amtshandlungen verurteilten
Reichsministers kann der Kaiser das Recht der Begnadigung und
Strafmilderung nur dann ausüben, wenn dasjenige Haus, von welchem die
Anklage ausgegangen ist, darauf anträgt. Zu Gunsten von Landesministern
steht im ein solches Recht nicht zu.
§. 82.
Dem Kaiser liegt die Wahrung des Reichsfriedens ob.
§. 83.
Der Kaiser hat die Verfügung über die bewaffnete Macht.
§. 84.
Überhaupt hat der Kaiser die Regierungsgewalt in allen Angelegenheiten
des Reiches nach Maßgabe der Reichsverfassung. Ihm als Träger dieser
Gewalt stehen diejenigen Rechte und Befugnisse zu, welche in der
Reichsverfassung der Reichsgewalt beigelegt und dem Reichstage nicht
zugewiesen sind.
Artikel I.
§. 85.
Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem
Volkshaus.
Artikel II.
§. 86.
Das Staatenhaus wird gebildet aus den Vertretern der deutschen Staaten.
§. 87.
Die Zahl der Mitglieder verteilt sich nach folgendem Verhältnis:
Preußen ....................................................
40 Mitglieder.
Österreich ...............................................
38 "
Bayern ......................................................
18 "
Sachsen ...................................................
10 "
Hannover ..................................................
10 "
Württemberg ...............................................
10 "
Baden .......................................................
9 "
Kurhessen .................................................
6 "
Großherzogtum Hessen ...............................
6 "
Holstein (-Schleswig, s. Reich §. 1) .................
6 "
Mecklenburg-Schwerin .................................
4 "
Luxemburg-Limburg .....................................
3 "
Nassau .....................................................
3 "
Braunschweig .............................................
2 "
Oldenburg .................................................
2 "
Sachsen-Weimar ........................................
2 "
Sachsen-Coburg-Gotha ................................
1 "
Sachsen-Meiningen-Hildburghausen ................
1 "
Sachsen-Altenburg .....................................
1 "
Mecklenburg-Strelitz ...................................
1 "
Anhalt-Dessau ...........................................
1 "
Anhalt-Bernburg .........................................
1 "
Anhalt-Köthen ............................................
1 "
Schwarzburg-Sondershausen ........................
1 "
Schwarzburg-Rudolstadt ..............................
1 "
Hohenzollern-Hechingen ...............................
1 "
Liechtenstein .............................................
1 "
Hohenzollern-Sigmaringen .............................
1 "
Waldeck ....................................................
1 "
Reuß ältere Linie .........................................
1 "
Reuß jüngere Linie .......................................
1 "
Schaumburg-Lippe ......................................
1 "
Lippe-Detmold ............................................
1 "
Hessen-Homburg ........................................
1 "
Lauenburg .................................................
1 "
Lübeck .....................................................
1 "
Frankfurt ...................................................
1 "
Bremen .....................................................
1 "
Hamburg ...................................................
1 "
______________
192 Mitglieder.
So lange die deutsch-österreichischen Lande an dem Bundesstaate
nicht Teil nehmen, erhalten nachfolgende Staaten eine größere
Anzahl von Stimmen im Staatenhause, nämlich
Bayern ......................................................
20
Sachsen ...................................................
12
Hannover ..................................................
12
Württemberg ...............................................
12
Baden .......................................................
10
Großherzogtum Hessen ...............................
8
Kurhessen .................................................
7
Nassau .....................................................
4
Hamburg ...................................................
2
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§. 88.
Die Mitglieder des Staatenhauses werden zur Hälfte durch die
Regierungen und zur Hälfte durch die Volksvertretungen der betreffenden
Staaten ernannt.
In denjenigen deutschen Staaten, welche aus mehreren Provinzen oder
Ländern mit abgesonderter Verfassung oder Verwaltung bestehen, sind die
durch die Volksvertretungen dieses Staates zu ernennenden Mitglieder des
Staatenhauses nicht von der allgemeinen Landesvertretung, sondern von
den Vertretungen der einzelnen Länder oder Provinzen
(Provinzialständen) zu ernennen.
Das Verhältnis, nach welchem die Zahl der diesen Staaten zukommenden
Mitglieder unter die einzelnen Länder oder Provinzen zu verteilen ist,
bleibt der Landesgesetzgebung vorbehalten.
Wo zwei Kammern bestehen und eine Vertretung nach Provinzen nicht Statt
findet, wählen beide Kammern in gemeinsamer Sitzung nach absoluter
Stimmenmehrheit.
§. 89.
In denjenigen Staaten, welche nur Ein Mitglied in das Staatenhaus
senden, schlägt die Regierung drei Kandidaten vor, aus denen die
Volksvertretung mit absoluter Stimmenmehrheit wählt.
Auf dieselbe Weise ist in denjenigen Staaten, welche eine ungerade Zahl
von Mitgliedern senden, in Betreff des letzten derselben zu verfahren.
§. 90.
Wenn mehrere deutsche Staaten zu einem Ganzen verbunden werden, so
entscheidet ein Reichsgesetz über die dadurch etwa notwendig werdende
Abänderung in der Zusammensetzung des Staatenhauses.
§. 91.
Mitglied des Staatenhauses kann nur sein, wer
1. Staatsbürger des Staates ist, welcher ihn sendet,
2. das 30ste Lebensjahr zurückgelegt hat,
3. sich im vollen Genus der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte
befindet.
§. 92.
Die Mitglieder des Staatenhauses werden auf sechs Jahre gewählt. Sie
werden alle drei Jahre zur Hälfte erneuert.
Auf welche Weise nach den ersten drei Jahren das Ausscheiden der einen
Hälfte Statt finden soll, wird durch ein Reichsgesetz bestimmt. Die
Ausscheidenden sind stets wieder wählbar.
Wird nach Ablauf dieser drei Jahre und vor Vollendung der neuen Wahlen
für das Staatenhaus ein außerordentlicher Reichstag berufen, so
treten, so weit die neuen Wahlen noch nicht stattgefunden haben, die
früheren Mitglieder ein.
Artikel III.
§. 93.
Das Volkshaus besteht aus den Abgeordneten des
deutschen Volkes.
§. 94.
Die Mitglieder des Volkshauses werden für das erste Mal auf vier Jahre,
demnächst immer auf drei Jahre gewählt.
Die Wahl geschieht nach den in dem Reichswahlgesetze enthaltenen
Vorschriften.
Artikel IV.
§. 95.
Die Mitglieder des Reichstages beziehen aus der Reichskasse ein
gleichmäßiges Taschengeld und Entschädigung für ihre Reisekosten.
Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.
§. 96.
Die Mitglieder beider Häuser können durch Instruktionen nicht gebunden
werden.
§. 97.
Niemand kann gleichzeitig Mitglied von beiden Häuser sein.
Artikel V.
§. 98.
Zu einem Beschluss eines jeden Hauses des Reichstages ist die Teilnahme
von wenigstens der Hälfte der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder und
die einfache Stimmenmehrheit erforderlich.
In Falle der Stimmengleichheit wird ein Antrag als abgelehnt betrachtet.
§. 99.
Das Recht des Gesetzvorschlags, der Beschwerde, der Adresse und der
Erhebung von Tatsachen, sowie der Anklage der Minister steht jedem Hause
zu.
§. 100.
Ein Reichstagsbeschluss kann nur durch die Übereinstimmung beider
Häuser gültig zu Stande kommen.
§. 101.
Ein Reichstagsbeschluss, welcher die Zustimmung der Reichsregierung
nicht erlangt hat, darf in derselben Sitzungsperiode nicht wiederholt
werden.
Ist von dem Reichstage in drei sich unmittelbar folgenden ordentlichen
Sitzungsperioden derselbe Beschluss unverändert gefasst worden, so wird
derselbe, auch wenn die Zustimmung der Reichsregierung nicht erfolgt,
mit dem Schlusse des dritten Reichstages zum Gesetz. Eine ordentliche
Sitzungsperiode, welche nicht wenigstens vier Wochen dauert, wird in
dieser Reihenfolge nicht mitgezählt.
§. 102.
Ein Reichstagsbeschluss ist in folgenden Fällen erforderlich:
1. Wenn es sich um die Erlassung, Aufhebung, Abänderung oder Auslegung
von Reichsgesetzen handelt.
2. Wenn der Reichshaushalt festgestellt wird, wenn Anleihen contrahiert
werden, wenn das Reich eine im Budget nicht vorgesehene Ausgabe
übernimmt, oder Matrikularbeiträge oder Steuern erhebt.
3. Wenn fremde See- oder Flussschifffahrt mit höheren Abgaben belegt
werden soll.
4. Wenn Landesfestungen zu Reichsfestungen erklärt werden sollen.
5. Wenn Handels-, Schifffahrts- und Auslieferungsverträge mit dem
Auslande geschlossen werden, so wie überhaupt völkerrechtliche
Verträge, insofern sie das Reich belasten.
6. Wenn nicht zum Reich gehörige Länder oder Landestheile dem
deutschen Zollgebiete angeschlossen, oder einzelne Orte oder
Gebietstheile von der Zolllinie ausgeschlossen werden sollen.
7. Wenn deutsche Landestheile abgetreten, oder wenn nichtdeutsche
Gebiete dem Reiche einverleibt oder auf andere Weise mit demselben
verbunden werden sollen.
§. 103.
Bei Feststellung des Reichshaushaltes treten folgende Bestimmungen ein:
1. Alle die Finanzen betreffenden Vorlagen der Reichsregierung gelangen
zunächst an das Volkshaus.
2. Bewilligungen von Ausgaben dürfen nur auf Antrag der Reichsregierung
und bis zum Belauf dieses Antrags erfolgen. Jede Bewilligung gilt nur
für den besonderen Zweck, für welchen sie bestimmt worden. Die
Verwendung darf nur innerhalb der Grenzen der Bewilligung erfolgen.
3. Die Dauer der Finanzperiode und Budgetbewilligung ist ein Jahr.
4. Das Budget über die regelmäßigen Ausgaben des Reiches und über
den Reservefond, so wie über die für beides erforderlichen
Deckungsmittel, wird auf dem ersten Reichstage durch
Reichstagsbeschlüsse festgestellt. Eine Erhöhung dieses Budgets auf
späteren Reichstagen erfordert gleichfalls einen Reichstagsbeschluß.
5. Dieses ordentliche Budget wird auf jedem Reichstage zuerst dem
Volkshause vorgelegt, von diesem in seinen einzelnen Ansätzen nach den
Erläuterungen und Belegen, welche die Reichsregierung vorzulegen hat,
geprüft und ganz oder teilweise bewilligt oder verworfen.
6. Nach erfolgter Prüfung und Bewilligung durch das Volkshaus wird das
Budget an das Staatenhaus abgegeben. Diesem steht, innerhalb des
Gesammtbetrages des ordentlichen Budgets, so wie derselbst auf dem
ersten Reichstage oder durch spätere Reichstagsbeschlüsse festgestellt
ist, nur das Recht zu, Erinnerungen und Ausstellungen zu machen, über
welche das Volkshaus endgültig beschließt.
7. Alle außerordentlichen Ausgaben und deren Deckungsmittel bedürfen,
gleich der Erhöhung des ordentlichen Budgets, eines
Reichstagsbeschlusses.
8. Die Nachweisung über die Verwendung der Reichsgelder wird dem
Reichstage, und zwar zuerst dem Volkshause, zur Prüfung und zum Abschluss
vorgelegt.
Artikel VI.
§. 104.
Der Reichstag versammelt sich jedes Jahr am Sitze der Reichsregierung.
Die Zeit der Zusammenkunft wird vom Reichsoberhaupt bei der Einberufung
angegeben, insofern nicht ein Reichsgesetz dieselbe festsetzt.
Außerdem kann der Reichstag zu außerordentlichen Sitzungen jederzeit
vom Reichsoberhaupt einberufen werden.
§. 105.
Die ordentlichen Sitzungsperioden der Landtage in den Einzelstaaten
sollen mit denen des Reichstages in der Regel nicht zusammenfallen. Das
Nähere bleibt einem Reichsgesetz vorbehalten.
§. 106.
Das Volkshaus kann durch das Staatsoberhaupt aufgelöst werden.
In dem Falle der Auflösung ist der Reichstag binnen drei Monaten wieder
zu versammeln.
§. 107.
Die Auflösung des Volkshauses hat die gleichzeitige Vertagung des
Staatenhauses bis zur Wiedereinberufung des Reichstages zur Folge.
Die Sitzungsperioden beider Häuser sind dieselben.
§. 108.
Das Ende der Sitzungsperioden des Reichstages wird vom Reichsoberhaupt
bestimmt.
§. 109.
Eine Vertagung des Reichstages oder eines der beiden Häuser durch das
Staatsoberhaupt bedarf, wenn sie nach Eröffnung der Sitzung auf länger
als vierzehn Tage ausgesprochen werden soll, der Zustimmung des
Reichstages oder des betreffenden Hauses.
Auch der Reichstag selbst so wie jedes der beiden Häuser kann sich auf
vierzehn Tage vertagen.
Artikel VII.
§. 110.
Jedes der beiden Häuser wählt seinen Präsidenten, seine
Vizepräsidenten und seine Schriftführer.
§. 111.
Die Sitzungen beider Häuser sind öffentlich. Die Geschäftsordnung
eines jeden Hauses bestimmt, unter welchen Bedingungen vertrauliche
Sitzungen stattfinden können.
§. 112.
Jedes Haus prüft die Vollmachten seiner Mitglieder und entscheidet
über die Zulassung derselben.
§. 113.
Jedes Mitglied leistet bei seinem Eintritt den Eid: "Ich schwöre,
die deutsche Reichsverfassung getreulich zu beobachten und aufrecht zu
erhalten, so wahr mir Gott helfe."
§. 114.
Jedes Haus hat das Recht, seine Mitglieder wegen unwürdigen Verhaltens
im Hause zu bestrafen und äußersten Falls auszuschließen. Das Nähere
bestimmt die Geschäftsordnung jedes Hauses.
Eine Ausschließung kann nur ausgesprochen werden, wenn eine Mehrheit
von zwei Dritteln der Stimmen sich dafür entscheidet.
§. 115.
Weder Überbringer von Bittschriften noch überhaupt Deputationen sollen
in den Häusern zugelassen werden.
§. 116.
Jedes Haus hat das Recht, sich seine Geschäftsordnung selbst zu geben.
Die geschäftlichen Beziehungen zwischen beiden Häusern werden durch Übereinkunft
beider Häuser geordnet.
Artikel VIII.
§. 117.
Ein Mitglied des Reichstages darf während der Dauer der Sitzungsperiode
ohne Zustimmung des Hauses, zu welchem es gehört, wegen
strafrechtlicher Anschuldigungen weder verhaftet, noch in Untersuchung
gezogen werden, mit alleiniger Ausnahme der Ergreifung auf frischer Tat.
§. 118.
In diesem letzteren Falle ist dem betreffenden Hause von der
angeordneten Maßregel sofort Kenntnis zu geben. Es steht demselben zu,
die Aufhebung der Haft oder Untersuchung bis zum Schlusse der
Sitzungsperiode zu verfügen.
§. 119.
Dieselbe Befugnis steht jedem Hause in Betreff einer Verhaftung oder
Untersuchung zu, welche über ein Mitglied desselben zur Zeit seiner
Wahl verhängt gewesen, oder nach dieser bis zur Eröffnung der
Sitzungen verhängt worden ist.
§. 120.
Kein Mitglied des Reichstages darf zu irgend einer Zeit wegen seiner
Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes getanen Äußerungen
gerichtlich oder disziplinarisch verfolgt oder sonst außerhalb der
Versammlung zur Verantwortung gezogen werden.
Artikel IX.
§. 121.
Die Reichsminister haben das Recht, den Verhandlungen beider Häuser des
Reichstages beizuwohnen und jederzeit von denselben gehört zu werden.
§. 122.
Die Reichsminister haben die Verpflichtung, auf Verlangen jedes der
Häuser des Reichstages in demselben zu erscheinen und Auskunft zu erteilen,
oder den Grund anzugeben, weshalb dieselbe nicht erteilt werden könne.
§. 123.
Die Reichsminister können nicht Mitglieder des Staatenhauses sein.
§. 124.
Wenn ein Mitglied des Volkshauses im Reichsdienst ein Amt oder eine
Beförderung annimmt, so muß es sich einer neuen Wahl unterwerfen; es
behält seinen Sitz im Hause, bis die neue Wahl stattgefunden hat.
Artikel I.
§. 125.
Die dem Reiche zustehende Gerichtsbarkeit wird durch ein Reichsgericht
ausgeübt.
§. 126.
Zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehören:
a) Klagen der Einzelstaaten gegen die Reichsgewalt wegen Verletzung der
Reichsverfassung durch Erlassung von Reichsgesetzen und durch Maßregeln
der Reichsregierung, sowie Klagen der Reichsgewalt gegen einen
Einzelstaat wegen Verletzung der Reichsverfassung.
b) Streitigkeiten zwischen dem Staatenhause und dem Volkshause unter
sich und zwischen jedem von ihnen und der Reichsregierung, welche die
Auslegung der Reichsverfassung betreffen, wenn die streitenden Theile
sich vereinigen, die Entscheidung des Reichsgerichts einzuholen.
c) Politische und privatrechtliche Streitigkeiten aller Art zwischen den
einzelnen deutschen Staaten.
d) Streitigkeiten über Thronfolge, Regierungsfähigkeit und
Regentschaft in den Einzelstaaten.
e) Streitigkeiten zwischen der Regierung eines Einzelstaates und dessen
Volksvertretung über die Gültigkeit oder Auslegung der
Landesverfassung.
f) Klagen der Angehörigen eines Einzelstaates gegen die Regierung wegen
Verletzung der Landesverfassung können bei dem Reichsgericht nur
angebracht werden, wenn die in der Landesverfassung gegebenen Mittel der
Abhülfe nicht zur Anwendung gebracht werden können.
g) Klagen deutscher Staatsbürger wegen Verletzung der durch die
Reichsverfassung ihnen gewährten Rechte. Die näheren Bestimmungen
über den Umfang ihres Klagerechts und die Art und Weise, dasselbe
geltend zu machen, bleiben der Reichsgesetzgebung vorbehalten.
h) Beschwerden wegen verweigerter oder gehemmter Rechtspflege, wenn die
landesgesetzlichen Mittel der Abhülfe erschöpft sind.
i) Strafgerichtsbarkeit über die Anklagen gegen die Reichsminister,
insofern sie deren ministerielle Verantwortlichkeit betreffen.
k) Strafgerichtsbarkeit über die Anklagen gegen die Minister der
Einzelstaaten, insofern sie deren ministerielle Verantwortlichkeit
betreffen.
l) Strafgerichtsbarkeit in den Fällen des Hoch- und Landesverrats gegen
das Reich.
Ob noch andere Verbrechen gegen das Reich der Strafgerichtsbarkeit des
Reichsgerichts zu überweisen sind, wird späteren Reichsgesetzen
vorbehalten.
m) Klagen gegen den Reichsfiskus.
n) Klagen gegen deutsche Staaten, wenn die Verpflichtung, dem Anspruche
Genüge zu leisten, zwischen mehreren Staaten zweifelhaft oder
bestritten ist, so wie wenn die gemeinschaftliche Verpflichtung gegen
mehrere Staaten in einer Klage geltend gemacht wird.
§. 127.
Über die Frage, ob ein Fall zur Entscheidung des Reichsgerichts
geeignet sei, erkennt einzig und allein das Reichsgericht selbst.
§. 128.
Ueber die Einsetzung und Organisation des Reichsgerichts, über das
Verfahren und die Vollziehung der reichsgerichtlichen Entscheidungen und
Verfügungen wird ein besonderes Gesetz ergehen.
Diesem Gesetze wird auch die Bestimmung, ob und in welchen Fällen bei
dem Reichsgericht die Urtheilsfällung durch Geschworene erfolgen soll,
vorbehalten.
Ebenso bleibt vorbehalten: ob und wie weit dieses Gesetz als organisches
Verfassungsgesetz zu betrachten ist.
§. 129.
Der Reichsgesetzgebung bleibt es vorbehalten, Admiralitäts- und
Seegerichte zu errichten, so wie die Bestimmungen über die
Gerichtsbarkeit der Gesandten und Consuln des Reiches zu treffen.
Abschnitt VI. Die Grundrechte
des deutschen Volkes.
§. 130.
Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet
sein. Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm
dienen, und keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen
Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder beschränken können.
Artikel I.
§. 131.
Das deutsche Volk besteht aus den Angehörigen der Staaten, welche das
deutsche Reich bilden.
§. 132.
Jeder Deutsche hat das deutsche Reichsbürgerrecht. Die ihm Kraft dessen
zustehenden Rechte kann er in jedem deutschen Lande ausüben. Über das
Recht, zur deutschen Reichsversammlung zu wählen, verfügt das
Reichswahlgesetz.
§. 133.
Jeder Deutsche hat das Recht, an jedem Orte des Reichsgebietes seinen
Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen. Liegenschaften jeder Art zu erwerben
und darüber zu verfügen, jeden Nahrungszweig zu betreiben, das
Gemeindebürgerrecht zu gewinnen.
Die Bedingungen für den Aufenthalt und Wohnsitz werden durch ein Heimatäsgesetz,
jene für den Gewerbebetrieb durch eine Gewerbeordnung für ganz
Deutschland von der Reichsgewalt festgesetzt.
§. 134.
Kein deutscher Staat darf zwischen seinen Angehörigen und andern
Deutschen einen Unterschied im bürgerlichen, peinlichen und Prozess-Rechte
machen, welcher die letzteren als Ausländer zurücksetzt.
§. 135.
Die Strafe des bürgerlichen Todes soll nicht stattfinden, und da, wo
sie bereits ausgesprochen ist, in ihren Wirkungen aufhören, soweit
nicht hierdurch erworbene Privatrechte verletzt werden.
§. 136.
Die Auswanderungsfreiheit ist von Staatswegen nicht beschränkt;
Abzugsgelder dürfen nicht erhoben werden.
Die Auswanderungsangelegenheit steht unter dem Schutze und der Fürsorge
des Reiches.
Artikel II.
§. 137.
Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist
aufgehoben.
Alle Standesvorrechte sind abgeschafft.
Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.
Alle Titel, insoweit sie nicht mit einem Amte verbunden sind, sind
aufgehoben und dürfen nie wieder eingeführt werden.
Kein Staatsangehöriger darf von einem auswärtigen Staate einen Orden
annehmen.
Die öffentlichen Aemter sind für alle Befähigten gleich zugänglich.
Die Wehrpflicht ist für Alle gleich; Stellvertretung bei derselben
findet nicht Statt.
Artikel III.
§. 138.
Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
Die Verhaftung einer Person soll, außer im Falle der Ergreifung auf
frischer That, nur geschehen in Kraft eines richterlichen, mit Gründen
versehenen Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblicke der Verhaftung
oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Verhafteten
zugestellt werden.
Die Polizeibehörde muß Jeden, den sie in Verwahrung genommen hat, im
Laufe des folgenden Tages entweder freilassen oder der richterlichen
Behörde übergeben.
Jeder Angeschuldigte soll gegen Stellung einer vom Gerichte zu
bestimmenden Caution oder Bürgschaft der Haft entlassen werden, sofern
nicht dringende Anzeigen eines schweren peinlichen Verbrechens gegen
denselben vorliegen.
Im Falle einer widerrechtlich verfügten oder verlängerten
Gefangenschaft ist der Schuldige und nöthigenfalls der Staat dem
Verletzten zur Genugthuung und Entschädigung verpflichtet.
Die für das Heer- und Seewesen erforderlichen Modifikationen dieser
Bestimmungen werden besonderen Gesetzen vorbehalten.
§. 139.
Die Todesstrafe, ausgenommen wo das Kriegsrecht sie vorschreibt, oder
das Seerecht im Fall von Meuterei sie zuläßt, so wie die Strafen des
Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung, sind
abgeschafft.
§. 140.
Die Wohnung ist unverletzlich.
Eine Haussuchung ist nur zulässig:
1. in Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen Befehl, welcher
sofort oder innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Beteiligten
zugestellt werden soll,
2. im Falle der Verfolgung auf frischer Tat, durch den gesetzlich
berechtigten Beamten,
3. in Fällen und Formen, in welchen das Gesetz ausnahmsweise bestimmten
Beamten auch ohne richterlichen Befehl dieselbe gestattet.
Die Haussuchung muss, wenn tunlich, mit Zuziehung von Hausgenossen
erfolgen.
Die Unverletzlichkeit der Wohnung ist kein Hindernis der Verhaftung
eines gerichtlich Verfolgten.
§. 141.
Die Beschlagnahme von Briefen und Papieren darf, außer bei einer
Verhaftung oder Haussuchung, nur in Kraft eines richterlichen, mit
Gründen versehenen Befehls vorgenommen werden, welcher sofort oder
innerhalb der nächsten vier und zwanzig Stunden dem Betheiligten
zugestellt werden soll.
§. 142.
Das Briefgeheimnis ist gewährleistet.
Die bei strafgerichtlichen Untersuchungen und in Kriegsfällen notwendigen
Beschränkungen sind durch die Gesetzgebung festzustellen.
Artikel IV.
§. 143.
Jeder Deutsche hat das Recht, durch Wort, Schrift, Druck und bildliche
Darstellung seine Meinung frei zu äußern.
Die Pressfreiheit darf unter keinen Umständen und in keiner Weise durch
vorbeugende Maßregeln, namentlich Zensur, Konzessionen,
Sicherheitsbestellungen, Staatsauflagen, Beschränkungen der Druckereien
oder des Buchhandels, Postverbote oder andere Hemmungen des freien
Verkehrs beschränkt, suspendiert oder aufgehoben werden.
Über Pressvergehen, welche von Amts wegen verfolgt werden, wird durch
Schwurgerichte geurteilt.
Ein Pressgesetz wird vom Reiche erlassen werden.
Artikel V.
§. 144.
Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und
Gewissensfreiheit.
Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.
§. 145.
Jeder Deutsche ist unbeschränkt in der gemeinsamen häuslichen und
öffentlichen Übung seiner Religion.
Verbrechen und Vergehen, welche bei Ausübung dieser Freiheit begangen
werden, sind nach dem Gesetze zu bestrafen.
§. 146.
Durch das religiöse Bekenntnis wird der Genus der bürgerlichen und
staatsbürgerlichen Rechte weder bedingt noch beschränkt. Den
staatsbürgerlichen Pflichten darf dasselbe keinen Abbruch thun.
§. 147.
Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten
selbstständig, bleibt aber den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.
Keine Religionsgesellschaft genießt vor andern Vorrechte durch den
Staat; es besteht fernerhin keine Staatskirche.
Neue Religionsgesellschaften dürfen sich bilden; eine Anerkennung ihres
Bekenntnisses durch den Staat bedarf es nicht.
§. 148.
Niemand soll zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen
werden.
§. 149.
Die Formel des Eides soll künftig lauten: "So wahr mir Gott
helfe."
§. 150.
Die bürgerliche Gültigkeit der Ehe ist nur von der Vollziehung des
Civilactes abhängig; die kirchliche Trauung kann nur nach Vollziehung
des Civilactes Staat finden.
Die Religionsverschiedenheiten ist kein bürgerliches Ehehindernis.
§. 151.
Die Standesbücher werden von den bürgerlichen Behörden geführt.
Artikel VI.
§. 152.
Die Wissenschaft und Lehre ist frei.
§. 153.
Das Unterrichts- und Erziehungswesen steht unter der Oberaufsicht
des Staats, und ist, abgesehen vom Religionsunterricht, der
Beaufsichtigung der Geistlichkeit als solcher enthoben.
§. 154.
Unterrichts- und Erziehungsanstalten zu gründen, zu leiten und an
solchen Unterricht zu ertheilen, steht jedem Deutschen frei, wenn er
seine Befähigung der betreffenden Staatsbehörde nachgewiesen hat.
Der häusliche Unterricht unterliegt keiner Beschränkung.
§. 155.
Für die Bildung der deutschen Jugend soll durch öffentliche
Schulen überall genügend gesorgt werden.
Eltern oder deren Stellvertreter dürfen ihre Kinder oder
Pflegebefohlenen nicht ohne den Unterricht lassen, welcher für die
unteren Volksschulen vorgeschrieben ist.
§. 156.
Die öffentlichen Lehrer haben das Recht der Staatsdiener.
Der Staat stellt unter gesetzlich geordneter Betheiligung der Gemeinden
aus der Zahl der Geprüften die Lehrer der Volksschulen an.
§. 157.
Für den Unterricht in Volksschulen und niederen Gewerbeschulen wird
kein Schulgeld bezahlt.
Unbemittelten soll auf allen öffentlichen Unterrichtsanstalten freier
Unterricht gewährt werden.
§. 158.
Es steht einem Jeden frei, seinen Beruf zu wählen und sich für
denselben auszubilden, wie und wo er will.
Artikel VII.
§. 159.
Jeder Deutsche hat das Recht, sich mit Bitten und Beschwerden
schriftlich an die Behörden, an die Volksvertretungen und an den
Reichstag zu wenden.
Dieses Recht kann sowohl von Einzelnen als von Korporationen und von
Mehreren im Vereine ausgeübt werden; beim Heer und der Kriegsflotte
jedoch nur in der Weise, wie es die Disciplinarvorschriften bestimmen.
§. 160.
Eine vorgängige Genehmigung der Behörden ist nicht nothwendig, um
öffentliche Beamte wegen ihrer amtlichen Handlungen gerichtlich zu
verfolgen.
Artikel VIII.
§. 161.
Die Deutschen haben das Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu
versammeln; eine besondere Erlaubnis dazu bedarf es nicht.
Volksversammlungen unter freiem Himmel können bei dringender Gefahr
für die öffentliche Ordnung und Sicherheit verboten werden.
§. 162.
Die Deutschen haben das Recht, Vereine zu bilden. Dieses Recht soll
durch keine vorbeugende Maaßregeln beschränkt werden.
§. 163.
Die in den §§. 161 und 162 enthaltenen Bestimmungen finden auf das
Heer und die Kriegsflotte Anwendung, insoweit die militärischen
Disciplinarvorschriften nicht entgegenstehen.
Artikel IX.
§. 164.
Das Eigentum ist unverletzlich.
Eine Enteignung kann nur aus Rücksichten des gemeinen Besten, nur auf
Grund eines Gesetzes und gegen gerechte Entschädigung vorgenommen
werden.
Das geistige Eigentum soll durch die Reichsgesetzgebung geschützt
werden.
§. 165.
Jeder Grundeigentümer kann seinen Grundbesitz unter Lebenden und von
Todes wegen ganz oder teilweise veräußern. Den Einzelstaaten bleibt
überlassen, die Durchführung des Grundsatzes der Teilbarkeit alles
Grundeigentums durch Übergangsgesetze zu vermitteln.
Für die tote Hand sind Beschränkungen des Rechts, Liegenschaften zu
erwerben und über sie zu verfügen, im Wege der Gesetzgebung aus
Gründen des öffentlichen Wohls zulässig.
§. 166.
Jeder Untertänigkeits- und Hörigkeitsverband hört für immer auf.
§. 167.
Ohne Entschädigung wird aufgehoben:
1. Die Patrimonialgerichtsbarkeit und die grundherrliche Polizei, samt
den aus diesen Rechten fließenden Befugnisse, Exemtionen und Abgaben.
2. Die aus dem guts- und schutzherrlichen Verbande fließenden
persönlichen Abgaben und Leistungen.
Mit diesen Rechten fallen auch die Gegenleistungen und Lasten weg,
welche dem bisher Berechtigten dafür oblagen.
§. 168.
Alle auf Grund und Boden haftenden Abgaben und Leistungen,
insbesondere die Zehnten, sind ablösbar; ob nur auf Antrag des
Belasteten oder auch des Berechtigten, und in welcher Weise, bleibt der
Gesetzgebung der einzelnen Staaten überlassen.
Es soll fortan kein Grundstück mit einer unablösbaren Abgabe oder
Leistung belastet werden.
§. 169.
Im Grundeigentum liegt die Berechtigung zur Jagd auf eigenem Grund und
Boden.
Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden, Jagddienste,
Jagdfrohnden und andere Leistungen für Jagdzwecke sind ohne
Entschädigung aufgehoben.
Nur ablösbar jedoch ist die Jagdgerechtigkeit, welche erweislich durch
einen lästigen mit dem Eigentümer des belasteten Grundstückes
abgeschlossenen Vertrag erworben ist; über die Art und Weise der
Ablösung haben die Landesgesetzgebungen das Weitere zu bestimmen.
Die Ausübung des Jagdrechts aus Gründen der öffentlichen Sicherheit
und des gemeinen Wohls zu ordnen, bleibt der Landesgesetzgebung
vorbehalten.
Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden darf in Zukunft nicht
wieder als Grundgerechtigkeit bestellt werden.
§. 170.
Die Familienfideicommisse sind aufzuheben. Die Art und Bedingungen der
Aufhebung bestimmt die Gesetzgebung der einzelnen Staaten.
Ueber die Familienfideicommisse der regierenden fürstlichen Häuser
bleiben die Bestimmungen den Landesgesetzgebungen vorbehalten.
§. 171.
Aller Lehensverband ist auszuheben. Das Nähere über die Art und Weise
der Ausführung haben die Gesetzgebungen der Einzelstaaten anzuordnen.
§. 172.
Die Strafe der Vermögenseinziehung soll nicht stattfinden.
§. 173.
Die Besteuerung soll so geordnet werden, daß die Bevorzugung einzelner
Stände und Güter in Staat und Gemeinde aufhört.
Artikel X.
§. 174.
Alle Gerichtsbarkeit geht vom Staate aus. Es sollen keine
Patrimonialgerichte bestehen.
§. 175.
Die richterliche Gewalt wird selbstständig von den Gerichten geübt.
Cabinets- und Minsterialjustiz ist unstatthaft.
Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
Ausnahmegerichte sollen nie stattfinden.
§. 176.
Es soll keinen privilegierten Gerichtsstand der Personen oder Güter
geben.
Die Militärgerichtsbarkeit ist auf die Aburteilung militärischer
Verbrechen und Vergehen, so wie der Militär-Disziplinarvergehen
beschränkt, vorbehaltlich der Bestimmungen für den Kriegszustand.
§. 177.
Kein Richter darf, außer durch Urteil und Recht, von seinem Amt
entfernt, oder in Rang und Gehalt beeinträchtigt werden.
Suspension darf nicht ohne gerichtlichen Beschluss erfolgen.
Kein Richter darf wider seinen Willen, außer durch gerichtlichen
Beschluss in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und Formen, zu
einer anderen Stelle versetzt oder in Ruhestand gesetzt werden.
§. 178.
Das Gerichtsverfahren soll öffentlich und mündlich sein.
Ausnahmen von der Öffentlichkeit bestimmt im Interesse der Sittlichkeit
das Gesetz.
§. 179.
In Strafsachen gilt der Anklageprozess.
Schwurgerichte sollen jedenfalls in schweren Strafsachen und bei allen
politischen Vergehen urteilen.
§. 180.
Die bürgerliche Rechtspflege soll in Sachen besonderer Berufserfahrung
durch sachkundige, von den Berufsgenossen frei gewählten Richter geübt
oder mitgeübt werden.
§. 181.
Rechtspflege und Verwaltung sollen getrennt und von einander unabhängig
sein.
Über Kompetenzkonflikte zwischen den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden
in den Einzelstaaten entscheidet ein durch das Gesetz zu bestimmender
Gerichtshof.
§. 182.
Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alle Rechtsverletzungen
entscheiden die Gerichte.
Der Polizei steht keine Strafgerichtsbarkeit zu.
§. 183.
Rechtskräftige Urteile deutscher Gerichte sind in allen deutschen
Ländern gleich wirksam und vollziehbar.
Ein Reichsgesetz wird das Nähere bestimmen.
Artikel XI.
§. 184.
Jede Gemeinde hat als Grundrechte ihrer Verfassung:
a) die Wahl ihrer Vorsteher und Vertreter;
b) die selbstständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten mit
Entschluss der Ortspolizei, unter gesetzlich geordneter Oberaufsicht des
Staates;
c) die Veröffentlichung ihres Gemeindehaushaltes;
d) Öffentlichkeit der Verhandlungen als Regel.
§. 185.
Jedes Grundstück soll einem Gemeindeverband angehören.
Beschränkungen wegen Waldungen und Wüsteneien bleiben der
Landesgesetzgebung vorbehalten.
Artikel XII.
§. 186
Jeder deutsche Staat soll eine Verfassung mit Volksvertretung haben.
Die Minister sind der Volksvertretung verantwortlich.
§. 187
Die Volksvertretung hat eine entscheidende Stimme bei der Gesetzgebung,
bei der Besteuerung, bei der Ordnung des Staatshaushaltes; auch hat sie
- wo zwei Kammern vorhanden sind, jede Kammer für sich - das Recht des
Gesetzvorschlags, der Beschwerde, der Adresse, so wie der Anklage der
Minister.
Die Sitzungen der Landtage sind in der Regel öffentlich.
Artikel XIII.
§. 188
Den nicht deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands ist ihre
volktümliche Entwicklung gewährleistet, namentlich die
Gleichberechtigung ihrer Sprachen, so weit deren Gebiete reichen, in dem
Kirchenwesen, dem Unterrichte, der innern Verwaltung und der
Rechtspflege.
Artikel XIV.
§. 189
Jeder deutsche Staatsbürger in der Fremde steht unter dem Schutze des
Reiches.
Artikel I.
§. 190
Bei jedem Regierungswechsel tritt der Reichstag, falls er nicht schon
versammelt ist, ohne Berufung zusammen, in der Art, wie er das letzte
Mal zusammengesetzt war. Der Kaiser, welcher die Regierung antritt,
leistet vor den zu einer Sitzung vereinigten Häusern des Reichstages
einen Eid auf die Reichsverfassung.
Der Eid lautet: "Ich schwöre, das Reich und die Rechte des
deutschen Volkes zu schirmen, die Reichsverfassung aufrecht zu erhalten
und sie gewissenhaft zu vollziehen. So wahr mit Gott helfe."
Erst nach geleistetem Eid ist der Kaiser berechtigt,
Regierungshandlungen vorzunehmen.
§. 191
Die Reichsbeamten haben beim Antritt ihres Amtes einen Eid auf die
Reichsverfassung zu leisten. Das Nähere bestimmt die Dienstpragmatik
des Reiches.
§. 192
Über die Verantwortlichkeit der Reichsminister soll ein Reichsgesetz
erlassen werden.
§. 193
Die Verpflichtung auf die Reichsverfassung wird in den Einzelstaaten mit
der Verpflichtung auf die Landesverfassung verbunden und dieser
vorangesetzt.
Artikel II.
§. 194
Keine Bestimmung in der Verfassung oder in den Gesetzen eines
Einzelstaates darf mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen.
§. 195
Eine Änderung der Regierungsform in einem Einzelstaate kann nur mit
Zustimmung der Reichsgewalt erfolgen. Diese Zustimmung muß in den für
Änderungen der Reichsverfassung vorgeschriebenen Form gegeben werden.
Artikel III.
§. 196.
Abänderungen in der Reichsverfassung können durch einen Beschluss
beider Häuser und mit Zustimmung des Reichsoberhaupts erfolgen.
Zu einem Beschluss bedarf es in jedem der beiden Häuser:
1. der Anwesenheit von wenigstens zwei Dritteln der Mitglieder;
2. zweier Abstimmungen, zwischen welchen ein Zeitraum von wenigstens
acht Tagen liegen muss;
3. einer Stimmenmehrheit von wenigstens zwei Dritteln der anwesenden
Mitglieder bei jeder der beiden Abstimmungen.
Der Zustimmung des Reichsoberhaupts bedarf es nicht, wenn in drei sich
unmittelbar folgenden ordentlichen Sitzungsperioden derselbe
Reichstagsbeschluss unverändert gefasst worden. Eine ordentliche
Sitzungsperiode, welche nicht wenigstens vier Wochen dauert, wird in
dieser Reihenfolge nicht mitgezählt.
Artikel IV.
§. 197.
Im Falle des Krieges oder Aufruhrs können die Bestimmungen der
Grundrechte über Verhaftung, Haussuchung und Versammlungsrecht von der
Reichsregierung oder der Regierung eines Einzelstaates für einzelne
Bezirke zeitweise außer Kraft gesetzt werden; jedoch nur unter
folgenden Bedingungen:
1. die Verfügung muss in jedem einzelnen Falle von dem
Gesamtministerium des Reiches oder Einzelstaates ausgehen;
2. das Ministerium des Reiches hat die Zustimmung des Reichstages, das
Ministerium des Einzelstaates die des Landtages, wenn dieselben zur Zeit
versammelt sind, sofort einzuholen. Wenn dieselben nicht versammelt
sind, so darf die Verfügung nicht länger als 14 Tage dauern, ohne dass
dieselben zusammenberufen und die getroffenen Maßregeln zu ihrer
Genehmigung vorgelegt werden.
Weitere Bestimmungen bleiben einem Reichsgesetz vorbehalten.
Für die Verkündigung des Belagerungszustandes in Festungen bleiben die
bestehen gesetzlichen Vorschriften in Kraft.
Zur Beurkundung:
Frankfurt a. M., den 28. März 1849.
Martin Eduard Simson von Königsberg in Preußen,
d. Z. Präsident der verfassunggebenden Reichsversammlung.
Carl Kirchgeßner aus Würzburg,
d. Z. II. Stellvertreter des Vorsitzenden, Abgeordneter des Wahlbezirkes
Weiler in Bayern.
Friedrich Siegm. Jucho aus Frankfurt a. M.,
I. Schriftführer.
Karl August Fetzer aus Stuttgart,
Schriftführer.
Dr. Anton Riehl aus Wien,
Abgeordneter für Zwettl, Schriftführer.
Karl Biedermann aus Leipzig
Abgeordneter für den XI. sächsischen Wahlbezirk, Schriftführer.
Gustav Robert v. Mahlzahn aus Cüstrin,
Abgeordneter für den Wahlkreis Königsberg i. d. R., Schriftführer.
Mar Neumayr aus München,
Abgeordneter für den X. oberbayerischen Wahlbezirk, Schriftführer.
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