Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit
vom 22. Januar 1963 ("Elysée-Vertrag")
[A]
"Vertrag
zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und der Französischen Republik
über die deutsch-französische Zusammenarbeit
Im Anschluß an die Gemeinsame Erklärung des Bundeskanzlers der Bundesrepublik
Deutschland und des Präsidenten der Französischen Republik vom 22. Januar 1963
über die Organisation und die Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen den
beiden Staaten wurden die folgenden Bestimmungen vereinbart:
I. Organisation
1. Die Staats- und Regierungschefs geben nach Bedarf die erforderlichen
Weisungen und verfolgen laufend die Ausführung des im folgenden festgelegten
Programms. Sie treten zu diesem Zweck zusammen, sooft es erforderlich ist und
grundsätzlich mindestens zweimal jährlich.
2. Die Außenminister tragen für die Ausführung des Programms in seiner
Gesamtheit Sorge. Sie treten mindestens alle drei Monate zusammen. Unbeschadet
der normalen Kontakte über die Botschaften treten diejenigen leitenden Beamten
der beiden Außenministerien, denen die politischen, wirtschaftlichen und
kulturellen Angelegenheiten obliegen, allmonatlich abwechselnd in Bonn und Paris
zusammen, um den Stand der vorliegenden Fragen festzustellen und die
Zusammenkunft der Minister vorzubereiten. Ferner nehmen die diplomatischen
Vertretungen und die Konsulate der beiden Staaten sowie ihre ständigen
Vertretungen bei den internationalen Organisationen die notwendige Verbindung in
den Fragen gemeinsamen Interesses auf.
3. Zwischen den zuständigen Behörden beider Staaten finden regelmäßige
Zusammenkünfte auf den Gebieten der Verteidigung, der Erziehung und der
Jugendfragen statt. Sie beeinträchtigen in keiner Weise die Tätigkeit der
bereits bestehenden Organe - Deutsch-Französische Kulturkommission, Ständige
Gruppe der Generalstäbe -, deren Tätigkeit vielmehr erweitert wird. Die Außenminister
sind bei diesen Zusammenkünften vertreten, um die Gesamtkoordinierung der
Zusammenarbeit zu gewährleisten.
a) Der Verteidigungs- und der Armeeminister treten wenigstens einmal alle drei
Monate zusammen. Ferner trifft sich der französische Erziehungsminister in den
gleichen Zeitabständen mit derjenigen Persönlichkeit, die auf deutscher Seite
benannt wird, um die Ausführung des Programms der Zusammenarbeit auf
kulturellem Gebiet zu verfolgen.
b) Die Generalstabschefs beider Staaten treten wenigstens einmal alle zwei
Monate zusammen; im Verhinderungsfalle werden sie durch ihre verantwortlichen
Vertreter ersetzt.
c) Der Bundesminister für Familien- und Jugendfragen oder sein Vertreter trifft
sich wenigstens einmal alle zwei Monate mit dem französischen Hohen Kommissar für
Jugend und Sport.
4. In jedem der beiden Staaten wird eine interministerielle Kommission
beauftragt, die Fragen der Zusammenarbeit zu verfolgen. In dieser Kommission,
der Vertreter aller beteiligten Ministerien angehören, führt ein hoher Beamter
des Außenministeriums den Vorsitz. Ihre Aufgabe besteht darin, das Vorgehen der
beteiligten Ministerien zu koordinieren und in regelmäßigen Abständen ihrer
Regierung einen Bericht über den Stand der deutsch-französischen
Zusammenarbeit zu erstatten. Die Kommission hat ferner die Aufgabe, zweckmäßige
Anregungen für die Ausführung des Programms der Zusammenarbeit und dessen
etwaige Ausdehnung auf neue Gebiete zu geben.
II. Programm
A. Auswärtige Angelegenheiten
1. Die beiden Regierungen konsultieren sich vor jeder Entscheidung in allen
wichtigen Fragen der Außenpolitik und in erster Linie in den Fragen von
gemeinsamem Interesse, um so weit wie möglich zu einer gleichgerichteten
Haltung zu gelangen. Diese Konsultation betrifft unter anderem folgende Gegenstände:
- Fragen der Europäischen Gemeinschaften und der europäischen politischen
Zusammenarbeit;
- Ost-West-Beziehungen sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen
Bereich;
- Angelegenheiten, die in der Nordatlantikvertragsorganisation und in den
verschiedenen internationalen Organisationen behandelt werden und an denen die
beiden Regierungen interessiert sind, insbesondere im Europarat, in der
Westeuropäischen Union, in der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, in den Vereinten Nationen und ihren Sonderorganisationen.
2. Die auf dem Gebiet des Informationswesens bereits bestehende Zusammenarbeit
wird zwischen den beteiligten Dienststellen in Bonn und Paris und zwischen den
Vertretungen in Drittstaaten fortgeführt und ausgebaut.
3. Hinsichtlich der Entwicklungshilfe stellen die beiden Regierungen ihre
Programme einander systematisch gegenüber, um dauernd eine enge Koordinierung
durchzuführen. Sie prüfen die Möglichkeit, Vorhaben gemeinsam in Angriff zu
nehmen. Da sowohl auf deutscher als auch auf französischer Seite mehrere
Ministerien für diese Angelegenheit zuständig sind, wird es Sache der beiden
Außenministerien sein, die praktischen Grundlagen dieser Zusammenarbeit
gemeinsam festzulegen.
4. Die beiden Regierungen prüfen gemeinsam die Mittel und Wege dazu, ihre
Zusammenarbeit im Rahmen des Gemeinsamen Marktes in anderen wichtigen Bereichen
der Wirtschaftspolitik, zum Beispiel der Land- und Forstwirtschaftspolitik, der
Energiepolitik, der Verkehrs- und Transportfragen, der industriellen Entwicklung
ebenso wie der Ausfuhrkreditpolitik, zu verstärken.
B. Verteidigung
I. Auf diesem Gebiet werden nachstehende Ziele verfolgt:
1. Auf dem Gebiet der Strategie und der Taktik bemühen sich die zuständigen
Stellen beider Länder, ihre Auffassungen einander anzunähern, um zu
gemeinsamen Konzeptionen zu gelangen. Es werden deutsch-französische Institute
für operative Forschung errichtet.
2. Der Personalaustausch zwischen den Streitkräften wird verstärkt; er
betrifft insbesondere die Lehrkräfte und Schüler der Generalstabsschulen; der
Austausch kann sich auf die zeitweilige Abordnung ganzer Einheiten erstrecken.
Zur Erleichterung dieses Austausches werden beide Seiten um den praktischen
Sprachunterricht für das in Betracht kommende Personal bemüht sein.
3. Auf dem Gebiet der Rüstung bemühen sich die beiden Regierungen, eine
Gemeinschaftsarbeit vom Stadium der Ausarbeitung geeigneter Rüstungsvorhaben
und der Vorbereitung der Finanzierungspläne an zu organisieren.
Zu diesem Zweck untersuchen gemischte Kommissionen die in beiden Ländern hierfür
betriebenen Forschungsvorhaben und nehmen eine vergleichende Prüfung vor. Sie
unterbreiten den Ministern Vorschläge, die diese bei ihren dreimonatlichen
Zusammenkünften prüfen und zu deren Ausführung sie die notwendigen
Richtlinien geben.
II. Die Regierungen prüfen die Voraussetzungen, unter denen eine deutsch-französische
Zusammenarbeit auf dem Gebiet des zivilen Bevölkerungsschutzes hergestellt
werden kann.
C. Erziehungs- und Jugendfragen
Auf dem Gebiet des Erziehungswesens und der Jugendfragen werden die Vorschläge,
die in den französischen und deutschen Memoranden vom 19. September und 8.
November 1962 enthalten sind, nach dem obenerwähnten Verfahren einer Prüfung
unterzogen.
1. Auf dem Gebiet des Erziehungswesens richten sich die Bemühungen hauptsächlich
auf folgende Punkte:
a) Sprachunterricht
Die beiden Regierungen erkennen die wesentliche Bedeutung an, die der Kenntnis
der Sprache des anderen in jedem der beiden Länder für die deutsch-französische
Zusammenarbeit zukommt. Zu diesem Zweck werden sie sich bemühen, konkrete Maßnahmen
zu ergreifen, um die Zahl der deutschen Schüler, die Französisch lernen, und
die der französischen Schüler, die Deutsch lernen, zu erhöhen.
Die Bundesregierung wird in Verbindung mit den Länderregierungen, die hierfür
zuständig sind, prüfen, wie es möglich ist, eine Regelung einzuführen, die
es gestattet, dieses Ziel zu erreichen.
Es erscheint angebracht, an allen Hochschulen in Deutschland einen für alle
Studierenden zugänglichen praktischen Unterricht in der französischen Sprache
und in Frankreich einen solchen in der deutschen Sprache einzurichten.
b) Frage der Gleichwertigkeit der Diplome
Die zuständigen Behörden beider Staaten sollen gebeten werden, beschleunigt
Bestimmungen über die Gleichwertigkeit der Schulzeiten, der Prüfungen, der
Hochschultitel und -diplome zu erlassen.
c) Zusammenarbeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung
Die Forschungsstellen und die wissenschaftlichen Institute bauen ihre
Verbindungen untereinander aus, wobei sie mit einer gründlicheren gegenseitigen
Unterrichtung beginnen; vereinbarte Forschungsprogramme werden in den
Disziplinen aufgestellt, in denen sich dies als möglich erweist.
2. Der deutschen und französischen Jugend sollen alle Möglichkeiten geboten
werden, um die Bande, die zwischen ihnen bestehen, enger zu gestalten und ihr
Verständnis füreinander zu vertiefen. Insbesondere wird der Gruppenaustausch
weiter ausgebaut.
Es wird ein Austausch- und Förderungswerk der beiden Länder errichtet, an
dessen Spitze ein unabhängiges Kuratorium steht. Diesem Werk wird ein
deutsch-französischer Gemeinschaftsfonds zur Verfügung gestellt, der der
Begegnung und dem Austausch von Schülern, Studenten, jungen Handwerkern und
jungen Arbeitern zwischen beiden Ländern dient.
III. Schlußbestimmungen
1. In beiden Ländern werden die erforderlichen Anordnungen zur unverzüglichen
Verwirklichung des Vorstehenden getroffen. Die Außenminister stellen bei jeder
ihrer Zusammenkünfte fest, welche Fortschritte erzielt worden sind.
2. Die beiden Regierungen werden die Regierungen der übrigen Mitgliedstaaten
der Europäischen Gemeinschaften über die Entwicklung der deutsch-französischen
Zusammenarbeit laufend unterrichtet halten.
3. Dieser Vertrag gilt mit Ausnahme der die Verteidigung betreffenden
Bestimmungen auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der
Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Regierung der Französischen Republik
innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Vertrages eine gegenteilige
Erklärung abgibt.
4. Die beiden Regierungen können die Anpassungen vornehmen, die sich zur Ausführung
dieses Vertrages als wünschenswert erweisen.
5. Dieser Vertrag tritt in Kraft, sobald jeder der beiden Vertragschließenden
dem anderen mitgeteilt hat, daß die dazu erforderlichen innerstaatlichen
Voraussetzungen erfüllt sind.
GESCHEHEN zu Paris am 22. Januar 1963 in zwei Urschriften, jede in deutscher und
französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.
Der Bundeskanzler
der Bundesrepublik
Deutschland
Adenauer
Der Bundesminister
des Auswärtigen der
Bundesrepublik Deutschland
Schröder
Der Präsident
der Französischen Republik
C. de Gaulle
Der französische
Premierminister
Pompidou
Der französische
Außenminister
M. Couve de Murville"
[B]
"Gemeinsame Erklärung
Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Konrad Adenauer, und der
Präsident der Französischen Republik, General de Gaulle, haben sich
- zum Abschluß der Konferenz vom 21. und 22. Januar 1963 in Paris, an der auf
deutscher Seite der Bundesminister des Auswärtigen, der Bundesminister der
Verteidigung und der Bundesminister für Familien- und Jugendfragen; auf französischer
Seite der Premierminister, der Außenminister, der Armeeminister und der
Erziehungsminister teilgenommen haben,
- in der Überzeugung, daß die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischen
Volk, die eine Jahrhunderte alte Rivalität beendet, ein geschichtliches
Ereignis darstellt, das das Verhältnis der beiden Volker zueinander von Grund
auf neu gestaltet,
- in dem Bewußtsein, daß eine enge Solidarität die beiden Volker sowohl
hinsichtlich ihrer Sicherheit als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und
kulturellen Entwicklung miteinander verbindet,
- angesichts der Tatsache, daß insbesondere die Jugend sich dieser Solidarität
bewußt geworden ist, und daß ihr eine entscheidende Rolle bei der Festigung
der deutsch-französischen Freundschaft zukommt,
- in der Erkenntnis, daß die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den
beiden Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege zu dem vereinigten
Europa bedeutet, welches das Ziel beider Völker ist,
mit der Organisation und den Grundsätzen der Zusammenarbeit zwischen den beiden
Staaten, wie sie in dem heute unterzeichneten Vertrag niedergelegt sind,
einverstanden erklärt.
GESCHEHEN zu Paris am 22. Januar 1963 in zwei Urschriften in deutscher und französischer
Sprache.
Der Bundeskanzler
der Bundesrepublik Deutschland:
Adenauer
Der Präsident
der Französischen Republik:
C. de Gaulle"
Quelle:
BGBl. 1963 II S. 705-710Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Vertragsarchiv
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